A Quiet Place

USA 2018 · 90 min. · FSK: ab 16
Regie: John Krasinski
Drehbuch: , ,
Kamera: Charlotte Bruus Christensen
Darsteller: Emily Blunt, John Krasinski, Millicent Simmonds, Noah Jupe, Leon Russom u.a.
Mundhalten als Überlebensmaxime

Trügerische Ruhe

Die jugend­liche Regan (Millicent Simmonds) liegt entspannt im Gras und genießt die Sonne. Sie lebt gemeinsam mit ihren Eltern Lee (John Krasinski) und Evelyn (Emily Blunt) sowie ihrem jüngeren Bruder Marcus (Noah Jupe) in einem male­ri­schen Landhaus inmitten einer idyl­li­schen Natur. Nur ihr kleiner Bruder Beau (Cade Woodward) ist nicht mehr Teil der Familie: Er wurde ein Jahr zuvor von blut­dürs­tigen Aliens wegge­fressen.

Wir wissen nicht, wie es zu der Alien­in­va­sion im Jahr 2020 kam. Am Anfang von A Quiet Place erfahren wir lediglich, dass der Beginn dieser Apoka­lypse zu diesem Zeitpunkt genau 89 Tage zurücklag. Die Klein­stadt im Bundes­staat New York, in der die Familie Abbott lebt, ist verwüstet. Auf der Suche nach Medi­ka­menten für den kranken Marcus schlei­chen die Abbotts durch einen leer­ste­henden Drugstore. Dabei versuchen sie, jedes laute Geräusch zu vermeiden und vers­tän­digen sich nur flüsternd oder in Zeichen­sprache. Spätes­tens, als es auf dem Heimweg den kleinen Beau erwischt, verstehen wir, warum das so ist: Die Aliens sind zwar blind, haben dafür aber umso größere Ohren.

Die in A Quiet Place vorherr­schende Ruhe ist folglich kein Zeichen eines besonders entspannten Lebens, sondern eine schiere Notwen­dig­keit, um zu überleben. Diese inter­es­sante und origi­nelle Prämisse versteht Regisseur, Koautor und Haupt­dar­steller John Krasinski auf geradezu meis­ter­liche Weise auszu­spielen. Während die meisten Horror­filme mit viel Lärm und noch lauteren Angst- und Schmer­zens­schreien arbeiten, versuchen die Prot­ago­nisten hier selbst dann mucks­mäu­schen­still zu bleiben, wenn sich ihnen ein rostiger Nagel bis zum Anschlag in die Fußsohle bohrt. Diese unbe­dingte Notwen­dig­keit zur Stille zeigt sich jedoch nicht nur in einzelnen, besonders brenz­ligen Situa­tionen, sondern bestimmt den gesamten Tages­ab­lauf der Familie.

Zu den zahl­rei­chen span­nungs­stei­gernden Details der Geschichte zählt die Tatsache, dass Regan taub ist. Somit ist die voll­kom­mene Stille für sie der Normal­zu­stand. Doch zugleich macht sie die Unfähig­keit zu hören besonders anfällig dafür, poten­ziell tödliche Gefahren zu übersehen. So schreckt sie in der oben beschrie­benen Szene auf einer grünen Wiese plötzlich panisch hoch, weil sie befürchtet, mit geschlos­senen Augen vor sich hinträu­mend mögli­cher­weise die nächste Alien­at­tacke verschlafen zu haben. Dass diese Figur eines gehör­losen Mädchens so lebens­echt wirkt, liegt sicher­lich auch daran, dass Regan von der tatsäch­lich tauben Schau­spie­lerin Millicent Simmonds (Rose aus Todd Haynes Wonder­struck von 2017) darge­stellt wird.

Überhaupt legt der bislang selbst vorrangig als Darsteller in Erschei­nung getretene John Krasinski ein auffal­lend hohes Augenmerk auf die Ausar­bei­tung der einzelnen Charak­tere und der Dynamik innerhalb der Familie. Im Zentrum der Handlung steht nicht die Alien­ab­wehr, sondern das Bemühen der Eltern, ihren Kindern auch unter diesen extremen Umständen ein möglichst normales Aufwachsen zu ermög­li­chen. Und in Gestalt der puber­tie­renden Megan verbinden sich die ganz gewöhn­li­chen Fami­li­en­pro­bleme mit rebel­li­schen Teenagern mit der außer­ge­wöhn­li­chen außer­ir­di­schen Gefahr in Form von fiesen Aliens mit riesigen Rada­r­ohren und gewal­tigen Hauern.

Dabei ist Krasinski so klug, die todbrin­genden Kreaturen, wie in Ridley Scotts origi­nalem Alien, für lange Zeit nicht zu genau zu zeigen. Was anno 1979 noch eine schlichte Notwen­dig­keit aufgrund der Begrenzt­heit der Trick­technik war, erweist sich im Jahr 2018 als ein äußerst smarter Schachzug: Bereits der Autor H. P. Lovecraft wusste, dass die erschre­ckendsten Kreaturen dieje­nigen sind, deren genaues Aussehen wir uns in unseren eigenen Köpfen ausmalen. Wenn die außer­ir­di­schen Monster in A Quiet Place schließ­lich doch in voller glibbe­riger Pracht in Erschei­nung treten, ist das eine durchaus ambi­va­lente Sache. Dabei faszi­niert der Detail­reichtum in der Gestal­tung. Zugleich wird jedoch ein weiteres Mal deutlich, dass komplett im Rechner kreierte Monster nach wie vor etwas zu abstrakt bleiben. Kein Wunder, dass bis heute viele Horror­fans auf die in liebe­voller Hand­ar­beit erschaf­fenen und animierten grotesken Latex­monster der 1980er-Jahre schwören.

Davon abgesehen hat Krasinski offen­sicht­lich viel von den besten Genre­filmen jener Zeit gelernt. Anstatt auf möglichst aufwen­dige Effekte setzt er voll auf ein Maximum an Atmo­s­phäre und auf eine selbst in den alltäg­lichsten Momenten schier uner­träg­liche Spannung. In A Quiet Place herrscht gerade inmitten der größten Norma­lität die höchste Bedrohung. Eine der gelun­gensten Szenen des Films zeigt somit auch keinen Alien­an­griff, sondern das Bemühen von Lee und Evelyn um eine wohl­ver­diente Auszeit: Das von John Krasinski und Emily Blunt verkör­perte Paar – das auch im realen Leben ein Ehepaar mit Kindern ist – hört eng anein­an­der­ge­schmiegt laut Musik. Dazu teilen sie sich die zwei Knöpfe eines Kopf­hö­rers. Alles andere wäre auch eindeutig weniger ratsam.

Das lautlose Leben

»A Quiet Place« – »Ein ruhiger Ort« – wer bei diesem Filmtitel an fried­liche Kino-Idyllen, an Heimat­filme und anders denkt, das dazu da ist, uns von der lauten Wirk­lich­keit abzu­lenken, der sieht sich schnell getäuscht. Denn um Einkehr und Andacht, um Kino als Gottes­dienst mit anderen Mitteln geht es hier nicht.

Die Ruhe dieses Films ist gespens­tisch. Sie ist, über einein­halb Stunden lang, die Ruhe vor dem Sturm. Denn dieser Film ist zwar still, fast stumm. Aber dies ist kein Stummfilm, sondern ein Werk, das den Ton überaus sparsam einsetzt, um ihn um so spürbarer, erkenn­barer zu machen. Die Grundidee von A Quiet Place ist folgende: Nach einer Invasion von außer­ir­di­schen, aggres­siven und todbringnden Wesen begreift die Mensch­heit bald, dass diese ihr haushoch überlegen sind. Aber sie haben eine Schwäche. Sie sehen nichts.
Sie orien­tieren sich allein durch Töne. Das Überleben ist also ganz einfach und unendlich schwer: Man darf kein Geräusch machen. Auch nicht aus Versehen.

Wenn einen etwas ganz Banales passiert, wenn zum Beispiel einem ein Teller aus der Hand rutscht und auf dem Boden zersplit­tert, dann kann das tödlich sein. Was für eine faszi­nie­rende Prämisse!
Wenn von der Laut­lo­sig­keit, davon, keine Geräusche zu machen, das Überleben abhängt, dann begreift man erst, wieviel Geräusche wir tatsäch­lich fort­wäh­rend machen.

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A Quiet Place, der dritte Spielfilm von John Krasinski, stellt uns eine Familie vor. Vater, Mutter, drei Kinder zwischen drei und zehn Jahre alt. Ganz zu Beginn, nur wenige Wochen nach der Alien-Invasion, macht der Jüngste einen Fehler: Er schaltet ein batte­rie­ge­trie­benes Spielzeug an, und das Spielzeug-Geräusch wird für ihn tödlich. Nach dieser kleinen Tragödie inmitten der großen, springt die Handlung ein gutes Jahr weiter, auf »Day 472«. Die Familie lebt auf einer eigent­lich idyl­li­schen Farm. Sie hat sich einge­richtet in der Laut­lo­sig­keit. Die vier Menschen, und einige andere, die es in der Nach­bar­schaft offenbar auch noch gibt, vers­tän­digen sich ausschließ­lich per Zeichen­sprache, sie schlei­chen auf Zehen­spitzen durch die Welt.

Das ganze Leben hier gleicht auf den ersten Blick einem Traum aller Städ­te­flüchter und all der Propheten eines langsamen, vormo­dernen Lebens: Es gibt kein Radio und Fernsehen mehr, keinen Verkehr; alles ist im Vergleich zur Gegenwart unendlich langsam geworden, denn die oberste Prämisse ist ja, kein Geräusch zu machen.

Als Mutter Evelyn aller­dings schwanger wird, steht die Familie vor einer riesigen Heraus­for­de­rung. Ist ein Neuge­bo­renes denkbar, das nie schreit? Eine Geburt ohne Schmer­zens­schreie oder zumindest erleich­terndes Stöhnen?

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Natürlich wird etwas passieren, die Zuschauer wissen das, und die Monster nähern sich dem Unter­schlupf der Familie. Zu Anfang des Films sind sie derart schnell, dass man sie, wenn überhaupt, nur sehr kurz, für Sekun­den­bruch­teile, sieht. Später dann schnüf­feln und tasten sie im Haus herum.

So wird A Quiet Place ein veri­ta­bler, aber sehr eigen­wil­liger Horror­film. Die Bedrohung ist schier uner­träg­lich, die Story überaus einfach, und die filmische Umsetzung überaus virtuos.

Die Spannung kommt vor allem durch die Tonspur. Das ist zunächst gewöh­nungs­be­dürftig und schwer auszu­halten. Dann aber wird jedes Rauschen der Bäume, wird der Wind im Gras der Wiesen und das Knarzen von Holz zu einem drama­ti­schen Höhepunkt.
Nun ist man auch als Betrachter ganz und gar in dieser Welt drin und versteht nebenbei ganz neu, wie zentral der Ton eines Films für diesen ist, und dass man ihn weder mit Lärm, noch mit Musik verwech­seln sollte. Man begreift, wie sehr auch die Abwe­sen­heit von Geräu­schen deren Insze­nie­rung ist.

Der Regisseur John Krasinski spielt den Vater selbst, die Frau und Mutter wird von Emily Blunt (Sicario) gespielt. Viellicht sollte man wissen, dass Krasinski und Blunt auch jenseits der Kamera ein Paar sind. Unter den Kindern ist Tochter Regan beein­dru­ckend (sie wird intensiv darge­stellt von Jung­dar­stel­lerin Millicent Simmonds, die in Wonder­struck, dem letzten Film von Todd Haynes bereits eine Haupt­rolle spielte). Die Musik stammt von Marco Beltrami – einem der besten Film­kom­po­nisten unserer Zeit. Mit Scream und dem Omen-Remake hat er auch schon Horror­kino gemacht.
Dies ist ein starker Horror­film mit tieferer Bedeutung, aller­dings auch – erst gegen Ende – etwas schlichtem Fami­li­en­op­fer­kitsch und ameri­ka­ni­scher Kamp­fes­moral.
Der Film ist gut, aber er ist nicht so gut, wie einige ameri­ka­ni­sche Kritiker jetzt trompeten.

In jedem Fall gilt aber: In diesem Film ist Ruhe kein Trost.