Pelo Malo – Bad Hair

Pelo malo

Venezuela/Peru/D 2013 · 94 min. · FSK: ab 12
Regie: Mariana Rondón
Drehbuch:
Kamera: Micaela Cajahuaringa
Darsteller: Samuel Lange Zambrano, Samantha Castillo, Beto Benites, Nelly Ramos, María Emilia Sulbarán u.a.
Sonne vorm Balkon

Männermacht in Caracas

Wie schön wäre es doch, eine eigene Badewanne zu haben! Für den neun­jäh­rigen Junior und seine Mutter Marta liegt solcher Luxus aber in weiter Ferne. Sie leben gemeinsam mit einem viel kleineren Bruder in einer herun­ter­ge­kom­menen Wohnung in einer Traban­ten­stadt in Caracas. Marta muss Junior ohne den verstor­benen Vater erziehen, sie hat gerade ihre Arbeit als Mitar­bei­terin eines privaten Sicher­heits­dienstes verloren, sucht eine neue Stellung und jobbt derweil bei reichen Leuten als Putzfrau. Gleich in der ersten Szene legt sich Junior in einem unbe­ob­ach­teten Moment in die Luxus­ba­de­wanne, die er eigent­lich sauber­ma­chen soll – er wird erwischt und es gibt Ärger.

Die sozialen Kontraste der vene­zue­la­ni­schen Gesell­schaft stehen von Anfang an im Zentrum in Pelo Malo – Bad Hair, einem der seltenem Filme aus dem jungen Kinoland Venezuela. Schnell über­schreitet der Film aber seine mise­ra­bi­lis­ti­sche Ausgangs­kon­stel­la­tion und wird zu einem tragi­ko­mi­schen Film über das Erwach­sen­werden.

Dies ist kein Film, der durch seine Erzählung besticht. Sondern durch seine beiläu­figen Beob­ach­tungen, durch das was er vom Leben seiner Figuren und dem Leben überhaupt, zeigt.

»Pelo Malo« bedeutet wörtlich »schlechtes Haar«. Gemeint ist damit das krause lockige Haar von Junior. Es verweist auf seinen farbigen Vater, und es wird in der rassis­tisch struk­tu­rierten Gesell­schaft Vene­zuelas als »hässlich« verstanden und als Zeichen einer niederen sozialen Herkunft.

Nun, da bei Junior die ersten Anzeichen der Pubertät zu beob­achten sind, leidet er unter diesen seinen Haaren und will sie am liebsten ganz loswerden. Zumindest für das Klas­sen­foto das in ein paar Tagen ansteht: Mit Speiseöl glättet er sich also die Locken morgens stun­den­lang vor dem Spiegel,

Marta beob­achtet die Verän­de­rung ihres Sohnes, sein plötz­li­ches Interesse an Musik und modischer Kleidung voller Sorge: Ist ihr Junge etwa kein »richtiger Mann«? Wird Junior etwa schwul? »Normale« Jungs spielen schließ­lich Fußball oder verkleiden sich als Soldaten, statt als Sänger.

Darf man das als Mutter überhaupt? Ist es politisch korrekt, zuzugeben, dass man hofft, das eigene Kind wäre nicht homo­se­xuell. Darf man auf eine solche Aussicht mit Wider­willen und Abscheu reagieren? Solche Fragen stellt man sich nur im ameri­ka­nisch-europäi­schen Westen. In Latein­ame­rika werden sie verstanden und sind gestattet.

Welt­an­schau­lich bemer­kens­wert ist auch, dass nicht wenige Film­kri­tiken hier­zu­lande die Homo­se­xua­lität von Junior als Tatsache hinstellen: »Nine-year-old Junior (Samuel Lange), a curly-haired outcast living in a Caracas housing project, is gay, but doesn’t fully realize it yet«, schreibt Scott Tobias. Durch den Film ist das nun keines­wegs gedeckt

Junior hilft das natürlich nicht. Trost findet der Junge bei seiner Groß­mutter, die ihm jene Liebe gibt, die er bei der Mutter entbehrt. Und bei einem Nach­bars­mäd­chen, mit dem er seine Freizeit verbringt.

Die vene­zo­la­ni­sche Regis­seurin Martana Rodón hat in ihrem dritten Spielfilm den Mut, mit Marta eine Frau zu zeigen, die in erster Linie Frau ist, nicht Mutter sein will, und deren Mutter­sein so gar nicht dem üblichen Mutter­bild des Kinos entspricht.
Als sie am Ende Junior zwingt, entweder die Haare abzu­ra­sieren oder zur Groß­mutter ziehen, opfert er die Haare. Aber er wirft der Mutter ein trotziges »Ich liebe dich nicht!« entgegen. Worauf sie ihm ebenso trotzig sagt: »Ich dich auch nicht.«

Pelo Malo – Bad Hair ist einer­seits ein klas­si­scher Coming-of-Age-Film, dessen Grund­kon­stel­la­tion – Mutter-und-Sohn, sexuelles Erwachen, Rassismus. Armut, kultu­relle Identität – auch in Europa statt­finden könnte. Zugleich erzählt der Film aber von Venezuela und dessen Klas­sen­kon­flikten, von der Utopie des »boli­va­ri­schen« Sozia­lismus und ihrem Sterben, verkör­pert durch den Krebstod des Revo­lu­ti­ons­füh­rers Hugo Chavez, den Junior und Marta in den Fern­seh­nach­richten verfolgen. Chavez verlor in den letzten Monaten seines Lebens durch die Chemo­the­rapie seine Haare. Und mit den Haaren verlor er, ganz wie im antiken Mythos, seine Macht.
So ist dies auch ein Film über Männer­macht und den alltäg­li­chen Machismo.

Stilis­tisch ist Pelo Malo ein Film, der sich über weite Strecken auf Beob­ach­tungen verlässt. Stil, ruhig, mit redu­zierten Dialogen, einer bewegten Kamera, die ihren Prot­ago­nisten dicht auf den Fersen bleibt. So gelingt der Film als natu­ra­lis­tisch-authen­ti­sches, oft fast doku­men­ta­ri­sches Portrait einer Megacity und ihrer Menschen, sowie eines Landes im Umbruch. Viele Fragen bleiben offen. Nichts wird beschö­nigt. Hier ist »Pelo Malo« am stärksten.

Etwas bemühter ist die Figu­ren­kon­stel­la­tion in diesem Fami­li­en­drama geraten: Die Sympa­thien der Zuschauer liegen quasi natur­gemäß auf Seiten des Kindes Junior. Etwas zu wenig Mühe gibt, sich die Regis­seurin, um auch die Mutter so zu zeigen, dass man sie versteht und mag.

Ihre Ruppig­keit, ihre prag­ma­ti­sche Kühle miss­ver­steht man schnell als Kälte. Tatsäch­lich ist dies eine Frau, deren geschei­terte Träume und deren Trau­rig­keit ein Schicksal spiegeln, das auch ihren Kindern bevor­steht. Rondón zeigt am Ende genau dies, ohne an derart bitteren Einsichten irgend­etwas etwas zu beschö­nigen.