Passages

Frankreich/Deutschland 2023 · 92 min. · FSK: ab 16
Regie: Ira Sachs
Drehbuch: ,
Kamera: Josée Deshaies
Darsteller: Franz Rogowski, Ben Whishaw, Adèle Exarchopoulos, Erwan Kepoa Falé, Arcadi Radeff u.a.
Gefährliche Symbiose...
(Foto: MUBI/Studiocanal)

When the Saints Go Marching In

Ira Sachs zeigt in seinem großartigen Drama Beziehungen so wie ihren Sex – als reißenden Fluss ohne Wiederkehr. Auch schauspielerisch ist das ein Ereignis.

Am Anfang dieses dichten Dramas denkt man eigent­lich nur an eins, dass Ira Sachs hier ein Fass­binder-Reloaded in den Raum wuchten will. Was wäre, wenn Fass­binder heute leben würde? Würde er seine eigen­wil­lige, so destruk­tive wie produk­tive Persön­lich­keit ausleben dürfen, oder wäre er schon lange gecancelt? Denn so wie Franz Rogowski als Tomas seinen Film an einem fran­zö­si­schen Set abdreht und danach zum einen seinen lang­jäh­rigen Partner Martin (Ben Whishaw) umgarnt, dann aber mit Agathe (Adèle Exar­cho­poulos) eine spontane Affäre und noch viel mehr beginnt und dabei und dadurch seine Krea­ti­vität mobi­li­siert und die Grenzen der Mono­se­xua­lität instinktiv sprengt, das ist genau der Fass­binder, den wir aus der jüngsten Fass­binder-Exegese kennen von Oskar Roehler (Enfant Terrible) bis François Ozon (Peter von Kant).

Aber zum Glück ist das nur der Anfang, eine ernste Spielerei, auch wenn die kreativen Prozesse, die hier gezeigt werden, bis zum Ende immer wieder an Fass­binder denken lassen. Aber Ira Sachs, der seit seinem groß­ar­tigen Jugend­drama LITTLE MEN (2016) ein Garant für gnaden­lose, emotio­nale Authen­ti­zität ist, inter­es­siert sich dann doch für mehr als nur einen getrie­benen, toxischen Künstler, der seine Partner verbrennt, um selbst heller zu leuchten.

Sachs inter­es­siert statt­dessen der Alltag, der Mantel, der alles umgibt. Der Bezie­hungs­alltag und vor allem die Partner, die mit der Toxizität umgehen lernen müssen. Er nimmt sich Zeit für intime Alltags­mo­mente, in denen er sowohl Martin als auch Agathe in ihrem Umfeld und dann auch ihrem Leiden um ihre Liebe und Leiden­schaft zeigt, in der es zum einen darum geht, nicht zu verbrennen, zum anderen aber auch darum, wie anziehend dieses Feuer ist, das Tomas so leiden­schaft­lich wie gnadenlos immer wieder neu entzündet.

Sachs findet dabei vor allem über zwei großartig insze­nierte Sexszenen eindrucks­volle Momente. Es ist Sex, wie er in seiner direkten Ambi­va­lenz in den letzten Jahren nur selten im Kino zu sehen war. Wir sehen Tomas mit Agathe schlafen und Tomas mit Martin und glauben, ja hoffen als Zuschauer, dass endlich die Sprache der Körper auflösen kann, was die Worte nicht können.

Doch so einfach macht es Sachs seinem Bezie­hungs­reigen nicht. Und damit hat er recht. Statt­dessen führt er einen vierten Partner ein, steht jetzt auch Amad (Kepoa Falé) an der Seite von Martin und erleben wir einen Reife­pro­zess, ein Aufwei­chen dieser Bezie­hungs­knorpel, der bei Claire Denis, in ihrem ähnlich inten­siven und aufrei­benden Mit Liebe und Entschlos­sen­heit, nie erreicht wird, weil ihren Liebenden und Leidenden die Sprache immer mehr abhanden kommt.

Bei Sachs ist die Sprache der letzte Trumpf, um sich zu eman­zi­pieren, es immer wieder von neuem zu versuchen, Bezie­hungen jenseits des mono­se­xu­ellen Para­digmas neu zu defi­nieren. Beein­dru­ckend ist hier vor allem eine Szene, in der alle Betei­ligten an einem Tisch sitzen und eigent­lich nur essen wollen. Doch das Essen ist nur das archai­sche Terrain, die Grundlage unseres sozialen Lebens, das hier helfen soll, neue Para­digmen zu etablieren. Wie schwer das ist, zeigt Sachs so zärtlich wie gnadenlos und mit Darstel­lern, die diese Bezie­hungs­su­chen über­ra­gend ausspielen. Und hier, während dieses Essens, sind seine Darsteller dann auch endlich das Ensemble, das sie sonst nie sein dürfen, sind sie sonst viel mehr Einsame und Verzwei­felte – hier dürfen sie endlich versuchen, Familie zu sein, vibrie­rend und hyperreal.

Am Ende ist es dann so wie am Anfang während der Party nach dem finalen Dreh, spricht niemand mehr, liebt niemand mehr, wird dann auch deutlich, dass es hier nicht um ein zeit­ge­mäßes Porträt von toxischer Männ­lich­keit geht, sondern um viel mehr, um die Essenz unserer Gefühle. Es ist wieder die Musik, die dominiert, wie auf der Party, aber dieses Mal ist es ein alter Gospel, ist es When the Saints Go Marching In, das hier ähnlich dekon­stru­iert wird, wie Jimi Hendrix es einst mit der ameri­ka­ni­schen Natio­nal­hymne getan hat. Mit einer fast schon irren Sehnsucht nach Erlösung, die erst durch Zers­törung möglich wird. Das Himmel­reich wird kommen, und jeder hat es verdient, auch der auf seinem Damen­fahrrad verloren und getrieben durch Paris radelnde Tomas.

Ein Paradies der Einsamen, aber eines für all jene, die alles versucht haben. Die beste aller Welten.