Oskars Kleid

Deutschland 2022 · 101 min. · FSK: ab 6
Regie: Hüseyin Tabak
Drehbuch:
Kamera: Daniel Gottschalk
Darsteller: Laurì, Florian David Fitz, Marie Burchard, Burghart Klaußner, Juan Lo Sasso u.a.
Im Zweifel für den Angeklagten?
(Foto: Warner Bros.)

Transkid & Transparent

Hüseyin Tabak und Florian David Fitz erzählen einfühlsam vom Coming-Out und Alltag eines jungen Transmädchens, gleiten dabei aber immer wieder in einen zu offensichtlichen Ratgeber-Duktus ab

»Now the world’s a little older and the years have changed the river
Cause there’s houses where they didn’t used to be.«

– Kris Kristoff­erson, Jody and the Kid

Das Trans­gender-Thema ist in den städ­ti­schen Ballungs­zen­tren der west­li­chen Welt ein wichtiges und immer offener disku­tiertes Thema. Eine bahn­bre­chende Serie wie Trans­pa­rent oder eine Doku­men­ta­tion wie Uli Deckers Anima – Die Kleider meines Vaters zeigen, dass die Zeiten der Geheim­nis­krä­merei zwar fast vorbei sind, doch es weiterhin für die ältere Genera­tion schwer bleibt, sich zu eman­zi­pieren und damit glücklich zu werden.

Etwas selbst­ver­ständ­li­cher sehen diese indi­vi­du­ellen Trans­for­ma­ti­ons­pro­zesse an den Schulen deutscher Großs­tädte aus, in denen nach den großen Ferien immer mehr Kinder sitzen, die sich mit ihrem ange­bo­renen Geschlecht nicht mehr iden­ti­fi­zieren können und wollen. Doch auch diese »Verwand­lungen« sind natürlich alles andere als einfach. Weder in der Schule noch im Eltern­haus.

Hüseyin Tabak, der mit dichten, sozial enga­gierten Coming-of-Age-Geschichten mit Außen­seiter-Nimbus wie Deine Schönheit ist nichts wert, Das Pferd auf dem Balkon und Gipsy Queen auf sich aufmerksam gemacht hat, geht in Oskars Kleid dieser Thematik nach. Anders als in seinen bishe­rigen Spiel­filmen entscheidet sich Tabak hier für das Genre der Tragi­komödie. Das dürfte daran liegen, dass sein Haupt­dar­steller Florian David Fitz (Das perfekte Geheimnis, Einge­schlos­sene Gesell­schaft, Der Nachname) das Drehbuch für Tabaks Film geschrieben hat und sich damit auf dem Terrain bewegt, auf dem er sich nicht nur schau­spie­le­risch, sondern auch als Dreh­buch­autor und Regisseur von Filmen wie 100 Dinge oder Der geilste Tag am wohlsten fühlt.

Wie wohl sich Fitz in diesem Genre und dem Trans­gender-Fokus fühlt, wird in Oskars Kleid sehr schnell deutlich, denn Fitz schmeißt sich in die Rolle des frisch geschie­denen Poli­zisten Ben, der sich mit der neu gewählten (und bislang gut versteckten) Geschlechts­iden­tität seines 9-jährigen Sohnes Oskars (Lauri) nicht abfinden will, mit sichtlich großem Enga­ge­ment hinein und nistet sich mit seinem Partner im Strei­fen­wagen (Kida Khodr Ramadan) und einer Menge Over­ac­ting sehr schnell im Grenz­be­reich zwischen Feelgood- und ein wenig derberer, deutscher Komödie ein, in der ein Eska­la­ti­ons­trieb­werk nach dem anderen gezündet wird: von der entfrem­deten, wieder schwan­geren Ex-Frau (Marie Burchard), den entfrem­deten Eltern (Senta Berger, Burghart Klaußner), entfrem­deten Kindern, Alko­ho­lismus, bis zum Anklopfen des Jugend­amts wird eigent­lich kaum etwas ausge­lassen, was man sich asso­ziativ bei einer derar­tigen Fami­li­en­kon­stel­la­tion so vorstellt, gerade wenn der Vater ein so tumber Tor ist, wie ihn Fitz hier insze­niert.

Das funk­tio­niert im Grunde sehr gut, ist kurz­weilig und empa­thisch und könnte gerade durch die so hervor­ra­genden wie hilflosen Dialoge zwischen Trans­pa­rent (also Vater) und Transkid (Oskar) ein inten­siver, wichtiger Film sein. Denn Fitz und Tabak zeigen diffe­ren­ziert die Schwie­rig­keiten Oskars in der Schule, mit sich selbst und vor allem auch innerhalb einer dysfunk­tio­nalen Familie, die stets das Beste will, aber immer wieder von Neuem scheitert. Das sieht sich aller­dings gerade in der breiten und alles andere als realis­ti­schen Vielfalt des Schei­terns und wieder Zusam­men­rau­fens und mit den gimmick­haften, komö­di­an­ti­schen Einlagen bei aller wohl dosiert einge­streuter Verzweif­lung und Trau­rig­keit immer wieder auch wie ein spie­le­ri­scher Leitfaden für Eltern an, die sich mit dieser Thematik ausein­an­der­setzen wollen oder müssen.

Dass es dann aber nicht mehr als ein LGBTQ+-Leitfaden im Gewand einer Tragi­komödie ist, liegt vor allem daran, dass Tabak dem Drehbuch von Fitz nicht traut. So wie in Til Schwei­gers Lieber Kurt, einem zumindest thema­tisch ähnlich wichtigen Film, wird auch in Oskars Kleid jede Szene, jeder Dialog mit einem textlich passenden Liedstück unter­füt­tert, um auch dem letzter Zuschauer klar zu machen, was hier und wie es passiert. Das nimmt dem Film nicht nur einen Teil seiner Inten­sität und Glaub­wür­dig­keit, die er an sich ja besitzt und die er vor allem dann hat, stellt man sich diesen Film einmal ohne seine musi­ka­li­sche Unter­ma­lung vor. Es nimmt aber auch dem an sich stark aufspie­lenden Ensemble die Kraft und Über­zeu­gung, denn alles, was hier durch gutes Schau­spiel im Zeichen der guten Sache in ein gesell­schafts-hinter­fra­gendes Zweifeln getragen wird, löst sich durch die musi­ka­li­sche Unter­ma­lung und ein paar allzu vorher­seh­bare Zoten in weniger auf, als der Film eigent­lich ist.