Nocturnal Animals

USA 2016 · 117 min. · FSK: ab 16
Regie: Tom Ford
Drehbuch:
Kamera: Seamus McGarvey
Darsteller: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Isla Fisher u.a.
In die Abgründe der Narration

Aufregende Unberechenbarkeit

»Do you ever feel, you life has turned into something you never intended?« – das Portrait einer Frau mittleren Alters aus der sehr neurei­chen High-Society von Los Angeles. Susan lebt in einer gut abge­schirmten, Kamera-über­wachten Villa aus Beton und Glas auf den Hügeln über der Stadt der Engel. Sie kennt »Oprah« und die ange­sag­testen Künstler persön­lich und ihre Ehe ist nicht gut.
Soweit nichts Über­ra­schendes in der zweiten Regie­ar­beit des Mode­de­si­gners und Film­au­to­di­dakten Tom Ford. Doch dann wird es anders...

Amy Adams, der phäno­me­nalen Haupt­dar­stel­lerin dieses Films gelingt es auf Anhieb, uns für diese zunächst nicht sehr einneh­mende Figur der Susan zu inter­es­sieren. Auch wenn sie anders lebt, als die meisten von uns, und viel­leicht auch anders denkt, als die eine oder der andere, erkennen wir Gemein­sam­keiten: Die Einsam­keit einer Indi­vi­dua­listin, die so gut allein sein kann, dass sie irgend­wann ihre Freunde vergisst; Enttäu­schungen, wie sie das Leben und das Altern mit sich bringen; die Sinnleere eines Daseins, das ganz auf Karriere und deren mate­ri­elle Bestä­ti­gungen ausge­richtet ist.

Als Susan sich zu Anfang dieses Films auf ein Woche­n­ende zurück­zieht, im Wissen, dass ihr Mann gerade in einer Luxus­suite an der Ostküste fremd geht – es ist ihr irgendwie egal, sie hat ja genug Arbeit, und irgendwie auch nicht – da erhält sie ein Paket. Darin findet sich ein Roman-Manuskript. Es stammt von Edward, ihrem Exfreund, der immer davon träumte, Schrift­steller zu werden, an den sie zunächst glaubte, dann weniger, um ihn schließ­lich für das, was sie für »Realismus« hielt, zu verlassen.
Jetzt hat er Erfolg, und will ihr Urteil hören zu seinem neuen Roman »Nocturnal Animals«, also jene Geschöpfe die einen nachts, zwischen Wachen und Traum heim­su­chen.

Im Folgenden gerät die Lektüre dieses Buches für die Leserin Susan zur Begegnung mit ihrer eigenen, persön­li­chen Vergan­gen­heit. Und es wird schnell klar, dass genau das die Ansicht des Exfreundes ist, dass er dieses Buch benutzt, um den Dialog mit der Frau, die ihn einst verließ, wieder aufzu­nehmen und auf eine neue Stufe zu führen – zu seinen Bedin­gungen.

Es ist ein perfider Plan, und der Film macht uns im mehr­fa­chen Sinn zu dessen Teil­ha­bern. Denn Tom Ford erweckt das Buch zum Leben, und er nimmt uns mit auf eine Reise in die Vergan­gen­heit von Susan und Edward.

Es ist beein­dru­ckend wie Regisseur Tom Ford diese drei Ebenen – Gegenwart, Vergan­gen­heit und Fiktion – in der Balance hält, und wir immer den Überblick behalten. Dabei kommt dem Regisseur sein zweites Leben als Mode­ma­cher zugute. Denn dies ist etwas sehr Seltenes im zeit­genös­si­schen Kino: ein form­be­wusster Film. Kino, dass mit Ästhetik argu­men­tiert, in Bildern und Kame­ra­be­we­gungen spricht. Das Sujet des Films ist zum einen die Macht der Fiktion: Die großen Erzäh­lungen taugen nicht mehr, oder es gibt sie gar nicht, haben mal ein paar Leute behauptet.
Oh doch!

Tom Ford zeigt ihre Macht, sein Film führt mitten hinein in die Abgründe der Narration, der Sprache, der Lektüre. Daneben ist dies ein Film über die Dekadenz des Lebens der Reichen und Wohl­ha­benden im Westen, über die heim­li­chen Ängste des Bürger­tums, über Sinnleere und den möglichen Sinn des Lebens. Es ist mit anderen Worten ein Film, der mitten ins Herz der Gegenwart trifft und uns alle angeht – Hollywood at its best.

Zum Jahres­ende also noch einmal ein ausge­zeich­neter Film. Was für ein Abschluss eines Film-Jahres, in dem neben Regis­seu­rinnen auch allerlei sehr zeit­ge­mäße, sehr abgrün­dige Frau­en­fi­guren im Zentrum vieler Filme standen.

Was Nocturnal Animals derart aufregend macht, ist seine Unbe­re­chen­bar­keit, selbst über sein Ende hinaus. Wie wird es weiter­gehen mit Susan, mit uns... ?

Realität in der Fiktion

Ein blutender Finger als böse Vorahnung: Beim Öffnen eines Päckchens schneidet sich die Gale­ristin Susan Morrow (Amy Adams) am Papier und lässt die Sendung schließ­lich von einem Bediens­teten aufreißen. Mit diesem etwas plaka­tiven Bild weist Tom Ford in seinem zweiten Spielfilm Nocturnal Animals, der auf dem lite­ra­ri­schen Vexier­spiel „Tony & Susan“ basiert, auf den gefähr­li­chen Einfluss hin, den der Inhalt des Pakets – ein deftiger Hinter­land-Roman – im weiteren Verlauf auf die Prot­ago­nistin ausüben wird. Urheber des Manuskriptes ist Susans früherer Ehemann Edward Sheffield (Jake Gyllen­haal), ein idea­lis­ti­scher Schrift­steller, den sie einst für ein besseres Leben verlassen hat. Ein Leben, das mitt­ler­weile von Leere dominiert wird.

Susan ist erfolg­reich, hat einen attrak­tiven Gatten (Armie Hammer), bewegt sich in den elitären Kreisen von Los Angeles, residiert in einer gläsernen Luxus­villa und wirkt doch von Anfang an unzu­frieden. Entfremdet von ihrem Partner. Ange­wi­dert von der Ober­fläch­lich­keit der Kunstwelt. Versunken in eine Sinnkrise, die Ford und Kame­ra­mann Seamus McGarvey in kühle, sorgsam kompo­nierte Bilder gießen. Ausge­rechnet an diesem verletz­li­chen Punkt wird Susan mit ihrer Vergan­gen­heit konfron­tiert.

Edwards Roman, der seiner Ex-Frau gewidmet ist, entfaltet sich während Susans Lektüre vor unseren Augen und gibt sich als düster-gallige Crime- und Rachestory zu erkennen, die auf das Motiv-Arsenal des Backwood-Thrillers zurück­greift: Tony Hastings – ebenfalls gespielt von Jake Gyllen­haal – befindet sich darin mit Frau (Isla Fisher) und Tochter (Ellie Bamber) auf einer einsamen Land­straße im texa­ni­schen Nirgendwo, als ein Redneck-Trio die Familie zum Anhalten zwingt und fortan schi­ka­niert. Szenen, in denen Mode­de­si­gner Tom Ford sein Talent als Regisseur und Erzähler eindrucks­voll demons­triert. Dass etwas Schlimmes passieren wird, ist offen­kundig. Geschickt zögert der gebürtige Texaner aller­dings die Eska­la­tion heraus und zieht die Span­nungs­schraube dadurch immer weiter an. Tonys Hilf­lo­sig­keit, seine Unfähig­keit, die Frauen vor den Sadisten zu schützen, brennt sich so noch mehr ein, was sicher­lich kein Zufall ist. Immerhin will der Film „Männ­lich­keit in unserer heutigen Kultur“ unter­su­chen, wie es Ford im Pres­se­heft zu Protokoll gibt.

Tony steckt zurück, bleibt passiv und muss mit ansehen, wie Gattin und Tochter in der Dunkel­heit verschwinden. Nicht von ungefähr spielen masku­lines Auftreten und maskuline Eigen­schaften auch auf einer dritten Erzäh­le­bene eine promi­nente Rolle. Aufge­schreckt von den Roman­schil­de­rungen, muss Susan immer häufiger an die gemein­same Zeit mit Edward denken. Über Rück­blenden tauchen wir in eine Beziehung ein, die von Gegen­sätzen geprägt ist. Hier die junge Frau aus gutem Hause mit einer klas­sen­be­wussten Mutter. Dort ein künst­le­ri­scher Freigeist aus eher einfachen Verhält­nissen. Edward ist sensibel, will sich den Traum vom Schreiben unbedingt erfüllen und pfeift auf eine erfolgs­ori­en­tierte Zukunfts­pla­nung, wie man sie – zumindest in Susans Familie – von einem Mann erwartet. Die spätere Kunst­ex­pertin wiederum vertei­digt zunächst seine roman­ti­sche Ader, kann Edwards fehlenden Ehrgeiz abseits der Auto­ren­be­stre­bungen aber bald nicht mehr ertragen.

Susans Erin­ne­rungen lassen mit der Zeit Paral­lelen zwischen dem Roman und der geschei­terten Beziehung erkennen: Ein rotes Sofa, das in der Fiktion an einer promi­nenten Stelle auftaucht, findet sich auch in einem Streit­ge­spräch zwischen der Prot­ago­nistin und ihrem Ex-Mann wieder. Susans rote Haare spiegeln sich im Erschei­nungs­bild von Tonys Ehefrau und Tochter. Und in beiden Fällen verliert ein eher zurück­hal­tender junger Mann das, was ihm am liebsten ist. Edwards Manuskript scheint das Trauma des Schrift­stel­lers zu illus­trieren. Seine Trauer über das Ende seiner Ehe. Eine Inter­pre­ta­tion, die Susan wiederum veran­lasst, ihr damaliges Verhalten zu reflek­tieren. Hat sie sich im Lichte ihres uner­füllten Luxus­da­seins falsch entschieden? Einst schlimme Fehler begangen? Und ihrem früheren Partner Unver­zeih­li­ches angetan? Brennende Fragen, die einem bitteren Schluss­ak­kord Vorschub leisten.

So sehr man die elegante Insze­nie­rung, die selbst scho­ckie­rende Anblicke poetisch färbt, und den meistens gelun­genen Span­nungs­aufbau auch bewundern muss, fällt dennoch auf, dass sich hinter den stim­mungs­vollen Bildern und der verschach­telten Erzähl­weise – ähnlich wie in David Finchers Ehethriller Gone Girl – einige Klischees und Plat­titüden verbergen. Der schöne Schein der L.A.-Kunstwelt wird in flüchtige sati­ri­sche Beob­ach­tungen gepackt. Die Diskus­sion über Männ­lich­keit und Klas­sen­un­ter­schiede wirkt unaus­ge­reift. Und der durch Susans Lektüre zum Leben erweckte, pulpige Romanplot schwankt manchmal zu sehr im Tonfall, ist aufgrund der bedroh­li­chen Highway-Sequenz und eines gran­diosen Michael Shannon als ruppig-röchelndem Ermittler aber trotzdem sehens­wert. Mit Abstri­chen gilt das auch für den Film als Ganzes, wenn­gleich offen­sicht­lich ist, dass Ford seinen Ambi­tionen ein ums andere Mal hinter­her­he­chelt.