New York – Die Welt vor deinen Füßen

The World Before Your Feet

USA 2018 · 95 min. · FSK: ab 0
Regie: Jeremy Workman
Drehbuch:
Kamera: Jeremy Workman
Schnitt: Jeremy Workman
Protagonisten: Matt Green
Walking it my way: Matt Green
(Foto: Happy Entertainment/24 Bilder)

Ganz im Ernst: Der Weg ist das Ziel

Seinen Job, seine Wohnung aufge­geben und zu Fuß durch die Stadt: So hat 2012 der Bauin­ge­nieur Matt Green sein Leben umge­krem­pelt. In fünf Jahren legte er eine Strecke von über 8000 Meilen zurück. Jeder Häuser­block, jede Straße und jeder Park in jedem der fünf Stadt­be­zirke wurde von ihm abge­schritten. Jeremy Workman, Freund von Matt und überdies Regisseur, beglei­tete Green drei Jahre lang mit seiner Kamera auf seinem Weg. Das Ergebnis ist der schlichte und schöne Doku­men­tar­film New York – Die Welt vor deinen Füßen.

Matt Green ist ein Streuner, auch wohn­tech­nisch. In einer der wenigen schnell geschnit­tenen Sequenzen des Films sehen wir die Katzen, die Matt Green in seinen wech­selnden Unter­künften gesittet hat. Dabei reichen seine Bleiben von einer WG, über eine kleine Wohnung mit Ausklapp­bett bis hin zum gedie­genen Appar­te­ment. Mit 15 Dollar pro Tag für Essen und öffent­liche Trans­port­mittel kommt Matt Green auf seinem langen Marsch durch New York über die Runden. Eine weitere schnell geschnit­tene Sequenz zeigt die Leute, denen er auf der Straße die Hand schüttelt. Denn Green betrachtet nicht nur aufmerksam seine Umgebung, sondern knüpft auch immer wieder mit Passanten ein Gespräch an.

Die meiste Zeit über ist New York – Die Welt vor deinen Füßen von jedoch sehr ruhig geschnitten. Dabei ist die Kamera des Filme­ma­chers zumeist ganz dicht an Matt Green dran. Wir sehen Green von hinten, wie er bei Tag und Nacht durch die Straßen läuft. Und wir sehen Green von vorne, während er Details zu seinen wech­selnden Umge­bungen erklärt. Dabei sind Greens Füße zumeist abge­schnitten. Seltener sehen wir den laufenden Bauin­ge­nieur in der Totalen. Und noch seltener hebt die Kamera ab, um die wech­selnden Stadt­land­schaften aus der Vogel­per­spek­tive zu betrachten.

Green läuft durch die Straßen von Brooklyn, Queen und Manhattan. Green läuft am Strand von Staten Island entlang. Green läuft durch Parks und über Friedhöfe. Er lässt auf seinem Weg nichts aus. Dabei begegnet er auch jemandem, der schon vor ihm alle Blocks von New York abge­wan­dert ist. Da sein Vorgänger sich jedoch auf die Straßen der Stadt beschränkt hatte, war die von ihm abge­lau­fene Strecke nur 6000 Meilen lang. Nach vier Jahren war er damit fertig. Green ist dahin­gegen nach fünf Jahren noch immer weit vom Ziel entfernt.

Zu seinem Projekt gehört auch die Recherche zu den began­genen Orten. Das Ergebnis seiner Funde hält er regel­mäßig in seinem Blog I’m just walking fest. Darin ist die jeweils am Tag abge­lau­fene Strecke zu sehen. Hinzu kommen viele Fotos von beson­deren Beob­ach­tungen. Mal zeigt Green zu anderen Funk­tionen umge­wid­mete Synagogen. Mal zeigt er eine ganze Reihe von Friseur­sa­lons, die allesamt mindes­tenz ein »Z« im Titel tragen: Friendz of Cutz. Dann wieder hält er ein Kind fest, das von seinem Vater in einer Schnee­wehe am Straßen­rand einge­bud­delt wurde. Es ist Sommer im Winter.

Matt Green ist bei jedem Wetter unterwegs. Nicht nur bei Sonnen­schein läuft er durch die Straßen, sondern auch bei dichtem Schnee­ge­stöber. Er versinkt knöchel­tief im Schnee oder er durch­watet eine über­schwemmte Straße. Er kämpft sich abseits der Wege durch das Unterholz, um einen der ältesten Bäume der Stadt aufzu­su­chen. Der über 400 Jahre alte Baum hat einen ausgehöhlten Stamm. In der Vertie­fung findet Green eine Tupper­dose mit einem Schreib­block, in dem Gedichte fest­ge­halten sind. Überhaupt macht Green auf seinem Weg viele über­ra­schende Funde. So findet er außer den versteckten Gedichten viele Mahnmale, die an den 11. September 2001 erinnern, alle ganz indi­vi­duell an die Häuser­fas­saden gesprayt.

Green erweist sich als ein sach­kun­diger Stadt­führer, obwohl er nicht vorhat, seine Wanderung in eine im engeren Sinne nützliche Tätigkeit münden zu lassen. Er weist auf die Spuren eines Anschlags an der New Yorker Börse hin. Er findet das Gebäude, in dem sich die erste New Yorker Klinik zur Gebur­ten­kon­trolle befand. Er findet den Ort, an dem einst ein Skla­ven­markt war. Er recher­chiert, dass in einem inter­es­sant ausse­henden Gebäude Malcom X erschossen wurde. Er stellt sach­kun­dige Betrach­tungen zur viel­fäl­tigen New Yorker Pflan­zen­welt an.

New York – Die Welt vor deinen Füßen ist ein erbau­li­cher und unter­halt­samer Film, bei dem man auch immer wieder lacht. Es macht einfach Spaß, diesem Getrie­benen zuzusehen, der für seine unge­wöhn­liche Leiden­schaft sogar eine Hochzeit platzen ließ. Matt Green ist ein Mann, für den der Weg tatsäch­lich das Ziel ist.