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Fruitvale Station

USA 2013 · 85 min. · FSK: ab 12
Regie: Ryan Coogler
Drehbuch:
Kamera: Rachel Morrison
Darsteller: Michael B. Jordan, Melonie Diaz, Octavia Spencer, Kevin Durand, Chad Michael Murray u.a.
Tragische Beiläufigkeit

Letzte U-Bahn nach San Francisco

Immer wieder werden die US-Medien von Berichten über Afro­ame­ri­kaner erschüt­tert, die rassis­ti­schen Poli­zisten zum Opfer fallen. 1992 führte die Miss­hand­lung des Schwarzen Rodney King durch vier Poli­zisten und deren anschließende Frei­spre­chung vor Gericht zu tage­langen bürger­kriegs­ähn­li­chen Zuständen in der Stadt, die über 50 Todes­fälle zur Folge hatten. 2009 verstörte die Erschießung des Schwarzen Oscar Grant durch einen weißen Poli­zisten die für ihre Libe­ra­lität bekannte Bay Area von San Franciso. Dieser Fall führte zu landes­weiten Protesten, die zusät­z­lich dadurch ange­feuert wurden, dass dieser Vorfall aufgrund von zahl­rei­chen ins Internet gestellten Handy­vi­deos für jeden direkt nach­voll­ziehbar war. Eine der Personen, die damals selbst in der Bay Area wohnten, war der junge schwarze Film­stu­dent Ryan Coogler. Er hatte das Gefühl, dass es ebenso gut ihn selbst hätte treffen können. Deshalb hat er den Film Fruitvale Station über die letzten 24 Stunden im Leben von Oscar Grant gemacht:

Silvester 2008 Oakland, Kali­for­nien: Der 22-jährige Oscar Grant (hervor­ra­gend: Michael B. Jordan) verbrachte Silvester vor einem Jahr im Gefängnis, wo er wegen Dealens mit Marihuana einsaß. Doch er ist fest entschlossen sich und sein Leben zu ändern. Oscar will endlich ein guter Partner, Vater und Sohn sein. Am morgen verspricht er seiner Freundin Sophina (Melonie Diaz) nicht mehr fremd­zu­gehen. Den Tag über kümmert er sich liebevoll um seine vier­jäh­rige Tochter Tatiana (Ariana Neal) und kauft Essen für seine Mutter (Octavia Spencer) ein, die heute Geburtstag hat. Doch Oscars Neuanfang wird dadurch massiv erschwert, dass er seinen Job in einem Super­markt verloren hat. Als ehema­liger Häftling wird er nicht leicht eine andere Arbeit finden. Abends gesteht Oscar Sophina, dass er bereits seit zwei Wochen arbeitslos ist. Diese fällt zunächst aus allen Wolken, beschließt dann jedoch, dass sie diesen Abend gemeinsam mit Freuden nach San Francisco fahren, um einfach einmal fröhlich zu sein. Um nicht im Stau stecken­zu­bleiben und noch recht­zeitig zum Jahres­wechsel in San Francisco anzu­kommen, entschließen sie sich zur Fahrt mit der U-Bahn. Das Verhängnis nimmt seinen Lauf. Die Handy­vi­deos von der Tat, sind in Bezug auf die Schuld­frage unein­deutig. Auch der Dreh­buch­autor und Regisseur Ryan Coogler trifft kein direktes Urteil. Er zeigt jedoch sehr deutlich, auf wessen Seite er steht: Oscar wird von ihm als strah­lender Sympa­thie­träger verklärt; die Poli­zisten sind als proto­ty­pi­sche brutale Rassisten gezeichnet.

Dies schmälert ein klein wenig den ansonsten hervor­ra­genden Gesamt­ein­druck von Cooglers Lang­film­debüt, das mit zahl­rei­chen im US-Kino äußerst raren Qualitäten überzeugt. Im Gegensatz zu vielen anderen US-Produk­tionen – nicht nur aus Hollywood, sondern auch aus dem Inde­pen­dent-Bereich – verzichtet Fruitvale Station darauf, seine Botschaft dem Publikum so lange einzu­häm­mern, bis auch der Aller­letzte sie ganz sicher verstanden hat. Zudem ist Cooglers Drehbuch frei von der Über­kon­stru­iert­heit, welche die Botschaften vieler US-Filme im arti­fi­zi­ellen Orkus versinken lässt. Fruitvale Station ist anders: Der auf groben 16-Milli­meter und mit Hand­ka­mera gedrehte Film zeichnet sich für einen sehr hohen Grad an Natür­lich­keit und an Authen­ti­zität aus. Anstatt penetrant mit dem Zaunpfahl zu winken, lässt Coogler die Ereig­nisse am liebsten für sich sprechen. Die meisten Dinge entwi­ckeln sich wie im wahren Leben nicht mit großen Ankün­di­gungen, sondern ganz beiläufig.

Selbst die Erschießung Oscars wirkt fast wie eine Neben­hand­lung zu der Erzählung von Oscar Grants Silvester 2008. Dass der junge Schwarze auf solch eine beiläu­fige Art zu Tode kommt, macht seinen Fall jedoch nur umso tragi­scher und verleiht der namens­ge­benden „Fruitvale Station“ einen finsteren Symbol­ge­halt.