Monos – Zwischen Himmel und Hölle

Monos

Kolumbien/AR/NL/S/D 2019 · 103 min. · FSK: ab 16
Regie: Alejandro Landes
Drehbuch: ,
Kamera: Jasper Wolf
Darsteller: Sofia Buenaventura, Moises Arias, Julianne Nicholson, Laura Castrillón, Deiby Rueda u.a.
Zusammengehalten durch seine Form
(Foto: DCM)

Jener Funke, den wir Wahnsinn nennen

Wo Zivilisation und Wildnis sich treffen: Der überaus beeindruckende Monos von Alejandro Landes

Eine para­mi­li­tä­risch orga­ni­sierte Gruppe, Teil eines großen Ganzen viel­leicht, einer geheimen, namen­losen Armee. Oder doch nur ein absurder Haufen? Es sind jeden­falls nur acht Jugend­liche, der älteste viel­leicht zwanzig. Und ein Offizier, der sie drillt, einschüch­tert, bevor er sie allein lässt, hoch oben in den kalten Bergen, über den Wolken, über dem Nebel­schwaden ausdamp­fenden Dschungel.

Sie kämpfen irgendwo gegen irgendwen, gegen einen so gut wie immer unsicht­baren Feind. Viel­leicht ist der sogar nur behauptet. Der wahre Feind jeden­falls sitzt im Inneren, in ihnen selbst.

Es geht in Monos vor allem um diese innere Dynamik der Gruppe. Sie haben eine Kuh, die sollen sie bewachen. Eine Kuh ist wertvoll, sagt der Komman­deur, sie gibt ihnen nämlich Milch. Aber als sie einmal die falschen Pilze essen und danach ziemlich berauscht sind, da ist die Kuh am Ende tot.

Wer ist dafür verant­wort­lich? Mit dieser Frage beginnt ganz sanft ein langsamer Prozess der Selbst­zer­flei­schung. Eine Reise in ein inneres Herz der Fins­ternis, ange­trieben von Macht, Furcht und Eigennutz, von den Trieben, die den Menschen in eine der anderen Menschen Bestie verwan­deln.
Ange­trieben, befeuert sozusagen wird diese Mühle des Bösen weniger durch die nicht sicht­baren, aber eben doch irgendwie vorhan­denen, in Explo­sionen und Granat­feuer präsenten Gegner, als durch die ebenfalls nur über Funk anwe­senden Komman­deure – und durch eine ameri­ka­ni­sche Frau, die sie als Geisel gefangen halten.

Äußerlich geht dies einher mit dem Abstieg vom Berg in den feuchten, glit­schigen, immer verreg­neten Dschungel, der von gefähr­lich reißenden Flüssen durch­zogen und von wilden Tieren beherrscht ist.

Schritt für Schritt wird die Natur auch unwirk­lich, flirrend zwischen Rausch und Alptraum in atem­be­rau­benden psyche­de­li­schen Bildern.

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Monos von Alejandro Landes ist ein faszi­nie­render Film. Der Film spielt in Kolumbien, müsste er aber nicht, so universal wie er ist, könnte er auch woanders spielen, wo Armeen einen schmut­zigen Krieg gegen den Terror führen. Die reale Politik spielt nur eine Neben­rolle, bildet aber den Hinter­grund: FARC, faschis­ti­sche Para­mi­li­tärs, der irrwit­zige »Sendero Luminoso« (Leuch­tender Pfad), der einst in Peru den Nebel des Krieges noch verdich­tete. Bis zum Schluss bleibt es bewusst offen gehalten, ob die Guerilla, deren Innen­an­sichten uns der Film präsen­tiert, nun eine linke oder eine rechts­ex­tre­mis­ti­sche ist. Ob sie überhaupt einer Ideologie anhängt.
Man kann darüber, erst recht vor dem Hinter­grund des Wissens um die realen Verhält­nisse in Kolumbien, einige Vermu­tungen anstellen. Und zum Beispiel ist erkennbar, dass die jungen Männer und Frauen in dieser Miliz aus india­ni­schen Bevöl­ke­rungs­teilen stammen, dass es sich also um Land­be­völ­ke­rung und um Arme handelt. Zum Beispiel lässt sich schnell über den Film erfahren, dass er mit staat­li­cher Unter­stüt­zung entstand.

Aber auf all das kommt es nicht in erster Linie an.

Tatsäch­lich muss man bei diesem Film mehr an allgemein mensch­liche Verhal­tens­weisen denken, an anthro­po­lo­gi­sche Konstanten. Und an deren Verar­bei­tung in den Künsten zu lite­ra­ri­schen und filmi­schen Parabeln. Joseph Conrads »Herz der Fins­ternis« und dessen Verfil­mung Apoca­lypse Now kommen einem in den Sinn, sie sind ebenso offen­sicht­liche Refe­renzen wie auch »Der Herr der Fliegen« von William Golding.
Dann noch die wilden, archai­schen Südame­rika-Filme von Werner Herzog: Aguirre, der Zorn Gottes; Fitz­car­raldo. Beide erzählen – wie Monos auch – von jenem Funken, der sich entzündet, wo Zivi­li­sa­tion und Wildnis sich treffen, und den wir Wahnsinn nennen.

Und dann der Kampf dagegen, die Selbst­be­haup­tung der mensch­li­chen Zivi­li­sa­tion. Von William Friedkins The Sorcerer sagt Quentin Tarantino, dies sei einer der drei Filme, »die einen anschauen, wenn man selber einen Film macht.«

Welche Filme haben wohl Alejandro Landes ange­schaut? Bisher hat er Doku­men­tar­filme gemacht, als Jour­na­list gear­beitet, ein Ecua­do­rianer-Kolum­bianer, der in Brasilien, in São Paolo geboren ist, und in den USA studierte.

Es ist sein erster Spielfilm – eine Wucht. Dicht, intensiv und zunehmend verrückt.

Monos ist stark – dies ist genau der richtige Film zum Neustart des Kinos post Corona: Kino, wie es sein muss; Kino, das nicht nur Geschichte, sondern auch Bilder und vor allem Atmo­s­phäre ist, zusam­men­ge­halten von seiner Form.