Milla meets Moses

Babyteeth

Australien 2019 · 118 min. · FSK: ab 12
Regie: Shannon Murphy
Drehbuch:
Kamera: Andrew Commis
Darsteller: Eliza Scanlen, Toby Wallace, Essie Davis, Ben Mendelsohn, Emily Barclay u.a.
Eine Krise macht das Leben nicht einfacher, aber dann und wann ein wenig leichter
(Foto: X Verleih/Warner Bros.)

So nah und nebensächlich wie das Leben und der Tod

Shannon Murphy zeigt in ihrem Langfilmdebüt, dass man einen »Krebsfilm« ernst, überraschend, komisch und befreiend zugleich inszenieren kann

Dass Krebs­filme, also Filme über das Sterben, im Kinder­film- und Jugend­film­be­reich fantas­tisch funk­tio­nieren können, zeigte Dennis Bots 2012 mit seinem Starke Mädchen weinen nicht; dass sie sogar Block­buster-Quali­täten haben können, machte dann die Best­seller-Verfil­mung Das Schicksal ist ein mieser Verräter (2014) deutlich; ein Zug, auf den wohl auch André Erkau mit seinem letzte Woche ange­lau­fenen Gott, du kannst ein Arsch sein! aufspringen wollte, eine Tragi­komödie wie ein Fami­li­en­treffen, bei dem sich Till Schweiger und Heike Makatsch mit Benno Führmann und Jürgen Vogel herum­schlagen müssen, während die krebs- und ster­bens­kranke Tochter mit einem bildungs­fernen Halb­waisen aus dem Zirkus eine Art thera­peu­ti­scher Katharsis und natürlich Coming-of-Age erlebt. Das ist so schlecht, wie es sich anhört und eigent­lich keine Erwähnung wert, würde nicht nur eine Woche später das austra­li­sche Krebs­drama Milla meets Moses in die Kinos kommen.

Denn bei einem sehr ähnlichen Plot – bildungs­ferner älterer Junge bricht in bildungs­bür­ger­liche Welt ein, um die krebs- und ster­bens­kranke Tochter auf ihrem letzten Weg zu begleiten – macht Shannon Murphy in ihrem Lang­film­debüt, einer Umsetzung des Thea­ter­stücks »Babyteeth« von Rita Kalnejais, alles richtig, was Erkau falsch macht.

Statt der Repro­duk­tion von Gender- und anderen Gesell­schafts­ste­reo­typen und einem dezi­dierten Abdriften in schlecht insze­nierten Klamauk ist es vor allem die ernste, immer wieder über­ra­schende Geschichte, die über hervor­ra­gende Schau­spieler beklem­mend und in den richtigen Momenten mit komischen Akzenten auch befreiend insze­niert wird. Denn Ben Mendelsohn und Essie Davis spielen Eltern, die keine Abzieh­bilder sind, die selbst gebro­chene Menschen sind, nicht anders als ihre Tochter, und schon seit langem versuchen, ihren Beruf, ihre Beziehung unter­ein­ander, und die zu ihrer Tochter irgendwie zu retten. Die Krise macht es da nicht einfacher, umso mehr als ihre Tochter Milla (Eliza Scanlen) den drogen­af­finen Moses (Toby Wallace) auf dem Höhepunkt der gesund­heit­li­chen Krise in die Familie einführt.

Dem Kampf um die »Bezie­hungs­ho­heit« in Milla meets Moses wird dabei ebenso viel Raum gegeben wie dem Kampf um Nähe zwischen dem jungen Paar, das sich selbst als Paar überhaupt noch finden muss und damit fast spie­gel­bild­lich zu Millas Eltern agiert, die in einer viel späteren Lebens­phase ebenfalls um so etwas wie Bezie­hungs­iden­tität ringen. Fast nebenbei erzählt der Film auch von der austra­li­schen Gesell­schaft, ihrer Zerris­sen­heit, aber auch dem Bedürfnis, zumindest im Alltag so etwas wie einen Gesell­schafts­ver­trag zu erfüllen.

Dass die Ausein­an­der­set­zung mit der Krankheit, dem gut verbor­genen, aber nichts­des­to­trotz essen­zi­ellen Rückgrat des Films, fast am Rande, mit spie­le­ri­scher Leich­tig­keit ausge­ar­beitet wird, tut dem Film gut, macht ihn so wirklich und nah und neben­säch­lich, wie das Leben und auch der Tod dann irgendwie ja doch auch ist.