Deutschland 2024 · 80 min. · FSK: ab 12 Regie: Justine Bauer Drehbuch: Justine Bauer Kamera: Pedro Carnicer Darsteller: Karolin Nothacker, Johanna Wokalek, Pauline Bullinger, Anne Nothacker, Sara Nothacker u.a. |
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Die Dinge müssen sich ändern, um die gleichen zu bleiben... | ||
(Foto: Filmperlen) |
Die Transformation ländlichen, bäuerlichen Lebens ist im Kino der letzten Jahre stets präsent gewesen. Sei es mit historisch-literarischen Varianten wie Dorota Kobielas und Hugh Welchmans Das Flüstern der Felder (2023), die Verfilmung des Nobelpreis-Romans »Die Bauern« von Władysław Reymon oder die gegenwartsbezogenen Arbeiten über das bäuerliche Leben in den USA in Unsere große kleine Farm oder Funny Birds – Das Gelbe vom Ei, in dem drei Generationen von Frauen sich nicht nur der bäuerlichen Realität stellen, sondern auch ihre Rolle als Frau in diesem Kontext hinterfragen. Das gilt übrigens auch für Sabrina Sarabis Drama Niemand ist bei den Kälbern (2022).
Gemein ist all diesen Filmen, dass bäuerliches Leben, damals wie heute, eine Mühsal ist. Das gilt auch für Justine Bauers Debütfilm Milch ins Feuer, der 2024 auf dem Filmfest München mit dem Förderpeis Neues Deutsches Kino ausgezeichnet worden ist. Anders als Sabrina Sarabis etwas melodramatischer Niemand ist bei den Kälbern (2022) ist Bauers Milch ins Feuer jedes Melodram völlig fremd. Nüchtern und fast dokumentarisch erzählt Bauer vom Alltag in der Region Hohenlohe in Baden-Württemberg, wo Alemannisch-Hohenlohisch gesprochen wird, ein deutscher Dialekt, so selten und so schön in seiner Intonierung, dass es sich allein schon deswegen lohnt, diesen Film sehen.
Bauer ist selbst auf einer Straußenfarm groß geworden und weiß, wovon sie erzählt. So wie in Funny Birds lässt auch sie drei Generationen von Frauen zu Wort kommen. Die Oma, die von der Mühsal in früheren Zeiten erzählt, die Mutter, die schon nicht mehr an die Zukunft der Landwirtschaft glaubt und dann ist da Katinka, die den Hof gern übernehmen würde, aber dem Bruder als Erstgeborenen den Vorzug geben muss und erst einen anderen Erstgeborenen als Ehepartner suchen muss, um ihre Visionen als Bäuerin ausleben zu können.
Das Ensemble setzt sich bis auf eine Ausnahme aus Laien zusammen. Die Rolle der Oma etwa wird von Bauers eigener Großmutter gespielt. Nur Johanna Wokalek als Marlies hat u.a. als Kommissarin im Münchner »Polizeiruf« einen schauspielerischen Hintergrund und musste sich den gesprochenen Dialekt erst aneignen.
Aber es nicht nur das so authentisch aufspielende Ensemble, das Bauers Film so eindrücklich macht. Denn mit einer starken, eigenwilligen Bildsprache erzählt Bauer neben den Erinnerungspassagen der Großmutter und deren Vergangenheit vor allem von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die dem Leben und Sterben des bäuerlichen Berufs, ja sogar einer Schwangerschaft, mit überraschender und beeindruckender Nonchalance begegnen und dementsprechend auch Verlockungen und Berufsverbesserungsalternativen, wie bei Aldi an der Kasse zu arbeiten, eine atemberaubende Resilienz entgegenbringen. Und das trotz so bitterer Momente wie der titelgebenden Aktion, in der Milch zum Löschen eines Brandes verwendet wird, um darauf aufmerksam zu machen, dass die heutigen Milchpreise keine Hofgemeinschaft mehr ernähren können. Oder der so stille, fast schon nebensächliche Suizid, der in diesem Sommerfilm für Momente alle Farben und Hoffnung nimmt.
Aber auch das ist einen Augenblick später schon wieder vergessen, auch wenn es beim Zuschauer vielleicht die Erinnerung an die Massensuizide von indischen Baumwollbauern ausgelöst hat, die sich wegen ihrer prekären Lage nicht mehr anders zu helfen wussten, als sich zu töten.
Doch in diesem einen Sommer, von dem Bauer hier erzählt, gibt es nicht nur die bitteren Momente, sondern dann auch die schon erwähnte Resilienz und eine lebenstaugliche Pragmatik, etwa wenn die so stillen, wortkargen Held:innen in Bauers Film auf das Joghurtglas mit all seinem Potential kommen. Und dann ist da noch die wunderbare Eingangssequenz mit Schaukel und der immer wiederkehrenden Stimme aus dem Off, die diesen mit 78 Minuten nie zu kurzen Film zu etwas Besonderem macht. Ein Film, der in ganz eigenem Rhythmus seine Geschichten erzählt und dann und wann auch Fragen beantwortet. Fragen, auf die sonst wohl kaum einer kommt, so wie etwa die, warum Schnecken nicht 5 Meter hoch werden.