Midsommar

USA 2019 · 148 min. · FSK: ab 16
Regie: Ari Aster
Drehbuch:
Kamera: Pawel Pogorzelski
Darsteller: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, Will Poulter, William Jackson Harper u.a.
Im Mystischen auch das Menschliche finden

Tanz das Trauma

Was soll man machen, wenn die Krallen des Lebens einem die Luft abdrücken? Groß wappnen kann man sich davor nicht, Lebens­krisen kommen gern aus dem Hinter­halt. Glück haben die, die dann etwas zum Anlehnen haben, im besten Falle Freund­schaften oder die Beziehung. Sollte selbst hier kein Trost zu finden sein, können auch eigen­ar­ti­gere Mittel und Wege wieder ans Licht führen.
Wie schon in seinem Erst­lings­werk Hereditary – Das Vermächtnis erzählt Ari Aster von der Lähmung und Über­win­dung des Traumas. Dieses Mal trifft das Leid die Studentin Dani (Florence Pugh). Ihre Schwester hat sich zum Freitod entschlossen und reißt dabei die Eltern gleich mit. Dani hat zwar ihren Freund Christian (Jack Reynor) an ihrer Seite, doch der ist restlos über­for­dert. Eigent­lich wollte er auch schon längst Schluss machen, eine solch emotio­nale Frau passt nicht in sein simpel gestricktes Leben. Und dann steht auch noch ein Schweden-Trip mit seinen Kumpels an. Blöder­weise antwortet Dani auf die Frage, ob sie mitkommen will mit »Ja«. Nur Pelle (Vilhelm Blomgren), dessen neo-heid­ni­sches Heimat­dorf sie besuchen, um Stoff für die Studi­en­ar­beit zu sammeln oder einfach nur zu saufen, zeigt sich ernsthaft erfreut.

Ab hier baut sich eine schwer zu beschrei­bende, zwischen Obsku­rität und Bedroh­lich­keit pendelnde Atmo­s­phäre auf, die die Überlänge des Films vergessen lässt. Ari Aster setzt nicht auf Jump-Scares oder ähnliche Geis­ter­bah­n­ef­fekte, sondern lässt das Publikum lieber im Unklaren hängen. Klassiker wie Rose­ma­ries Baby oder der Kult-Heiden-Schocker The Wicker Man lassen grüßen. Bei den Bewohnern des Dorfes fängt es schon an. Freund­lich tänzeln sie in weißen Roben durch die Natur, halten sich aber mit akri­bi­schem Ernst an ihre alten Tradi­tionen. Dabei wirkt es in diesem Film schon fremd­artig, wenn sie einfach nur im Hinter­grund herum­stehen. Das Bizarre zeigt hier noch seine witzige Seite. Als die Studenten dann Zeugen eines blutigen Selbst­mord­ri­tuals werden, schlägt die Stimmung um – egal, wie nett und freund­lich alle noch sind. Zuschauer mit schwachem Magen sollten bei dieser Szene übrigens lieber in ihr Popcorn schauen.

Langsam kommen auch verbor­gene Seiten der Haupt­fi­guren zum Vorschein. Christian wird zunehmend egois­ti­scher, zeigt immer weniger Interesse an Dani und versucht seinem Freund Josh (William Jackson Harper) das Thema seiner Abschluss­ar­beit streitig zu machen. Dieser wiederum will sich nicht den Erfolg rauben lassen und erklärt die Regeln der Dorf­ge­mein­schaft für zweit­rangig. Aber auch in Dani tut sich etwas. Zögernd findet sie immer mehr Anschluss, was in einer schwin­del­erre­genden, von psyche­de­li­schen Drogen durch­wa­berten Tanzszene gipfelt. Der Zuschauer wird hier nicht Beob­achter eines Trips, sondern geht selbst in den Rausch über.

Aber Midsommar ist mehr als nur ein optischer Lecker­bissen. Er erzählt von Werten, die in der heutigen Spaß- und Ironie-Welt in den Hinter­grund rücken – aller­dings nicht auf konser­vativ-hölzerne Art. Danis Begleiter sind Menschen, die jeden Sinn für das Höhere verloren haben. Einen Ausflug in die Natur können sie anschei­nend nur mit Magic Mushrooms einläuten, Haupt­sache, der Spaß ist garan­tiert. Zu den Idealen des Dorfes haben sie keinen Bezug, der alberne Hokus­pokus taugt aber ganz gut als Studi­en­ob­jekt, um das eigene Vorwärts­kommen zu pushen. Dani hingegen findet im Mysti­schen auch das Mensch­liche – so fremd­artig es erst einmal ist. Hier gibt es noch Dinge wie Zusam­men­halt, Respekt, Selbst­auf­gabe und letztlich die Energie, mit der sie ihr Trauma besiegen kann. Tiefe Narben erfordern eben manchmal besonders intensive Heilung.

Was bleibt noch zu sagen? Nur, dass Midsommar eines der ganz großen Film­high­lights des Jahres ist. Wenn man mal wieder die heilende Wirkung eines großar­tigen Films spüren will, sollte man sich ihm hingeben.