Mit Dir an meiner Seite

The Last Song

USA 2010 · 107 min. · FSK: ab 6
Regie: Julie Anne Robinson
Drehbuch: ,
Kamera: John Lindley
Darsteller: Miley Cyrus, Greg Kinnear, Bobby Coleman, Liam Hemsworth, Hallock Beals u.a.
Miley ... komponiert

Im Saal der Tränen

Ich gebe zu: Meine Tochter ist Hannah-Montana-Fan. Ich selbst hasse Hannah Montana. Hannah Montana ist in meinen Augen nichts anderes als ein mit Kalkül auf den Markt gewor­fenes Pop-Püppchen aus der Walt-Disney-Produk­te­welt, das sich in der Form von Postern, Weckern, Puls­wär­mern, Kettchen, T-Shirts und Haus­auf­ga­ben­heften über mein Kind hermacht. Wenn schon für mich bislang überhaupt etwas erträg­lich war, dann zur aller­letzten Not noch die weich­ge­spülten Hannah-Montana- bzw. Miley-Cyrus-Songs. Es hat zuge­ge­be­ner­maßen etwas länger gedauert, bis mir der Unter­schied zwischen Hannah Montana und Miley Cyrus klar wurde und ich kapiert habe, dass es eine Fern­seh­serie namens »Hannah Montana« gibt, in der – ganz ähnlich wie bei Batman – sich die Star-Sängerin Hannah Montana im »normalen« Leben als Schul­mäd­chen Miley Stewart tarnt. Für mich äußerst verwir­rend war, dass diese auch im »echten« Leben Miley heißt – Miley Cyrus. Und noch verwir­render ist es, dass sich Miley sich erst aufgrund ihrer »Hannah Montana«-Rolle »Miley« nennt (vorher hatte sie den tollen Vornamen Destiny Hope). Das alles ist so aufregend und so verwir­rend, dass Destiny Hope aka Miley Cyrus im zarten Alter von siebzehn ihre Biogra­phie veröf­fent­lichte: »Miles to go«.

Während ich mich bemühte, diese schwie­rigen Iden­ti­täts­pro­bleme zu durch­schauen, versuchte ich bei jeder »Enthül­lung« mein Entsetzen über die Produkt­haf­tig­keit von HM Ausdruck zu verleihen, von der sich ja Miley Cyrus durch die Namens­ad­ap­tion nur unwe­sent­lich unter­schied. Aber wie es immer ist: Man kann noch so viel versuchen, lästige Idole aus den Gehirnen von acht­jäh­rigen, an sich sehr gescheiten und vernünf­tigen Mädels zu verbannen – man scheitert. Wie ich zuletzt mit dem Besuch des wunder­baren Films Hier kommt Lola!, der aus meiner Tochter zwar einen »Lola«-Fan gemacht hat, aber Hannah Montana nicht ablösen konnte. Und dann bekommt man plötzlich eine Pres­se­mit­tei­lung, die das Problem aus der Welt zu schaffen scheint. »Hannah Montana« werde nach der letzten Staffel einge­stellt, so die für mich freudige Botschaft, Miley Cyrus möchte überhaupt das Hannah-Montana-Image ablegen, ja sogar als »Miley Cyrus« mit dem Singen aufhören und fortan nur noch Schau­spie­lerin sein! Bis dahin hatte ich innerlich gehofft, das dies das Ende aller Kinder­zim­mer­ver­zü­ckung sein möge. Doch dann kam es: Schon diesen Sommer werde sie in der »emoti­ons­ge­la­denen Verfil­mung« des neuesten Nicholas-Sparks-Best­sel­lers zu sehen sein, dessen Bücher sich allein in Deutsch­land »über 15 Millionen Mal«, so die Jubel­bot­schaft der Pres­se­agentur, verkauft hätten. Der Titel des Films: Mit dir an meiner Seite. Der Inhalt: »Eine wunder­schöne Geschichte über Familie und Freund­schaft, das Erwach­sen­werden, die erste Liebe und zweite Chancen im Leben« (Verleih­text). Der Trailer: Rumge­flirte auf dem Rummel, Rumge­knut­sche bei Sonnen­un­ter­gang, Rumge­schiebe beim Tanzen – die erste Liebe, allen Ernstes. Mit Romantik-Garantie.

Nicht nur, dass mir meine Tochter beim Arbeiten gerne mal über die Schultern schaut und sie natürlich sofort mitbe­kommen hat, dass es einen Film mit Miley Cyrus geben wird, wurde Mit dir an meiner Seite schon bald Pausenhof-Gesprächs­thema Nummer eins. Dann wurde mein Kind – zum Glück – nicht auf den Geburtstag einer Klas­sen­ka­me­radin einge­laden, der darin bestanden hätte, sich gemeinsam den Film im Kino anzusehen. Eine Tatsache, die mich zu dem – ich gebe es zu – unnötig spontanen Kommentar verlei­tete: »Die hat ja wohl 'nen Dach­schaden« (womit ich die Mutter des Geburts­tags­kindes meinte). Woraufhin meine Tochter, schlau, schlau, sagte: »Soll ich Anastasia sagen, was du über ihre Mutter gesagt hast?« – Oh nein, ich habe mich nicht erpressen lassen von meinem Kind. Aber Fakt ist: Eine Woche später saß ich, mit dir an meiner Seite, mein Töch­ter­chen, in dem Miley-Cyrus-Film, der im Original ganz anders heißt, nämlich: The Last Song.

Wie immer, wenn man eine Welt betritt, in der man sich nicht so gut auskennt, wurde ich erst einmal über­rascht. Der Film begann nämlich ganz und gar schwarz­gallig. Miley Cyrus alias Ronnie gebärdet sich als schmol­lend-schlecht­ge­launter Teenager, der mit schwarzen Springer-Boots, ebenso schwarzen Jeans und einem grauen T-Shirt mit verächt­li­chem »Ich hab echt keinen Bock auf euch«-Blick den hell­weißen Strand durch­pflügt, auf dem gerade eine Gruppe Sunnyboys mit nacktem Ober­körper dem Volley­ball hinter­her­hüpft. Ganz Verach­tung, lässt sie nicht nur den gelackten Spieler Will, sondern zu Hause auch ihren Vater abblitzen, bei dem sie die Sommer­fe­rien verbringen soll. Der Grund für ihr Schmollen: Ihr Vater hat die Familie und damit Ronnie verlassen, vor vielen Jahren, weshalb sie nicht nur trotzig ihr Musik­ta­lent wege­worfen hat, das sie ihm verdankt, sondern diesen auch insgesamt ablehnt: Seine Briefe nie gelesen hat. Mit ihm, jetzt, im Haus am Strand, nicht spricht. Und ihm, als sie mal spät abends nach Hause kommt, den – wie sich heraus­stellen wird – einzigen witzigen Satz des Films an den Kopf wirft: »Wegen mir musst du nicht aufbleiben, ich bin über zwölf.«

Mit Teenager-Rebellion beginnt der Film, mit Liebe, die sanft macht und zähmt, geht es weiter. Beim ersten Kuss zwischen Ronnie und Will (gespielt von Liam Hemsworth, der, wie mir meine Tochter nach dem Film erzählt, und jetzt kommt’s – Über­ra­schung! – auch im »echten« Leben mit Miley liiert ist) darf die Kamera dann sich ein wenig in Kunst à la Ballhaus üben, während die Sonne überm Meer untergeht und sich die zwei Liebenden als Doppel­sil­hou­ette umschlingen. Seufz! Großar­tiger Kitsch! Genau wie erwartet. Was mach ich nur mit meiner Tochter, die das Paar kommen­tiert: »Er ist so groß, und sie ist so klein!« Ich sehe meine Tochter an, die halb im Kino­sessel verschwindet, und denke mir: Mein Kind ist so klein, und die Leinwand so groß! Wie nur, um alles in der Welt, geht der Film wohl weiter?

Inter­es­san­ter­weise nimmt der Film dann eine völlig uner­war­tete Wendung. Alles, was er bis dahin aufgebaut hatte, wird nieder­ge­rissen. Der zunächst noch zum Märchen­prinzen stili­sierte Will, der mit seinen Eltern in einer bombas­ti­schen Villa wohnt (Ronnie, begeis­tert: »Du bist reich?«), wird fortan von Ronnie auf schärfste hinter­fragt (»deine Eltern leben nicht und nehmen dir dein eigenes Leben«). Der ganze Film schwenkt um von der märchen­haften Romanze zum krassen Fami­li­en­drama, und ausge­rechnet da, als Ronnie, durch die Liebe zu Will besänf­tigt, beginnt mit ihrem Vater wirklich zu sprechen und wieder Klavier zu spielen. Erzäh­le­risch wird dem Film alles entrissen, was er bislang in der Hand gehabt hatte, und die große Kata­strophe bricht über ihn hinein: Ronnies Papa ist an Krebs erkrankt, und er wird sterben. Und wir dürfen ihn bis zu seinem Tod begleiten und mit ihm Ronnie, die sich um ihn kümmert. Aufop­fe­rungs­voll, tapfer und ganz allein, weil sie Will aus verschie­denen Gründen, die mit einem Geheimnis zu tun haben, verlassen hat. Da gibt es schwere Dialoge, der Tod kommt, der Vater stirbt, nicht bevor aber Ronnie das Lied, das er aufgrund seiner Krankheit nicht mehr zu Ende bringen konnte, für ihn fertig kompo­niert, das letzte Lied, mit seiner Widmung »Für Ronnie«.

»Die weinen alle!«, flüsterte mir meine Tochter irgend­wann zu. Und was wurde geweint! Nicht so sehr auf der Leinwand. Vor allem im Kinosaal schluchzten die Mädchen, Kinder wie Teenager. Und dies aber nicht nur wegen der relativ dezenten Hollywood-Mani­pu­la­tion durch geschickt einge­setzte Musik (die nicht sonder­lich emotional, sondern eher leit­mo­ti­visch war), sondern wirklich und wahr­haftig wegen des äußerst schweren Themas, das so völlig unvor­her­ge­sehen in den Film hinein­brach und ganz von der Handlung Besitz nahm. Meine Tochter neben mir versteckte sich unter ihrem Tuch, präpu­ber­tie­rende Teenager wurden von ihren Müttern aus dem Saal geführt, die kleineren Kinder schluchzten hemmungslos. Und ich dachte mir: Krass. Das ist ja fast wie bei Lars von Triers Dancer in the Dark, wo der Zuschauer gnadenlos durch den Fleisch­wolf des Drehbuchs getrieben wird. Und: Inter­es­sant. Was die Produ­zenten, allen voran Miley-Mutter Tish Cyrus, dem Ziel­grup­pen­pu­blikum zumuten! Waren die Miley-Fans nicht in diesen Film gekommen, um Miley ganz groß zu sehen, in einer tollen Liebes­ge­schichte im Sommer am Strand, und jetzt müssen alle durch die schwerste aller Erfah­rungen gehen, und erleben, wie es ist, wenn die Eltern sterben? – Miley hält dann zugu­ter­letzt auch noch die Trau­er­rede, spielt das letzte Lied ihres Vaters bei dessen Begräbnis. Am Ende versöhnt sie sich mit Will, in einer schnellen und letzten Szene, mit einem lapidaren Dialog – und dann ist auch schon der Film aus. »Ich dachte, dass der Film glücklich endet. Aber er war so traurig!«, sagte meine Tochter, als der Abspann kam. Und mit ihm endlich ein Miley-Cyrus-Song, der erste des Films: »The last song«.

Ich bin jetzt zwar immer noch eine Hannah-Montana-Hasserin, aber Miley Cyrus finde ich nicht mehr sooo schlecht. Und zwar allein deshalb, weil der Film so völlig an seinem Ziel vorbei­ge­schossen und meine schlimmsten Erwar­tungen eben nicht erfüllt hat. Denn das ist schon ganz schön wagemutig: den Film schwarz­gallig anzu­fangen und Miley Cyrus als Teenager zu präsen­tieren, der einzel­gän­ge­risch ist und nicht belieb­tester Teen von allen, und nach einem kurzen roman­ti­schen Inter­mezzo, bei dem der Geliebte durchaus auf seine Werte abge­klopft wird, in einem ganz und gar ernstem Thema zu enden. Das alles ist um mehr als eine Nummer zu groß geraten, und, ich fasse es nicht, ganz und gar am Ziel­pu­blikum vorbei: Auf die Formel gebracht, ist Mit dir an meiner Seite ein Film, in dem ein gegen Gesell­schaft und Familie rebel­lie­render Teenager Läuterung findet, und zwar durch nichts weniger als Liebe, Krankheit und Tod. Inter­es­sant ist dabei die PR-Strategie: Worum der Film wirklich handelt, wird verklau­su­liert und verschwiegen (»hoch­e­mo­tio­nales Fami­li­en­drama«). Haupt­sache, die Zuschau­er­zahlen stimmen. Und wie gut, dass meine Tochter nicht bei irgend­einer Geburts­tags­ein­la­dung in der Erwartung an einen netten, unter­halt­samen Miley-Film The Last Song gesehen hat. Sondern mit mir an ihrer Seite. So dass wir hinterher reden konnten.