Mistress America

USA 2015 · 85 min. · FSK: ab 6
Regie: Noah Baumbach
Drehbuch: ,
Kamera: Sam Levy
Darsteller: Greta Gerwig, Lola Kirke, Heather Lind, Cindy Cheung, Jasmine Cephas Jones u.a.
Sehr erwachsen, witzig & melancholisch

Architektur & Moral

»Orches­tral Mano­eu­vres in the Dark« – so ein Bandname ist ja schon mal ein Statement. An jene Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, und Bands so getauft wurden, wie jene britische Synthie-New-Wave-Band, knüpft auch Noah Baumbach sehr subtil an. Natürlich zunächst mal, indem er den OMD-Hit »Souvenir« zum Leitmotiv seines neuen Films macht.

Melan­cho­li­sche Klänge. »Souvenir« heißt Erin­ne­rung oder auch Andenken und diese Doppel­sin­nig­keit entspricht der Doppel­sin­nig­keit dieses Films, wie auch beide Bedeu­tungen der Erfahrung um die es unter anderem geht: Der Erfahrung des Vergehens, der Unwie­der­bring­lich­keit eines Augen­blicks, die dazu führen kann das der Augen­blick selbst unheilbar konta­mi­niert wird, dass er selbst bereits als zukünftig vergan­gener und daher schon gewis­ser­maßen sich selbst entfremdet wahr­ge­nommen wird. »Nostalghia for the present« hat das jemand genannt.

»Archi­tec­ture & Morality« heißt das OMD-Album, auf dem »Souvenir« zuerst zu hören war. Ist es daher nur Zufall, dass Brooke, eine der zwei bis drei Haupt­fi­guren von »Misstress America« Archi­tektin ist, Innen­ar­chi­tektin, die zum Beispiel »in einem Laser­haa­r­ent­fer­nungs­center das Warte­zimmer gestaltet« hat. Die zweite Haupt­figur heißt Tracy. Tracy studiert in New York Literatur, sie lebt in einem Wohnheim und will eigent­lich Schrift­stel­lerin werden. Weil sie sich in ihren Seminaren aber zu Tode langweilt, ruft sie eines Tages Brooke an, ihre zukünf­tige Stief­schwester: »Äh, meine Mum wird Deinen Dad heiraten.« – »Wollen wir uns treffen? Kennst Du den Times Square.«

Brooke ist zwölf Jahre älter, und ein New Yorker Hipster-Girl, wie es im Buche steht: Permanent gestresst, permanent mit sich selbst beschäf­tigt, ständig quasselnd und paranoid, neuro­tisch und witzig, außerdem andauernd voller neuer Ideen und Gedan­ken­sprünge.

Nach einem tollen ersten Abend freunden sich die beiden schnell an und verbringen fast täglich viele Stunden mitein­ander – durch Brooke ist es mit Tracys Lange­weile schlag­artig vorbei. Die Jüngere schaut bewun­dernd zur Älteren auf. Und sie hat mit ihr auch gleich die passende Haupt­figur für jene Kurz­ge­schichten in Tage­buch­form gefunden, die sie heimlich schreibt. Der Film lässt uns aus dem Off an diesen Texten teilhaben, und darin heißt es dann über Brooke: »Genauso sollte eine junge Frau von Heute leben und ihre Freiheit auskosten. Sie tat alles und nichts. Für mich war sie wie New York.«

»Why?« – das ist der auf englisch gespro­chene Buchstabe Ypsilon. Er heißt in der gleichen Sprache aber auch »Warum?« und bezeichnet damit zugleich jene Gene­ra­tion, die auch im fort­ge­schrit­tenen Alter ihre Richtung sucht, und lieber gar nichts tut, bevor sie etwas macht, dessen Gründe sie nicht einsieht.
In den letzten Jahren ist der New Yorker Noah Baumbach zum wohl wich­tigsten Kino-Portrai­tisten der Gene­ra­tion »Y«, dieser Gene­ra­tion der Thir­ty­so­me­things, der »30 plus«, vor allem in ihrer weib­li­chen Hälfte, geworden – obwohl Baumbach mit 46 Jahren gut zehn Jahre älter ist, als seine bevor­zugten Objekte. »Uns trennen viel­leicht zehn, zwölf Jahre, sowas nennt man Alters­ge­nossen – hab ich recht?« heißt es dazu in »Mistress America«. Viel­leicht hilft diese zeitliche Distanz ja dabei, einen klaren, und auch humor­vollen Blick auszu­bilden.

Baumbachs Lieb­lings­schau­spie­lerin ist Greta Gerwig, mit der er passen­der­weise auch gleich verhei­ratet ist. Seiner Muse schrieb Baumbach seine letzten Kinowerke auf den Leib, und sie spielt auch diesmal eine Haupt­rolle. In seinen Filmen wie dem Welt­erfolg »Francis Ha« erzählt Baumbach von Hipstern und Neuro­ti­kern, von nervösen Großs­täd­tern, die über­for­dert und rich­tungslos sind, dabei liebens­wert und mit einer großen Fähigkeit ausge­stattet, das Leben zu genießen. Diese Gene­ra­tion glaubt, prin­zi­piell alles frei entscheiden zu können, und zugleich leidet sie unter der über­mäch­tigen Eltern­ge­ne­ra­tion, die alles schon entschieden hat, und vor allem alles für ihre Kinder besser weiß, oder das zumindest glaubt. Viel­leicht ist die »Gene­ra­tion Y« daher einfach nie richtig erwachsen geworden, sondern immerzu Gefühlt Mitte Zwanzig – wie Baumbachs letzter Film in Deutsch­land treffend hieß.

Tracy macht genau diese Erfahrung: Sie bewundert die Ältere, aber irgend­wann begreift sie, dass die gar nicht so viel weiter und reifer ist, als sie selbst. Mistress America ist eine sehr erwach­sene, sehr witzige, aber etwas melan­cho­lisch gefärbte Gesell­schafts­komödie.

Es um nichts Bestimmtes in diesem Film – endlich einmal. Keiner muss heiraten, keiner muss erwachsen werden, niemand soll das Böse besiegen oder das Gute tun, keiner denkt ans Klima, trennt den Müll, oder hat immerzu den tollsten Sex seines Lebens; es gibt weder Lektionen fürs Publikum, noch müssen die Figuren auf der Leinwand stell­ver­tre­tend für die Zuschauer zu Muster­men­schen mutieren und sich in 90 Film­mi­nuten dreimal verändern, reifen und etwas lernen. Es geht um nichts Bestimmtes, genau darum aber geht es in diesem klugen witzigen Film um alles.

Baumbach Filme sind also wie die Filme von Woody Allen – nur dass ihre Haupt­fi­guren Frauen sind, und so jung, wie jene Frauen mit denen Woody Allens Haupt­fi­guren in den letzten 20 Jahren immer anbandeln. Und sie haben viel schnel­lere und schlag­fer­ti­gere, einfach pfif­fi­gere Dialoge: »Du bist witzig, weil Du nicht weißt, dass Du witzig bist.« – »Ich weiß, dass ich witzig bin. Ich weiß einfach alles über mich. Deshalb kann ich auch keine Therapie machen.«