Mein Sohn, der Soldat

Tirailleurs

Frankreich/Senegal 2022 · 101 min. · FSK: ab 16
Regie: Mathieu Vadepied
Drehbuch: ,
Kamera: Luis Armando Arteaga
Darsteller: Omar Sy, Jonas Bloquet, Alassane Diong, François Chattot, Bamar Kane u.a.
Neue Perspektive, neue Geschichte...
(Foto: Weltkino)

Vom Krieg und vom Schweigen

Mathieu Vadepied erinnert in seinem beklemmenden Film über franco-afrikanische Soldaten im 1. Weltkrieg mit Omar Sy in der Hauptrolle zu Recht an ein lange verdrängtes Kapitel französischer Geschichte

Es ist eines dieser schmut­zigen Kapitel Kolo­ni­al­ge­schichte, über die meist nicht gespro­chen wurde und wo selbst gutge­meinte Wieder­gut­ma­chungen oft tragisch endeten. So wie die Geschichte des sene­ga­le­si­schen Tirailleurs – Tirailleurs waren seit 1857 ausge­ho­bene Einheiten des fran­zö­si­schen Heeres aus dem Senegal und anderen Regionen Fran­zö­sisch-West­afrikas – Abdoulaye Ndiaye, der 1998 mit 104 Jahren starb, einen Tag, bevor ihm der damalige fran­zö­si­sche Staats­prä­si­dent Jacques Chirac den Orden der Ehren­le­gion verleihen konnte.

Damals war auch Mathieu Vadepied erstmals auf die Tragik dieser Einheiten aufmerksam geworden, die meist zwangs­re­kru­tiert wurden und, wenn sie ihre Einsätze über­lebten, vom Ruhm des Sieges nach ihrer Rückkehr so gut wie nie profi­tierten. Um wenigs­tens dem Vergessen dieser Einheiten vorzu­beugen, hat sich Mathieu Vadepied in seiner zweiten Langfilm-Regie­ar­beit nach La Vie En Grand (2015) dieser Einheiten ange­nommen und Ndiayes Geschichte um einige drama­ti­sche Kompo­nenten erweitert.

Er erzählt auch von den Zwangs­re­kru­tie­rungen, während der kriegs­taug­liche Männer wie auf einer Treibjagd ihrem Schicksal an der Front zugeführt wurden, stellt aber Ndiaye, der ebenfalls zwangs­re­kru­tiert wurde, seinen Vater an die Seite, der, um seinen Sohn zu retten, sich ebenfalls, »einziehen« lässt. Allein dieses intensive Kapitel in Vadepieds Mein Sohn, der Soldat zemen­tiert schon eine derartig andere Perspek­tive vom 1. Weltkrieg, dass man auch der weiteren Geschichte unbedingt folgen möchte.

Denn anders als in den soge­nannten Klas­si­kern wie gerade erst kürzlich in der Neuauf­lage Im Westen nichts Neues von Edward Berger mit seiner dezidiert west­li­chen Perspek­tive sehen wir in Mein Sohn, der Soldat niemand frei­willig in den Krieg ziehen, sondern von Anfang an um das nackte Überleben in einer fremden mora­li­schen Ordnung kämpfen.

Das hätte in den Szenen an der Front dann aller­dings auch nicht viel anders aussehen können als es in Im Westen nichts Neues aussieht, doch Vadepied baut die Vater-Sohn-Geschichte so über­zeu­gend aus, dass es um weitaus mehr als nur das Überleben im Krieg geht, sondern vielmehr auch um das Überleben der eigenen natio­nalen bzw. ethni­schen und fami­liären Identität. Denn geht es dem Vater Bakary Diallo – großartig von Omar Sy verkör­pert, der anders als in der Großserie LUPIN, (oder in Ziemlich beste Freunde) endlich einmal eine Rolle ohne Lächeln spielen darf – tatsäch­lich nur um das Überleben und seinen Sohn vor dem Tod an der Front retten, lässt sich sein Sohn Thierno (Alassane Diong) von seinem Vorge­setzten Lieu­tenant Chambreau (Jonas Bloquet) mehr und mehr korrum­pieren und in eine natio­na­lis­ti­sche Sackgasse verführen.

Diese Spie­ge­lung kolo­nialer Verhält­nisse, vor allem auch mit den im Lager ausge­foch­tenen »ethni­sierten« Konflikten, wird jedoch nicht nur durch das starke Ensemble glaub­würdig umgesetzt, sondern noch einmal durch Vadepieds Entschei­dung verstärkt, seine Prot­ago­nisten nicht in gebro­chenem Fran­zö­sisch, sondern in großen Teilen in Ful, der Sprache der Fulbe, in deren Lebens­raum auch Teile des Films gedreht wurden, sprechen zu lassen. Für Omar Sy, der den Film mitpro­du­ziert hat, dürfte dies ebenfalls wichtig gewesen sei, entstammt er doch selbst einem Fulbe-Dorf, und ist die hier erzählte Geschichte Teil seiner »oral history«.

So endet dieser Film auch nicht in Schlamm und Matsch, ist dann aber doch so tragisch wie alle Kriegs­ge­schichten. Dass es in diesem Fall am Ende ein wenig zu didak­tisch zugeht, ist auch Teil der Rezeption des 1. Welt­kriegs und ändert sich eigent­lich erst mit den moralisch noch unein­deu­ti­geren kolo­nialen Befrei­ungs­kriegen und deren filmi­scher Aufar­bei­tung, allen voran Vietnam. Aller­dings ist Vadepied hoch anzu­rechnen, den ja möglichen drama­tur­gi­schen Hammer nicht erheblich stärker zu gewichten, doch so wie Mein Sohn, der Soldat begonnen hat, so endet er auch, so still und zurück­ge­nommen wie das jahr­zehn­te­lange Schweigen.