Meeresfrüchte

Crustacés et coquillages

Frankreich 2004 · 95 min. · FSK: ab 12
Regie: Olivier Ducastel, Jacques Martineau
Drehbuch: ,
Musik: Philippe Miller
Kamera: Matthieu Poirot-Delpech
Darsteller: Valeria Bruni Tedeschi, Gilbert Melki, Jean-Marc Barr, Jacques Bonnaffé, Romain Torres u.a.
Beschwingerter Sommerurlaub

Der Klempner, sein Freund, seine Frau und ihr Liebhaber

In einem Kinder­garten in den USA setzten unlängst die Eltern durch, dass ihre Kinder keine Regen­bogen mehr malen dürfen. Warum? Weil der Regen­bogen das Symbol der Schwulen ist. Das soll jetzt keine Ami-Schelte werden, aber manchmal ist das eben sehr einfach, die Kinder früh­zeitig zu verderben, wenn man sie zu jedem Preis auf das sichere Ufer retten möchte.

Vom anderen Ufer, des Atlantiks, sind die Franzosen, und nicht nur im Gesell­schaft­li­chen, viel mehr noch im Kultu­rellen sind sie seit jeher bemüht, den Einflüssen der USA ihre eigenen Konzep­tionen entge­gen­zu­setzen. Und zwei von ihnen, Olivier Ducastel und Jacques Martineau, eine schwules Regis­seu­ren­team, haben eine Sommer-Sex-Komödie gedreht, die sich im Schoß der trauten Familie zuträgt und dabei leicht­füßig und tempo­reich Sex durch die Geschlechter und Alter durch­de­kli­niert. Schwule und Hete­ro­liebe, wahre Liebe und One Night Stand, heimliche Liebe und ehelicher Sex, Coming of Age und die erste Liebe, die man nicht vergisst, das sind die Fälle der Liebe. Das sind auch die Liebes-Fälle für die Jungen und die Alten, den Ehemann und den Gehörnten, sind Fall von Täuschung (des Liebe­part­ners) und Vertau­schen (des Liebe­s­part­ners) – sprich: die ganze denkbare Grammatik einer gelun­genen Komödie.

Im mistral­durch­wehten Südfrank­reich trägt sich diese herrliche Fami­li­en­komödie zu. Vom Feri­en­haus ihrer Eltern verab­schiedet sich die Tochter mit einem Biker »in die Bums­fe­rien«, wie die Eltern kommen­tieren. Die Eltern, Béatrix (Valeria Bruni-Tedeschi) und Marc (Gilbert Melki), haben den Zenit libi­dinöser Veraus­ga­bung längst über­schritten, zumindest im gemein­samen Liebes­spiel, eine Situation, aus der Ducastel und Martineau wunderbar leichte, bedeut­same Bilder zu gewinnen wissen. Während Marc noch im haus­ei­genen Garten gegen die wild wuchernden Triebe der Natur mit einem Rasen­mäher ankämpft und dabei immer auch gegen seine eigene Natur ankämpft durch die eheliche Beschnei­dung seines Sexu­al­triebs, hat sich Béatrix schon im Gebüsch ihrem Liebhaber ergeben, der sie wie ein launi­scher Faun nackt in der Natur erwartet. Auch Sohn Charly scheint beiweitem nicht mehr so viel Kind zu sein, wie seine Eltern gerne glauben möchten. Sein bester Freund ist ihm ins Feri­en­haus nach­ge­reist, der sich nächtens in den Fords auf Abwege begibt, um dort, am Ort des Schwu­len­strichs, sexuelle Abenteuer zu erleben. Charly und sein Freund weigern sich, anders als es die Fami­li­en­tra­di­tion gebietet, zusammen in einem Zimmer zu schlafen. Ein getrenntes Schlaf­zimmer in diesem Alter, das kann nur sein, um den Verdacht abzu­lenken von einer verbor­genen sexuellen Orien­tie­rung, von der die Eltern nichts wissen sollen.

Denkt jeden­falls Béatrix. Und bringt mit der Frage, was wäre, wenn Charly schwul wäre, das Spiel von Täuschung in Gang, das später in ein um viele Ecken statt­fin­dendes Vertau­schen der Liebe­s­partner münden wird. Charly lässt es sich nämlich nicht nehmen, den Eltern eine schwule Identität vorzu­spielen, um an ihren Verdachts­mo­menten auch ein wenig Spaß zu haben. Und muss dabei seine eigene, noch ganz im Einsamen sich ereig­nende sexuelle Identität verbergen, die darin besteht, sich unter der Dusche zu befrie­digen und dabei das ganze warme Wasser zu verbrau­chen, was einen Aufschrei bei den übrigen Fami­li­en­mit­glie­dern bewirkt. Das Kaschierte (die Selbst­be­frie­di­gung) wird offen­sicht­lich, das vermeint­lich Offen­sicht­liche (seine Homo­se­xua­lität) ist nicht einmal kaschiert, weil reines Spiel.

Letztlich aber hängt alles zusammen, das Duschen und das Schwul­sein, wie die Begegnung von Charly in den Fords mit dem Szene­gänger Klempner Didier (Jean-Marc Barr) offenbart. Der kommt einen Tag später ins Feri­en­haus, um die vermeint­lich defekte Dusche zu repa­rieren, während Charly aber nur das Wasser abgedreht hat, um seinen ausschwei­fenden Warm­was­ser­brauch, und damit seine familiär beäugte Sexua­lität zu vertu­schen, und sich dabei mit einemal eine Begegnung ereignet, die ganz weit zurück­führt in eine ganz andere erste Liebe, über die Gene­ra­tionen hinweg.

In diesem Film geht es fast ausschließ­lich um Sex, aber ausnahms­weise um Sex in der Familie. Das alte Prinzip des Quiproquo, des Täuschens und Vertau­schen wird hier in die Ebene hinein­ge­tragen, die norma­ler­weise bei Komödien immer nur für das herhalten darf, was sich unaus­sprech­lich unter der Gürtel­linie befindet. Hier passiert kein verschämtes Kichern und keine Anzüg­lich­keiten, hier wird nicht auf Kosten der Schwulen Komödie gemacht, sondern ganz in die Komödie gebettet.

Viel­leicht ist manchen zu viel Sex in diesem Film, viel­leicht auch zu viel schwuler Sex. Selbst der hete­ro­se­xu­elle Liebhaber von Béatrix, der wie ein Faun seine nackten Zehen aus dem Gebüsch spreizt, wird deutlich mit Schwu­litäten aufge­laden. Viel­leicht sind auch quan­ti­tativ zu wenig Frauen im Bild. Nicht vergessen jedoch werden darf, dass das Zentrum der Intrige Valérie Bruni-Tedeschi abbildet, die mit ihrem leichten, lässigen Spiel allen männ­li­chen Darstellen die Show stielt. Ihre Frage: »Und was wäre, wenn mein Sohn schwul wäre?« bringt das Rätsel und die viel­schich­tige Intrige um die sexuelle Identität erst in Gang. Die mütter­liche Sorge und die weibliche Neugier, die sich unver­krampft in dieser Frage begegnen, führt in para­die­si­sche Zustände hinein, bei der alle Betei­ligten, Männlein wie Weiblein, ihr Glück gefunden haben werden.