Maps to the Stars

CDN/USA/D/F 2014 · 112 min. · FSK: ab 16
Regie: David Cronenberg
Drehbuch:
Kamera: Peter Suschitzky
Darsteller: Julianne Moore, Mia Wasikowska, John Cusack, Robert Pattinson, Olivia Williams u.a.
Einkehr der Stars: Julianne Moore

There’s No Business Like Show Business

Wo sonst liegen Traum und Alptraum so nah beiein­ander wie in Los Angeles? Dessen Stadtteil Hollywood zum Inbegriff für Glanz und Glamour wurde. Genauso wie für Abstürze und Enttäu­schungen. Ein Ort, dem fort­lau­fend große Stars entspringen. Gleichz­eitig aber auch viele geschei­terte Exis­tenzen. Menschen, die auf der Suche nach Ruhm und Ehre von der Film­in­dus­trie mit einem Mal verschlungen werden. Oder langsam an ihr zugrunde gehen. Immer wieder hat der schmale Grat zwischen Schein­wer­fer­licht und Bedeu­tungs­lo­sig­keit Regis­seure in seinen Bann geschlagen und sie zu einer Ausein­an­der­set­zung mit der eigenen Branche verleitet. Ob in Billy Wilders unver­ges­senem Klassiker Boulevard der Dämmerung oder in David Lynchs düsterem Doppel­gänger-Thriller Mulhol­land Drive – hinter der glänz­enden Ober­fläche Holly­woods taten sich stets gefähr­liche Abgründe auf. Geschichten, die von Neid, Narzissmus und Nieder­tracht erzählten.

Ähnlich verhält es sich mit dem neuesten Regie­streich David Cronen­bergs, für den das kana­di­sche Enfant terrible erstmals in den Staaten drehte. Auch Maps to the Stars, der auf einem Drehbuch des galligen Hollywood-Insiders Bruce Wagner basiert, wirft einen scho­nungslos-sarkas­ti­schen Blick hinter die Kulissen der Glitz­er­welt und legt die Kälte und den Irrsinn offen, die darin wohnen. Nichts Neues, monierten einige Kritiker und haben damit sicher nicht ganz Unrecht. Origi­nelle Erkennt­nisse sind rar gesät. Und die üblichen Verdäch­tigen bevölkern die Szenerie: ruhmsüch­tige Eltern, größen­wahn­sin­nige Kinder­stars, abge­ta­kelte Diven auf dem Weg ins Vergessen und Möch­te­gern-Schau­spieler, die sich mit Aushilfs­jobs über Wasser halten. Dazu reichlich Name­drop­ping und Seiten­hiebe, die manchmal etwas platt daher­kommen. Maps to the Stars könnte an seiner Klischee­haf­tig­keit ersticken, entwi­ckelt sich in den Händen von Alptraum­m­eister Cronen­berg aller­dings zu einem eigen­tüm­lich-fesselnden Trip ins Unter­be­wusst­sein Holly­woods.

Von schreck­li­chen Fami­li­en­ge­heim­nissen wird hier berichtet. Inzes­tuösen Bezie­hungen. Möglichem Kindes­miss­brauch. Und einer ödipalen Krise. Allesamt Metaphern für die im Show­busi­ness gras­sie­renden Abhän­gig­keiten. Die Cliquen­wirt­schaft, die auch und gerade im Film­ge­schäft ihre Blüten treibt. Wie eine Reinkar­na­tion der verzwei­felten Stummfilm-Diva Norma Desmond aus Boulevard der Dämmerung wirkt die von Julianne Moore famos verkör­perte Schau­spie­lerin Havana Segrand, die es zu einigem Reichtum gebracht hat, mitt­ler­weile aber auf dem Abstell­gleis steht. Umso mehr hängt Havannas ganzes Seelen­heil davon ab, die Rolle zu ergattern, mit der ihre verhasste und jung verstor­bene Mutter (Sarah Gadon) vor vielen Jahren berühmt wurde. Ebenfalls von grenz­en­losem Ansehen besessen sind der Psycho­ana­ly­tiker Stafford Weiss (John Cusack), der Havana regel­mäßig behandelt, und seine Ehefrau Christina (Olivia Williams), die ihren puber­tie­renden Sohn Benjie (Evan Bird) zu einem Filmstar heran­ge­züchtet haben, nach seinen Droge­ne­s­ka­paden nun aller­dings an einem erfolg­rei­chen Comeback basteln. Noch lange nicht ange­kommen im Kreis der Reichen und Schönen ist der dreh­buch­schrei­bende und von großer Schau­spie­lerei träumende Chauffeur Jerome Fontana (Robert Pattinson). Ein recht normaler Zeit­ge­nosse, der sich jedoch bereit­willig prosti­tu­iert, um der Glamour­welt ein kleines bisschen näher zu kommen.

Positiv ragt aus all dem Wahnsinn ironi­scher­weise die Figur heraus, die ganz offiziell als geis­tes­ge­stört beschrieben wird: Erst vor kurzem wurde Agatha (wunderbar verlet­z­lich und unbe­holfen: Mia Wasi­kowska) aus der Psych­ia­trie entlassen und macht sich danach umgehend auf den Weg nach Los Angeles. Auch sie wird magisch angezogen vom glamourösen Hollywood-Leben, sucht jedoch nicht so sehr das Schein­wer­fer­licht. Sondern vor allem persön­liche Vergebung. Was freilich scheitern muss in einem Umfeld ohne echtes Mitgefühl. Warum einige Rezen­senten dem Film durch­ge­hende Hysterie unter­stellen, will sich mit Blick auf Agatha nicht ganz erschließen. Denn gerade sie fungiert als Gegen­ent­wurf zum narziss­ti­schen Auftreten, das die anderen Figuren beseelt. Allein mit ihr kann man wirklich mitfühlen. Und das, obwohl die junge Frau in ihrer Vergan­gen­heit einige Schuld auf sich geladen hat.

Maps to the Stars ist keine bloße Abrech­nung mit Hollywood in Form einer bitter­bösen Satire. Sondern ebenso ein Muster­bei­spiel für das Herauf­be­schwören unheil­voller Stim­mungen. Nicht nur die disso­nanten Klänge auf der Tonspur (die Musik stammt von Howard Shore) und die mitunter schlei­chenden Kame­ra­be­we­gungen sorgen für nach­hal­tige Verun­si­che­rung. Auch die verschlun­gene Erzähl­struktur und das bewusste Spiel mit Genre-Mustern tragen zur vers­tö­renden Wirkung bei. Sowohl Havana als auch Benjie werden mehrfach von geis­ter­haften Visionen bedrängt – in ihrem Fall die tote Mutter, in seinem ein verstor­benes Mädchen. Momente, die nicht so sehr wie Horror­film­schocks insz­e­niert werden, aber doch eine spürbare Bedrohung vermit­teln und das Verdrängte, sprich die größten Ängste der Prot­ago­nisten, nach außen kehren. Wie in fast all seinen Werken seziert der Regisseur die Abgründe der mensch­li­chen Verfas­sung und wirft dabei auch einen Blick auf den Bereich der Physis. Blutige Exzesse gibt es, mit einer Ausnahme, zwar nicht zu sehen. Dafür aber Bilder, die den Körper direkt mit grau­en­vollen Vorkomm­nissen in Verbin­dung bringen. Etwa Agathas Brand­narben oder Havanas Sitzungen bei Stafford Weiss, in denen der Selbst­hil­fe­guru das Kind­heits­trauma der Schau­spie­lerin fast schon aggressiv aus ihr heraus­zu­mas­sieren versucht.

Selbst wenn Cronen­berg mit Maps to the Stars kein Meis­ter­werk geschaffen hat, stellt der kana­di­sche Filme­ma­cher einmal mehr seine kreative Eigen­wil­lig­keit unter Beweis. Dass Hollywood nicht nur Paradies, sondern auch Hölle sein kann, wissen wir schon lange. Derart betörend-mysteriös wurde es uns aber allen­falls in David Lynchs Alptraum­pu­zzle Mulhol­land Drive vor Augen geführt.

Leben und Sterben in Hollywood

»How did you find me?« – »Please! No film-noir-questions.«
– Dialog­zeile

Es beginnt klassisch: Ein junges Mädchen kommt in Los Angeles an und träumt den Traum vom Hollywood-Filmstar. Mia Wasi­kowska spielt Agatha Weiss, eine junge Frau, die aus Florida gerade erst in Hollywood auftaucht. Sie wirkt ebenso verwundbar, wie gefähr­lich, neugierig wie krank, sie ist witzig, aber scheint eine Last mit sich herum­zu­tragen. Sie befreundet sich über Facebook mit Star-Wars-Star Carrie Fisher (die hier in einem lustigen Auftritt sich selbst spielt) und wird die Assis­tentin von Havana, einem geal­terten Ex-Star, die verzwei­felt nach einer neuen Filmrolle giert (Julianne Moore), und von den Geistern ihrer toten Mutter verfolgt wird, ein manisch-depres­sives, medi­ka­men­ten­ab­hän­giges, verwöhntes nerv­li­ches Wrack. Sie hat ein Tech­tel­mechtel mit deren Fahrer (Robert Pattinson) der eigent­lich auch ein erfolg­loser Schau­spieler ist, und der vom Filmruhm träumt, und nimmt Kontakt zu einem Kinder­star (Evan Bird) auf, der gerade aus der Sucht­klinik entlassen wurde. Sie begegnet einem korrupt-verlo­genen Guru und Starthe­ra­peut (John Cusack), der die Stars im Dutzend mani­pu­liert und dessen depres­siver Frau (Olivia Williams).

So hält der David Cronen­berg hier der Film­in­dus­trie den Spiegel vor. Maps to the Stars ergibt ein abgrün­diges und sarkas­ti­sches Bild der Traum­fa­brik. Cronen­berg zeigt Hollywood als Zoo kaputter gestalten, als Ort, an dem jeder, wirklich jeder auf die Film­in­dus­trie fixiert ist, als ein Ökosystem aus Angst und Gier und Verzweif­lung und Zynismus – ein Platz, der Menschen zu seelen­losen Bestien macht. Der Film ist eine Mischung aus Sozi­al­sa­tire und klassisch-grie­chi­scher Tragödie. Man begegnet einer Handvoll Menschen aus dem Hollywood der Gegenwart: So schrille wie schräge Typen, die alle leider wahren Klischees über das Leben in Hollywood versam­meln: Außer den bizarren Charak­teren nutzt er dazu auch scharf­ge­schlif­fene Dialoge: »Was macht eigent­lich Juliette Lewis?« – »Die ist bei Scien­to­logy…« – »Ich hab auch schon überlegt, zu konver­tieren, das wäre gut für meine Karriere.«
Oder: Ein Mensch, der Böses tut, sagt: »Wenn’s schief­geht, gehe ich wieder zu Oprah Winfrey und mache die Lance-Armstrong-Nummer.«

Die Geschichte, die erzählt wird ist der blanke Horror: Eine vertrie­bene Tochter und eine Fami­li­en­tra­gödie, deren Hinter­gründe im Verlauf langsam frei­ge­legt werden. Auch ein Gedicht von Paul Eluard – »Freiheit!« spielt eine wichtige Rolle, und ein gebro­chenes Tabu.

Insofern passt das hervor­ra­gend zu einem radikalen, exis­ten­tia­lis­ti­schen Regisseur wie Cronen­berg. Und nach seiner Premiere in Cannes meinten manche Kritiker, dies sei Cronen­bergs bester Film seit über zehn Jahren. Aller­dings: Wann hatte Cronen­berg zuletzt einen richtig guten Film, einen Cronen­berg-Film gar gemacht? Cosmo­polis hat wenig getaugt, war schrill, aber lang­weilig. Eher ein Expe­ri­ment. A Dangerous Method war klug, aber konven­tio­nell, A History of Violence und Eastern Promises erst recht, und Spider auf dem Papier klug, aber auf Leinwand?

Maps to the Stars ist nun nicht nur einer der inter­es­san­testen Filme des Jahres – sondern darüber hinaus eine sehr witzige Abrech­nung mit der Unter­hal­tungs­in­dus­trie, und, wie bei Cronen­berg üblich, ein erfri­schend direktes, über­hit­ztes Deka­den­z­por­trait aus der Mitte unseres Zeit­al­ters.