Malcolm & Marie

USA 2021 · 106 min.
Regie: Sam Levinson
Drehbuch:
Kamera: Marcell Rév
Darsteller: John David Washington, Zendaya
Zelebrierte Künstlichkeit, die passt
(Foto: Netflix)

Orgiastischer Paartanz

Sam Levinson hat einen waschechten Corona-Film gedreht, in dem ein Regisseur und seine Freundin sich streiten und lieben. Ein artifizielles Beziehungskammerspiel, das zwischendurch abzuheben droht, und auch ein Film über das Filmemachen.

Film­ge­schichte, überall. Die Titel­se­quenz flackert über den Bild­schirm, wie man das aus den klas­si­schen Holly­wood­filmen kennt, die Bilder flirren in kontrast­rei­chem schwarz-weiß des 35mm-Film­ma­te­rials. Nostalgie schon beim Titel, schließ­lich ist die Geschichte des Kinos auch eine der konju­gierten Paare: François Truffauts Jules und Jim, Rob Reiners Harry und Sally und wie sie alle heißen. Und jetzt eben Sam Levinsons Malcolm & Marie: ein Kammer­spiel um ein Paar, das sich in den eigenen vier luxu­riösen Wänden liebt und hasst.

Wobei: Es ist das Jahr 2021 und wir sind nicht im Kino, sondern auf der Plattform eines VoD-Giganten und Malcolm & Marie ist trotz aller Remi­nis­zenzen ein Produkt seiner Zeit. Buchs­täb­lich, denn er ist ein wasch­echter Corona-Film, gedreht in zwei Wochen im Juni des letzten Jahres unter Einhal­tung der Hygie­nemaß­nahmen mit einem kleinen Team in einem privaten Luxushaus in Carmel, Kali­for­nien. Regisseur Levinson hat Teile des Teams seiner HBO-Serie Euphoria, deren Produk­tion wegen der Pandemie in Zwangs­pause ist, einge­packt, um das Herzens­pro­jekt umzu­setzen.

In Malcolm & Marie kommt ein Paar, er Regisseur, sie ehemalige Drogen­süch­tige mit Schau­spie­l­am­bi­tionen, von der erfolg­rei­chen Premiere seines neuen Films zurück in das modern-trans­pa­rente Luxushaus. John David Washington alias Malcolm schiebt sich mit breitem Grinsen, lässigem weißem Hemd und schmaler Krawatte durch die Wohnung, macht sich einen Drink, schmeißt – wie später noch öfter – krachend laut die Musik (James Brown’s »Down and Out in New York City«) an und tanzt, während Marie (Zendaya) im Cock­tail­kleid pinkeln geht, eine raucht und ihm Makkaroni mit Käse zube­reitet.

Bis klar wird, dass Malcolm tausende Menschen in seiner Dankes­rede erwähnt, aber ausge­rechnet Marie, von deren Leben sein gefei­erter Film inspi­riert ist, vergessen hat, dauert es noch ein paar Momente. Mit diesem Konflikt beginnt eine Tour de force zwischen Euphorie und Wut, ein Bezie­hungs­streit in Echtzeit. Hat im Film schon einmal jemand so laut und wütend seine Nudeln verdrückt, wie Washington?

Levinsons Film dreht sich in konzen­tri­schen Kreisen um das Paar in seinen verschie­denen Eska­la­ti­ons­modi. »Ich will dir den Kopf abschneiden und kurz danach dein schönes Gesicht küssen« bringt Malcolm das Ringen auf den Punkt. Zwischen Drinks und lauter Musik wechseln sich Ruhe und Sturm ab; nach jeder Diskus­si­ons­pause, die die beiden nach neuen Argu­menten suchend in der eigenen Ringecke oder schäkernd verbringen, wird weiterer Bezie­hungs­putz herun­ter­ge­hauen. Es geht um Loya­li­täten und Abhän­gig­keiten und darum, wie man einander sieht oder eben nicht sieht. Malcolm ist der laute Egomane, der alles sofort raus­po­saunt, Marie, trotz aller Eloquenz und Schlag­fer­tig­keit, verschlossen.

Malcolm & Marie ist ein Konver­sa­ti­ons­film, arti­fi­ziell aufge­laden durch die spre­chenden Schwarz-Weiß-Bilder (Kamera: Marcell Rév), einen das Geschehen kommen­tie­renden, pulsie­renden Sound­track und das theatrale Moment. Für Washington und Zendaya, die beide großartig aufspielen, ist das Luxushaus die Wohl­stands­blase für ein über­bor­dendes, auch aus dem Rahmen fallendes Dialog- und Mono­log­feu­er­werk.

Dass Levinson die Künst­lich­keit derart zele­briert passt, denn Malcolm & Marie ist auch ein Film über die Kunst des Filme­ma­chens und das Verhältnis von Film zu Realität. Ganz konkret wird das, wenn sich das Paar im Streit daran abar­beitet, welche Teile von Malcolms Film von ihr inspi­riert sind. »Du konntest aus dem ganzen Dreck etwas Schönes machen, das die Menschen bewegt« sagt Marie. Auf dieser Ebene kämpfen Schöpfer und Muse, wobei die Hier­ar­chien in Levinsons Film komplex bleiben. Maries Analysen treffen jeden­falls ins Ziel.

Immer wieder geht es auch um die Rezeption von Filmen, insbe­son­dere durch die Kritik. Gleich in den ersten Einstel­lungen echauf­fiert sich Malcolm darüber, dass die Filme von Schwarzen immer durch die poli­ti­sche Brille betrachtet werden. »Ich werde als Filme­ma­cher im Gespräch sein, ohne das weiße Schrei­ber­linge immer alles auf meine Haut­farben redu­zieren, weil es so bequem ist!« erklärt er in seinem Monolog, in dem auch jene »Weiße von der L.A. Times«, wie noch öfter im Film, ihr Fett wegkriegt und Namen wie Barry Jenkins und Spike Lee fallen. Später wird es noch um das Business selbst gehen, in dem, wie Marie zynisch bemerkt, auch ein künst­le­risch ambi­tio­nierter Regisseur wie Malcolm eine »Hure« ist.

Malcolm & Marie als Kriti­ker­schelte abzutun, wie das einige ameri­ka­ni­sche Kritiker getan haben, ist so inter­es­sant wie irrsinnig und wird dem streit­baren, aber doch gelun­genen Film nicht gerecht. Sicher: Levinsons Film läuft vor Selbst­ver­liebt­heit und Selbst­re­fe­ren­zia­lität über. Es ist schon ein gewal­tiges Netz samt doppeltem Boden, das er da spannt: da macht ein Regisseur einen Film über einen Regisseur, in dem er eigene Erfah­rungen verar­beitet, Kritik an der Kritik übt und nebenher ein Diskurs über die Rezeption schwarzer Filme mitläuft. Für Levinsons Film gilt das freilich nicht, denn weder ist er schwarz noch ist »Malcolm & Marie« ein poli­ti­scher Film.

Will er aber eben auch nicht sein. Vielmehr ist Malcolm & Marie ein Film, in dem die große Geste, die wildesten Soli und Formu­lie­rungen, so schön und teils nerv­tö­tend sie in diesen 106 Minuten auch sein mögen, den nötige Kontrast bieten zum eigent­li­chen Kern: Lautes Tamtam und selbst­ver­liebte Eloquenz lenken davon ab, wirklich zu sehen und zuzuhören. So steht am Ende ein schwe­lender Moment voll bitter­süßer Ehrlich­keit, in dem Zendaya, die sich mit ihrer Rolle um eine Oscar­no­mi­nie­rung bewirbt, einem völlig die Schuhe auszieht.

Malcolm & Marie ist ab dem 5. Februar 2021 auf Netflix abrufbar.