Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung

Maixabel

Spanien 2021 · 116 min. · FSK: ab 12
Regie: Icíar Bollaín
Drehbuch: ,
Kamera: Javier Agirre Erauso
Darsteller: Luis Tosar, Blanca Portillo, Urko Olazabal, María Cerezuela, Arantxa Aranguren u.a.
Mit der Kraft der Versöhnung einen Weg nach vorne finden...
(Foto: Piffl Medien)

Die Kraft der Utopie

Icíar Bollaín erzählt die reale und utopisch anmutende Geschichte einer Versöhnung zwischen Tätern des ETA-Terrors und Angehörigen der Opfer

Mit dem Sog eines Thrillers setzt Maixabel – Eine Geschichte von Liebe, Zorn und Hoffnung von Icíar Bollaín ein: in knappen, präzisen Einstel­lungen wird ein Mord-Anschlag in einem Café erzählt, zwei Männer treten von hinten an einem an den Tischen sitzenden Mann heran und schießen ihn in den Nacken. Die zwei Täter verlassen das Lokal und steigen in das Flucht­auto, das draußen mit einem dritten am Steuer auf sie wartet. Dazwi­schen geschnitten eine Frau im Alltag einer gutbür­ger­li­chen Wohnung, die beim Föhnen der Haare zunächst das Telefon nicht hört, nicht hören will: der Anruf infor­miert sie über den Anschlag auf ihren Mann, den man eben mitver­folgt hat.

Der gerad­li­nige Auftakt, der diesen Mord und die Flucht der Täter schildert, ruft geschickt vertraute Rezep­ti­ons­muster des Gangs­ter­films ab, die einen erst einmal auf die Seite der vor der Polizei flie­henden Täter zieht. Doch der Thrill des Gangs­ter­films weicht dann abrupt mit dem Schock bei den Angehö­rigen, bei Frau und Tochter, einem Entsetzen über einen sinnlos anmu­tenden Terror­an­schlag, der tatsäch­lich, genauso wie hier geschil­dert, im Gestus einer Hinrich­tung, in der Wirk­lich­keit ausge­führt wurde. Es handelt sich um einen von 23 allein im Jahr 2000 von der baski­schen Unter­grund­or­ga­ni­sa­tion ETA durch­ge­führten tödlichen Mord­an­schlägen. Er galt dem Politiker José María Jaúregui, der in den 70ern selbst Mitglied der ETA war. Jáuregui sah aber früh schon keinen Sinn mehr in der Gewalt und wandte sich von der ETA ab, enga­gierte sich unter Felipe González in der PSOE, der sozia­lis­ti­schen Regie­rungs­partei in den 80ern; für die Madrider Regierung war er dann auch ein paar Jahre Gouver­neur in der baski­schen Provinz Guipuzcoa, wo er sich klar gegen den weiter gewalt­samen Kurs der ETA posi­tio­nierte und maßgeb­lich zu deren Straf­ver­fol­gung beitrug. Es handelt sich um einen Anschlag, der einer erbit­terten Logik der Vergel­tung und Abrech­nung folgte, mit der die ETA insbe­son­dere die tötete, die sie als Kolla­bo­ra­teure für den spani­schen Staat und damit als Feinde ihrer baski­schen Sache betrach­tete und als Verräter ächtete.

Die ETA war in den früher 1960er Jahren als linke, dem Kommu­nismus nahe­ste­hende Orga­ni­sa­tion entstanden, die im Kampf gegen die faschis­ti­sche Diktatur Francisco Francos für ein linkes unab­hän­giges Basken­land eintrat, unter den Bedin­gungen brutaler Repres­sion bald auch mit Gewalt. Der spek­ta­ku­läre Anschlag auf den von Franco einge­setzten Minis­ter­prä­si­denten Spaniens, Luis Carrero Blanco, im Jahr 1973 war gewiss der politisch folgen­reichste Akt, den die ETA voll­brachte. Er warf die Pläne, die der von Krankheit gezeich­nete Franco für seine Nachfolge vorge­sehen hatte, gründlich über den Haufen: Carrero Blanco sollte Francos Stelle einnehmen.

Den Respekt, den man der ETA für dieses Attentat einräumte, verspielte sie sich aber bald, als sie auch dann von terro­ris­ti­scher Gewalt nicht abließ, als nach Francos Tod 1975 der Übergang zur Demo­kratie in Spanien vollzogen wurde. ETA-Anschlägen fielen bis zur offi­zi­ellen Absage an die Gewalt im Jahr 2011 an die 850 Menschen zum Opfer. 2018 erfolgte die selbst dekla­rierte Auflösung der Gruppe.

Diese Fakten sind für den Hinter­grund des im Film Maixabel erzählten Gesche­hens von Belang, geht es darin doch um den schwie­rigen Prozess einer Verstän­di­gung zwischen Tätern und Angehö­rigen der Opfer. Die Gattin des ermor­deten Jaúregui, Maixabel Lasa, setzte sich als Vorsit­zende eines Opfer­ver­bands für einen Kurs der Versöh­nung ein, gerade auch mit den Mördern ihres Mannes selbst.
Dass Bollaíns Film »nach einer wahren Geschichte« entstanden ist (diese Formel gilt ja mitt­ler­weile schon als uner­läss­liche Beglau­bi­gung jeglicher Fiktion), kann man fast als beschwich­ti­gende Unter­trei­bung bezeichnen. Die zentralen Figuren im Film tragen die Namen, die sie im wahren Leben führen: die dem Film den Titel gebende Maixabel (Blanca Portillo), deren Tochter María (María Cerezuela), zwei der ETA-Mörder Jáureguis, Luis Carrasco (Urko Olazabal) und Ibon Etxe­zar­reta (Luis Tosar), sowie die Media­torin des staat­li­chen Aussöh­nungs­pro­gramms Esther Pascual (Tamara Canosa).

Die Regis­seurin widmete sich in ihren Filmen häufig in enga­gierter Weise aktuellen sozialen Themen (Te doy mis ojos, El olivo, También la lluvia, Yuli), gerne auch in Zusam­men­ar­beit mit ihrem Ehemann Paul Laverty, dem Stamm-Dreh­buch­autor von Ken Loach.

Bei Maixabel war nun Isa Campo als Koautorin Bollaíns für die Aufbe­rei­tung des Stoffes verant­wort­lich. Isa Campo hat ein gutes Gespür für eher offene Drama­tur­gien, die ihre ganze Inten­sität aus dicht an der recher­chierten Wirk­lich­keit entwi­ckelten Geschichten beziehen. Sie hat bislang vor allem mit Isaki Lacuesta zusam­men­ge­ar­beitet – etwa bei dem großar­tigen, fast ethno­gra­phi­schen Entre dos aguas (2018) über zwei Rom-Brüder in der Nähe von Cádiz.

Das aus vielen Gesprächen mit den Betei­ligten gewonnene Drehbuch von Icíar Bollaín und Isa Campo schafft eine über­zeu­gende Trans­po­si­tion der Wirk­lich­keit in die Fiktion, die souverän in paral­lelen Erzähl­strängen den Wegen und Begeg­nungen der Täter und Opfer folgen kann.
Die Mühen und Wider­stände, die der Prozess der Versöh­nung dabei auf beiden Seiten zu über­winden hatte, werden ungemein nah an den Figuren nach­voll­ziehbar. Nichts wird hier drama­tur­gisch übers Knie gebrochen, die Tonart des Films ist dabei von einer zutiefst empfun­denen Aufrich­tig­keit der Charak­tere geprägt. Und so folgt die Erzählung einem ganz eigenen Thriller der Affekte und Emotionen, die Maixabel und die bereu­enden Mörder ihres Mannes durch­laufen.
Wie dieje­nigen in der ETA, die der Gewalt und der verbohrten Militanz abschwörten, als Verräter gebrand­markt werden, wie sie mit dem Miss­trauen und der Verach­tung derje­nigen im Gefängnis zu tun bekommen, die ihren Schritt miss­bil­ligen, wie auch Maixabel selbst gegenüber der Skepsis ihrer Wegge­fährten, der Partei­ge­nossen ihres Mannes und gerade auch der Tochter mutig an ihrem Weg der Versöh­nung festhält und diesen Weg erfolg­reich zu Ende geht: das alles zu sehen, ist ungeheuer packend und bewegend.

Das gelingt besonders auch dank der Darsteller*innen, vor allem Blanca Portillo als Maixabel und Luis Tosar als Ibon Etxe­zar­reta sind hier hervor­zu­heben. Zu sehen, wie es in Tosars schroff-finsterer Mimik arbeitet, wie sich der renitente Trotz des Fana­ti­kers allmäh­lich lichtet und löst und zur Entschlos­sen­heit wandelt, das Alte hinter sich zu lassen, das allein ist ein sehens­wertes Ereignis.
Und so kann gerade an dieser Figur eine Kraft der Versöh­nung sichtbar werden, die umso wirksamer ist, als sie keine religiöse Dimension hat, sondern strikt säkular und human bleibt. Es geht nicht um eine Vergebung, die meta­phy­sisch überhöht wäre, sondern darum, einen Weg nach vorne zu finden, in Aner­ken­nung des angetanen und erlit­tenen Schmerzes soli­da­risch und mit den anderen zu sein.

Der bewe­genden Kraft, die dieser Film freisetzt, eignet etwas Utopi­sches, die Macht einer Utopie, die wie alle echten Utopien in der gelebten Wirk­lich­keit verankert ist und in der fiktio­nalen Einklei­dung weit über den realen Punkt hinaus­reicht, von dem sie ihren Ausgang nimmt.