Love Steaks

Deutschland 2013 · 90 min. · FSK: ab 12
Regie: Jakob Lass
Drehbuch: , , ,
Kamera: Timon Schäppi
Darsteller: Lana Cooper, Franz Rogowski u.a.
Einfach mal sehen, was passiert, wenn…

Faustrecht der Freiheit

Boy meets girl, das ist eine der klas­si­schen Plot-Grund­kon­stel­la­tionen des Kinos. Love Steaks, der, wenn er nicht so rau wäre und mit der aufein­an­der­pral­lenden Energie seiner Haupt­fi­guren, in der Zeit der deutschen Komödien viel­leicht als Liebes­schnitzel reali­siert worden wäre, zeigt uns noch einmal, wie das ist: Boy meets girl, und was passiert, wenn die Gegen­sätze aufein­ander treffen. Nur macht er das eben ganz anders.

Der »boy« ist in diesem Fall Clemens, ein hasen­sch­ar­tiger, sanfter und weicher, weib­li­cher Typ, das verrät ja auch schon sein Name. Clemens ist Masseur und muss in einem großen Wellness-Hotel die Kundinnen verwöhnen. Während sie sich entkleiden, um es sich auf der Behand­lungs­liege bequem zu machen, verschwindet er hinter einem großen Handtuch, das er vor sein Gesicht hält. »Klas­si­scher Sicht­schutz« nennt er es, aber vor allem, und das dauert lange, bis er es begreift, nimmt er damit anderen die Sicht auf sich, versteckt sich. Die Kunden und seine Vorge­set­zten haben ein leichtes Unter­drü­cker-Spiel mit ihm, bis er zu handeln beginnt.

Auch Lara, das »girl«, spielt anfäng­lich ihre Spielchen mit ihm. Wie es sich für eine sich anbah­nende Liebes­hand­lung gehört, ist sie das Gegenteil des sanften Clemens. Lara arbeitet im selben Hotel in der Küche und pariert die Raubei­nig­keit ihrer männ­li­chen Vorge­set­zten mit einer großen Klappe, ist burschikos, mit eckigen Bewe­gungen und einem Flachmann, der sie bis zur Betrun­ken­heit aufrecht hält. Allein diese gegen­sät­z­liche Boy-Girl-Paarung bringt die Handlung in Gang, sie werden sich helfen, jeweils mehr zu sich selbst zu finden, die Schüch­tern­heit und Unter­wür­fig­keit einer­seits und die Mauern der Schroff­heit und den Alko­ho­lismus ande­rer­seits abzu­werfen. Und bis dahin liefern sie sich verbale und physische Kämpfe, in denen negative Energie (von Lara) frei­ge­setzt und positive Energie (durch Clemens) gesammelt wird. Eine Geschichte von jugend­li­chem Yin und Yang in einer sie unter­drü­ckenden Erwach­se­nen­welt.

Love Steaks könnte einfach nur als post­pu­ber­tärer Liebes­film gesehen werden, wäre er nicht vor allem aber ein großartig perfor­mierter und impro­vi­sierter, noch studen­ti­scher Wurf von Jakob Lass, der seinen Film mit drei lako­ni­schen Stich­worten beschreibt: »Ein Masseur. Eine Köchin. Ein junges Paar auf’s Maul.« Regisseur Lass will mit seinem Film die deutsche Kino­land­schaft auf neue Art betreten, das merkt man nicht nur an der Lässig­keit, die die ganze Produk­tion begleitet. Der Low-Budget-Film mit einer großar­tigen Leistung seiner beiden Haupt­dar­steller Lana Cooper und Franz Rogowski lebt von der Aura der Ermög­li­chung. Der Film betrete »neue Wege, was das Drehbuch zum einen (es gibt quasi keins) und das Drehen zum anderen (mit wenig Budget und nah an der Realität)« anbelangt, heißt es aus der Produk­ti­ons­ecke. Unter Beratung des Produ­z­enten und HFF-Potsdam-Dozenten Martin Hagemann wurden ein neuer Vertriebsweg einge­schlagen, die die klas­si­sche Verleihidee quasi über­springt, um dem Film direkt, mit einer Art von VoD für die Kino­be­treiber möglichst viele monetäre Rückläufe zu sichern.

Spontan im Spiel und zukunfts­wei­send in der Produk­tion und Verwer­tung, so sind die vorge­ge­benen Eckdaten des Films – wobei natürlich inter­es­sant wäre zu wissen, wie viel am Ende für die an der Produk­tion Betei­ligten tatsäch­lich übrig bleibt, oder ob auch hier Low-Budget am Ende nicht doch wieder nur Rück­stel­lung von Honoraren und Selbst­aus­beu­tung der Betei­ligten heißt.

Von dieser arbeits­welt­li­chen Perspek­tive her betrachtet, ist Love Steaks tatsäch­lich ein filmi­scher Furor, der seine Figuren als seine Stell­ver­treter einsetzt, mit Lara seine Wut heraus­schreit oder sich in Alkohol zu ertränken sucht und trotz allem für den Zuschauer anschmiegsam bleibt wie der sanfte Clemens. Die meiste Zeit taucht der Film in die Arbeits-Kata­komben des Hotels ein, durch­wan­dert die funk­tio­nalen Flure, dringt in Abstell­kam­mern ein. Ganz selten ploppen die Figuren wie Stör­fak­toren, in falschen Klamotten und mit der falschen Sprache, in die schöne Schein­welt der durch Vorder­türen betret­baren Glamour-Sphären auf. Das Hotel ist eine Welt der Vorge­setzen, der fordernden Gäste und der Unter­drü­ckung, und der Film zeigt immer wieder lustvolle, prole­ta­ri­sche Gren­z­ver­let­zungen, den großen Schrei nach Befreiung und Freiheit.

Auf einer Metaebene kann dies auch für den Film selbst gelten, der als Gewinner der vier Haupt­preise auf dem Filmfest München und des Max-Ophüls-Preises von Saar­brü­cken die behag­li­chen Auto­ma­tismen deutscher Film­pro­duk­tionen aufzu­rüt­teln beginnt. Er ist innerhalb der deutschen Produk­ti­ons­land­schaft junges, unge­stümes Kino, mit einer Perfor­mance der Körper und Dialoge, der die Nähe zu den Figuren sucht und sich bewusst fern der unter­kühlt sezie­renden Berliner Schule posi­tio­niert. Love Steaks ist ein Aufschrei der Jungen, die ihren Platz in der Welt finden wollen, als Indi­vi­duen im Film, und als Filme­ma­cher im großen Produk­tions- und Verwer­tungs­system.

In echt jetzt?

Notizen aus der Provinz: Ist Love Steaks eigent­lich wirklich so gut?

Eine Amour Fou-Geschichte, große Gefühle, ein Mann, der wie einst der Taxi Driver eine Frau rettet, indem er die ganze Welt zu opfern bereit ist, ein Junge, der den inneren Panzer knackt und zum echten Kerl wird, als ihm die richtige Blondine über den Weg läuft. So könnte man die Geschichte von Love Steaks natürlich zusam­men­fassen: »bigger than Life« halt, großes Kino am Ostsee­strand. Stimmt schon, nichts ist daran falsch.

Man könnte alles aber auch ganz anders erzählen: Ostdeut­sche Tristesse und west­deut­scher Kapi­ta­lismus-Neusprech treffen sich: Ein Wellness-Hotel, in dem mehr Controller arbeiten als Zimmer­mäd­chen, eine so toughe wie versof­fene Provin­zgöre, die dort als Köchin arbeitet und ihre Kollegen mit Schnit­zeln verkloppt, und der nuschelnde Masseur des Hauses, der tagsüber das welke Fleisch der Kunden durch­walkt und voller Sanftheit eincremt – ein Softie wie er im Buche steht, recht unbedarft und sozial gestört, ein Vege­ta­rier und Anti­al­ko­ho­liker.

Solche Paare finden sich nur im Kino. Love Steaks dreht einfach die Geschlech­ter­rollen um, und schon ist das neue Traumpaar des deutschen Films fertig. Der Gender Trouble bleibt aller­dings auch dann der alte, wenn die Frau die Säuferin ist, und er der Sensible.

Das ist auf Dauer nicht gut anzusehen und in seiner Moral sogar ziemlich spießig, und insgesamt ist es schon zum Fremd­schämen, was man sich da knapp 90 Minuten anguckt: Wenig schöne Menschen in häss­li­cher Umgebung tun hässliche Dinge – und manchmal fragt man sich ernsthaft, ob Love Steaks die Klischees des deutschen Problem­films jetzt nun ironi­siert, oder doch selber einer ist?
Dialog­pas­sagen wie »Wir müssen uns reiben... anein­ander reiben...« oder »Guten Tag, ich würde Ihnen jetzt, bevor wir anfangen, unsere Produkte vorstellen.« – »Wenn du dem Gast unsere Produkte zeigst: Der Geni­tal­be­reich ist ja tabu, total tabu.«

Uner­träg­lich. Wie bei Fass­binder.

Und gerade in diesem Uner­träg­li­chen, diesem Fremd­schäm­faktor, liegt die Provo­ka­tion und die Kraft von Love Steaks. Wie bei Fass­binder. Darum gibt es Filme wie Love Steaks und Regis­seure wie Jakob Lass, denn er hat in seinem Abschluss­film seine Chance genutzt: Formal ist Love Steaks anar­chis­tisch und leiden­schaft­lich, intel­li­gent und clever. Der Film lässt sich Zeit, steigt auf seine Figuren ein, die man nicht lieben muss, um sie inter­es­sant zu finden. Darin liegt sein Erfolgs­ge­heimnis: Love Steaks hat eine positive Ausstrah­lung. Und eigent­lich können deutsche Filme zwar noch viel mehr, aber es könnten auch mehr in die Richtung dieses Films gehen. Denn Love Steaks passt sich nicht an und versucht wenigs­tens etwas, was den faulen Kompro­miss des Konsens­kinos sprengt, die Eingriffe der zwangs­läufig mitre­denden Beden­ken­träger in den Fern­seh­sen­dern, die alles glatt­bü­geln, was keine Quoten­ga­rantie verspricht, und dies es derzeit selbst etablierten Regis­seuren oft unmöglich machen, noch Filme zu drehen.

All das, auch die Wahr­neh­mung des Ganzen ist Jakob Lass aller­dings eben nur möglich, weil sein Debüt ein Studen­ten­film ist: Mit Laien, ziemlich impro­vi­siert und in Arte-povera-Ästhetik gedreht, und darum kann man über diesen Film nicht reden, ohne ihn ins Verhältnis zu setzen zu einer Förder­po­litik, die solche Filme eher verhin­dern will.

Wenn ein Film derart mit Preisen überhäuft wurde wie dieser – allein vier Preise in München – gibt es zwei sehr natür­liche Reflexe: Der erste lautet: Der muss ja toll sein. Der zweite: Der kann gar nicht so gut sein. Und tatsäch­lich gab es manchen, der im Januar in Saar­brü­cken, als Love Steaks auch noch auf alle anderen Ausz­eich­nungen den Max-Ophüls-Preis obendrauf bekam, nicht wenige, die fanden: Jetzt ist es aber genug, so toll ist der Film auch nicht.

Trotzdem sollte man sich in beide Rich­tungen nicht blenden lassen, und Love Steaks versuchen, einfach anzu­schauen, als das, was es ist: Ein kleiner, feiner Erst­lings­film, gemacht von Potsdamer Studenten, die Gott­sei­dank nicht auf ihre Profes­soren hören, sondern einfach das tun, worauf sie Lust hatten, mit unglaub­lich wenig Geld. Eben nicht Fack ju Göhte, sondern Fuck you Fernsehen und Film­för­de­rung!

Nicht mehr und nicht weniger.

Man muss den Film deshalb aber keines­falls zum Manifest des neuen Mannes ausrufen. Solche Männer gibt es vor allem im Kino, und im wirk­li­chen Leben will man sie auch nicht sehen. Und sich wünschen, dass in Zukunft alle deutschen Filme so sind wie dieser, so total ungla­mourös und regressiv, das kann man nun wirklich auch nicht.

Denn man darf auch zugeben, dass der Film nach einer Masche gestrickt ist, die dem schlechten Glamour des deutschen Kinos ein hübsch designtes Elend entge­gen­setzt. Aber was ist so schlecht an Schönheit? Und darf man auch jetzt wenigs­tens mal erwähnen, dass diese Bilder zum Teil mindes­tens einfach nicht gut genug gear­beitet sind, sondern schlampig und wurschtig. Wer sich ernsthaft für einen künst­le­ri­schen Umgang mit der Wirk­lich­keit inter­es­siert, für die Ästhetik des Authen­ti­schen, könnte sich ja mal wieder eine Bauhaus-Ausstel­lung angucken.

Vor allem aber, ich geb’s zu, geht einem das unaus­ge­spro­chene Loblied auf die Häss­lich­keit der Welt, die hier als Echtheit, als Purity verkauft wird, ganz schön auf die Nerven. Denn nur das Hässliche kann ja angeblich authen­tisch sein.

Tatsäch­lich aber stimmt eher das Gegenteil: Nur das Schöne ist authen­tisch.