The Limehouse Golem

Großbritannien 2016 · 110 min. · FSK: ab 16
Regie: Juan Carlos Medina
Drehbuch:
Kamera: Simon Dennis
Darsteller: Bill Nighy, Olivia Cooke, Sam Reid, María Valverde, Daniel Mays, Douglas Booth u.a.
Giallo, dem die Schlinge um den Hals gelegt wurde

De Quincey & Karl Marx

Der US-ameri­ka­ne­ri­sche Regisseur Juan Carlos Medina debü­tierte mit dem teilweise in Spanien zur Zeit des Bürger­kriegs spie­lenden Fantasy-Horror­film Painless. Auch mit seinem zweiten Spielfilm The Limehouse Golem bleibt Medina dem Genre des histo­ri­schen Horror­thril­lers treu. Diesmal begibt sich der Mann aus dem sonnigen Miami in ein düsteres London im Victo­ria­ni­schen Zeitalter. Die Verfil­mung des von Peter Ackroyd stam­menden Romans »Dan Leno and the Limehouse Golem« ist eine typische Ripper-Story, nur dass der Ripper hier nicht als Jack, sondern als der Limehouse Golem bekannt ist.

Im London im Jahr 1880 wird Inspektor Kildare (Bill Nighy) damit beauf­tragt, einen im verkom­menen Stadt­be­zirk Limehouse umher­ge­henden Seri­en­mörder zu fassen. Zur gleichen Zeit wird die junge Schau­spie­lerin Lizzie Cree (Olivia Cooke) mit dem Verdacht fest­ge­nommen, ihren Ehemann vergiftet zu haben. Lizzie gehört zum Ensemble der von Dan Leno (Douglas Booth) gelei­teten Music Hall in Limehouse. In Kildare verfes­tigt sich immer mehr der Verdacht, dass beide Krimi­nal­fälle mitein­ander in Zusam­men­hang stehen. Dabei führen ihn seine Ermitt­lungen immer wieder in Lenos Music Hall. Die Zeit drängt, da Lizzie schon bald für den vermeint­li­chen Mord an ihrem Mann gehängt werden soll.

The Limehouse Golem nimmt den Zuschauer schnell mit der gelungen einge­fan­genen Atmo­s­phäre eines ungewohnt herun­ter­ge­kommen und dreckigen London für sich ein. Der ärmere Teil der Bevöl­ke­rung von Limehouse haust in oft fens­ter­losen, dreckstarren und verräu­cherten Buden, die schon beim allei­nigen Anblicken krank machen. Und auch die Amts­stuben der tragenden Säulen dieser Gesell­schaft sehen so aus, als ob in ihnen dringend mal wieder Staub gewischt werden sollte. Hinzu kommt eine von Neid, Missgunst und Intrigen vergif­tete gesell­schaft­liche Grund­stim­mung.

Die extrem makabren Leichen­funde erscheinen in diesem morbiden Umfeld lediglich als das böse Sahnehäub­chen auf der großen gesell­schaft­li­chen Kaker­la­ken­torte. Selbst der kluge Inspektor Kildare muss jederzeit befürchten, dass ihm der gerade mühsam erklom­mene Ast gleich wieder unter dem Hintern weggesägt wird. Denn die Ripper­morde sind sein erster Mordfall, und falls er mit der Aufklä­rung nicht recht­zeitig zurande kommt, wird sein Kopf rollen, damit Scotland Yard sein Gesicht bewahrt. Bill Nighy gelingt es auf hervor­ra­gende Weise diesem so getrieben, wie verknirschten Charakter Leben einzu­hau­chen. Dasselbe gilt für Olivia Cooke in der Rolle der willens­starken, jedoch stark vom Leben gebeu­telten, schönen Lizzie Cree.

Trotzdem macht es Juan Carlos Medina dem Zuschauer sehr schwer, wirklich tief in die komplexe Handlung von The Limehouse Golem einzu­tau­chen. Gerade die erste halbe Stunde des Films wirkt viel zu gedrängt. Schnell wird eine Figur vorge­stellt, dann die nächste und gleich wieder die nächste. Einem Ripper­mord folgt ein Giftmord, einer Verhör­szene eine Varie­téauf­füh­rung. Hinzu kommen zahl­reiche ausufernde Rück­blenden, die zudem zunächst oftmals recht unmo­ti­viert erscheinen. Es werden fleißig Paral­lelen zwischen den Ripper­morden und Thomas de Quinceys Essay »Der Mord als eine schöne Kunst betrachtet« gezogen. Und da es hier um echte Kapi­tal­ver­bre­chen geht, darf natürlich auch Karl Marx nicht als einer der Haupt­ver­däch­tigen fehlen.

All diese Hektik verdichtet sich zu einem unwoh­ligen Brodeln an der Ober­fläche der eher bedächtig voran­schrei­tenden Erzählung. Die dadurch entste­hende erzäh­le­ri­sche Unwucht gibt dem Zuschauer das Gefühl, hier selbst vom falschen Cocktail geschlürft zu haben. Deshalb bleibt The Limehouse Golem letzt­end­lich deutlich hinter ähnlich atmo­s­phä­ri­schen, aber deutlich span­nen­deren Ripper­filmen wie From Hell zurück.

Dabei hätte der gerade in seinen Mord­szenen stark gialloesk ange­hauchte The Limehouse Golem eigent­lich ein schönes klas­si­sches Mörder-Mystery im histo­ri­schen Gewand werden können. Auf der anderen Seite ist es aber auch so, dass Kino­gänger, die bereits eine Handvoll klas­si­sche Gialli gesehen haben, von der über­ra­schenden Schluss­pointe des Films alles andere als über­rascht sein werden.