Der letzte Exorzismus

The Last Exorcism

USA 2010 · 86 min. · FSK: ab 16
Regie: Daniel Stamm
Drehbuch: ,
Kamera: Zoltan Honti
Darsteller: Patrick Fabian, Ashley Bell, Louis Herthum, Iris Bahr, Caleb Jones u.a.
Von Dämonen verfolgt

»Zum Teufel mit den Evangelikalen!«

Daniel Stamms intel­li­genter Horror-Film ist eine Wunsch­phan­tasie. Aber wessen?

Es beginnt wie ein Film für Skeptiker, Ungläu­bige und Atheisten: Ein Kame­ra­team dreht einen Doku­men­tar­film über das religiöse Show­busi­ness und begleitet einen christ­lich-funda­men­ta­lis­ti­schen Prediger bei seinem Arbeits­alltag. Dieser Reverend Cotton Marcus ist ein Südstaaten-Evan­ge­li­kaler, wie er im Buche aller Kirchen­feinde steht: Eine unsym­pa­thi­sche Mischung aus Schar­latan und Hass­pre­diger, ein Menschen­fi­scher und Mani­pu­lator. Wenn Gott tot ist, ist zwar alles erlaubt, aber trotzdem: Hol ihn der Teufel! Doch anschei­nend hatte Reverend Marcus jüngst ein Damaskus-Erlebnis, und darum gibt es diesen Film: Er will öffent­lich die Lüge seiner Profes­sion enthüllen, will die Zauber­tricks seiner öffent­li­chen Exor­zismen bloß­stellen. Dieser eine vor der Kamera soll der letzte sein.

Das ist Ausgangs­lage. Und eine Weile scheint dieser Film es vor allem auf eine distan­zierte Bloß­stel­lung all der absurden Kniffe anzulegen, deren sich die Exor­zisten bedienen, um die Gegenwart des Teufels und dessen angeb­liche Austrei­bung ihrem geneigten Publikum zu demons­trieren. So kommen die Geis­ter­geräu­sche in modernen Zeiten vom mp3-player und auch sonst bestätigt der Film die Erwar­tungen des modernen Durch­schnitts­men­schen: Alles Lug und Trug, in der Fake-Moderne kann man nichts mehr glauben.

Allmäh­lich aber kippt die Atmo­s­phäre: Plötzlich ist das Mädchen Nell ernsthaft angefixt vom Teufel. Und auch wenn man wirklich noch nichts von diesem Film gehört hat, wenn man nicht weiß, dass der Film in Amerika gefeiert und preis­ge­krönt wurde, sich nicht bewusst ist, das der Produzent Eli Roth einer­seits als Kumpel von Quentin Tarantino berühmt ist, ande­rer­seits dafür, mit konse­quent schlechten Geschmack, aber einigem Können und seinen eigenen Hostel-Filmen zum Vorreiter jener üblen Gore-Horror-Welle geworden zu sein, die in den letzten Jahren aus den USA herüber­schwappte, und dem Horror-Kino die letzten Reste post­mo­derner Ironie ausge­trieben hat, dann beginnt man doch bald zu ahnen, dass es sich nicht um eine Doku­men­ta­tion handelt, sondern um einen jener mal mehr, mal weniger im cinéma-vérité-Stil insze­nierten Pseudo-Dokus wie The Blair Witch Project (1999), Clover­field (2008) oder den zwei spani­schen [Rec]-Filmen – Meilen­steine des Genres, die diesen Film fraglos inspi­rierten.

Der deutsche Regisseur Daniel Stamm verzichtet dabei weit­ge­hend auf das beliebte Kame­ra­wa­ckeln, schert sich auch nicht ernsthaft darum, die Illusion des Doku­men­ta­ri­schen lange aufrecht zu erhalten – als ginge es wie bei Blair Witch noch darum, auch nach­träg­lich wider­spruchs­frei zu erklären, wer diesen Film eigent­lich gefunden hat, und woher die Filmmusik stammt. Das Doku­men­ta­ri­sche ist nur eine Pose, sozusagen die Basis des absoluten Empi­rismus, durch den die ratio­na­lis­ti­schen Erwar­tungen der Zuschauer, die auch im Horror­film domi­nieren, peu a peu und insgesamt sehr geschickt erschüt­tert werden.

Eine Weile wandert die Konzen­tra­tion des Films weg vom Exor­zisten hin zu dem von Dämonen gepei­nigten puber­tie­renden Teenager. Dabei dreht sich dann vieles auch um deren reichlich kaputte Familie, und speist damit wiederum die ratio­na­lis­ti­schen Erwar­tungen, dass es sich bei allem, was man sich hier zunächst nicht erklären kann, dann eben doch um einen psychi­schen Defekt handelt. Über lange Strecken bleibt dieses Verhältnis zwischen Skepsis und Glaube, zwischen vernünf­tigen und irra­tio­nalen Erklä­rungs­an­ge­boten klug und recht plausibel in der Schwebe. Und so ist der Film eine Phantasie, die verschie­denste Wünsche erfüllt, die die Angstlust des Horror­fans befrie­digt ohne seinen Verstand zu belei­digen. Nebenbei funk­tio­niert The Last Exorcism dann sogar als treffend-sarkas­ti­sche, nie aufdring­liche Kritik am Aufstieg der christ­li­chen US-Funda­men­ta­listen und Reflexion der allge­meinen ameri­ka­ni­schen Krise. Dann aber, gegen Ende, kippt alles, und der Film traut sich etwas, was entweder ein mutiger Einfall ist, oder ein Riesen­schwach­sinn. Wahr­schein­lich beides. Wer sich aber am Beginn ganz wohl­ge­fühlt hat, dem wird am Ende dieses kleinen feinen cleveren B-Movies etwas anders gehen.