Der Lebensversicherer

Deutschland 2006 · 101 min. · FSK: ab 12
Regie: Bülent Akinci
Drehbuch:
Kamera: Henner Besuch
Darsteller: Jens Harzer, Marina Galic, Anna Maria Mühe, Christian Blümel, Hussi Kutlucan u.a.
Die Autobahnraststätte als letzte Zuflucht

Sehnsucht eines Handlungsreisenden

Auf der Autobahn des Lebens: Bülent Akincis Der Lebens­ver­si­cherer lädt die New Economy mytho­lo­gisch auf

Sehnsucht – das ist das Thema im deutschen Gegen­warts­kino. Die besten neuen deutschen Filme proben heute wieder den Ausbruch, aber nicht mit offen rebel­li­scher Pose, wie in den wilden Sech­zi­gern; inzwi­schen kann man damit auch nichts mehr ausrichten. Die neue Rebellion ist versteckt, poetisch. Ihre Helden aber sind die Gleichen: skurrile Käuze, Außen­seiter, Hoff­nungs­lose.

Wie Burkhard Wagner. Er führt das harte Leben eines Hand­lungs­rei­senden, eines Versi­che­rungs­ver­tre­ters. Er kann mit jedem reden, und sei es über das Wetter. Unver­se­hens kommt er dann aufs Alter, auf Unsi­cher­heiten und Gefahren des Lebens, schließ­lich auf die Lebens­ver­si­che­rung. Im Idealfall winkt ein Vertrags­ab­schluß. Dann geht die Reise weiter, immer unterwegs, tagaus tagein über endlos schei­nende deutsche Auto­bahnen, von Stadt zu Stadt. Den Menschen, die trifft, verkauft Wagner mit den Versi­che­rungen auch Träume – falls sie denn seinem routi­niert-vorge­stanzten Gequat­sche überhaupt zuhören. Es langweilt ihn selbst am meisten. »Man muß wissen, wofür man lebt, um zu wissen, wofür man sterben soll.« Das trifft ihn am meisten, denn er weiß es ganz und gar nicht, sein Leben ist ihm längst abhanden gekommen. In ihm selbst sind Not und Unsi­cher­heit am Größten. Für Wagner gibt es keinen Ort – nirgends. Darum muss er weiter­ziehen.

Wie eine moderne Variante des »Flie­genden Hollän­ders« kann Wagner (!) offen­kundig nicht mehr nach Hause zurück kehren, scheint er auf ewig gefangen auf den Straßen eines grauen Landes, ein Getrie­bener, Schlaf­wandler, eine Nacht­ge­stalt, die in Rast­stätten mit grellen Leucht­re­klamen einen kurzen unruhigen Schlaf schläft. Und der Zuschauer begleitet ihn auf seiner Reise zwischen gele­gent­li­chen Anrufen bei seiner Frau, die immer nur einen Anruf­be­ant­worter erreichen, und dem nächsten Vertrags­ab­schluß. Noch ein Abschluss, dann sei Schluss, versi­chert Wagner. Ein Junkie, kichernd, irrwitzig, getrieben. Irgend­wann trifft er Carolin (Marina Galic). Sie hat einen kleinen Sohn, und ihr Mann ist weg, und Wagner hört auf, bei seiner Frau anzurufen. Beide lieben fran­zö­si­sche Chansons und bald auch einander.

Ein Film wie ein Märchen der deutschen Romantik. Zwischen Einsam­keit und uner­füllter Sehnsucht wird die New Economy mytho­lo­gisch grundiert. Der Versi­che­rungs­ver­treter erscheint wie ein Nachfahre antiker Götter­boten und dunkle Auto­bahn­rast­stätten als letzte Zufluchts­orte der Mühse­ligen und Beladenen. Was ist Traum in dieser Traumwelt und was ist Wirk­lich­keit? Egal.

Dem Berliner Regisseur Bülent Akinci gelingt mit diesem, vom »Kleinen Fern­seh­spiel« des ZDF kopro­du­zierten Debütfilm ein besonders präzises, wahr­haf­tiges Schlag­licht auf die Gegenwart. Mit großem Stil­willen erzählt er eine starke Geschichte mit phan­tas­ti­schen Elementen – irgend­wann beginnt der Vertreter sogar zu singen!

Es ist nicht nur Jens Harzer, von dem jetzt alle schreiben, der diesen Film trägt. Keine Frage: Harzer, den man bisher nur in einer Neben­rolle als Teufels­aus­treiber in Hans Christin Schmids Requiem erleben konnte, ist toll. Eine Entde­ckung für das deutsche Kino, ein Darsteller, den man öfters auf der Leinwand sehen will. Aber die Leistung Akincis ist nicht weniger hoch zu schätzen.

Der Lebens­ver­si­cherer ist ein Gegen­ent­wurf zum unserem Alltag, er ähnelt den Filme von Kauris­mäki und Jarmusch in seiner skurrilen Poesie, und dabei von einem ganz eigenen Ton durch­drungen. Ebenso wie diese ist er nicht um Natu­ra­lismus bemüht, eine Heraus­for­de­rung unserer Alltags­sinne, Kunst im ursprüng­li­chen Sinn – dabei kümmert sich der Regisseur sehr wohl um die Zuschauer. Verg­nüg­lich, mit einer stillen Ironie erzählt Akinci eine Erlösungs- und Sehn­suchts­ge­schichte. Dabei behält Der Lebens­ver­si­cherer immer das beste, was ein Film haben kann: Ein Geheimnis.