La Palma

Deutschland 2019 · 88 min. · FSK: ab 0
Regie: Erec Brehmer
Drehbuch: ,
Kamera: Julian Krubasik
Darsteller: Marleen Lohse, Daniel Sträßer, Angelika Bender, Albert Meisl, Michael Tregor u.a.
Intensive, klarsichtige und schonungslose Beobachtungen
(Foto: Dreifilm)

Was willst du mehr?

»Poli­teness and diplomacy are respon­sible for more suffering and death than all the crimes of passion in history. Fuck poli­teness. Fuck diplomacy. Tell the truth.«
― Brad Blanton, Radical Honesty: How to Transform Your Life by Telling the Truth

Wie hervor­ra­gend sich fremde Orte eignen, um eine paar­the­ra­peu­ti­sche Katharsis zu triggern, ließ sich erst letztes Jahr auf dem Münchner Filmfest in Florian Gott­schicks eindring­li­chem Relaunch des alten Alexis Sorbas-Themas, »Rest in Greece«, ansehen, in dem ein junger Schrift­steller und seine Freundin nicht nur zu kreativer, sondern auch sexueller Selbst­er­mäch­ti­gung finden.

Ein wenig ähnlich – den Schrift­steller mal ausge­nommen – ergeht es auch Markus (Daniel Sträßer) und Sanne (Marleen Lohse) in Erec Brehmers Abschluss­film an der HFF München. Auch hier ist es die vermeint­lich spie­le­ri­sche, medi­ter­rane Leich­tig­keit, die ein fest­ge­fah­renes Bezie­hungs­kon­zept ins Wanken bringt. Aller­dings tragen Sanne und Markus durchaus auch ihren eigenen Anteil daran. Denn ihre Urlaubs­reise beginnt bereits unter ungüns­tigen Vorzei­chen – nicht nur hat das Paar in seinem dritten Bezie­hungs­jahr bereits deutlich an Zuver­sicht verloren, sondern hat Markus auch noch den falschen Flug gebucht. Statt nach Las Palmas, wo Sanne das Hotel reser­viert hat, geht der Flug nach La Palma. Zwar rettet sich Markus über die gewagte »Besetzung« eines leer­ste­henden Feri­en­hauses aus der größten Not, spürt aber intuitiv, dass das nicht reicht, und beginnt ein Rollen­spiel mit Sanne zu insze­nieren. Er wird zu Pablo, einem masku­linen Spanier, in den Sanne sich neu verlieben soll. Und Sanne schlüpft nach einigem Zögern in die Rolle der Alba, einer verfüh­re­ri­schen Spanierin, um ihm dementspre­chend begegnen zu können.

Über diese Meta­mor­phose versucht das Paar nicht nur sein offen­sicht­lich nicht ganz befrie­di­gendes Sexu­al­leben neu zu defi­nieren, sondern auch den Umgang mit neuen Menschen neu zu lernen, vor allem aber die alten, verkrus­teten Bezie­hungs­struk­turen und Erwar­tungs­hal­tungen zu dekon­stru­ieren und über neue Persön­lich­keiten die alten Probleme abzu­werfen – und damit so etwas wie eine neue Bezie­hungs­wahr­heit zu schaffen.

Da beide jedoch nicht wirklich Spanisch sprechen können, beginnt die thera­peu­ti­sche Kraft, die ein neuer Sprach- und Kultur­raum durchaus haben kann, sich schon bald in Unsi­cher­heit aufzu­lösen, stehen Sanne und Markus bald schon wieder vor den Dämonen ihrer eigenen Vergan­gen­heit.

Brehmer gelingen besonders in diesen Erkenntnis- und Konfron­ta­ti­ons­mo­menten intensive, klar­sich­tige und scho­nungs­lose Beob­ach­tungen, die durch die starken schau­spie­le­ri­schen Leis­tungen von Marleen Lohse und Daniel Sträßer noch einmal forciert werden. Manchmal hat es aller­dings den Anschein, als ob Brehmer seinem Publikum und sich selbst die Scho­nungs­lo­sig­keit nicht so recht zutraut und nicht allzu viel Bezie­hungs­schmerz- und kampf in den Raum stellen will, gibt es immer wieder Momente, in denen er sein eindring­li­ches Drama mit deutscher Komö­dien­leich­tig­keit unter­füt­tert. Das wirkt zwar ausge­wogen und durchaus über­zeu­gend, nimmt dem Film aber auch ein wenig von seiner analy­ti­schen Schärfe, die zumindest subkutan bis zum Ende durch­schim­mert.

Und in der Brehmer über seine Prot­ago­nisten dann auch die richtigen Fragen stellen lässt. Denn das »Was willst du mehr?« begleitet schließ­lich jede moderne Beziehung bis zu ihrem natür­li­chen, immer wieder früh­zei­tigen und viel­leicht sogar abrupten Ende. Die Antwort darauf, so weiß es auch Brehmer, ist jedoch alles andere als eindeutig. Zumindest eins kann gesagt werden: dass das Leben und jede Beziehung erst mal ein wenig Leben und »radical honesty« braucht, um dann auch verstanden und gelebt zu werden.