The Insider

USA 1999 · 160 min. · FSK: ab 6
Regie: Michael Mann
Drehbuch: ,
Kamera: Dante Spinotti
Darsteller: Al Pacino, Russell Crowe, Christopher Plummer u.a.

Marcuse trifft New York Times

Zu Beginn eine Droh­ku­lisse: In schneller Abwechs­lung sieht man das Außen einer arabi­schen Land­schaft und ihrer Wohn­viertel, die ein Auto durch­kreuzt und die Sicht einer der Insassen – ein Leinen­tuch ganz nah, das seine Augen verbindet.

Dieser Auftakt ist eine totale und – wie sich heraus­stellt – doppelte Verwir­rung des Zuschauers: Indem man sich in die Lage eines Entfüh­rungs­op­fers versetzt glaubt, einfach nur Bruch­s­tücke der Wirk­lich­keit sehen kann, wird man so vom Regisseur schon im ersten Bild, das die zeit­wei­lige Blindheit eines Sehenden zeigt, darauf hinge­wiesen, dass Sicht­weisen immer einge­schränkt, Perspek­tiven kaum je objektiv sind. Aber auch, wenn sich nach wenigen Minuten heraus­ge­stellt hat, um was es sich hier tatsäch­lich handelt – das geheime Sondie­rungs­treffen des Top-Jour­na­listen Lowell Bergman (Al Pacino) mit einem Isla­mis­ten­führer für eine TV-Sendung – befindet man sich auf einer völlig falschen Fährte. Denn nicht um Terro­rismus in fernen Ländern geht es in Michael Manns The Insider, sondern um Verbre­chen vor der eigenen Haustür, tief im Herzen des ameri­ka­ni­schen Frei­heits­traumes.

Abrupter Schnitt: Irgendwo in den USA, normale Büroräume, in ihnen ein ange­spannt wirkender Mann, genervt, mißtrau­isch, voller Geheimnis. Die Kamera beob­achtet seinen Abschieds­blick auf die Kollegen und verfolgt ihn mit seiner voll­be­packten Akten­ta­sche bis er das Gebäude verläßt. Für alles könnte man ihn halten, und erst recht nach dem Auftakt denkt man zuerst an Schlechtes: ein Indus­trie­spion viel­leicht, gar ein Atten­täter? Zuhause mixt er sich erst einmal einen Drink (Wer tagsüber Whiskey trinkt, muß ein schlechter Mensch sein, oder?) Weiterhin schwitzt er stark und ist offen­sicht­lich nervös. Er hat Familie, zwei Töchter, um die er sich liebevoll kümmert. Und doch sind auch die kleinen Risse in dieser wohl­ge­ord­neten Idylle spürbar: die Krankheit der Tochter, eine gewisse Entfrem­dung zwischen dem Ehepaar, und das, was Dr. Jeffrey Wigand (Russel Crowe) offen­sicht­lich belastet.

Glück­liche Familie – unglück­liche Familie: Deutlich – bald erleben wir auch Pacino im Kreis seiner Familie – paral­le­li­siert der Regisseur diese beiden Männer, konfron­tiert Ähnlich­keiten und unter­schied­liche Welten. Haben wir es hier also mit dem Duell zweier Männer zu tun? Im Nach­hinein entpuppen sich die jeweils ersten Auftritte der beiden Haupt­fi­guren als geschickte Schach­züge des Regis­seurs. Sie dienen zum einen dazu, diese auf den ersten Blick sehr unglei­chen Männer zu charak­te­ri­sieren, eine Gemein­sam­keiten und Unter­schiede zu betonen. Zugleich wird die Spannung erhöht, weil fast alles offen bleibt.

In seiner ersten, inhalt­lich dichten und stilis­tisch genialen Stunde erzählt der Film von der zögernden, allmäh­li­chen Annährung zwischen diesen beiden unglei­chen Männern. Die Kamera sucht Details, aufdring­lich nahe Ausschnitte der Gesichter, Gegen­s­tände die etwas bedeuten. Dann: Telefone klingeln, es wird aufgelegt, Faxe gehen hin und her.
Mit Ruhe, Neugier, genauer Beob­ach­tungs­gabe und Sensi­bi­lität zeigt Mann, wie hier um den heißen Brei herum­ge­redet wird. Wie einer »Nein« sagt, aber ganz deutlich »Ja« meint. Lange bleiben die Zuschauer darüber im Unge­wissen, um was es eigent­lich geht. Dann wird klar: Der Wissen­schaftler ist ein poten­ti­eller Kronzeuge gegen die Machen­schaften der Tabak­in­dus­trie, der Jour­na­list will ihn zum Reden bringen und zugleich schützen. Doch Dr.Wigand gerät zuneh­mends tiefer hinein in die Zwick­mühle der Loya­litäten gegenüber seiner alten Firma, den Bedürf­nissen der Öffent­lich­keit und den Inter­essen seiner Familie. Seine Ideale sind durch­schnitt­lich: »Coming home. Feeling good at the end of the day.« Aber er entscheidet sich zwischen good guy und bad guy moralisch, und wenn man ihn mit Poli­zei­ko­lonne, am Solda­ten­friedhof vorbei­fahren sieht, wird’s zum ersten Mal a bisserl arg pathe­tisch. Auch sie sind gestorben, haben sich geopfert, mußten noch mit viel mehr bezahlen als Du – für unser Land. Nein trotz allem etwas too much.
Trotzdem gelingt die Moral nicht zum Nulltarif – »ordinary people under extra­or­di­nary pressure« sagt Bergman einmal –, und so muss Wigand die bitteren Folgen tragen: Haus, Geld und Familie gehen verloren, am Ende scheint selbst seine Inte­grität zerstört.

Der Film zeigt immer wieder Wigands Verlas­sen­heit. Die zu eng sitzende Kravatte, das Schwitzen, der verdruckste Gesichts­aus­druck – das sind Bilder für den Druck, dem er ausge­setzt ist. Irgend­wann, als seine über­for­derte Frau schon einen Quasi-Nerven­zu­sam­men­bruch erlitt, korrupte FBI-Agenten seinen Computer entführt haben und alltäg­liche Verschwö­rung wie berech­tigte Paranoia überhand nehmen, sieht man ihn wie auf einem Bild von Edward Hopper vor seinem Haus sitzen: verzwei­felt, gefangen im eigenen Leben.

»I dont like permanent accu­sa­tion. Think: I am a jour­na­list.« – Vertrauen, Mißtrauen zwischen beiden Männern wechseln sich ab. Bergman erzählt von sich: seinem Studium bei Herbert Marcuse, den Kämpfen der New Left nach 68, dem gestörten Vater-Verhältnis, seinem Vers­tändnis von Jour­na­lismus: Er eröffnet Wigand die Öffent­lich­keit, danach wird alles anders werden. Keine Gnade für den »cheap scep­ti­cism« der Medi­en­ver­ächter. The Insider zeigt, warum die Macht der Medien nötig ist.

Er zeigt aber ebenso, wo die Grenze liegt: »Is this Alice in Wonder­land?« – auch auf den Jour­na­listen wird Druck ausgeübt, die Ökonomie scheint wieder einmal alles zu diktieren, und Bergman ist gezwungen nicht weniger als sein Kronzeuge allein gegen alle anzu­treten und viel zu riskieren. So entpuppt sich The Insider als eine Geschichte, die in geradezu archai­scher Klassik von Recht und Gerech­tig­keit handelt, vom hohen Preis den es kostet, moralisch zu handeln, und davon, was trotzdem dafür spricht, diesen Preis zu zahlen. Mal Psychostudie, mal Horror­film, ist The Insider, der auf wahre Gescheh­nisse in den 90er Jahren zurück­geht vor allem ein Medien­thriller.
Erstaun­liche, sehr realis­ti­sche Einblicke in die US-Medien­land­schaft bekommt man geboten, in dieser Hinsicht ist der für sieben Oscars nomi­nierte Film eben­bürtig mit den Klas­si­kern des Genres: All The President´s Men und Network. Doch das Hohelied auf den »inves­ti­ga­tive jour­na­lism« ist gebrochen, denn gegen die allge­meine Korrup­tion von Politik, Wirt­schaft und Medien, gegen die Diktatur des Info­tain­ment, die noch mit der klas­siscen Lügen­phrase des Libe­ra­lismus – »It’s a free country« – entschul­digt und vertei­digt wird, kann Bergman nur siegen, indem er den Markt gegen sich selber nutzt, die Macht der Medien gegen­ein­ander ausspielt.

Am Ende steht zweierlei: das Pathos, mit dem Wigand jetzt Lehrer ist, und über sein zerstörtes erstes Leben hinwegkam: er bildet die Jugend, ist ein toller Held, dem alle wißbe­gierig zugucken. Und Al Pacinos Schritt aus der Drehtür, western­mäßig in der Menge verschwin­dend.

Zumindest das sieht man gern. Daneben ist The Insider aber eben auch eine ernst­ge­meinte, ernst­zu­neh­mende Geschichte über Inte­grität: »What got broken here, doesn’t go back together again.« Humpty Dumpty ist unten ange­kommen, und aller Trost und das wetter­ge­gerbte Gesicht des lonesome Cowboy Al Pacino, dessen Pathos alle ärgern wird, denen er schon in Any Given Sunday auf die Nerven ging, mag nicht so recht über die verlorene Unschuld der Medien hinweg­täu­schen. In diesem Sinn hat auch The Insider ein angenehm offenes Ende.