Emma & Marie

Je te mangerais

Frankreich 2009 · 96 min. · FSK: -
Regie: Sophie Laloy
Drehbuch: ,
Kamera: Marc Tevanian
Darsteller: Judith Davis, Isild Le Besco, Johan Libéreau, Edith Scob u.a.
Innige Feindschaft

27. Filmfest München 2009

Sie küssten und sie schlugen sich

Anders, als es der Titel erwarten lässt, scheint es in Sophie Laloys' Drama Emma & Marie zunächst wenig zu geben, was die beiden jungen Frauen gemeinsam haben: Auf der einen Seite ist da Marie (Judith Davis) vom Land, mit ihren bunten, tief ausge­schnit­tenen T-Shirts und dem lustig wippenden Pfer­de­schwanz; auf der anderen haben wir die kühle Emma (Isild Le Besco), die allein in Lyon wohnt und Marken­klei­dung trägt. Früher waren sie mal befreundet, bis die eine die andere irgend­wann nicht mehr angerufen hat. Als Marie ein Klavier­stu­dium am Konser­va­to­rium in Lyon beginnt und nach einem Zimmer sucht, in dem sie ungestört üben kann, kommt es gelegen, dass Emma eine so große Wohnung besitzt. Samt sperrigem Instru­ment zieht Marie bei Emma ein.
Nun gibt es immer Gründe, warum Freund­schaften irgend­wann enden. Und je länger die beiden Frauen zusam­men­wohnen, umso deut­li­cher wird, dass es wohl auch diesmal nicht lange gut gehen wird. Ganz leise und unmerk­lich kommt das (selbst)zerstö­re­ri­sche Potential zum Vorschein, das sowohl in den Mädchen als auch im fran­zö­si­schen Origi­nal­titel steckt: Je te mangerais – Ich werde dich verschlingen. Wer hier wen frisst, scheint anfangs leicht zu beant­worten, denn Emma entscheidet genauso über den Platz für das Klavier in der Wohnung wie sie die Regel aufstellt, dass es doch einfacher für beide sei, wenn sie keinen Männer­be­such empfingen. Marie, die auf das Zimmer ange­wiesen ist, akzep­tiert. Allmäh­lich dringt Emma in alle Lebens­be­reiche ihrer Mitbe­woh­nerin vor, in ihre Familie, in ihren täglichen Wett­be­werb im Konser­va­to­rium, in ihr Liebes­leben. Marie zieht aus – vorerst, denn so leicht gibt sie sich nicht geschlagen, und ihr Klavier­spiel nicht auf.

Man könnte einen Film voll Misogynie und böser Abrech­nung mit dem weib­li­chen Geschlecht erwarten, der die »wahren« Seiten der Frauen zeigen will, um sie am Ende dann doch ihrer eigenen Lächer­lich­keit preis­zu­geben. Emma und Marie behalten jedoch auch dann noch ihre Würde, wenn sie längst am Boden liegen. Laloys verliert nie den Respekt vor ihren Figuren, sie werden nicht karikiert und nicht vorge­führt – und zwar deshalb, weil die Regis­seurin noch nicht einmal im Ansatz versucht, die Distanz zu wahren. Sie erzählt die Geschichte von innen, nicht mit dem Blick von außen. Und obwohl ihre Prot­ago­nis­tinnen mani­pu­lieren, sticheln, berechnen, sich gegen­seitig und sich selbst wider­spre­chen – die extremen Nahauf­nahmen von Emmas Gesicht, die bewusst gesetzten Point-of-View-Shots auf Maries Körper schaffen eine Vertraut­heit und ein stilles Einver­s­tändnis der Figuren, das sich auf den faszi­nierten Zuschauer überträgt und dem er sich nicht entziehen kann.

Laloys lässt die Grenze zwischen den Stereo­typen des guten und des bösen Mädchens, zwischen Lachen und Weinen, Dominanz und Hilf­lo­sig­keit, Liebes­spiel und Kampf verschwimmen. Die Frauen kämpfen auf Augenhöhe, und vor allem kämpfen sie weiblich, mit Blicken, Gesten und Sprache. Ihre Gesichter sprechen Bände, erzählen von Neid und kochender Wut; von Gefühlen, die nicht direkt ausge­spro­chen werden dürfen, sonst ist man ausge­schieden aus dem Spiel, das sich doch bis zum Ende Freund­schaft nennt. Die span­nungs­ge­la­dene, sich ins Tragische stei­gernde Atmo­s­phäre wird von den Themen der klas­si­scher Musik getragen, Bach, Schuhmann und Ravel, die Marie für das Studium übt, an denen sie verzwei­felt und die sie am Ende doch beherrscht. Und die zum Glück das ewige fran­zö­si­sche Chanson ersetzen. Wohl­be­merkt spielt der Film in Lyon, und nicht in Paris. Ganz ohne Konven­tionen kommt er letzt­end­lich dann aber doch nicht aus: Die Mädchen erfüllen leider einige männliche Wunsch­vor­stel­lungen von fran­zö­si­schen Frauen, wenn die üppige, kindliche Brünette mit ihren Haaren spielt und die strenge Blondine kühl die Lippen schürzt. Obwohl sich Laloys doch so sehr bemüht, einen weib­li­chen Blick auf die Frauen zu zeigen. Das schafft sie ansonsten auch, indem sie alle Facetten einer Beziehung zwischen zwei jungen Frauen zeigt. Wenn der Eindruck entsteht, man sei mit dabei, wenn sie sich lieben und hassen, sich verachten und sich dennoch gegen­seitig brauchen. Denn letzten Endes gibt es doch das Paar »Emma & Marie« – ein Gegen­ein­ander, das ohne das Mitein­ander nicht auskommt.

Auf dem Filmfest: Fr., 03.07., CinemaxX 3, 17:30 Uhr und Sa., 04.07., CinemaxX 3, 22:30 Uhr

Vom Schweigen und vom Sprechen

Ein Psycho­thriller über Liebe und sexuelles Erwachsen, durch­löchert die nur scheinbar fest­ge­fügte Grenze zwischen Auto­ren­kino und Genre

Harmo­ni­sche Musik erklingt aus dem Off, man sieht Bilder eines Aufbruchs, eine Familie fährt im Auto von Zuhause weg. Während die Filmtitel noch über die Leinwand laufen, zeigen die ersten Bilder das Auto in der Fahrt: Aus der Distanz, von oben, von der Seite. Man glaubt diese Bilder ganz vage wieder­zu­er­kennen, und viel­leicht ist es ein subtil gesetztes Zeichen der Regis­seurin Sophie Laloy, viel­leicht auch nur zufällige Koin­zi­denz, dass diese aller­ersten Einstel­lungen jenen ähneln, mit denen Michael Haneke seine Funny Games beginnen lässt. Auch die Musik, die einen hellen, harmo­ni­schen Grund­klang mit leichten Dishar­mo­nien mischt, betont eher das Vage der Situation, baut subtil Atmo­s­phären der Unsi­cher­heit, ja: Bedrohung auf.

Noch ist dies versteckt in der Freude der Wieder­be­geg­nung der beiden Kind­heits­freun­dinnen Emma und Marie, die sich hier erstmals nach Jahren sehen. Doch die Blicke sprechen bereits eine andere Sprache: Verwun­de­rung ist bemerkbar, genaue Beob­ach­tung, Reserve. Noch weiß Marie vermut­lich selber nicht, wie ihr genau geschieht: Zu über­wäl­ti­gend ist die Macht des Neuen. In Lyon wird sie am Konser­va­to­rium eine Ausbil­dung zur Pianistin beginnen, darum ist sie bei Emma einge­zogen. »Ich werde im Zimmer meiner Eltern schlafen.« sagt diese zu Beginn, offenbar ist mit deren schneller Rückkehr nicht zu rechnen. Marie wird in Emmas alten Raum ziehen. Etwas später erfahren wir, dass Emmas Vater tot ist, die Mutter in den USA lebt.

So weit der äußere Rahmen. Nach wenigen Minuten schon ist die Meis­ter­schaft dieses Films offen­sicht­lich: Bewun­derns­wert, wie Laloy ein span­nungs­rei­ches Bezie­hungs­netz entfaltet, bestimmt von wech­sel­sei­tiger Irri­ta­tion, versteckten Vorwürfen, Miss­trauen, und heim­li­chem, unge­lenktem Begehren. Die Beziehung der beiden jungen Frauen ist nicht aufrichtig. Schon früh steht viel Unaus­ge­spro­chenes im Raum: Eine Vergan­gen­heit, die offenbar Narben auf der Seele hinter­ließ – Emma habe sich sehr verändert, bemerkt Marie. »Ich war früher sehr schüch­tern« sagt Emma, und dann der Vorwurf, dass die Freundin irgend­wann nicht mehr angerufen habe... Irgend­etwas scheint vorge­fallen. Immer rätsel­hafter wird das Verhältnis der beiden – intensiv und großartig gespielt von Judith Davies und Isild Le Besco – und mündet in einen Zweikampf der Gefühle. Die Musik ist jeweils als drama­tur­gi­sches Zeichen einge­setzt: Ob Ravels Pavane a un enfante défunte oder Schuh­manns Carneval, Mussorgskis Bilder einer Ausstel­lung – immer wieder geht es um Paral­lell­welten des Phan­tas­ti­schen, um das geheime Geis­ter­reich der Gefühle.

Die beiden sind denkbar unter­schied­lich: Marie entspricht eher dem Klischees eines jungen Provinz­mäd­chens: Neugierig, offen, aber auch brav und lang­weilig. Emma gibt dem Betrachter mehr Rätsel auf: Irgendwie spröde und streng, altklug und viel stärker, als die Freundin. Eine femme fatale, auf ihre Art. Das entspricht durchaus dem schon früh ange­deu­teten Horror-Genre, in dem ein unschul­diges Wesen das Stahlbad der Todes­ge­fahr über­stehen muss, um stark zu werden, oder mindes­tens erwachsen.

Aber in der Dynamik, die der Film entfaltet, verändern sich die Figuren bald, wechseln ihre Rollen. Und so wie im film noir die Dunkel­haa­rige meist die femme fatale und Stärkere, die der Nacht Verfal­lene ist, die Blonde dagegen das Unschul­dige, Engel­hafte, Reine verkör­pert, so bekommt auch hier plötzlich Marie die Oberhand, erscheint Emma, als die Verletz­liche, Sensible. Und dann wieder doch nicht. Und doch wieder... Keine der beiden Seiten scheint hier klar unter­legen, hin und her reißt der Film die Sympa­thien der Zuschauer.

Je te mangerais heißt der Film im Original – der deutsche Titel Emma & Marie ist zu brav, um diesem Psycho­thriller ganz gerecht zu werden. Sophie Laloys glän­zendes Kinodebüt handelt von sexuellem Erwachsen und Begehren. Nahe der Ästhetik des Horror­kinos durch­löchert dieser Film die nur scheinbar fest­ge­fügte Grenze zwischen Auto­ren­kino und Genre. Ein eindrucks­volles Debüt, ein noir melo mit Anleihen an Cocteau und Tourneur, mit dem sich Laloy als neue, eigen­s­tän­dige Stimme im fran­zö­si­schen Kino zu erkennen gibt, und zugleich die große Tradition des fran­zö­si­schen Auto­ren­films fortsetzt.

Eine ganz radikale Sicht auf den Film würde hervor­heben, dass Emma fast nur als Nach­ge­stalt existiert, dass sie nur abends auftaucht, dunkle Kleider trägt... Dass sie also fast ein Phantom ist, viel­leicht zu großen Teilen nur in Maries Einbil­dung existiert. Emma & Marie ließe sich ganz und gar aus Maries Sicht beschreiben: Als Geschichte eines netten, aber etwas unbe­darften Provinz­girls, das ihre sexuelle Identität erst noch finden muss, das zwischen den Gefühlen für die Jungs im Konser­va­to­rium, und zur besten Freundin nicht recht gewichten kann, dass diese Freundin so ungemein bewundert, dass sie eins werden will mit ihr, die Erwach­sen­sein und stil­volles Leben, Selbst­stän­dig­keit und große Welt verkör­pert, den Abschied von den Eltern, den sie selbst noch nicht vollzogen hat. Auch als emotio­nale Biogra­phie einer Künst­lerin, die unter Lampen­fieber leidet, und sich mit der geheim­nis­vollen Pianistin Brigitte Engerer iden­ti­fi­ziert.

Umgekehrt, aus Emmas Sicht geht es auch um Aneignung und Verschmel­zung: Sie trägt schwer an einer unbe­wäl­tigten Vergan­gen­heit, versteckt ihre Verletz­lich­keit hinter spröden, kühlen Gesten – bevor sie sich in hyste­ri­schen Ausbrüchen entlädt. Marie hat für Emma die unbe­las­tete Norma­lität und fest­ge­fügte Identität, nach der sie sich sehnt. Sie findet ihren Halt nur im Schein: In Lügen und der Mode. Nur so erhält sie die Aufmerk­sam­keit, die sich offenbar so dringend benötigt.

Ist dies nun eine Liebes­ge­schichte? Viel­leicht. Jeden­falls aber keine einfache Coming-Out-Geschichte, oder eine unglück­liche lesbische Love-Story. Bestimmt aber sind Emma und Marie einander auch in einer ganz eigenen Form von Liebe verbunden. Das zeigt sich gerade am Ende des Films: Da löst sich in einer finalen Erschüt­te­rung die Härte in Maries Blick, und in den letzten Minuten des Films kulmi­niert alles, was die Regis­seurin Sophie Laloy zuvor über 90 Minuten aufgebaut hat.