Broker

Beurokeo

Südkorea 2022 · 129 min. · FSK: ab 12
Regie: Hirokazu Kore-eda
Drehbuch:
Kamera: Hong Kyung-pyo
Darsteller: Song Kang-ho, Gang Dong-won, Lee Ji-eun, Doona Bae, Lee Joo-young u.a.
Die Bande und das Baby
(Foto: Plaion Pictures/Central)

Sensible Gauner

Hirokazu Kore-eda fragt in Broker erneut, was das Konzept Familie in einer erstarrten Klassengesellschaft noch bewirken kann

Eine junge Frau steigt aus dem Abgrund empor. So-young (Lee Ji-eun) ist in der Nacht aufge­bro­chen, um sich von ihrem Kind zu trennen. Oben auf dem Berg, am Ende der steilen Treppe leuchtet das Kreuz der Kirche. Vor der dort zu findenden Baby­klappe macht die Frau Halt und der Aufstieg ist in dieser Szene im doppelten Sinne zu verstehen: Am Beginn von Broker steht der Abschied von einer eigenen Familie, um überhaupt noch Aussichten auf ein besseres Leben in der Gesell­schaft erhaschen zu können, insbe­son­dere für das Kleinkind.

Hirokazu Kore-eda insze­niert damit einen hervor­ra­genden Auftakt für seinen neuen Film, dem eine kunst­volle, atmo­s­phä­risch dichte Posi­tio­nie­rung von Figuren im Raum voraus­geht. Regen­wasser rinnt schim­mernd die Stufen hinab. Da ist ein Wider­stand, den die junge Prot­ago­nistin über­winden muss. Und mehr noch: Ihre folgen­schwere Tat, das Aussetzen des Babys, bleibt nicht unbe­ob­achtet. »Bekomm kein Kind, wenn du es dann verlässt!«, murmelt die Ermitt­lerin Soo-jin (Doona Bae) abschätzig, während sie das Ereignis mit ihrer Kollegin (Lee Joo-young) aus der Ferne beob­achtet.

Mit den beiden instal­liert Broker eine inter­es­sante Zuschau­er­po­si­tion innerhalb seiner Welt, die sich immer wieder kommen­tie­rend zu ihr und den eigenen Vorur­teilen verhalten muss. Denn natürlich läuft das Geschehen an der Baby­klappe nicht wie gedacht, viel mehr ist da am Gange. Zwei Krimi­nelle (Gang Dong-won und Song Kang-ho aus dem Oscar-prämierten Parasite) stehlen das Kind, um es zu verkaufen und das dringend benötigte Geld zu kassieren. Doch die junge Mutter kehrt später zurück, ihre Wege kreuzen sich. Fortan begibt sich das Trio gemeinsam auf die beschwer­liche Suche nach neuen Eltern für das Baby.

Das Gegen­s­tück zu Shoplif­ters

Der Japaner Kore-eda hat mit Broker nun also seinen ersten südko­rea­ni­schen Film insze­niert, wenige Jahre nach seinem Ausflug nach Frank­reich mit Die Wahrheit, einem eher schnell verges­senen Mutter-Tochter-Drama mit Catherine Deneuve und Juliette Binoche. Kore-edas Filme haben diverse Preise gewonnen, darunter die Goldene Palme in Cannes für Shoplif­ters. Broker soll nun ein Zwilling zu diesem Film sein, wie der Regisseur 2022 in einem Interview mit dem »Hollywood Reporter« geäußert hatte.

Beide Filme führen von krimi­nellen Akten zu Güte und Nächs­ten­liebe. Beide durch­streifen Milieus von Abge­hängten, um Vorstel­lungen eines (a)mora­li­schen Handelns neu zu setzen und nach Momenten des Fürsorg­li­chen zu suchen. Nur, dass Broker seine Räume dabei noch stärker erweitert. Er geht nach draußen, bewegt sich durch Land­schaften, um an immer neuen Orten zu sich und seinen viel­schich­tigen Figuren zu finden.

Was Kore-eda dabei weiterhin meis­ter­haft beherrscht, ist sein Stil der unauf­dring­li­chen Intimität. Seine Bilder und Einstel­lungen suchen die meiste Zeit die Nähe zu ihren mensch­li­chen Figuren und bewahren dabei doch eine analy­ti­sche Distanz. Sie geben sich dem Melo­dra­ma­ti­schen hin, entfalten ihre Wirkung zu Gitarren- und Piano­klängen und wollen vom Schwüls­tigen doch nichts wissen. Kore-eda braucht nicht viel, um Balancen und Schau­werte zu finden. Wenige Menschen in profanen Zimmern oder der Enge eines Autos genügen ihm, um diffe­ren­ziert vom mensch­li­chen Dasein zu erzählen. Und doch stößt der analy­ti­sche Blick in Broker an gewisse Grenzen.

Familie, was ist das?

Kore-edas Fami­li­en­dramen sind insofern subversiv, als sie dem Mythos der heiligen Kern­fa­milie Steine in den Weg legen oder ihn bewusst umkrem­peln – so auch sein neues Werk. Familie ist bei ihm etwas, das über Blut und Verwandt­schaft hinaus­reicht und in aben­teu­er­li­chen Situa­tionen entstehen kann. Syste­mi­sche Struk­turen werden dabei deutlich, in denen man sich gemeinsam bewegt. Dafür wählt schließ­lich auch Broker seine Gegenü­ber­stel­lung von privaten, abge­schirmten Konflikten, verbor­genen Geschäften und öffent­li­chen Insti­tu­tionen, die an der Wieder­her­stel­lung der Ordnung arbeiten. In einem Lauf gegen die Zeit kreuzen sich die Wege dieser Ebenen in Broker fort­wäh­rend.

Kore-eda verbindet damit indi­vi­du­elle Psycho­logie, aufok­troy­ierte Norm und soziale Klasse. Nur wählt er solche Über­lap­pungen mehr als ambi­tio­nierten Rahmen denn als Gegen­stand, den es näher auf der Leinwand zu verhan­deln gelten würde. Statt­dessen öffnet er schlicht eine biogra­phi­sche Schublade nach der anderen, lässt sein Ensemble erstaun­lich humorvoll umher­schweifen, lotet zarte Bande zwischen den liebes­be­dürf­tigen Charak­teren aus. Aber wird dieses ständige Verschieben und Neujus­tieren der Fami­li­en­kon­stel­la­tion ihrer sozialen Wirk­lich­keit und all den zerrüt­teten Lebens­läufen überhaupt gerecht?

Ist Family Enter­tain­ment wie Broker für die Welt, in der er spielt, nicht viel zu betulich und anbie­dernd, wenn es seinen Fokus so stark auf das univer­sell Gefühlige richtet? Man gelangt mit dieser Frage schnell zu einer Grund­satz­dis­kus­sion. Gewiss, Kore-eda mag mit seiner Form des psycho­lo­gi­schen Erzählens eine gewisse Virtuo­sität erlangt haben. Zugleich sind in Broker mehrere Filme auf einmal im Umfeld und in der Vergan­gen­heit seiner Prot­ago­nisten latent angelegt. Alle muten sie dring­li­cher und kontro­verser an als das, was er letztlich in seinem zweis­tün­digen Mäandern und thema­ti­schen Umkreisen vorführt.

Andäch­tiges im Riesenrad

Findet sich die Wahl­fa­milie oder findet sie sich nicht? Wer stößt hinzu, wer fällt heraus? Das sind Fragen, die für die Konstruk­tion des Plots inter­es­sieren. Es sind aller­dings in diesem Fall keine, die ein anre­gendes Kino­er­lebnis bescheren, welches sonder­lich mehr als bitter­süße, aber allzu leicht verdau­liche Rührung kreieren würde. Umso stärker liegt die Last auf den wirklich heraus­ra­genden Einzel­mo­menten. In einer zentralen Szene setzt Kore-eda seine Figuren in ein Riesenrad. Es ist die womöglich schönste des Films, weil hier eigent­lich alles auf den Punkt gebracht wird, wofür Broker ansonsten reichlich redundant die Zeit verschlingt.

Seine unkon­ven­tio­nelle Familie ist da wiederum in kleinere Grup­pie­rungen zerlegt, verteilt auf die Gondeln des Fahr­ge­schäfts. Langsam bewegen sie sich in die Höhe: Welt­flucht, Ruhe, ein Zwischen­raum. Eine Gele­gen­heit, einander Zuneigung zu schenken, Sorgen, Utopien auszu­spre­chen, während der zwie­lich­tige Himmel im Hinter­grund Unge­wisses bebildert. Solch melan­cho­li­sche Eindrücke gelingen Kore-eda mit Bravour. Figuren verharren im Transit und ahnen, dass Stärkeres sie über­rum­peln wird. Einmal geht es hoch hinaus, dann wieder hinab, zurück zum Ausgangs­punkt. Sowohl die Figuren in Shoplif­ters als auch in Broker bekommen diese zyklische Bewegung wehmuts­voll zu spüren.