Marvel's The Avengers

The Avengers

USA 2012 · 143 min. · FSK: ab 12
Regie: Joss Whedon
Drehbuch:
Kamera: Seamus McGarvey
Darsteller: Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Robert Downey jr., Jeremy Renner u.a.
Superhelden-Rettungsschirm

Superhelden-Pluralismus

Da kommt auch ein Heiner Geißler zu spät. Stuttgart muss in die Knie gehen – tatsäch­lich: Die schwä­bi­sche Landes­haupt­stadt kommt vor in einem ameri­ka­ni­schen Block­buster! Und es hat weder mit Pfarr­häu­sern und Terro­risten, noch mit »Stuttgart 21«-Wutbür­gern zu tun. Aber als der Erzbö­se­wicht des Films, der nordische Gott Loki relativ am Anfang seinen Feinden und uns Kino­zu­schauern einmal zeigen will, was eine Harke ist, sucht er sich nicht etwa eine der Haupt­städte alter oder neue Imperien aus, irgend­etwas zwischen Rom, London, Istanbul und Moskau, sondern Stuttgart. »Ihr wurdet geschaffen, um beherrscht zu werden!« brüllt er, und da hilft dann keine Menschen­kette und keine Schlich­tung mehr. Alle knien. Nur einer bleibt stehen: Ein Über­le­bender des Nazi-Völker­mords.

Einiges andere kommt uns auch noch sehr sehr bekannt vor: Der sardo­nisch grinsende »Iron-Man«, der spinat­grüne »Hulk«, der ein bisschen einfäl­tige blonde Hippie »Thor«, und der perfekte Klas­sen­primus Captain America. Kein Wunder – die vier bekamen schon mehrere eigene Film­auf­tritte, die künst­le­risch wie ökono­misch sehr verschieden gelungen waren. Diese bereits etablierten Comic-Super­helden bilden den Kern jener Super­helden-Franchise, die nun mit Bombast ins Kino kommt: The Avengers, nicht zu verwech­seln mit gleich­na­migen briti­schen Fern­seh­serie, die bei uns unter dem Namen »Mit Schirm, Charme und Melone« Kult­status erreichte. The Avengers sind eine Ansamm­lung von ansonsten einsam operie­renden Super­helden, die sich – wie, das wird im Film ausgiebig erzählt – zu einem gemein­samen Einsatz formieren – sozusagen zur Großen Super­helden-Koalition. Man könnte sie auch Die glor­rei­chen Sieben nennen: Es sind tatsäch­lich sieben auf einen Streich, neben den vier genannten noch Natasha Romanoff, als Black Widow die Catsuit-Frau im Männer­bund, Hawkeye und Nick Fury, eine Art Captain Picard, äh: Charles Xavier, also der alter­weise Primus inter pares dieser Neo-Tafel­runde, die sich S.H.I.E.L.D. nennt, eine inter­na­tio­nale Orga­ni­sa­tion zur Abwehr globaler Bedro­hungen.

»Die Vorstel­lung von Helden mag veraltet scheinen« sagt Fury irgend­wann. Super­helden sind bekannt­lich Mythen der Moderne, also das, was einst die Ritter der Minne­ge­sänge, die Götter und Halb­götter der antiken Sagen waren. Das entschei­dend neue, und wahr­schein­lich sehr Zeit­ge­mäße und für die Story wichtiger als alles übrige: Es ist mehr als einer! Dies ist ein Team. Indem wir es mit vielen zu tun haben, sugge­riert der Film seinen Zuschauern nicht länger, wie sie zu sein haben, gibt keine Vorbilder vor, sondern lebt Toleranz und Freiheit. In jedem Moment geht es um Plura­lismus, um Vielfalt, um eine Art multi­kul­tu­relle Super­helden-Gesell­schaft.

Die Avengers stammen – wie übrigens die gleich­na­migen Briten Emma Peel und John Steed – vom Anfang der sechziger Jahre: Sie sind Menschen wie Du und ich, die durch einen Zufall zu ihren Kräften kamen und dann mit ihnen umgehen müssen. Und diese Kräfte haben nicht nur ihr Gutes: Die Normalos behandeln die beson­deren Fähig­keiten oft wie eine Behin­de­rung, reagieren mit Furcht und Unver­s­tändnis bis zur massiven Einschrän­kung von Bürger­rechten. Die Avengers sind Freaks, Ausge­stoßene, von der Gesell­schaft Geächtete. Gerade das macht sie attraktiv, und lädt ein zur Iden­ti­fi­ka­tion mit ihnen. Das klas­si­sche Thema vom guten Monster Fran­ken­steins, von der Schöpfung die unter sich selbst leidet, mischt sich mit dem der gespal­tenen Persön­lich­keit: Dr. Jekyll und Mr. Hyde. So sind The Avengers eine zutiefst liberale und huma­nis­ti­sche, den Indi­vi­dua­lismus feiernde Fantasy, die primär vom Anders­sein und dem Umgang mit ihm handelt.

Auf diese Vorge­schichte, in der der Film mitunter ein wenig mühsam und holprig seine Handvoll Haupt­fi­guren etabliert, folgt die eigent­liche Heraus­for­de­rung. Diese ist natürlich mindes­tens plane­ta­risch, der Untergang der Erde steht auf dem Spiel, darum müssen die Helden ja zum globalen Trust fusio­nieren: Loki, der so eifer­süch­tige wie skru­pel­lose Bruder des Donner­gotts Thor stiehlt »den Kosmi­schen Würfel«, eine Wunder­waffe, die wie alle Wunder­waffen erfunden wurde, um den Frieden zu sichern, und nun zur Ursache für einen neuen Krieg wird.

Joss Whedon (der mit Serenity 2005 ein wunder­schönes Gesel­len­s­tück vorlegte), insze­niert dieses Abenteuer sehr effektiv: Langsam fängt es an, um sich bis zum über­bor­denden Finale ständig zu steigern, sodass die zwei­ein­halb Stunden lange Laufzeit rasch vergeht. Zwischen­durch gibt es genug witzige Dialoge zur Entspan­nung. Den Rest besorgt ein größ­ten­teils hervor­ra­gendes Ensemble: Robert Downey Jr. (Iron Man) und Scarlett Johansson (Black Widow). Dann kommt erstmal lange nichts, dann schätzt man Mark Ruffalo (Hulk), Jeremy Renner (Hawkeye) und den alt gewor­denen Samuel L. Jackson als Nick Fury, während Chris Hemsworth und Chris Evans vor allem darum konkur­rieren, wer der Uner­träg­lichste der beiden ist. Toll dagegen ist Stellan Skarsgård als Wissen­schaftler Erik Selvig und Tom Hidd­leston als Schurke Loki.

So weit, so akzep­tabel für diese erste Marvel Produk­tion aus dem Hause Disney, seit dies den Comic-Giganten 2009 gekauft hatte. Was in der Theorie umständ­lich und überladen klang, wie eine Idee von Angst­hasen, die einem einzigen Superheld nicht übern Weg trauen, ist in der Praxis dann doch ganz gut und jeden­falls viel besser, als man erwarten durfte.
Trotzdem sollte man sich von manchen eupho­ri­schen Kritiken nicht blenden lassen: Wirklich originell ist hier wenig, es gibt Moral­pre­digten und Helden­protz a la Hollywood, und auch der Ausgang ist so, wie man erwarten darf. Was dem Film eindeutig fehlt, ist irgendein Ehrgeiz, der darüber hinaus reicht, dass man ein gut verkäuf­li­ches Produkt herstellt, mit dem man so viel Geld wie möglich aus den Fanmassen heraus­schef­feln kann. Kunst oder kultu­reller Mehrwert? Das ist hier die falsche Frage.
Wir haben es mit Kino als rein – nicht nur primär – ökono­mi­schem Phänomen zu tun, das genau deswegen inter­es­sant ist, weil hier Prin­zi­pien anderer Bereiche aufs Kino selbst (nicht nur auf seine Vermark­tung) über­tragen werden: Fran­chi­sing, Mono­po­li­sie­rung, Diver­si­fi­zie­rung; Expansion mit sich stei­gernder Geschwin­dig­keit – diesen Film gibt es als Ergebnis einer sich selbst fort­ge­bä­renden Industrie, die sich die Bedürf­nisse, von denen sie lebt, selber schafft. Man kann das bewundern, man kann es loben als Beispiel für das Unter­neh­mertum des »ehrlichen Kaufmanns« (wie es im neuen F.D.P.-Programm heißt), man kann in alldem natürlich auch eine Deka­den­zer­schei­nung sehen, oder eine der Ursachen des schlechten künst­le­ri­schen Zustands des Kinos.
Zweiter großer Minus­punkt: Der – nach­träg­liche – Einsatz der 3D-Tech­no­logie ist nicht nur völlig unnötig, die Technik kann auch bei schnellen Kame­ra­fahrten und Schnitt­s­e­quenzen nicht mithalten. Dem Auge tut es weh, dem Zuschauer wird der Spaß verdorben.
Schließ­lich: Mit 220 Millionen Dollar plus Marketing-Ausgaben ist dieses Disney-Spektakel geradezu obszön teuer. Ein Problem wird das viele Geld auch, weil es die Kinos unter massiven Druck setzt. Sie werden gezwungen, den Film zu spielen, von morgens bis abends und über Wochen – selbst wenn die Kinos nur ein Drittel gefüllt sind. Damit blockiert und reduziert der Film die Chancen vieler anderer Filme, die keine riesige Werbe­ma­schine hinter sich haben. Ausge­rechnet ein Film, der die Vielfalt feiert, zerstört sie.