Air Force One

USA 1997 · 124 min. · FSK: ab 16
Regie: Wolfgang Petersen
Drehbuch:
Kamera: Michael Ballhaus
Darsteller: Harrison Ford, Gary Oldman, Glenn Close, Wendy Crewson u.a.
Harrison Ford als schlagfertiger US-Präsident

Sie sind hinter uns her. Offen­sicht­lich plant Wolfgang Petersen der Film­kritik auf ähnliche Art und Weise den Garaus zu machen, wie dies Helmut Kohl mit der poli­ti­schen Satire in diesem Land geglückt ist: Der Oggers­heimer hat es stets verstanden, derart groteske Realitäten zu schaffen, daß die Satire nur noch beschrei­benden Charakter hatte, und sich dennoch einer uner­klär­lich hohen Beliebt­heit zu erfreuen. Wie es scheint, gelingt Herrn Petersen mit Air Force One Vergleich­bares.

Wer sich noch an den unsäg­li­chen Moment in Inde­pen­dence Day erinnert, in dem der Präsident höchst persön­lich in den Kampf­flieger steigt, um den fiesen Aliens zu zeigen, daß man so mit Amerika nicht umgehen kann, und wer es wagt, sich eine zweis­tün­dige Reihung solcher Momente vorzu­stellen, bekommt ungefähr eine Ahnung davon, was dem Publikum bei Air Force One bevor­steht.

Harrison Ford ist der Präsident der Verei­nigten Staaten von Amerika. Das ist ohnehin schon gut, weil das gesamte Publikum ja sowieso Harry sich seit langem als Vater oder als Vater seiner zukünf­tigen Kinder wünscht, und die Frauen bei ihm stets feuchte... Augen bekommen. Diesmal werden aber auch gestan­denen Männern die Knie weich werden, denn Harry ist nicht einfach nur irgendein Präsident der USA, er ist der BESTE Präsident, den die USA je hatten – ach was sag ich, der ALLERBESTE, den sie sich in ihren feuch­testen Träumen auch nur vorstellen kann:
Harry läßt kasa­chi­sche Dikta­toren vom CIA fest­nehmen. Harry hält Reden, in denen er dem inter­na­tio­nalen Terro­rismus aber dermaßen das Fürchten beibringt, daß man schon fast Mitleid bekommt mit dem armen, kleinen inter­na­tio­nalen Terro­rismus. Harry tut dies gegen den Rat seiner klein­gläu­bigen Berater – »It was the RIGHT thing to do!«. Harry hat sich in Vietnam die Medal of Honour verdient und dabei nicht das itzi-bitzi-kleinste Trauma einge­fangen. Harry ist ein prima Vater. Harry liebt seine Frau, und wenn der Film ihm ein bißchen mehr Zeit ließe, dann würde er uns beweisen, wie lange und toll er das kann. Harry hat ganz klein ange­fangen. Harry guckt gerne Football. Denn Harry ist, ganz tief drinnen, einer von uns. Alle fünf Minuten fragt Harry besorgt »Where’s my family?«.

Und da kommen dann so russische Terro­risten daher und entführen seine Präsi­den­ten­ma­schine, eben die Air Force One. Einfach so, ohne zu fragen, und mit Mithilfe eines verrä­te­ri­schen Präsi­den­ten­ge­hilfen. Weil sie General Radek, den kasa­chi­schen Diktator, wieder frei­pressen wollen. Na, da is' Harry aber sauer.
Und weil sonst keiner so gut ist wie er, muß er die bösen Männer alle selbst erschießen und dabei flugs die Welt vor der Rückkehr des Kommu­nismus bewahren. Schade daß alles so schnell gehen muß, sonst könnte er nebenbei noch einen Impfstoff gegen AIDS entwi­ckeln.
Spätes­tens nach der Hälfte der Laufzeit möchte man sich einfach nur noch bücken und schreien: »Oh Mann, Harry, ramm' ihn mir rein, denn Du bist SO GUT!!!«

Damit man auf gar keinen Fall ins Grübeln gerät, bemüht sich der Film dabei aufs Treff­lichste, für den gebeu­telten Präsi­denten kein mora­li­sches Dilemma aufkommen zu lassen, daß sich nicht innerhalb von zehn Minuten ohne den geringsten Rückstand eines schlechten Gewissens dadurch lösen läßt, daß man einen der Bösen erschießt.
Und selbst die physi­ka­li­sche Welt kann vor der Über­le­gen­heit des Ameri­ka­ni­schen nicht stand­halten. Als Harry einen Draht durch­zu­schneiden hat, ihm aber die Infor­ma­tion fehlt, welcher der richtige ist, und welche das Flugzeug abstürzen lassen würden, genügt ein kurzer Blick auf die Farben: rot, weiß, blau und gelb. Keine Frage, »I'll stick with the red-white-and-blue«, es muß der gelbe sein, und der isses auch.

Den Film plump zu nennen wäre, als würde man den Atlan­ti­schen Ozean mit dem Adjektiv »feucht« bezeichnen; Elefanten mit Vorschlag­häm­mern sind subtiler. Alles ist so über­deut­lich, so dick aufge­tragen, so über-mega-hyper-super­pa­trio­tisch, und Jerry Golds­miths Musik orgelt so hyste­risch heroisch, daß der Film immer kurz davor steht, in seine eigene Parodie umzu­kippen, und in seiner offen zur Schau gestellten, geballten Blödheit schon beinahe wieder etwas Subver­sives bekommt.
Nicht mal als Thriller taugt Air Force One viel; er hat viel leeres Tempo und Span­nungs­hu­berei zu bieten, aber was ihm völlig fehlt sind Intel­li­genz, Raffi­ne­ment, Origi­na­lität und Witz.

Was den Film gerade noch vor dem totalen Absturz bewahrt (außer der vergnüg­li­chen Tatsache, daß er für die Verwen­dung der »Inter­na­tio­nalen« brav Tantiemen zahlt) sind Dean Stockwell, William Macy und, allen voran, Gary Oldman. Stockwell als Vertei­di­gungs­mi­nister und Macy als General zu besetzen hat schon fast etwas Verrücktes; ständig wartet man darauf, daß der eine anfängt, »Candy Coloured Clown They Call The Sandman« anzu­stimmen, und der andere in tiefstem Minnesota-Akzent Gebraucht­wagen feil­bietet.
Gary Oldman hat seinen osteu­ropäi­schen Akzent aus Bram Stoker’s Dracula (das waren noch Zeiten für Gary!) wieder ausge­graben, und er spielt den Bösewicht so genial melan­cho­lisch und verfüh­re­risch, und er hat solch sicht­liche Freude daran, Harry zu quälen, daß er bald die Sympa­thien des denkenden Teils des Publikums auf seiner Seite hat.

Die Botschaft des Films aber ist deutlich: Es muß ja so GEIL sein, Ameri­kaner zu sein. Wahr­schein­lich schaut Bill Clinton sich den Film in seinem privaten Vorführ­raum im Weißen Haus täglich fünfmal an und holt sich dazu einen runter.
Deshalb ein kleiner Vorschlag an die Bundes­re­gie­rung: Wo das mit dem Haushalt jetzt eh' schon nicht mehr hinzu­kriegen ist, kann man doch mal $100 Mio. locker machen und Herrn Petersen zurück­be­or­dern, um für sein Heimat­land einen ähnlichen Film zu drehen – Die Kanz­ler­ma­schine, oder so. Darin erschlägt dann Helmuth Kohl böse SPIEGEL-Jour­na­listen und die gesamte PDS mit einem Pfälzer Saumagen. Dann klappt’s auch wieder mit den Wahlen.