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10.08.2000
 
 
   
 

Starker Toback
James Toback über BLACK AND WHITE

 
Claudia Schiffer und Mike Tyson in BLACK AND WHITE
     
 
 
 
 

BLACK AND WHITE ist eine Studie über schwarze und weiße Kulturen in den USA; ein Reigen um Rapper, Gangster, Sportler und weiße Kids der "upper middle class", die sich ihre Identitäten nach schwarzen Vorbildern basteln. Die Improvisation der meisten Darsteller ermöglicht einen sehr authentischen Blick auf soziale Entwicklungen, die das Mainstreamkino ausblendet. Mitglieder des Wu-Tang Clans, Mike Tyson und der Basketballspieler Alan Houston spielen sich dabei (mehr oder weniger) selbst. BLACK AND WHITE läuft diese Woche an, Thomas Willmann sprach bereits auf dem diesjährigen Münchner Filmfest mit dem Regisseur James Toback, u.a. auch Regisseur von FINGERS und Oscarpreisträger für sein Drebuch zu BUGSY.

Artechock: Sie haben BLACK AND WHITE ohne ein fertiges Drehbuch gedreht, die Dialoge und auch einen Großteil der Handlung improvisieren lassen. Wie kam es dazu?

James Toback: Die erste und wichtigste Idee dabei war, diesen Menschen zu erlauben, sich selbst durch die Rollen, die sie spielten, auszudrücken. Entweder buchstäblich wie im Fall von Mike Tyson, der tatsächlich Mike Tyson spielt, oder in anderen Fällen auf eine metaphorische Art oder eine, die einen gewissen Teil von ihnen zum Ausdruck brachte - Downey, der den schwulen Teil seiner selbst spielt, Claudia Schiffer, die den Nietzscheanischen Teil ihrer selbst spielt, Wu Tang, die eine andere Version von sich selbst spielen. Und wenn man Leuten diese Chance gibt, sich durch das, was sie spielen, zu eröffnen, anstatt etwas schauzuspielern, das sie nicht sind, dann gibt es keinen Sinn, wenn man ihnen vorschreibt, wie sie zu reden haben. Man kann ihnen vielleicht einen Hinweis geben, was man möchte, ihnen eine Szene geben, eine Absicht oder eine Rolle - aber ihnen zu sagen, ihre Sprache sollte so oder so sein ist dumm, und im Fall von Wu Tang wäre es richtig lächerlich gewesen.
Es gab darum in SHAFT gerade eine große Kontroverse - man hatte offensichtlich (den weissen Drehbuchautor - die Red.) Richard Price angeheuert um Dialoge für Samuel Jackson zu schreiben. Und eine Sache, bei der sich Samuel Jackson und (Regisseur) John Singleton - der sich sonst mit Jackson nicht verstand - einig waren war: "Wer verdammt nochmal ist Richard Price (Who the fuck is Richard Price), UNS zu sagen wie WIR sprechen!?" "Und warum sollte ich," sagte Samuel Jackson, "diese Dialogzeilen rezitieren, die ich in einer Million Jahre nicht sagen würde."
Ich glaube, da ist was dran. Klar kann man sagen: Wir schreiben, da solltest Du in der Lage sein für verschiedene Charaktere und verschiedene Stimmen zu schreiben, das stimmt schon, aber es gibt Fälle, wo man dem richtigen Klang niemals so nahe kommen wird wie wenn man jemanden damit einfach loslegen lässt. Und wenn man erst einmal eine Person loslegen lässt, muss man die anderen mitmachen lassen, oder sonst sind alle aus dem Rhythmus. Drum muss man das zur übergeordneten Herangehensweise machen, dass das der Stil ist, in dem man arbeitet.
Manche Leute wollten alles ausgeschrieben haben - Ben Stiller, Claudia Schiffer und Alan Houston, und zum Glück hatten die alle ihre Szenen miteinander. Deshalb schrieb ich diese Szenen auf normale Weise, und die hielten sich ziemlich genau an den Dialog. Ich glaube es gab hie und da ein bisschen Improvisation, aber zu 90% wurde es so gespielt wie geschrieben. Aber der ganze Rest wurde {völlig} frei erfunden.

>>Gab's da bei den Dreharbeiten nette oder böse Überraschungen?

Ich hatte das Gefühl, ein großartiges Geschenk nach dem anderen zu bekommen. Und normalerweise hasse ich das Schneiden, es ist so langweilig. In diesem Fall aber habe ich mich enorm auf den Prozess des Schneidens gefreut, weil ich ständig dachte "Es wird so viel Spaß machen, dieses endlose Angebot an Möglichkeiten zusammenzusetzen", denn es ging nicht einfach nur darum, den einen Take statt dem anderen auszuwählen, oder zu sagen "Die Dialogzeile ist da schöner gespielt als hier" oder "Schau Dir den Gesichtsausdruck an" - es ging wirklich darum, den ganzen Film im Schneideraum zu erfinden.
Die Geschichte wurde zu einem großen Teil im Schneideraum erfunden, die Persönlichkeiten der Charaktere änderten sich und ihre Beziehungen zueinander, die Ballance, wie groß die Rollen der einzelnen Leute waren... Ben Stiller war SCHOCKIERT als er sah, wie groß sein Part war, weil er nur drei Tage gedreht hatte. Er sagte: "Ich dachte, ich würde für ungefähr zwei Minuten auf der Leinwand zu sehen sein." Er sagte immer wieder: "Ich kann's nicht glauben, dass ich das alles gespielt habe." Es war einfach so, dass das meiste, was er gespielt hatte, gut funktionierte, und es war zentral wichtig für den Plot, der sich ergeben hat. Genauso mit Tyson: Der hat auch nur drei Tage gedreht. Und er ist 24 Minuten auf der Leinwand.
Ich dachte jeden Tag: "Das kann ich gebrauchen, und das kann ich gebrauchen, und das...," während man normalerweise beim Dreh drüber nachdenkt: "Nun, der Take ist ein bisschen besser als dieser Take; nehm' den Moment aus diesem Take und mische ihn mit dem..." Und diese Art zu denken kam mir immer konventionell und öde vor, ich dachte immer: "Ich liebe das Filmemachen, aber das hier ist so eine langweilige Art zu denken." Mein Verstand arbeitet einfach auf einem sehr niedrigen Level wenn's das ist, was er gerade tut, und das fühlt sich so ein bisschen nach "Das kann wirklich jeder..." an. Einfach als Prozess schien mir das innerlich immer peinlich, dass mein Verstand so arbeitete. Und dann dachte ich mir während BLACK AND WHITE: "Das macht Spaß!" So ging's mir auch während THE BIG BANG, aber das war eine Dokumentation, und da war's definitionsgemäß, dass es so lief. Aber einen fiktionalen Film zu nehmen, Erzählkino, und das fast wie eine Dokumentation zu behandeln war wirklich aufregend.

>>Wie lange hat der Schneideprozess dann gedauert?

Ich habe fünf Monate damit verbracht, auf so radikale Art mit dem Film zu spielen, dass die vierstündige Version - die ich meine Wagnerische Version nenne (Gelächter) und mit der ich anfing - fast ein anderer Film ist. Sie ist nicht einfach ein längerer Film, es ist ein anderer Film - den ich übrigens irgendwie mochte. Es gab nur einen einzigen Freund von mir, der mit mir in der Vier-Stunden-Version saß und auch sagte: "Das ist gut!" Alle anderen sagten: "Jim! Das sind verdammte vier Stunden, bist Du verrückt?" "Nun, macht Euch keine Sorgen, das ist nur ein erster..." "Ja, aber er ist vier Stunden, Du hast da alles drin, was soll das sein?"
Aber ich mochte es irgendwie. Es hatte keine erkennbare Story. Es mäanderte in jede nur erdenkliche Ecke. Aber es machte Spaß, und Szene für Szene waren eine Menge der besten Szenen in der vierstündigen Version und nicht im endgültigen Film. Viele wirklich gute Szenen. Und gewisse Sachen, die ich einfach nicht verwenden konnte, die ich aber wirklich liebte. Während Brooke Shields Mike Tyson anmacht zum Beispiel, stand Robert Downey da, in der Mitte des Zimmers, und wurde aufgeregt und wütend, und während er anfängt zu masturbieren, sagt er zu Tyson: "Du glaubst, Du kannst mich niedermachen, Du kannst mich lächerlich machen? Dir zeig ich's! Ich werd ihn Dir reinstecken! Dich fick ich!" Und er masturbiert dabei. Und ich fand das irgendwie witzig und eigenartig. Downey liebte es, aber alle von Wu Tang sagten zu mir: "Das kannst Du nicht drinnen lassen." Und ich fragte "Wieso?" Und sie sagten: "Weil Du hier versuchst, einen Film zu machen, der in der Realität spielt, und die Realität ist, dass wir hingehen würden, in unserem Appartment, wenn er da steht und sich einen runterholt, und ihn aus dem Fenster schmeissen. Drum musst Du entweder noch eine Szene nachdrehen, in der wir ihn aus dem Fenster schmeissen, oder Du musst das rausnehmen!" (Gelächter)

>>BLACK AND WHITE war der letzte Film, den Downey drehte, bevor er ins Gefängnis musste, oder? Haben Sie Kontakt zu ihm?

Er ruft mich zweimal die Woche als R-Gespräch aus Corcoran State Penitentary an, wo alle 30 Sekunden eine Stimme ertönt: "Ihr Gespräch wird von der Aufsicht des Corcoran Staatsgefängnis in Corcoran, Kalifornien, überwacht. Sie haben für dieses Gespräch noch 5 Minuten und 30 Sekunden." Und nach 30 Sekunden wiederholt sich das. Und Downey - der immer noch zum Brüllen ist, selbst im Gefängnis - sagt manchmal zu mir, direkt nachdem sie diesen Überwachungs-Satz haben laufen lassen: "Übrigens, hab ich Dir schon erzählt wie HINREISSEND die Wächter in diesem Gefängnis sind? Hab' ich Dir gesagt, was für eine phänomenale Gruppe von Leuten sie sind, und was für eine wunderbare Behandlung sie mir angedeihen lassen? Ich weiß gar nicht, warum ich hier raus wollen sollte, das ist ein sensationeller Ort hier!" (Gelächter)
Er hält sich besser, als ich mir selbst vorstellen könnte, mich dort zu halten. Ich würde nie auch nur in so einen Ort reingehen. Ich weiß nicht, wie er das überlebt. Er war neun Monate im L.A. County Jail, und ich weiß nicht mal, wie er das überlebt hat, und nun ist er an einem viel schlimmeren Ort, und das schon für ein Jahr, und er wird da noch für weitere sechs Monate drin sein. Ich würde buchstäblich einfach NICHT REINGEHEN. Ich würde einfach abhauen und irgendwo funktionieren, wo immer ich funktionieren könnte, aber ich würde nicht in's Gefängnis. Ich weiß nicht, wie er das macht.
Ich glaube, er hat sich entschlossen, klarzukommen mit was immer ihm das Leben auch austeilt, und er passt sich einfach an. Er hat eine Art seltsam alles annehmende Philosophie. Ich weiß dass er es hasst, dort zu sein, und ich weiß, dass er sauer ist, dort zu sein, und ich weiß, dass er denkt, dass es vollkommen unfair ist, aber nicht auf die Weise, wie das jeder andere würde. Jeder andere würde den Verstand verlieren! Ich meine... er ist im Gefängnis, weil ein Drogentest positiv ausgefallen ist, während niemand anderes... Wenn in Hollywood jeder in's Gefängnis müsste, der positiv nach Drogen getestet wird, wären da ungefähr noch neun Leute übrig. (Gelächter)
Es wäre eine Sache, wenn er jemanden überfahren hätte während er high war, oder wenn er jemandem den Schädel eingeschlagen hätte, während er high war. Aber er hat nichts gemacht, es ist einfach nur der Test positiv ausgefallen, es wusste nicht mal irgendwer, dass er high war. Er hat sogar die Richterin angerufen und gesagt: "Ich gestehe freiwillig ein, dass ich mich heute meinem angeordneten Urintest nicht unterzogen habe, weil ich weiß, dass der positiv ausgefallen wäre, und ich hoffe, dass sie gnädig mit mir sein werden, weil ich ihnen das gesagt habe." Was sie nicht war und ihn trotzdem zu drei Jahren verurteilt hat. Er hat sich nicht mal auf eine Art benommen, dass irgend jemand gedacht hätte, das was los wäre, und trotzdem kommt er für drei Jahre in dieses Hochsicherheitsgefängnis. Das ist eine völlig sadistische, abgefuckte Sache. Und ich weiß nicht, dass er da nicht wahnsinnig verbittert ist...
Erstens würde ich nicht mal leben wollen in einem Land - egal wie toll das Land in jeder anderen Hinsicht wäre - das mich für egal was einsperren will, Mord eingeschlossen. Wenn ich wen erschiessen würde, hätte ich das Gefühl, die sollten für mich eine Ausnahme machen und mich nicht einsperren. (Gelächter) Aber wenn bei mir verdammt nochmal ein Drogentest positiv ausfällt, und ich wäre der einzige, der für sowas eingesperrt wird, würd ich dann dortsitzen und sagen: "Ich bleib gerne hier drin"? Ich weiß nicht wie... Es muss eine Art philosophische Zurückgezogenheit sein, in der er ist, weil... Für jemanden der so komplett nicht für's Gefängnis gemacht ist wie er, der ein völlig freier Geist ist, keine Reglementierung! Man kann's ja noch irgendwie einsehen bei einem, der sagen wir vier Jahre in der Armee war, wo man sagt: "Okay, ich sehe ein wie der sich an's Gefängnis anpasst, weil es Gemeinsamkeiten gibt zwischen der Reglementierung im Militär und dem Im-Gefängnis-Sein. Es ist kein Spaß, aber wenigstens hat der gezeigt, dass er sich an sowas anpassen kann. Aber hier geht's um einen Typen, von dem man sich nicht mal vorstellen könnte, dass der 15 Minuten im Gefängnis verbringt, und jetzt war er da schon für insgesamt fast 2 1/2 Jahre drin.

>>Hatten Sie vor BLACK AND WHITE schon mit der Hip Hop-Kultur zu tun?

Ich habe schon immer gerne Musik gemocht. Aber so richtig bin ich da nicht eingestiegen, bevor ich zum Wu Tang-Hörer wurde. Ich habe darüber recherchiert, und Wu Tang waren DAS echte, hardcore Hip Hop Phänomen in Amerika, und ich bin mit ihnen gleich prima klar gekommen, und ich habe auch gemerkt, dass ich Power in der Hauptrolle verwenden könnte. Also dachte ich: "Tu diese zwei Dinge zusammen, und das ergibt..." Und dann habe ich von ihnen gelernt, Ihre Haltung war sehr wählerisch. Das ging: "Der Typ ist echt, der ist Scheiß, die ist voller Mist." Die hatten eine ganze Hierarchie des Urteils innerhalb der Welt des Hip Hop. So habe ich von Anfang an meine Ausbildung auf eine sehr spezifische Weise bekommen...

>>Die New Yorker Weise...

Ja, genau! (Gelächter)

>>Es ist ja heute schwer genug, eine Film finanziert zu bekommen, dessen Drehbuch sich nicht auf einen hi-concept-Satz reduzieren lässt. Wie bekommt man das Geld zusammen, wenn man noch nicht mal ein Drehbuch HAT?

Das war schon das zweite Mal, dass ich das gemacht habe. Ich habe das mit THE BIG BANG gemacht, und ich habe mich im Film in gewisser Weise drüber lustig gemacht, wo ich mit dem Besitzer der Bank of Florida spreche und ihm erzähle, dass ich kein Drehbuch habe.
Die einzige Weise, wie es mir gelingt, zu funktionieren, ist, indem ich die Kosten sehr weit unten halte. Der durchschnittliche Studio-Film kostet mittlerweile $27 Mio. Mein durchschnittliches Budget sind 4 oder 5 Millionen Dollar. Und da haben Sie schon gleich einen RIESEN Unterschied. Um $10 Mio. würden diese Filme nicht gemacht werden können, um $8 Mio. würden sie nicht gemacht. Wenn man Filme um 5, 5 1/2 oder drunter macht, passiert folgendes: Wenn man irgendeine akzeptable Besetzung abliefert, und irgendeinen Film, der ein paar gute Kritiken kriegen wird, kann man nicht verlieren. Da muss man Geld verlieren wollen, um Geld zu verlieren. Es gibt einfach zu viele Wege, sein Geld zurück zu bekommen. Und darauf reduziert es sich letzlich. Das heißt dann quasi: "Okay, Du hast bewiesen, dass Du eine gewisse Art Film machen kannst." Was daran ungewöhnlich ist und warum andere Leute das nicht machen ist, dass Leute, die so lange wie ich im Geschäft sind und viele Filme gedreht haben einen Film gar nicht so schnell machen wollen. Sie werden alt, und man sagt sich dann "Ach, verdammt, ich mache keinen Film in 20, 22 Tagen." Für Martin Scorcese ist sowas die Zeit zur unmittelbaren Produktionsvorbereitung. Solche Leute wollen sowas nicht machen, es stimmt dafür einfach die Chemie nicht mehr.
Aber für mich ist es die einzige Art, weil ich das nicht machen kann, was die Alternative wäre. Was hieße Filme auf diese Art zu machen... nun, auf eine Zeile reduziert ist eine gute Art, es auszudrücken, aber einfach: innerhalb des Systems rationaler Beschränkungen, wo es praktisch ein Bewusstsein gibt zu sagen: Wir sind uns alle über gewisse grundlegende Prinzipien einig, und auch wenn wir sie nicht lehren müssen, sie predigen, oder auch nur (an)erkennen, gibt es eine Annahme über das Leben in diesem Film. Und das kann in einer dummen Komödie sein oder einem ernsten Film, der Punkt ist: Man geht in diesen Film, und die Parameter dieser grundlegenden Annahme über das Leben werden eingehalten, was immer das Genre sein mag. Und ich mache Filme, in denen es diese nicht gibt. Die Parameter werden völlig zerrissen. Und das ist nur möglich weil Leute sagen: "Ich werde mein Geld zurück kriegen, und vielleicht kommt was Interessantes dabei raus."

>>In BLACK AND WHITE geht es um die Stimmen, die man normalerweise nicht zu hören bekommt. Glauben Sie, dass das dominante System - bewusst oder unbewusst - so aufgebaut ist, dass man diese Stimmen möglichst nicht zu Gehör bekommt?

Ich glaube die Sache derzeit ist, diese Stimmen zu ko-optieren. Weniger sie zu unterdrücken als sie zu ko-optieren, und ich muss sagen, die meisten der Leute, denen diese Stimmen gehören, sind begierig darauf, ko-optiert zu werden, solange man sie bezahlt. Selbst die radikalsten Stimmen sind zum Verkauf, weil es da immer dieses Gefühl gibt von: "Ich bin trotzdem immer noch, wer ich bin, scheiss drauf." Das geht alles: "Scheiss drauf, ich kann das trotzdem machen, ich kann Geld nehmen UND machen was ich machen will." Und manchmal können sie's, und manchmal machen sie sich da selbst was vor.
Aber ich glaube insgesamt herrscht momentan das Gefühl, dass es da diesen riesigen Massen-Schirm gibt, und jeder, der für mich Geld machen kann, kann da ein Teil davon sein. Nichts ist zu subversiv, solange ich daraus etwas Profit schlagen kann. Das fing an mit Gerald Levin, als vor drei, vier, fünf Jahren (das Plattenlabel - Die Red.) Interscope dieses Riesending um die Rap-Texte hatte. Da gab es diese Protestgruppen, schwarze und weisse, die sagten die Texte riefen zum Polizistenmord auf, wären frauenfeindlich, und sie fragten: "Wie könnt ihr, Time Warner, das absegnen?" Aber die machten Geld damit, und Gerald Levin fing an von wegen "Na ja, Meinungsfreiheit". Vor dem Protest hat er davon wahrscheinlich noch gar nichts mitbekommen, aber es war "Hmm, die Abteilung läuft ziemlich gut für uns, warum sollten wir sie loswerden wollen?"
Außerdem hat jetzt jede Familie, oder fast jede Familie, ein Kind, das auf irgendeine Weise auf der anderen Seite steht. In unserer Kultur wurde so die Allgemeinheit dieser ganzen Bandbreite ausgesetzt, drum gehört das alles unter den Schirm. Das ist wie mit diesem ganzen schwulen Verhalten, Sex zwischen Menschen verschiedener Rassen, Drogen - jeder hat da selbst schon was damit zu tun gehabt oder ist mit jemandem verwandt, der damit zu tun hat. Da erreicht man einen Punkt, wo man seine eigene Familie ablehnen muss, um etwas abzulehnen, das noch vor einer Generation problemlos abzulehnen gewesen wäre. Jetzt geht das nicht mehr so einfach. Wie mit (dem amerikanischen, ultrakonservativen Politiker - die Red.) Newt Gingrich, der der konservativste Sprecher des Abgeordnetenhauses war, und sich dann seine Schwester nicht nur als lesbisch herausgestellt hat, sondern als vehement und politisch engagiert lesbisch. Wie will der weiter von traditioneller Moral erzählen. Entweder sagt er "Meine Schwester ist eine Psychopathin und ich muss sie loswerden," oder er muss seinen Horizont öffnen.

>>Ihr Film hat den Mut, wohlweislich keine fertigen Antworten zu präsentieren sondern dem Thema seine unlösbare Komplexität zu belassen. Würden Sie zustimmen, dass es dennoch ein didaktischer Film ist?

Ich glaube, dass er nicht auf konventionelle Weise didaktisch ist, sondern in dem Sinne, dass er per Implikation sagt, dass es eine interessantere Art und Weise gibt, über das Leben und das Filmemachen nachzudenken, als Sie oder ich das bisher getan haben. Es gibt da deshalb fast eine Art vorwitzige Arroganz die sagt: "Ich weiss besser, wie man einen wirklich interessanten Film macht, als es irgendwer von uns vorher wusste. Ich mache jetzt was Interessanteres als was Sie bisher gemacht haben oder ich gemacht habe." Und ich sage das nicht {wirklich}, aber andererseits sage ich es dennoch, denn einen Film einfach auf diese Weise zu machen impliziert dass es, wenn nicht DER Weg ist, so doch EIN gangbarer Weg, der alle Prinzipien des Filmemachens verletzt. Es gibt nicht ein unangetastetes Grundprinzip des Filmemachens, eingeschlossen schnitttechnisch, kameratechnisch, gewiss in Hinblick auf Drehbuch, narratives Konzept, thematisches Konzept, Besetzung - der Film sagt im Grunde einfach "Gebt mir eine Liste mit allem, was ein Film tun soll" und verletzt dann jede einzelne Konvention und Grundannahme.
Auf dieser Ebene also, wenn er schon nicht didaktisch ist, so positioniert er sich doch als etwas, mit dem man rechnen muss. Und das Interessante ist, dass es in Amerika eine Menge großartiger Kritiken gab, die ich gerne gelesen habe, aber niemand hat wirklich dieses Argument gebracht, dass der Film an und für sich eine ganz neue Art präsentiert, einen Film zu machen. Viel radikaler, finde ich, als diese Dogma-Bewegung, die in Wirklichkeit gar nicht so verschieden ist von der Art, wie viele Leute schon immer Filme gemacht haben, und diese nur kodifiziert - und obwohl sie kodifiziert ist, gibt es bei jedem einzelnen Ausnahmen, wie er gemacht ist.
Und mit meinem nächsten Film HARVARD MAN stecke ich jetzt etwas komisch in der Bredouille, weil ich HARVARD MAN eigentlich genau auf die selbe Art machen würde, aber weil ich das Drehbuch schon habe, das es seit sieben Jahren gibt, und dieses zu einem großen Teil der Film IST, möchte ich es nicht einfach wegwerfen, und es gibt eine Menge in ihm, was ich wirklich mag. Aber ich weiß nicht genau, was ich behalten soll und was rausschmeissen in manchen Passagen, und ich weiß nicht, welchen Schauspielern ich total freie Bahn geben soll und welche kontrollieren. Ich muss diese Entscheidungen sehr schnell fällen, weil ich in weniger als einer Woche zu drehen beginne, und ich mir immer noch nicht recht darüber im Klaren bin. Das ist eine eigenartige Sache.
Außerdem kenne ich die Schauspieler nicht so persönlich, wie ich die in BLACK AND WHITE kannte, weshalb ich nicht so sicher bin, welche am besten mit Willensfreiheit und Imrpovisation zu Rande kommen werden. Bei BLACK AND WHITE wusste ich in jedem einzelnen Fall ziemlich genau, was sie konnten und was nicht. Und sie haben mir durchaus sehr vehement zu verstehen gegeben, was sie tun wollten. Das jetzt ist eine deutlich weniger aggressiv gewürzte Besetzung.

>>In HARVARD MAN wird es um Ihre Jugend-Erlebnisse mit Drogen gehen...

Ich hatte eine eigenartige Beziehung zu Drogen. Ich habe Drogen sieben jahre lang geliebt, habe von 12 bis 19 Gras geraucht und war die ganze Zeit high. Dann bin ich auf LSD ausgeflippt, was das entscheidende Erlebnis in meinem Leben war - und das ist es, worum es in HARVARD MAN geht - und danach habe ich nie wieder eine Droge genommen. Das hat meine Drogen-Karriere beendet - es hat fast mein Leben beendet. Ich bin für acht Tage verrückt geworden. Darum habe ich ein zwiespältiges Verhältnis zu Drogen. Ich glaube, dass sie sehr hilfreich für Menschen sein können und ihr Bewusstsein öffnen. Aber wenn man die Grenze übertritt...
Der einzige Grund warum ich zurück gefunden habe, der einzige Grund, warum ich nicht mit 19 gestorben bin, war, dass ich diesen Doktor gefunden habe - einen deutschen Doktor, der einer der beiden Typen war, die 1938 in der Schweiz LSD synthetisiert haben Max Rinkel. Hofmann & Rinkel haben in den Labors von Sandoz in der Schweiz erstmals LSD synthetisiert. Hofmann lebte noch, in Deutschland, Rinkel war in Brooklyn, Massachusetts, sechs Meilen entfernt von wo ich mich befand. Er war 80 Jahre alt. Wäre er nicht zu diesem Zeitpunkt in Brooklyn, Massachusetts gewesen, wäre ich innerhalb von ein oder zwei Tagen tot gewesen. Ich lief acht Tage lang mit einer geladenen .38er an meinem Kopf rum und dachte: "Wenn mir jemand garantieren könnte, dass ich damit diese Qualen beenden könnte, würde ich mir auf der Stelle das Gehirn rauspusten." Ich hatte einfach nur Angst, sie würden trotzdem weiterdauern. Und er gab mir eine Spritze, die mich eigentlich hätte umbringen müssen. Er sagte tatsächlich dass die Chancen ziemlich gut standen, dass sie mich umbringen würde. Aber er hatte eine Menge Mut, weil er wusste, dass es der einzige Weg war, mich zu retten. Obwohl er übel dagestanden hätte, wenn ich gestorben wäre - denn wie will er erklären, dass da so ein 19-jähriger Harvard-Junge reinkommt in einem verzweifelten, von Drogen ausgelösten Zustand, und seine Reaktion ist, ihn mit einem Gegengift umzubringen. Aber er wusste, dass es der einzige Weg war, und so gab er mir dieses Gegenmittel, und ich war... es war nicht so, dass ich okay gewesen wäre, sondern ich gewöhnte mich an eine andere Art, die Welt zu sehen.
Ich würde niemals irgendwem dazu RATEN sowas zu tun. Ich würde sogar sagen: Jeder, der viel Drogen nimmt, riskiert früher oder später, ziemlich abgefuckt zu werden. Hie und da sihet man Leute, die durch ein ganzes Leben gehen, regelmäßig Drogen nehmen, und das auf die Reihe kriegen. Aber der überwiegende Teil brennt aus, macht sich fertig, es beschädigt sie, schränkt sie ein, es zerstört sie. Es ist hart, ein ganzes Leben lang Drogen zu nehmen. Ich hatte sieben Jahre - was eine lange Zeit war - in denen ich damit gut funktionierte. Und dann (klatscht laut in die Hände) - aus.

>>In BLACK AND WHITE geht es allerorten um die Suche nach Identität. Glauben sie, die sieht für junge Leute heute anders aus als früher?

Ich glaube, dass es wahrscheinlich heute schwieriger geworden ist als früher, weil es keine akkzeptierten Pfade mehr gibt. Es lief einst so, dass man entweder einen relativ priviligierten Status hatte und man seinen Weg entlang gearbeitet hat durch ein Schulsystem, das eine Hochschulqualifikation garantierte und meist auch einen Hochschulabschluss, und dann in einen so genannten Beruf führte. Oder man hatte eher Wurzeln in der Arbeiterklasse, wo man zur Highschool ging, wahrscheinlich sich nicht die Mühe machte, auf's College zu gehen, und einen Beruf ergriff, in dem man ausgebildet wurde, und das war dann Deine Arbeit. Und es war so ziemlich immer eine von den beiden Sachen. Und dann gab's gewisse Vorbilder innerhalb dieser beiden Kategorien, jeweils verschiedene.
Und jetzt ist das alles chaotisch. Du kannst nicht auf's College gehen - egal was Dein Background ist - und den Weg einschlagen, Du kannst Dich durchs College durchwurschteln, auch wenn die Chancen gegen Dich stehen, und den entgegengesetzten Weg einschlagen, Du nimmst Elemente aus einer anderen Kultur und versuchst, sie zu ko-optieren. Alles wurde auf den Kopf gestellt. Alle mussten schon immer eine Identität für sich selbst zusammenzimmern, aber in unserer Ära gibt es eine viel offenere Spannbreite der Möglichkeiten.
Und darauf will der Film hinaus, er zeigt einem diese ganze Arena, in der die Leute experimentieren. Und einerseits ist es schwieriger, eine Identität zu finden, weil die Wahlmöglichkeiten so viel radikaler und seltsamer sind, und andererseits ist es einfacher und besser, weil man wirklich eine Wahl hat und man nicht mehr so eingeschränkt ist wie früher, historisch, familiär, sozial, ökonomisch und besonders in Hinblick auf Rasse. Die Beschränkungen wurden ausgelöscht. Es scheint fast so, als könnten jetzt alle alles machen. Und mit unserer Art der elektronischen Öffnung der Welt, wo alle dadurch verbunden sind, dass sie den Medien ausgesetzt sind, und wo das Internet alle verbindet, ist es schwer, irgendwen von irgendetwas auszuschließen. Wie in einer Abwandlung von Andy Warhols berühmtem Spruch, dass jeder für 15 Minuten Ruhm haben wird - jetzt hat jeder potentiell überhaupt keinen Ruhm oder permanenten Ruhm. Oder überhaupt keinen Erfolg oder unbegrenzten Erfolg. Alle könne überall sein. Auf jeder Ebene. Und jeder kann jeden anderen besitzen. Dieser französiche takeover von Universal ist Teil dieses Phänomens. Da kommt dieser Wasser-Verarbeitungs-Konzern oder sowas, und besitzt plötzlich den größten Spirituosen-Konzern, Unterhaötung-Konzern... Warum? "Nun, wir haben es einfach getan, wir haben uns entschlossen, das zu tun." So verrückt die Idee scheint, sie funktioniert.

>>Sind die Grenzen zwischen schwarz und weiß im Verschwinden? Gibt es da eine große Umwälzung in Amerika?

Ja, wegen Sex. Jeder fickt jeden. Und wenn erstmal jeder jeden fickt, kann man nicht mehr so leicht ausschließen.
Es ist die größte Veränderung der amerikanischen Geschichte, weil es in zwei Generationen sowas wie "weiss" nicht mehr geben wird. Es ist das, was Claudia Schiffer im Film sagt: Rassen-Identität ist die letzte wichtige Schranke, die fällt, Amerika verändert sich, denn historisch gesehen war es immer eine Gesellschaft, die schwarz und weiss war, Besitzer und Besessener. Und obwohl es seit den 1860ern keine Sklaven mehr gibt, war das Land immer aufgebaut auf Leuten, die etwas besitzen, und Leuten, die für die Leute arbeiten, die etwas besitzen. Und das ist derzeit alles im Aufruhr.

>>Bleibt die Frage, die im Film auch gestellt wird: Wer sind dann die Sklaven von heute?

Genau: Wer sind die Sklaven von heute...

>>Herr Toback, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Anm. d. Red.:
Robert Downey Jr. wurde letzte Woche frühzeitig aus dem Gefängnis entlassen - siehe dazu die Internet Movie Database.

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