01.04.2004

»Fast schon ein Heimatfilm...«

Helge Schneider in JAZZCLUB
Helge Schneider in Jazzclub

Helge Schneider über Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm

Er hat sich nie angepasst. Helge Schneider hat sich selbst jahrelang durch alle möglichen Jobs gerackert, bis der Multi­in­stru­men­ta­list und begnadete Impro­vi­sator entdeckte, dass er seine eigent­liche Leiden­schaft – die Musik und insbe­son­dere den Jazz – doch noch zum Beruf machen konnte, wenn er sie in etwas Quatsch und Alberei verpackte. Helge wurde zum Selbst­dar­steller mit sehr eigenem Humor, dann machte ihm der Weltgeist das Geschenk von „Katzeklo“, dass ihn schlag­artig bundes­weit berühmt machte. Und seither kann er es sich erst recht leisten, als Bühnen­per­sön­lich­keit, Musiker, Autor und Filme­ma­cher einer der letzten großen Verwei­gerer unseres Kultur­be­triebs zu sein.

Nach einem frühen Auftritt als Darsteller in Johnny Flash und den Helge-Filmen Texas – Doc Snyder hält die Welt in Atem, 00 Schneider – Jagd auf Nihil Baxter und Praxis Dr. Hasenbein hat er nun bei Jazzclub – Der frühe Vogel fängt den Wurm erstmals volle kreative Kontrolle über einen Film bekommen. Es ist sein schönster und persön­lichster Streifen geworden, anläßlich dessen er im Interview auch ungewohnt offen die Rolle des Spaß­ma­chers fallen läßt.

Mit Helge Schneider sprach Thomas Willmann.

artechock: Könnte man Jazzclub in gewisser Weise als inof­fi­zi­elle Verfil­mung Ihrer Auto­bio­gra­phie »Guten Tach, auf Wieder­sehen...!« sehen?

Helge Schneider: Na ja, als ich den Film ange­fangen habe, da war es für mich nicht Auto­bio­gra­phie. Aber jetzt, wenn ich ihn so sehe, nach der letzten Endmon­tage, sehe ich mich doch in vielen Teilen wieder.

artechock: Die Grund­stim­mung scheint mir sehr ähnlich. Statt „Verfil­mung“ träfe viel­leicht besser: Fort­set­zung in einem anderen Medium?

Schneider: Das Buch war ja irgendwie diffi­ziler. Ganz klar. In einem Buch sieht man ja sowieso auch viel mehr, kann sich viel anders vorstellen und so. Der Film ist ja jetzt einfach ein Bild. Fast schon ein Heimat­film – ein Bild meiner Heimat, meiner vier Wände, also meiner Stadt, in Verbin­dung mit dem, was mich in dieser Stadt dazu bewogen hat, diese Musik zu machen. Ich werde ja täglich von diesen Bildern, die ich da sehe, irgendwo in meinem Schaffen auch beein­flusst. Und deshalb war es auch ein Muss, den Film auch wirklich dort zu drehen. Für mich ist das ganz schlüssig. Es würde natürlich überhaupt nicht auffallen – nehmen wir mal an, ich hätte diesen Film wo anders gedreht, ähnliche Straßen­szenen wären dann zustande gekommen: Wie ich auf die Straßen­bahn warte, sagen wir in... Stuttgart. Aber die Leute hätten sich anders benommen. Wir haben ja die Kamera da offen stehen gehabt, wir haben aber keinen gefragt. Und dadurch, dass ich in Mühlheim auch immer lebe, benehmen sich die Leute ganz normal, und irgendwie kriegst du das mit, dass es MEIN Platz ist. Das ist das Irre dadran. Ich hab’s auch selber erst nicht geglaubt. Aber jetzt ist das so.

artechock: Und dann gehen da die Jazz­le­genden Pete York und Jimmy Woode in Mühlheim spazieren. Was löst dieser Zusam­men­prall zweier Welten für Sie aus?

Schneider: Ich hab ja schon in meinem Leben öfter mal so Leute kennen gelernt, so „Stars“... Ob jetzt Arnold Schwar­zen­egger, oder Didi Haller­vorden, Rudi Carrell oder Paul Kuhn, Udo Linden­berg, oder was weiß ich... Alice und Ellen Kessler (lacht). Oder den Bundes­kanzler. Das sind ja alles MENSCHEN, die müssen ja irgendwo rumlaufen, die müssen ja auch irgendwo zuhause sein. Und ich denk dann... Jimmy beispiels­weise hat mehrere Zuhause: Er hat in New Jersey jetzt ein Appart­ment. Und da in Amerika geht er ja genauso spazieren, auch unter den Menschen. Und warum soll er das nicht in Mühlheim machen? So einfach ist es. (Kleine Pause) Der Papst war auch mal in Mühlheim!

artechock: Ach, das ist mir neu...

Schneider: Ja, da ist so ein kleiner Sport­flug­hafen, da ist der gelandet, und ist dann nach Ober­hausen gebracht worden mit einer Limousine und hat dort eine Kohlen­halde besucht... Zeche Haniel. Da gibt es so einen Schla­cke­berg, da ist der drauf gewesen. Und den Schla­cke­berg, den habe ich früher in meiner Gärt­ner­lehre auch mit bepflanzt. (Lacht) Das ist jetzt so ein Urlaubs­ge­biet. Da kannste sogar Schi­fahren.

artechock: Was man bei Praxis Dr. Hasenbein schon ahnen konnte, beweist Jazzclub eindeutig: Sie kennen sich aus mit frühem Kino und haben eine große Liebe zum Stummfilm. Das kommt von Ihrer Zeit als Kino­pia­nist...?

Schneider: Es hat einfach immer Spaß gemacht, diese Stumm­filme zu begleiten, am Klavier oder an der Orgel. Und man ist ja dann dermaßen drin in den Filmen, in den Bildern... Und das ist immer ein bisschen zeit­ver­setzt; da gibt es eine drama­ti­sche Szene, und dann spielt man drama­tisch, und auf einmal kommt schon Sonnen­schein, und so ein junges Mädchen lächelt in die Kamera, und ein bisschen zu spät schaltet man dann um. Und dieser Charme, der dabei entsteht – das finde ich an diesem Kino besonders toll. Also ich stehe auf Stummfilm. Leider ist der Stummfilm vom Tonfilm verdrängt und bis heute nicht als eigene Kunstform wieder herge­stellt worden. Ich habe auch in meinem Film eine reine Stumm­film­se­quenz, die ist zwar nicht schwarz­weiß, aber sie könnte auch schwarz­weiß sein. Das ist wie eine Malerei, oder wie eine Zeichnung – und sehr robust wirkt das. Und dann habe ich ganz bewusst ganz dicke schwarze Schrift­ta­feln mit zwei, drei Wörtern dazwi­schen, dazu diese Klavier­musik... Und da meint man immer, da weht so ein Wind durch den Film. Obwohl gar nicht windig ist. Das ist für mich Stummfilm: Da ist eine Frau, die an der Kamera vorbei­guckt, wehmütig, und dann kommt ein Ausruf als Schrift­tafel: »Georg«, Ausru­fe­zei­chen!, und der fährt dann mit dem Schiff weg, oder so, und dann ist für mich immer: Klavier dazu, Dramatik. Und dann seh' ich einfach WIND. Die ganze Zeit.

artechock: Wer sind sonst so Ihre Lieblinge oder Vorbilder im Kino?

Schneider: Ach, es gibt so viel tolle Regies­seure. Truffaut. Melville. Antonioni. Corbucci – zum Beispiel Leichen pflastern seinen Weg (Il grande silenzio).

artechock: Ja, einer der größten Italowes­tern!

Schneider: Tolle Musik auch, von Ennio Morricone. Die Musik von Leichen pflastern seinen Weg finde ich noch viel besser als die Musiken, die er für Sergio Leone gemacht hat.

artechock: Impro­vi­sa­tion scheint in allem, was Sie machen, sehr wichtig. Ist das auch ein Prinzip beim Filmen?

Schneider: Ja, fast ausschließ­lich. Es wird eine Location ausge­sucht, dann wird die Kamera aufge­stellt, nach einem bestimmten »So will ich das haben«, und da drin bewege ich mich dann frei.

artechock: Ist es im heutigen deutschen Film­ge­schäft leicht, so eine impro­vi­sa­to­ri­sche Arbeits­weise durch­zu­setzen?

Schneider: Das geht nur, wenn ich mit meinem Film­ver­leiher Hanno Huth zusam­men­ar­beite, sonst geht das nicht. Weil er das kennt. Das ist jetzt der vierte Film, den wir gemeinsam machen, und bei dem vierten Film hatte ich wirklich freie Hand. Bei den anderen nicht so. Die anderen sind ja auch nicht so gut.

artechock: Na ja, Praxis Dr. Hasenbein finde ich schon toll...

Schneider: Sie sind anders. Das sind auch irgendwo andere Genres. Praxis Dr. Hasenbein ist ein Ausstat­tungs- und Kostüm­film. (Lacht) Davon wollte ich aber ab. Ich wollte mehr die Realität zeigen. Mich nicht verkleiden und so.

artechock: Sie geben sich ja sonst gewöhn­lich immer als Spaß­ma­cher. Über Jazzclub sprechen Sie aber durchaus sehr ernst und dabei auch sehr bewusst über Ihr eigenes künst­le­ri­sches Tun nach­den­kend. Ist diese Selbst­re­fle­xi­vität auch für Sie selbst etwas Neues, oder verraten Sie diesen Zug nur zum erstenmal öffent­lich?

Schneider: Erstmal ist es neu, dass ich es zum ersten Mal verrate. Zweitens gibt dieser Film ja viel mehr Stoff, um darüber zu sprechen, weil er nämlich realis­tisch ist. Drittens sind ja sechs, sieben Jahre vergangen seit meiner letzten Arbeit. Und wenn ich damals zum Beispiel meinen Film promoted habe, dann war der noch gar nicht soweit fertig (lacht ein bisserl), und da konnte ich oft auch gar nix sagen. Aber rede ich da eigent­lich gerne bereit­willig drüber, grade weil das irgendwo schon ein ernst­haftes Thema ist, weil das irgendwo ein ernst­hafter Film ist, wo man aber trotzdem drüber lachen kann. Der irgendwie auch viel von mir preisgibt. Also kann ich auch viel mehr drüber reden. Weil ich sehe ja auch selber in dem Film viel mehr. Nach dem letzten Schnitt ist mir auch selbst klarer bewusst, was dieser Film an Gefühlen auslöst. Das war ja bei den anderen Filmen völlig anders.

artechock: Wenn Sie jetzt so freimütig über den Ernst sprechen, der bei aller Komik auch in Jazzclub steckt, haben Sie da nicht Angst, Sie könnten ein Publikum verscheu­chen, das nur auf „Comedy“ aus ist?

Schneider: Ich glaube, die Leute wollen gar nicht unbedingt immer nur „Comedy“ sehen oder so Halb­quatsch. Die Leute wollen gerne auch Gefühle haben. Und ich bin ja kein „Comedian“ – ich bin Komiker, viel­leicht, oder Musiker. Aber ich bin jetzt nicht derjenige, der einfach nur platte Witze macht. Aber schon bei Jerry Lewis sehe ich beispiels­weise einen deut­li­chen Unter­schied zu anderen „Comedians“. Der Humor von Jerry Lewis kommt aus der Tiefe. Das ist natürlich nicht zu verglei­chen mit Charlie Chaplin, wo der Humor einfach auch sehr tragisch ist, und wo wir auch nicht eigent­lich drüber lachen, nur manchmal. Aber auch bei Charlie Chaplin oder Buster Keaton, das sind ja die zu Leben gewor­denen Beweise, dass man wirklich lachen kann auf eine Art, dass ein ehrliches, ein tiefes Lachen aus dem Herzen kommt. Und nicht einfach nur wegen einer Plat­ti­tüde. Bei Buster Keaton ist die Vorbe­rei­tung er selbst: Sein Gesicht, sein Leben spiegelt sich wieder in seinen Figuren, die er spielt. Das ist immer er selber. Charlie Chaplin – eine andere Tragik, die spielt sich auf einer anderen Art und Weise ab, weicher, berühmter, massen­taug­li­cher. Harold Lloyd noch mehr. Gefällt mir gar nicht, Harold Lloyd. Oder nicht so gut. Dann: W.C.Fields! Diese ganzen großen Kinostars, die auch noch aus der Stumm­film­zeit kommen. Dick & Doof finde ich auch ganz toll. Das ist ein ehrliches Lachen, ein herz­haftes Lachen – oder ein Lachen, das bedeckt ist, und dann auch ein melan­cho­li­sches Lachen. Aber es ist keine Häme, und keine Scha­den­freude, wie das im Fernsehen so oft zele­briert wird, immer diese Scha­den­freude-Scheiße... Und dieser Film hier, den wir da herge­stellt haben, unter meiner Regie – ich muss das einfach dazu sagen, weil so einen Film, das kann nur einer im Kopp haben, das ist einfach so, aber mit vielen Leuten zusammen herge­stellt, die hoffent­lich alle Spaß hatten an der Arbeit, und auch immer noch Spaß haben dann an dem Film. Und die dann auch erfahren, teil­ge­habt zu haben an etwas, das Gefühle ausdrückt... Also dieses Lachen in dem Film ist kein Häme­la­chen, keine Scha­den­freude. Wenn man darüber lacht, dann lacht man aus einem tiefen Grund, zum Beispiel weil das so erbärm­lich ist...

artechock: Gerade diese Szene, in der Teddy früh­mor­gens im strö­menden Regen versucht, völlig durch­ge­weichte Zeitungen auszu­tragen und in Brief­kästen zu stopfen, hat schon was richtig Exis­ten­zi­elles...

Schneider: Genau, exis­ten­zi­elle Realität. Darge­stellt so, dass man einfach drüber lachen muss. Weil die Kamera bleibt die ganze Zeit drauf, und der Mann muss auch noch so lange rummachen, und das ist einfach lustig.

artechock: Aber es ist zugleich auch groß...

Schneider: Ich sag Dir, warum das groß ist. Es ist eigent­lich nicht groß, eigent­lich ist es ganz klein. Es ist nur groß, weil der Mut dabei ist. Der Mut, den Leuten was Kleines zu zeigen. Das macht dann die Größe aus – die ich erstmal nicht beab­sich­tigt habe. Aber wenn sie sich dann einstellt, dann bin ich auch stolz drauf.