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"Ich hatte zuviel Material."

  9.10.2008
 
 
Volker Schlöndorff über seine Filme, sein Leben und seine Autobiografie "Licht, Schatten und Bewegung". Ein Interview-Transkript.

ULZHAN
 
 
 
 

Volker Schlöndorff (geb. am 31. März 1939 in Wiesbaden) ist einer der führenden deutschen Filmregisseure. Bereits als Jugendlicher ging er nach Frankreich, besuchte dort zunächst ein liberales jesuitisches Internat und dann in Paris das "Lycée Henri IV". Einer seiner Klassenkameraden war der spätere Regisseur Bertrand Tavernier. Danach studierte Schlöndorff in Paris Jura und besuchte fast täglich in die Cinémathèque Française. 1959 wurde er Regieassistent von Louis Malle bei ZAZIE DANS LE MÉTRO. Später war er auch Assistent von Jean-Pierre Melville und Alain Resnais.
Etwa zur gleichen Zeit begann Schlöndorff selbst als Regisseur zu arbeiten, debütierte 1964 mit der Musil-Verfilmung DER JUNGE TÖRLESS - dem ersten internationalen Erfolg des jungen deutschen Films.
Mit seiner Verfilmung des Günter Grass-Romans DIE BLECHTROMMEL gewann Schlöndorff 1979 die Goldene Palme in Cannes und 1980 den ersten Oscar für einen deutschen Film.
Unter dem Titel "Licht, Schatten und Bewegung" veröffentlichte Volker Schlöndorff jetzt seine Memoiren - rechtzeitig vor seinem 70. Geburtstag im kommenden Jahr.

Mit Schlöndorff sprach Josef Schnelle

Josef Schnelle: Volker Schlöndorff, die Vorgeschichte Ihrer Autobiografie, dass Sie die gerade jetzt geschrieben haben, ist durch die Gazetten gegangen. Sie sollten erst den Film DIE PÄPSTIN machen und plötzlich sollten Sie ihn aber nicht mehr machen - nachdem Sie doch schon sieben Jahre daran gearbeitet hatten.

 Schlöndorff: Das ist so ein äußerer Anlass, dass man sich plötzlich mit viel freier Zeit konfrontiert sieht. Der innere Anlass oder der eigentliche ist aber, dass ich immer wieder angesprochen worden bin: Ich soll doch mal erzählen von meiner Arbeit früher mit Melville. Ich soll doch mal erzählen, wie ist es überhaupt zum jungen deutschen Film gekommen. Ich soll doch mal erzählen, wer ich überhaupt bin und dann plötzlich hab ich diese Zeit gehabt und gesagt zum Siebzigsten besteht die große Gefahr, dass ein anderer was über mich schreibt, dann will ich dem zuvor kommen.

Wie macht man das dann? Man holt die ganzen Schuhkartons mit Fotos raus, findet Tagebücher wieder, oder ist alles verloren und man muss es alles aus dem Kopf rausholen?

 Schlöndorff: Ich hatte zuviel Material. Genau das, was Sie sagen: die Schuhkartons mit Briefen, Tagebüchern immer wieder angefangen und verworfen von der Schulzeit praktisch bis gestern. Es gibt aber auch mal Ansätze schon mal was zu schreiben. Ich hab mal über das ein oder andere Foto, was ich aus der Kindheit hatte, an das ich mich eigentlich nicht erinnern konnte, versucht da drum herum zu schreiben. Wenn man so viel mit Literaten und mit Schriftstellern in seinem Leben konfrontiert war, dann juckt es einem natürlich immer in den Fingern, irgendwann auch mal paar Sätze aufzuschreiben und so ist das Buch dann allmählich entstanden und nachdem ich paar Wochen geschrieben hatte, hab ich gesagt: Jetzt müsstest du ja eigentlich mal `n Plan machen - also erste freie Assoziation wie beim Drehbuchschreiben und dann muss man sagen, jetzt muss man's ja irgendwie strukturieren. Ja und so hat sich da Fach für Fach gefüllt zu meiner großen Überraschung, weil erstens dachte ich, ich würde niemals mehr als hundert Seiten zusammen kriegen und auf einmal hatte ich über 600 und musste kürzen.

Der Untertitel ist ja „Mein Leben und meine Filme“. Es ist also kein reines Film-Buch, es ist auch ein Buch, indem Sie sehr persönliche Geschichten aus Ihrem Leben erzählen.

 Schlöndorff: Über die Filme hab ich ja nun oft geredet. Nach jedem Film muss man ja doch Interviews machen und das vierzig Jahre lang. Da habe ich eigentlich das Gefühl gehabt, das müsste doch alles gesagt gewesen sein. Was mich ja selbst interessiert hatte war mal nachzugehen, der berühmten Frage „Wer bist du eigentlich?“ und allem, was ich ein bisschen, wo ich mich immer in meinen Filmen hinter den Personen und den Büchern versteckt hab, dass nun mal rauszuholen. Mir war das nicht ganz unbekannt unter uns gesagt, also ich hab mich eben tagebuchmäßig damit befasst und das, das wurde dann immer, immer persönlicher und immer intimer und manchmal auch zu intim, dann musst ich das wieder zurück nehmen und insofern könnte ich eigentlich nur über das Leben, das ich gelebt habe, also das, was außer den Filmen noch war, ohne Weiteres ein Buch schreiben. Die Filme sind das Produkt, aber das Leben, das steht für sich.

Nun lebt man als Filmregisseur ja ein völlig anderes Leben. Man ist sehr, sehr viel unterwegs, es gibt immer diese Ebene von großen Galas, Premieren... So stellt man sich das jedenfalls vor. Ist ein Filmregisseur ein ganz besonderer Wanderer durch die Welt?

 

Schlöndorff: Ich hab immer es verstanden, die Galas und die roten Teppiche und die offiziellen Anlässe ein bisschen so aus meinem Leben auszuklammern, das absolvier` ich pflichtschuldigst aber da bin ich im Grunde auf dem automatischen Pilot und bin gar nicht wirklich anwesend. Und das eigentliche Leben, das ist eben zwischen den Filmen, das ist auch bei den Filmen, aber in den Beziehungen mit den Schauspielern und mit den Technikern, mit denen man zusammen ist, mit den Mitarbeitern: Alles was nachher nicht auf der Leinwand zu sehen ist, wo aber hinter den Kulissen sehr, sehr viel Emotion [dabei ist], mehr Emotion als vor der Kamera noch. Das lebe ich sehr, sehr intensiv, das ist mein eigentliches Leben und das wollte ich beschreiben und auch zeigen: Warum hast du zu dem Zeitpunkt dieses Buch und nicht ein anderes gelesen, und warum ist dir dieser Film misslungen, und warum ist dir ein anderer gelungen? Und das hat immer sehr viel mit einem selbst zu tun, mit dem Zustand, in dem man gerade war: War man verzweifelt oder war man überheblich oder war man mit einer Sache noch nicht fertig oder hatte man gerade einen neuen Freund oder einer neue Frau getroffen oder eine Auseinandersetzung mit seinem Vater gehabt. Und das ist sozusagen der Hintergrund der Filme, das ist die Substanz, aus der [sich] die Filme sich gespeist haben.

Man erlebt ja noch so allerhand bei Dreharbeiten, am Set oder bei der Entwicklung der Filme, das ist ja auch ein Großteil der Arbeit eines Filmregisseurs...

Schlöndorff: Und die vielen Filme, die nicht gemacht werden! Das ist ja nicht nur bei „Die Päpstin“ so gewesen, sondern es gibt ja einen Friedhof an Projekten, an denen man oft genauso intensiv gearbeitet hat wie an den Filmen, die dann zustande gekommen sind. So kurz vorher abgebrochen, wo man eigentlich nur noch hätte drehen müssen, wie man so sagt. Wo man aber sehr viel investiert hat. Ich hab in den Rocky Mountains mit der Witwe eines Mormonen, Poligamisten sehr, sehr intensiv zwei Jahre lang an einer Geschichte gearbeitet über die , „Was ist das- eine Polygamie?“ Ein religiös bedingtes Pionier-Leben in den Bergen, eigentlich so diese self-reliance der ersten amerikanischen Pioniere, ein Film, der nicht zustande gekommen ist. Und das andere war ein Projekt, wo also Billy Wilder mich beraten hat, eine Komödie mit Steve Martin über eine Abrüstungskonferenz, an der ich auch sehr lange gearbeitet habe, wo ich also zu echten Abrüstungskonferenzen gefahren bin, das erste Treffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Genf miterlebt hab', solche Sachen, und ja irgendwie will man ja nicht, dass das ganz verloren ist, das waren oft sehr spannende Erfahrungen und das hat mir richtig gut getan, das auch noch mal zu erzählen.

Sie gelten als Spezialist für Literaturverfilmungen. Das ist eigentlich eine Ehre, manchmal wird's auch gegen Sie verwendet. Sie haben sich oft mit Literatur beschäftigt und Literatur in Filme verwandelt. Wie geht man da eigentlich vor?

Schlöndorff: Ich kann nur sagen: die Literatur war gut zu mir. Das heißt, tatsächlich hab ich meine besten Filme nach Büchern gemacht. Das heißt nicht, dass ich nicht auch sehr, sehr oft an sehr großen Büchern gescheitert bin, also bis heute sitzt mir im Nacken „Michael Kohlhaas“ von Heinrich von Kleist. Ich würde den Film heute sehr, sehr gerne noch mal drehen. Ich bin daran gescheitert. Es kann sehr, sehr schwer sein, einen Roman zu verfilmen, den man sehr liebt und es ist eine Geschichte und es sind Personen, die man unbedingt erzählen möchte, und es gelingt einem trotzdem nicht, die auf der Leinwand zum Leben zu erwecken. Man muss ja sehr viel von sich selbst zurück nehmen. Man muss sich ja irgendwie in den Dienst des Autors stellen, man muss dem Buch nachspüren: warum und wieso hat er das gemacht und das ist wie so eine Exploration, eine Entdeckungsreise, oft hat man dann beim Schreiben des Drehbuchs, aber auch ganz besonders beim Proben mit den Schauspielern magische Momente, wo bei allen plötzlich sich die Härchen aufstellen und Gänsehaut auftritt, weil eine Sache ganz besonders intensiv plötzlich vibriert. Und oft sind das dann Szenen, die den Autor des Romans ursprünglich überhaupt dazu gebracht haben, das Buch zu schreiben. Also da gibt es ganz, ganz magische Kräfte. Ich bin kein Esoteriker, aber ich hab das oft erlebt, weil ich auch die Gelegenheit hatte, ob das jetzt Arthur Miller war oder mit Heinrich Böll, mit Max Frisch, mit Grass, mit vielen Autoren darüber zu sprechen über diese merkwürdigen Wege in der Kreativität. Ich meine Geschichten gibt es immer wieder dieselben. Arthur Miller hat mir mal gesagt: „Alle Geschichten sind im alten Testament aufgeschrieben und das waren professionelle Rabbis, da musste [man] nichts dran verbessern, die muss man nur jedes Mal wieder anders erzählen. Dieses „anders erzählen“, die immer selbe Erfahrungen, die Menschen immer wieder machen, die neu so zu erzählen als wär es zum ersten Mal zu beleben, das ist Literaturverfilmung. Und ich kann mir vorstellen, nichts anderes ist auch die Verfilmung von einem Originalstoff.

Jetzt ist aber dann doch manchmal der Schriftsteller im Weg. Der ist dann wirklich da. Sie haben ja mit den beiden großen deutschen Schriftstellern Heinrich Böll und Günter Grass zusammen gearbeitet. Wie ist das denn dann so: Mit denen muss man ja auch arbeiten an ihrem Stoff. Ist das nicht dann doch etwas schwierig, weil man an ihren Babys rumdoktert?

 Schlöndorff: Also mir ist immer leichter gefallen mit den lebenden Schriftstellern auszukommen als mit den toten. Musil, sagen wir mal: Das ist gerade noch so gut gegangen, mit wie gesagt, Proust und Kleist würde ich sagen, bin ich weitgehend gescheitert. Nein, wenn man einem lebenden Schriftsteller gegenüber sitzt und der auch anerkennt, dass ein Film etwas anderes ist als ein Buch und dass der Film ja nicht das Buch ersetzen soll, sondern dass das eben in einem anderen Medium neu erzählt wird. Dann sind die Schriftsteller meistens sehr offen zu einer Zusammenarbeit, also sehr offen auch, Sachen zu ändern, im Gegenteil: Die wollen immer viel zu viel ändern! Die möchten im Grunde ihr Buch neu schreiben und umschreiben. Sie sind aber auch sehr auskunftswillig, also man kann sie fragen, zum Beispiel bei Max Frisch, das war sehr, sehr spannend herauszubekommen: Wie war das denn bei dem Homo Faber? Kurz vor dem Ausbruch des Krieges, diese Frau, die Sie da geliebt haben? Gab's die denn in Ihrem Leben? Oder warum spielt das denn in Südamerika? Und dann sagt er: „Naja, ich hatte gerade eine Südamerika-Reise gemacht und wollte erzählen, was ich erlebt hab bei denen zu Hause.“ – „ Ach so einfach ist das. Ja wo kommt denn dann die Tochter her, die Sabet plötzlich?“ Sagt er: „Ja der Pferdeschwanz von Frauke Wirrkopf ist plötzlich auf dem Schiffsdeck aufgetaucht und da hab ich gedacht, jetzt ist das Buch verbatzt, weil das läuft auf einen Inzest hinaus und den kann ich nicht erzählen.“ Also da hab ich auf einmal gemerkt, der hat beim Schreiben seines Buches dieselben Probleme wie wir beim Schreiben eines Drehbuches haben. Also immer wieder überrascht werden von dem eigenen Personal. Auf der Ebene ist es sehr, sehr hilfreich mit den Schriftstellern zu sprechen. Am Extremsten war das mit Arthur Miller. Nun gut, der ist Dramaturg und der kam auch immer zu den Proben und zu den Dreharbeiten und stand hinter mir und ich hab mich oft zu ihm umgedreht und gefragt: „Arthur, wie ist das? Wie sieht das aus?“, weil ich die Angst überwunden hatte. Die Angst, die ich bei Günter Grass noch hatte. Der kam ein einziges Mal an einen Drehort von der Blechtrommel und ich war so eingeschüchtert, dass der mir über die Schulter schaute, dass ich den ganzen Drehtag versaut hab und musste nachdem er abgereist war - eine Woche später - den Tag noch mal wieder nachdrehen. Also es gibt da viele Beziehungen, es ist jedenfalls immer sehr, sehr spannend.

Wieso ist es eigentlich nicht zu dem geplanten zweiten Teil der Blechtrommel gekommen? Die Blechtrommel, das ist ja der Film, mit dem Sie bei den meisten Menschen immer noch immer wieder verbunden werden, war auch ein großer Erfolg mit der goldenen Palme und dann dem Oscar und dann würde man so als Laie doch sagen: „Naja, dann machen die doch bestimmt schnell Teil Zwei“.

Schlöndorff: Der zweite Teil war auch nicht nur geplant, sondern war ein festes Versprechen, was ich Günter Grass gegeben hab, weil er glaubt nicht an die Theorie von der Stunde Null, das heißt 1945 hat nicht eine deutsche Welt aufgehört und eine andere angefangen, sondern es waren die selben Menschen, die weiter gelebt haben in der gleichen Gesellschaft und deshalb musste ich ihm versprechen, der Teil von 1945 bis dann im Grunde zum Wirtschaftswunder und noch so weiter, den werden wir eines Tages machen und zwar dann, wenn unser Hauptdarsteller David Bennent ungefähr dreißig Jahre alt ist. Fünfzehn Jahre nachdem wir den ersten Teil gemacht hatten wär es dann soweit gewesen eigentlich die Fortsetzung mit dem gleichen Darsteller zu erzählen. Und wir haben auch viele Drehbücher geschrieben und immer kam etwas dazwischen: Einmal gab es dafür keine Finanzierung, weil der zweite Teil galt eben als nicht so gut wie der erste Teil, dann wollte der David Bennent partout diese Rolle nicht mehr spielen. Der wollte sich frei machen von diesem Gnom, der wollte jetzt nicht nach dem Krieg das bucklige Männlein spielen und auf einmal war die Zeit vorbei. Das passiert auch. Ich denke sogar heute noch dran, warum nicht eigentlich das Fortschreiben bis sagen wir mal, bis zum Fall der Mauer?

Mit Böll haben Sie ja „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ gemacht. Das war ja so eine Zeit, wo Sie sich sehr, sehr politisch eingemischt haben, wie eigentlich die ganze Szene der deutschen Filmemacher.

Schlöndorff: Es wäre auch sonst nie zu dem Film gekommen. Ich hab Heinrich Böll kennengelernt, weil wir wollten, also Margarita von Trotta und ich das „Gruppenbild mit Dame“ machen, also im Grunde die Zeit, auf die ich gerade angespielt hab auch von dem zweiten Teil der Blechtrommel, nämlich die Zeit, die ich bewusst erlebt habe. Meine erste Erinnerung ist 1945 so ungefähr diese Nachkriegszeit und der Wiederaufbau und das wäre mit „Gruppenbild“ wunderbar gewesen, wir hatten eine Option und wir haben nie das Geld dafür zusammen bekommen. Es gab leider in Deutschland überhaupt kein Interesse daran und dann hat Böll mich, mir eines Tages die Fahnen zu „Katharina Blum“ geschickt, zu einer Zeit als er sehr angegriffen wurde als der angeblich geistige Vater der Bader-Meinhof-Bande, geistige Vater der Gewalt und das Buch hat ja auch den Untertitel „Wie Gewalt entsteht und wohin sie führen kann“. Das war also seine Antwort, seine sehr polemische Antwort und wir waren, ich war damals auch sehr engagiert über die Rote Hilfe, über die Haftbedingungen der inzwischen ja festgenommenen RAF-Leute, Baader-Meinhof-Leute und dass es ne völlig natürliche Arbeit war, die es auch irgendwie, weiß gar nicht wie, wie in Trance so ganz schnell hingedreht, gedreht, zustande gekommen ist. Das war als ob man nur ein Medium ist und eigentlich diktiert einem die Gesellschaft drum herum den Film, den man zu machen hat und so wurde er einem dann auch vom Publikum aus der Hand gerissen. Das lag einfach damals in der Luft, das war so etwas, was in dem Moment sein musste.

Und Sie haben ja noch quasi noch mal einmal, auf diese ganze Stoffgruppe zurückgegriffen in dem Film „Die Stille nach dem Schuss“, den Sie mit Wolfgang Kohlhaase, dem DEFA-Dramaturgen und Drehbuchautor geschrieben haben. Das war so etwas wie eine Abrundung dieser Geschichten?

 Schlöndorff: Ich bin aus New York zurückgekommen nach dem Fall der Mauer, weil ich dachte, jetzt werden in Berlin die Stoffe auf der Straße liegen, wenn hier die zwei Gesellschaftssysteme aufeinander knallen. Und hab sehr schnell den Wolfgang Kohlhaase kennengelernt, der für Konrad Wolf und viele andere, Solo Sunny, die Drehbücher geschrieben hat und wir haben gemeinsam gesagt, machen wir doch einen Ost-West-Film. Die erste Geschichte, auf die wir gestoßen sind, das waren eben diese elf Terroristen aus dem Westen, die in der DDR Unterschlupf gefunden hatten und das war natürlich für mich noch mal die „Katharina Blum“ zwanzig Jahre später: Was aus ihr geworden ist und eigentlich ein Abgesang auf diese Utopie.

Mich hat in dem Buch sehr beeindruckt, wie ehrlich Sie zu sich selber sind, also eine Passage werd ich vorlesen: „Gnadenlos die Kritik mäßigt der Besuch am schlimmsten der Trost, der Freunde.“ Es handelt sich dabei um „Eine Liebe von Swann“. Wie ist das im Leben eines Filmemachers? Wenn er das Gefühl hat: Dieser Film war ein Misserfolg. Traut man sich dann erstmal eine ganze Weile nichts zu?

Schlöndorff: Erstmal muss man sich vorstellen, man wäre Architekt und man baut ein Haus und es stürzt ein. Oder man ist Arzt und macht eine Operation - Exitus, der Patient stirbt. Man hat doch eine enorme Verantwortung einerseits für das Geld, das ausgegeben wird und andererseits auch als Künstler dem Werk gegenüber. Da im letzten Fall, also Proust, Marcel Proust immerhin, „Eine Liebe von Swann“. Und dann geht man mit sich ins Gericht aber vor allen Dingen versucht man auch zu analysieren, auch im Gespräch mit anderen: Was ist schief gegangen? Wo haben wir den Fehler gemacht? Lag es an der Statik oder war nicht genug Mörtel zwischen den Steinen? Oder waren es die Personen oder hast du überhaupt gar nicht begriffen, worum's da ging? Hat dir die Erfahrung aus dem eigenen Leben gefehlt um das richtig zu erzählen? Zum Beispiel mein großer Freund Billy Wilder, der hat noch Jahrzehnte, nachdem er Filme wie „Kiss me stupid“ oder „Reporter des Satans“ gemacht hatte, die Pleiten waren, mit mir Abende diskutiert, wo wohl der Fehler lag. Wir sind ja da alle immer wieder neugierig und es ist nicht alles zu erklären. Man kann weder alle Erfolge erklären, noch kann man alle Niederlagen erklären. Oft liegt's auch gar nicht am Film, sondern an den Zeitumständen, weshalb der eine Film plötzlich ein Erfolg ist und der andere ein Misserfolg.

Das ändert sich auch im Laufe der Zeit. Also die beiden Filme...

Schlöndorff: Ja rückblickend gibt es, kann man plötzlich, wird ein Film wieder gerechtfertigt.

Ja mir gefällt zum Beispiel „Eine Liebe von Swann“ auch und die beiden....

 Schlöndorff: Ich hab ihn vorgestern wieder gesehen, weil ich für die DVD die Lichtbestimmungen anschauen musste, also die Farb- und Lichtgestaltung und hab mich immer wieder gekniffen, hab immer gedacht, ja ist doch gar nicht so schlecht, ist sogar richtig gut!

Ja und die beiden Billy Wilder-Filme, die sie nannten, die gelten als Meisterwerke.

 

Schlöndorff: Ja es sind auch absolute Meisterwerke. Aber es gibt eben eine permanente Beschäftigung, die man damit hat- immer wieder, es reißt nicht ab. Und es ist eben auch in dem Buch. Ich wollte nun nicht nur ununterbrochen die Filme analysieren, das langweilt ja auch, das ist für mich selbst wichtig. Aber ich wollte immer wieder die Beziehung zum eigenen Leben herstellen und das ist eigentlich sagen wir mal das Neue! Die Filme sind ja bekannt, aber die Beziehungen, die sich da ergeben und die eigentlich dann auch erst die Antwort geben können ob ein Film gelungen oder misslungen ist.

Sie kommen ja eigentlich aus einer ungewöhnlichen Richtung, Sie kamen nämlich aus Frankreich und haben da das Handwerk gelernt, haben da auch Ihre Schulzeit verbracht in einem Internat. Sie waren ja auch viel erfahrener als die anderen Filmemacher des „Jungen deutschen Films“ die sich noch alles selber beibrachten und Sie hatten ja schon mit großen Regisseuren gearbeitet, mit Louis Malle und Jean-Pierre Melville zum Beispiel.

Schlöndorff: Im Gegensatz zu heute, das kann man sich gar nicht mehr vorstellen so Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre gab's ja in Deutschland weder Filmschulen noch überhaupt Filmproduzenten oder Regisseure, die sich um Nachwuchs gekümmert hätten. Das waren eben Routine-Produktionen „Papas Kino“ und das war's und davor war ich ja nach Frankreich geflohen schon mit der geheimen Absicht, vielleicht schaffst du's ja irgendwie zum Film zu kommen. Nachdem ich mich genügend umtriebig verhalten hab, bin ich also tatsächlich mit Regisseuren zusammen gekommen, mal mit Mèlville und mal mit Malle vor allen Dingen. Habe viele Filme als Regie-Assistent gemacht, war zum Schluss ein richtiger Profi als Regie-Assistent und als ich dann meinen ersten Film machen wollte, haben die gesagt: Ne, ne, ne! Nicht hier in Frankreich! Geh du mal schön zurück nach Deutschland. Wir haben genug eigene Regisseure, wir wollen jetzt mal, dass du uns deine Geschichten, also deutsche Geschichten erzählst. Und mit diesem Ansatz kam ich nach München mittenrein in eine Szene, die gerade im Entstehen war mit Alexander Kluge, Peter und Ulrich Schamoni, mit Werner Herzog, Straub war schon da, mit Danièle Huillet und plötzlich bin ich zwar von außen gekommen, aber wir hatten alle den gleichen Ansatz: Wir wollten Filme machen, die deutsche Geschichten in unserer deutschen Wirklichkeit und Gesellschaft erzählen und als genügend kritische Masse beisammen war, ist dann der Funke geflogen und es plötzlich gab es den „Jungen deutschen Film“.

Meine Lieblingsfigur in ihrem Buch ist ja ein Pater, der „Pater Picasso“, bei dem Sie im Internat, im Jesuiten-Internat waren und der ist so eine Figur, die so richtig lebendig ist und die Sie doch auch eigentlich so ein bisschen in diese Richtung geschubst hat.

Schlöndorff: Wenn Sie das jetzt sagen, dann bedaure ich sehr, dass ich nicht doch eine Zeichnung im Buch hab, ich hab ja viele Fotos drin, es gibt zum Beispiel eine wunderbare Karikatur von Kalder diesen Pater Picasso, der war tatsächlich ein sehr, sehr kunstsinniger und aber auch sehr politischer Jesuit, der in der Résistance war, wovon er nie gesprochen hatte, aber der gleich nach dem Krieg sich um Flüchtlingslager in Deutschland gekümmert hat, der dadurch deutsch sprach. Und als ich nun als Deutscher dann auf das Internat kam, wurde ich ihm zugeteilt. Eine glückliche Fügung, denn er war auch Leiter unseres Film- und Theaterklubs und dann hat er mich erstmal in die Theatergruppe gesteckt. Ich konnte kein Wort französisch, hat mit eine kleine Rolle in irgendeinem Stück gegeben. Da musste ich halt diese zehn Sätze aus diesem Stück auswendig lernen, die hab ich dann wie bei Ionesco überall wo ich konnte angebracht. Dann hab ich zum ersten Mal einen Stummfilm gesehen, da auf seinem 16mm-Projekt  und das war die Jeanne d'Arc von Dreyer, die unglaublichen Großaufnahmen von Falconetti, wie ihr die Haare geschoren werden und wer noch ergriffener war als ich, das war dieser Pater Picasso, wie wir ihn nannten, dem also buchstäblich bei jedem Mal wieder die Tränen übers Gesicht liefen und da hab ich auf einmal gemerkt: Kunst, das ist ja nicht nur die Oper in Wiesbaden war so verschriebener Kulturgenuss, sondern das ist ja etwas, was einen wirklich an Bauch und an die Nieren gehen kann. Und der hat dann als er meine eigene Begeisterung für Film spürte, mir praktisch gesagt „Ja dann musst du auch Film machen, dann darfst du jetzt nicht Medizin oder Jura studieren, du musst das ernst nehmen, was du da in dir spürst“. Einen solchen Rat hätte mir bestimmt kein Lehrer auf unserem Gymnasium in Wiesbaden gegeben und dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Es gibt noch eine bewegende Geschichte, in der Sie sehr ehrlich davon berichten, wie Sie so eine Art Doppelleben auf zwei Kontinenten geführt haben, was schließlich zur schmerzlichen Trennung von Margarethe von Trotta führte. Also ich möchte Ihnen dazu gratulieren, da es wie Max Frisch also mit solchen Verirrungen, Wirrungen des Lebens so umgeht. Das hat mir sehr gut gefallen. Das fand ich richtig spannend und es ist auch irgendwie auch ein Film.

Schlöndorff: Der Hinweis auf Max Frisch ist sehr richtig. Ich glaub ich hätte das nicht bewältigen können, also nicht aufschreiben können, wenn ich nicht mit Max Frisch so intensiv an dem „Homo Faber“ gearbeitet hätte. Ich hab ihm zwar also meine eigene, mein 47. Lebensjahr, in dem so alles drüber und drunter ging, nicht erzählt. Übrigens war das zwar eine schmerzhafte Trennung, aber aufgrund einer großen Liebe, also das war ja auch etwas sehr, sehr Schönes und da hab ich natürlich kaum je mit jemandem drüber gesprochen. Und wie gesagt in New York hatte ich ein Leben, in München hatte ich ein anderes und irgendwann hatte ich dann gar keins mehr. Das war für mich auch übrigens einer der Gründe, warum ich das Buch geschrieben habe. Ich wollte damit irgendwie fertig werden und ich hab diese Kapitel auch viele, viel Male wieder neu geschrieben. Das ist nicht leicht in den Griff zu bekommen, das wirkt entweder weinerlich oder anklägerisch. Es betrifft ja auch lebende Menschen, auf die man Rücksicht nehmen muss. Also danach hab ich mich nach dem nächsten Film gesehnt, aber bitte nicht über meine eigene Geschichte.

 Jetzt sind Sie ja, wie Sie so schön beschreiben, in einem märkischen Sand gelandet, da gab's noch ein Intermezzo, auf das ich kurz eingehen möchte, nämlich als Manager in Babelsberg. War das für Sie - strich-drunter-ziehend - ein Erfolg oder eine Belastung?

Schlöndorff: Die Jahre als Manager, das war mir ja nicht an der Wiege gesungen worden. Das war ein furchtbares Joch, ein furchtbare Belastung. Ich hab es jahrelang auch als einen großen Irrtum betrachtet und erst heute, fünfzehn Jahre später, wo ich sehe, dass das Studio lebt und blüht und zwar nur aufgrund des Einsatzes, den wir damals geleistet haben, finde ich mich nachträglich gerechtfertigt, aber natürlich ein Filmregisseur sollte Filme machen und sollte nicht Manager und Geschäftsmann werden.

 

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