07.12.2000

»Ja, es ist ein typisch deutscher Stoff«

Vier Menschen auf einer Couch
Tropfen auf heiße Steine

François Ozon über Tropfen auf heiße Steine

Der 1963 geborene François Ozon gehört zu den inter­es­san­testen Vertre­tern der jungen fran­zö­si­schen Regis­seurs­ge­ne­ra­tion. Nach zwei schrägen Komödien (Sitcom) und mehreren Kurz­filmen (die ebenfalls ab dieser Woche in ausge­wählten Kinos gezeigt werden) hat sich Ozon in seinem neuesten Film an ein besonders unge­wöhn­li­ches und über­ra­schendes Thema gewagt: Tropfen auf heiße Steine ist die Verfil­mung eines Thea­ter­s­tücks, dass Rainer Werner Fass­binder im Alter von 19 Jahren geschrieben hat. Es wurde zu Fass­bin­ders Lebzeiten nie insze­niert.
Rüdiger Suchsland sprach mit Ozon.

artechock: Wie kamen Sie darauf, ausge­rechnet ein nahezu unbe­kanntes Fass­binder-Stück zu insze­nieren?

François Ozon: Ich habe schon lange einen Film über die Schwie­rig­keiten einer Zweier-Beziehung machen wollen. Dabei war es mir völlig egal, ob es sich um eine hete­ro­se­xu­elle oder homo­se­xu­elle Beziehung handelt. Ich hatte das Stück von 5 Jahren in einer Pariser Auffüh­rung gesehen, und mich daran erinnert. Als ich es wieder las, gefiel es mir sehr gut. Gerade weil ich kein Deutscher bin, hatte ich genügend Distanz zu der Geschichte und ihren gesell­schaft­li­chen Hinter­gründen, um daraus einen Film machen zu können. Fass­binder scheint mir heute auch zu Unrecht relativ vergessen – gemessen an seiner Bedeutung.

artechock: In Deutsch­land ist er tatsäch­lich vergessen. Aber gilt das auch für Frank­reich?

Ozon: Er ist da viel­leicht weniger vergessen. Man kennt seine Filme, es gibt immer wieder Retro­spek­tiven – insofern ist er als Filme­ma­cher sehr respek­tiert. Mit seinen Thea­ter­s­tü­cken seht das anders aus. Allen­falls ein paar junge Regis­seure inter­es­sieren sich dafür.

artechock: Was ist Ihre persön­liche Beziehung zu Fass­binder?

Ozon: Ich lernte seine Filme als Schüler kennen, als ich etwa 16 war. An der Schule gab es regel­mäßige Kurse in Film­ge­schichte. Mein Lehrer liebte die Filme von Wim Wenders, und hat sich mit uns eine Retro­spek­tive seiner Filme angesehen. Um ehrlich zu sein, hat mich Wenders tödlich gelang­weilt – bis heute ist das so. Ich bin fast einge­schlafen. Und einmal habe ich mich davon­ge­schli­chen. In einem Nach­bar­kino lief ein Fass­binder-Film: Die Ehe der Maria Braun. Ich habe nur Teile gesehen, aber war faszi­niert. Daraufhin habe ich alles von Fass­binder gesehen, was ich sehen konnte. Es war mein Initi­al­er­lebnis als Filme­ma­cher. Seine Stücke habe ich erst später kennen­ge­lernt.

artechock: Wie verfilmt man den Stoff eines so bedeu­tenden, aber auch schwie­rigen Film-Autors? Gerade wenn Sie Fass­binder so respek­tieren, gab es doch viel­leicht Berüh­rungs­ängste...

Ozon: Ich möchte mich als Filme­ma­cher keines­falls mit Fass­binder verglei­chen. Mir schien es sinnvoll, mich im Stil ein wenig an ihn anzu­lehnen, ohne natürlich plump zu imitieren. Aber gegenüber dem Text war ich nicht sehr demütig.

artechock: Sie haben das Stück zum Teil umge­schrieben...

Ozon: Ja, Fass­binder war 19, als er das Stück schrieb. Der Anfang hat mir sehr gefallen, gegen Ende verliert es aber auch, ist zum Teil regel­recht miss­lungen. Ich habe einiges verändert, und zudem eine Figur verwan­delt, Alter verändert, und ähnliches. Ziel war, das Personal glaub­wür­diger zu machen. Zum Teil habe ich mich in alldem aber auch wieder an andere Arbeiten von Fass­binder angelehnt.

artechock: Wie blickt man als Franzose auf diesen Stoff, der doch vieles enthält, dass eine typisch deutsche und zudem in den 60er Jahren verhaf­tete Proble­matik wieder­spie­gelt?

Ozon: Ja, es ist ein typisch deutscher Stoff. Diese Form, in der Sexua­lität und Macht verbunden sind, scheint mir speziell zu sein. In meinem Film wird alles aber durch eine fran­zö­si­sche Brille gesehen. Ich wollte auch diese Sicht nicht verlieren. Also: ein europäi­scher Film.

artechock: Ich glaube, vergli­chen mit dem derzei­tigen deutschen Film wirkt Ihrer typisch fran­zö­sisch. Das ist als Kompli­ment gemeint. Können Sie präzi­sieren, was hier das „typisch deutsche“ ist?

Ozon: Die Art der Liebes­be­zie­hungen. Fass­binder hat hier einer­seits nach dem verlo­renen Krieg und der ganzen deutschen Schuld eine sehr pessi­mis­ti­sche Sicht des Menschen gezeigt, ande­rer­seits doch versucht eine univer­selle Vision zu entwi­ckeln. Diese versteckte Ausein­an­der­set­zung mit der Romantik, dieser Anti­ro­man­tismus eines Roman­ti­kers erinnert mich an Heinrich Heine. Fass­binder ist ähnlich ironisch, aber eben auch ein indi­rekter Roman­tiker.

artechock: Was haben Sie für ein Verhältnis zu den sechziger Jahren? Wir gehören einer ähnlichen Gene­ra­tion an – mir scheint auf viele unserer Alter­ge­nossen wirkt diese Epoche heute sehr anti­quiert. Die Sicht auf Sexua­lität, auf Politik & Gesell­schaft, die Poli­ti­sie­rung der Sexua­lität war eine ganz andere als heute.

Ozon: Ich war ein Kind, aber ich habe viele Erin­ne­rungen. Man war stark engagiert, der Kommu­nismus schien eine reale Option. Es stimmt leider, dass das einem Zwan­zig­jäh­rigen heute gar nichts mehr bedeutet.

artechock: Wie würden Sie vergli­chen mit damals den heutigen Zeitgeist beschreiben? Als größere Gelas­sen­heit, oder als Indif­fe­renz?

Ozon: Als Vergessen. Heute inter­es­siert man sich kaum noch für die Vergan­gen­heit. Die allge­meine Stimmung ist sehr ober­fläch­lich. Nehmen Sie nur Fass­binder. Vor 20 Jahren war er welt­berühmt, Deutsch­land könnte stolz auf ihn sein. Aber man hat ihn hier völlig vergessen. Das finde ich traurig.

Ich habe den Eindruck, dass man in Deutsch­land Film ausschließ­lich als Unter­hal­tung versteht. In Frank­reich ist es anders. Film gilt bei uns als Kunst es gibt viele Cine-Clubs, die die Kino­kultur pflegen. Auch kultur­po­li­tisch wird in Frank­reich mehr für den Film getan, als in Deutsch­land. Das ist schade, denn ich bin davon überzeugt, dass es Filme wie die von Fass­binder verdienen, gesehen zu werden. Sie sind so wichtig für die deutsche Kultur, Fass­binder setzt sich mit der Ära Adenauer ausein­ander, mit der Entwick­lung der deutschen Nach­kriegs­ge­sell­schaft. Wir reden hier von einem wichtigen Teil der deutschen Kultur­ge­schichte. Seine Filme sind histo­ri­sche Schätze.

artechock: Ich sehe es ähnlich, aber ich glaube, dass heute viele Leute Fass­bin­ders Kino als Anti­quiert­heit wahr­nehmen, und glauben, die Zeit sei darüber hinweg­ge­gangen. Man kann mit dieser Art von Diagnose nichts anfangen. Es gibt ja deutsche Filme, die sich mit der Nazi-Zeit oder den 50ern befassen, aber eben ganz anders, als Fass­binder es tat.

Ozon: Wie geschieht das zum Beispiel?

artechock: Histo­ris­tisch und gefällig. Als Stoff für Unter­hal­tung. Man sieht diese Zeit nicht mehr politisch, als offene poli­ti­sche Frage, sondern als eine Epoche, die vergangen ist; in der man aber – weil es eine „aufre­gen­dere“ Zeit war, „gute Geschichten“ erzählen kann. Das hat natürlich auch eine zynische Kompo­nente, ande­rer­seits kommt es manchmal auch mora­li­sie­rend daher. Aber politisch ist es nicht.

Ozon: Das ist natürlich schon deswegen schlecht, wenn sie an Ereig­nisse denken, wie Haiders Regie­rungs­be­tei­li­gung in Öster­reich. Fass­binder thema­ti­siert ja gerade diese Fragen von Schuld und Hass. Histo­risch ist es natürlich inter­es­sant, dass einer wie er, der diese Arbeit der Vergan­gen­heits­be­wäl­ti­gung hinter sich hat, heute eher ignoriert wird. Es ist mein Eindruck, dass viele Deutsche nicht die selbe Arbeit leisten wie er.

artechock: Kritik braucht etwas, auf dem sie ruht, worauf sie sich beziehen kann. Viele sind der Ansicht, die Linke hätte keine Visionen mehr, es gebe keine Programme mehr, auf die sie sich beziehen kann. Ist es aus Ihrer Sicht eine Selbst­täu­schung vieler Filme­ma­cher oder Intel­lek­tu­eller, die sich als politisch verstehen, oder stimmen Sie dieser Sicht zu?

Ozon: Oh nein, ich glaube ganz bestimmt, dass es sich da um Selbst­täu­schungen handelt. Lange Zeit ist die Welt binär gewesen: Kommu­nismus vs. Kapi­ta­lismus, man kennt das; alles hat sich nach diesem Gegensatz konstru­iert. Heute leben wir in Verhält­nissen, die kapi­ta­lis­tisch und libe­ral­so­zi­al­de­mo­kra­tisch sind, und es scheint, als wäre die Politik aus denen verschwunden. Als gebe es keine Politik mehr, keine großen Ideo­lo­gien, nur feine Unter­schiede, wie den, dass England ein bisschen liberaler und Frank­reich ein bisschen sozi­al­de­mo­kra­ti­scher ist. Gleich­zeitig gibt es aber – glück­li­cher­weise muss man fast sagen – viel Spielraum für poli­ti­sche Aktivität. Und natürlich gibt es Dinge, die politisch zu kriti­sieren sind: Ungleich­heiten, die Unge­rech­tig­keit zwischen Nord und Süd. Aus diesen gründen muss man aus meiner Sicht weiterhin Politik und poli­ti­sche Filme machen. Und es ist schade, dass Fass­binder nicht da ist, um dies zu tun. Und dass es keine anderen deutschen Cineasten gibt, die das leisten (können).

artechock: Welche Rolle spielt in diesem Tableau die Sexua­lität?

Ozon: Sie ist eine große poli­ti­sche Macht. Das ist es, was mich an diesem Stück inter­es­siert: Wir haben da einen Intel­lek­tu­ellen, Franz, der sich für Poesie und Theater inter­es­siert, und der sich dann in einen Menschen verliebt, Leopold, der nicht besonders intel­li­gent ist, nur aufs Kommer­zi­elle fixiert, aber der eine sexuelle Macht über ihn ausübt, die seine sexuellen Phan­tasmen reali­siert, dem er sich komplett aussetzt, und sich von ihm beherr­schen lässt. Der eine Tür öffnet.

artechock: Wer hat ihre Perspek­tive beein­flusst außer Fass­binder? Gibt es bestimmte andere filmische oder intel­lek­tu­elle Vorbilder, die ihre Arbeit an diesem Stoff mitge­prägt haben? Es scheint Anklänge an Michel Foucaults Werk zu geben.

Ozon: Ja, darauf werde ich oft ange­spro­chen. Aber ich habe Foucault nicht gelesen. Aber man hat mir schon gesagt, dass ich ihn lesen sollte. Auf Filme­ma­cher bezogen habe ich einen sehr klas­si­schen Geschmack: Ich schätze Douglas Sirk, Fritz Lang, Hitchcock, Bergman – alles nicht sehr originell.

artechock: Und wen schätzen Sie unter den jüngeren, neueren Regis­seuren besonders?

Ozon: Cronen­berg, David Lynch, Claire Denis, Bruno Dumont. Unter den Deutschen habe ich leider niemanden. Ich mag Cineasten, die etwas versuchen, die in jedem Film etwas anderes auspro­bieren. Die nicht zu sehr den Rezepten der Vergan­gen­heit verhaftet sind. Die eine neue Narra­tionen, neue Sensa­tionen erproben, die expe­ri­men­tieren.

artechock: Wie würden Sie denn Ihren eigenen Stil beschreiben?

Ozon: Das ist die Arbeit von Jour­na­listen, nicht von uns Regis­seuren. Sagen wir so: Ich intel­lek­tua­li­siere nicht alles, was ich mache. Ich stelle mir selbst nicht zu viele Fragen. Ich mache einfach weiter. Gehe voran. Eines Tages, wenn ich Tod sein werde, werde ich darüber nach­denken. [Lacht]

artechock: Aber wenn Sie an Dreh­büchern arbeiten, müssen Sie schon ein bisschen nach­denken.

Ozon: Oh ja, aber das ist kein theo­re­ti­sches Nach­denken. Da geht es um ganz prak­ti­sche Fragen der Erzähl­weise. Das steht für mich wirklich im Zentrum: Welche Geschichte will ich erzählen, und wie mache ich das.

artechock: Früher haben fran­zö­si­sche Filme­ma­cher weit­ge­hend mit einer Stimme gespro­chen, standen für einen bestimmten relativ einheit­li­chen Stil. Heute ist das nicht mehr so. Leider Gottes kommen auch viel weniger fran­zö­si­sche Filme in die deutschen Kinos. Wie sehen Sie das fran­zö­si­sche Gegen­warts­kino?

Ozon: Es ist absolut fertig. [Lacht] Man muss es retten. Nein im Ernst: wir haben natürlich Quoten fürs fran­zö­si­sche Kino. Das hilft enorm. Ich denke es sollte Quoten geben, die den über­mäch­tigen Einfluss des US-Kinos zurück­drängen, und den europäi­sche Film schützen. Bei uns gibt es dazu einen poli­ti­schen Willen. Das ist gut. Auch der kultu­relle Zentra­lismus in Frank­reich kommt dem Film zugute. Seien wir ehrlich: fran­zö­si­sches und italie­ni­sches Kino existiert praktisch nicht mehr. National ist es schlecht, inter­na­tional kommt es gar nicht vor. Europäi­sches Kino heißt heute: Fran­zö­sisch und Britisch. Die haben natürlich einen Sprach­vor­teil. Aber beide Länder machen auch andere Film­po­litik. Und sie haben eine andere Film­kultur. Das zahlt sich aus.