07.08.2025
Cinema Moralia – 356. Folge

Wo bleibt das Bier in der Kunst?

The Good German
The Good German…
(Foto: Warner Bros.)

Körperoptimierung ist keine Filmoptimierung und Schauspieler sind keine Politiker; Filme zu Hiroshima und Potsdam und Probleme mit der Filmförderung NRW – Cinema Moralia, Tagebuch eines Kinogehers, 356. Folge

Von Rüdiger Suchsland

»You can never really get out of Berlin.« – aus: The Good German

»Es gibt kein 'Dreh­schluss-Bier' mehr«, erzählt eine Regis­seurin, die gerade abgedreht hat, im bier­se­ligen Gespräch: »Früher ist man nach dem Dreh zusammen was trinken gegangen. Heute gehen die Leute nach dem Dreh klettern, schwimmen, machen Yoga. In jedem Fall jeder allein, und dann auch allein nach Hause.« Ich glaube, dass das nicht nur ein Symptom für den Puri­ta­nismus und den Gesund­heits-Wahn heutiger Menschen ist, sondern auch für die Verein­ze­lung der Gesell­schaft. Für einen fehl­ge­lei­teten Indi­vi­dua­lismus auch. Und natürlich für den Body-Narzissmus der Gene­ra­tionen Y und Z. Man muss sich »spüren«, aber am Berg, nicht in der Kneipe.

Jetzt aber Prost!

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Apropos Berg: Eigent­lich wollte ich zu dem traurigen Tod von Laura Dahlmeier überhaupt nichts schreiben. Was soll man da auch sagen?
Aber viel­leicht doch ein Gedanke: Wenn es irgend­einen anderen getroffen hätte, ob ein Fußballer des FC Bayern oder viel schlimmer noch: einen Politiker oder Halb-Promi, oder – Gott bewahre! – irgend­einen Techno-Bro à la Elon Musk oder wenigs­tens DAX-Vorstand, dann wären sich alle ganz einig gewesen im Schimpfen: »Was muss der Depp auch Tausende von Kilo­me­tern nach Pakistan fliegen, um in acht Wochen eine Handvoll Sechs­tau­sender zu besteigen?« Man hätte über die Klima­kosten und über Allmachts­phan­ta­sien, über Mach­bar­keits­wahn und sowieso Männ­lich­keit räson­niert. Der Wahnsinn, dass die Leute um jeden Preis auf Berge steigen müssen, die für Menschen nicht gemacht sind – egal ob sie nun gut ausge­bildet sind oder nicht, irgend­welche Berg­stei­ger­scheine haben oder nicht – wäre zum Thema gemacht worden. In diesem Fall aber kein Wort von alldem.
Man versteht schon warum, und natürlich gibt es auch ein paar Unter­schiede, aber vor allem lernen wir wieder einmal die Wahrheit der Medi­en­ge­sell­schaft: Man braucht eine gute Geschichte, und die hat Laura Dahlmeier immer geliefert, eine sympa­thi­sche Heldin, wie sie eine war, und selbst­ver­s­tänd­lich gibt es in der Öffent­lich­keit keine Gleich­heit: weder der Chancen noch des Anspruchs auf Gleich­be­hand­lung. In den Medien regiert die Klas­sen­ge­sell­schaft und ein Auto­ri­ta­rismus der Wirkung, des Glamour und des Charisma, die Diktatur der Sympa­thien.

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»Der einzige Krieg, der es wert ist gekämpft zu werden, ist der, der Leben rettet. Unsere Führer machen Fehler und die Armee hat den Verstand verloren.« – »Vater man wird dich einen Verräter nennen wenn du so redest.«
Eine kleine Dialog­zeile aus »Barfuß durch Hiroshima«. Diesen groß­ar­tige Anime von 1983 nach dem berühmten Manga von Keiji Nakazawa habe ich am Wochen­ende wieder­ge­sehen, aus Anlass des heutigen 80. Jahres­tages des ersten Atom­bom­ben­ab­wurfs. Einer der aufwüh­lendsten, besten Filme zu diesem »Zivi­li­sa­ti­ons­bruch« (Hannah Arendt). Alles ist erstmal in fast naivem, märchen­haftem Realismus erzählt, etwa so, wie die Geschichten der Grimms auch etwas von der Not und den Träumen der einfachen Leute erzählen. Als dann aber die Bombe fällt und explo­diert, wird es zu japa­ni­schem Expres­sio­nismus: In allen Farben zerreißt die Leinwand, brechen Körper auf und bekommt das Unfass­bare Gestalt. Es sind ikonische Szenen, die hier gelingen, realis­ti­scher als jeder Realismus; Szenen, die man nicht vergisst und trotz all ihrem Schrecken auch immer wieder sehen will.
Ein extrem harter, expli­ziter Film, dessen Eindruck der junge Held auf den Punkt bringt: »This is hell.«

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Ebenfalls gesehen, nach fast 20 Jahren und auch aus histo­ri­schem Anlass, nämlich dem 80. Jubiläum der Potsdamer Konferenz, die die Stabi­lität der Nach­kriegs­ord­nung und die Freiheit Europas zemen­tierte und auf der am Rande Berlins US-Präsident Truman den Befehl zum Bomben­ab­wurf auf Hiroshima gab: Steven Soder­berghs The Good German. Der ist außer­or­dent­lich gut gealtert und erschien mir jetzt deutlich besser, als ich ihn in Erin­ne­rung hatte.

»Only Japan continues to fight«, heißt es am Anfang, dann wird mithilfe von sehr guter CGI ein abgrün­diges Berlin- und Deutsch­land­bild entworfen. Händler und Helden bekriegen sich in Berlin, letztere sind aber eindeutig in der Minder­heit. Außer George Clooney hat jeder etwas zu verkaufen: seinen Körper, seine Seele, sein Leben. Tobey Maguire, der heute weg vom Fenster ist, aber ja trotz Spider-Man alle paar Jahre einige sehr sehr gute Filme gemacht hat, ist hier in seiner unsym­pa­thischsten Filmfigur zu sehen. Ein schwie­riger Bösewicht, der auf einen sehr, sehr schlecht gelaunten Clooney trifft.

Es fallen sehr gute Sätze. Über die Deutschen: »Kids – two months ago they were shooting at us.« Über die Alli­ierten: »The Russians get Poland and we get the brains.« Über das Leben: »Money allows you to be what you really are.«

Dies ist auch ein Berlin-Film. Einer, der Berlin mal nicht so zeigt, wie es gern gesehen werden will. Deswegen ist dies auch der gefühlt einzige George-Clooney-Film, der nicht vom Medi­en­board, der Berliner Film­för­de­rung, gefördert wurde. Und überhaupt wurde nichts hier in Berlin gedreht. Man sieht es nicht, das ist alles echter und deutscher als 98 Prozent der deutschen Filme des 21. Jahr­hun­derts.

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Berlin, da muss man immer wieder mal daran erinnern, hat 4,1 Millionen Einwohner – hoch­ge­rechnet. Das bedeutet: 83 Millionen aller Deutschen leben nicht in Berlin.
Man sollte also die deutsche Haupt­stadt nicht über­schätzen. Sie ist weder das einzige Zentrum der deutschen Kultur, noch ist sie besonders reprä­sen­tativ für Deutsch­land, und noch nicht mal für die übrigen Großs­tädte Deutsch­lands.

Insofern muss man sich nicht übermäßig echauf­fieren über nach einer Woche immer noch keine 400 Berliner »Kunst­schaf­fende«, darunter nicht allzu­viele, aber doch ein paar, die wirklich gute Sachen machen, die glauben, es sei wichtig, dass ausge­rechnet sie in einem traurigen, Berlin-typischen Sommer­loch-Ferien-Künstler-Aufruf Bundes­kanzler Merz erklären, was in Sachen Gaza jetzt gefäl­ligst mal schleunig zu tun ist. Das Ganze wäre bestimmt souver­äner und hätte weniger Geschmäckle, wenn sich die Betref­fenden auch schon geäußert hätten, als Hamas an einem Tag das größte Pogrom der Nach­kriegs­zeit verant­wor­tete, oder als im Gefolge dieser Massaker David­sterne auf Türen und Straßen in Deutsch­land gemalt wurden... Aber so sind sie halt, gerade in Berlin.

Immer mal wieder denke ich, Schau­spieler sollten am besten gar nichts sagen zu poli­ti­schen Dingen und poli­ti­schen Verhält­nissen. Aber in der Demo­kratie ist das auch keine gute Lösung. Vorher nach­zu­denken, wem man mit solchen Aufrufen in die Hände spielt und ob man in zehn Jahren noch immer stolz darauf sein wird, wäre aber ein Anfang.

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Die Feri­en­zeit ist auch die Zeit der Pres­se­mit­tei­lungen der Förderer – ich bin nicht sicher, ob die Förderer denken, dass man in diesen Wochen besonders viel Zeit hat, um ihre Pres­se­mit­tei­lungen mal endlich genau zu lesen und nicht gleich in den Lösch­eimer zu klicken. Oder ob sie denken, dann liest es wirklich keiner.
Für beide Vermu­tungen gibt es einen gewissen Anlass, während das, was man aus NRW gerade hört, wirklich zum Vergessen ist und man hier an dieser Stelle einmal berichten muss, dass wirklich jeder jeder, wirklich jeder in der Film­branche Deutsch­lands gerade über NRW lästert, fassungslos den Kopf schüttelt, oder einfach nur verzwei­felt ist. Während man also sagen muss, dass bestimmt die Hälfte der in NRW ansäs­sigen Filmleute darauf wartet, dass der derzei­tige Förder­chef durch irgendein Wunder, einen Engel, den der liebe Gott schickt oder irgendein anderes Ereignis von seinem Posten wieder verschwindet, während­dessen wird Hamburg immer besser, immer größer, immer wichtiger. Ich habe die aus meiner Sicht über­flüs­sige, alberne und politisch falsche Diver­si­täts­richt­linie der dortigen Förderung mehr als einmal kriti­siert und tue das auch gerne bei Gele­gen­heit wieder. Auch der Name »Moin« ist nicht lustig oder schmun­zelig, sondern kindisch. Stellen wir uns mal vor, der FFF nennt sich »Ja servus«-Film­för­de­rung, oder die Hessen »Ei Gude wie?«-Film. Zumal auch niemand je verstanden hat, warum man in Hamburg am Abend noch »Guten Morgen!« sagt. Aber egal! Gleich­zeitig haben die Hamburger glück­li­cher­weise auch andere Sachen im Kopf und haben tatsäch­lich im Gegensatz zu NRW einen Sinn für die Industrie.
Das merkt man zum Beispiel daran, dass es ihnen gelungen ist, die EWIP und den Distri­bu­tion-Summit, also wichtige inter­na­tio­nale Industrie-Veran­stal­tungen einfach mal aus Köln nach Hamburg zu holen, vom Film­fes­tival Cologne zum Hamburger Filmfest.
Keiner wird es offiziell bestä­tigen, aber aus den bekannten »gut infor­mierten Kreisen« ist sehr deutlich zu hören, dass die Veran­stalter der EWIP und des Distri­bu­tion-Summit überaus unzu­frieden mit der Perfor­mance der NRW-Film­stif­tung in den letzten zwei Jahren gewesen sind. Da ich selbst dort in Köln gewesen bin, kann ich bestä­tigen, dass sich zwar sehr nette Menschen von der Film­för­de­rung dort blicken ließen, der Film­för­der­chef selbst aber nie.

Das muss und wird sich hoffent­lich auch bei den poli­ti­schen Entschei­dern herum­spre­chen und Folgen haben.

(to be continued)