Cinema Moralia – 356. Folge
Wo bleibt das Bier in der Kunst? |
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The Good German… | ||
(Foto: Warner Bros.) |
»You can never really get out of Berlin.« – aus: The Good German
»Es gibt kein 'Drehschluss-Bier' mehr«, erzählt eine Regisseurin, die gerade abgedreht hat, im bierseligen Gespräch: »Früher ist man nach dem Dreh zusammen was trinken gegangen. Heute gehen die Leute nach dem Dreh klettern, schwimmen, machen Yoga. In jedem Fall jeder allein, und dann auch allein nach Hause.« Ich glaube, dass das nicht nur ein Symptom für den Puritanismus und den Gesundheits-Wahn heutiger Menschen ist, sondern auch für die Vereinzelung der Gesellschaft. Für einen fehlgeleiteten Individualismus auch. Und natürlich für den Body-Narzissmus der Generationen Y und Z. Man muss sich »spüren«, aber am Berg, nicht in der Kneipe.
Jetzt aber Prost!
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Apropos Berg: Eigentlich wollte ich zu dem traurigen Tod von Laura Dahlmeier überhaupt nichts schreiben. Was soll man da auch sagen?
Aber vielleicht doch ein Gedanke: Wenn es irgendeinen anderen getroffen hätte, ob ein Fußballer des FC Bayern oder viel schlimmer noch: einen Politiker oder Halb-Promi, oder – Gott bewahre! – irgendeinen Techno-Bro à la Elon Musk oder wenigstens DAX-Vorstand, dann wären sich alle ganz einig gewesen im Schimpfen: »Was muss der Depp auch
Tausende von Kilometern nach Pakistan fliegen, um in acht Wochen eine Handvoll Sechstausender zu besteigen?« Man hätte über die Klimakosten und über Allmachtsphantasien, über Machbarkeitswahn und sowieso Männlichkeit räsonniert. Der Wahnsinn, dass die Leute um jeden Preis auf Berge steigen müssen, die für Menschen nicht gemacht sind – egal ob sie nun gut ausgebildet sind oder nicht, irgendwelche Bergsteigerscheine haben oder nicht – wäre zum Thema gemacht worden.
In diesem Fall aber kein Wort von alldem.
Man versteht schon warum, und natürlich gibt es auch ein paar Unterschiede, aber vor allem lernen wir wieder einmal die Wahrheit der Mediengesellschaft: Man braucht eine gute Geschichte, und die hat Laura Dahlmeier immer geliefert, eine sympathische Heldin, wie sie eine war, und selbstverständlich gibt es in der Öffentlichkeit keine Gleichheit: weder der Chancen noch des Anspruchs auf Gleichbehandlung. In den Medien regiert die
Klassengesellschaft und ein Autoritarismus der Wirkung, des Glamour und des Charisma, die Diktatur der Sympathien.
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»Der einzige Krieg, der es wert ist gekämpft zu werden, ist der, der Leben rettet. Unsere Führer machen Fehler und die Armee hat den Verstand verloren.« – »Vater man wird dich einen Verräter nennen wenn du so redest.«
Eine kleine Dialogzeile aus »Barfuß durch Hiroshima«. Diesen großartige Anime von 1983 nach dem berühmten Manga von Keiji Nakazawa habe ich am
Wochenende wiedergesehen, aus Anlass des heutigen 80. Jahrestages des ersten Atombombenabwurfs. Einer der aufwühlendsten, besten Filme zu diesem »Zivilisationsbruch« (Hannah Arendt). Alles ist erstmal in fast naivem, märchenhaftem Realismus erzählt, etwa so, wie die Geschichten der Grimms auch etwas von der Not und den Träumen der einfachen Leute erzählen. Als dann aber die Bombe fällt und explodiert, wird es zu japanischem Expressionismus: In allen Farben zerreißt die
Leinwand, brechen Körper auf und bekommt das Unfassbare Gestalt. Es sind ikonische Szenen, die hier gelingen, realistischer als jeder Realismus; Szenen, die man nicht vergisst und trotz all ihrem Schrecken auch immer wieder sehen will.
Ein extrem harter, expliziter Film, dessen Eindruck der junge Held auf den Punkt bringt: »This is hell.«
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Ebenfalls gesehen, nach fast 20 Jahren und auch aus historischem Anlass, nämlich dem 80. Jubiläum der Potsdamer Konferenz, die die Stabilität der Nachkriegsordnung und die Freiheit Europas zementierte und auf der am Rande Berlins US-Präsident Truman den Befehl zum Bombenabwurf auf Hiroshima gab: Steven Soderberghs The Good German. Der ist außerordentlich gut gealtert und erschien mir jetzt deutlich besser, als ich ihn in Erinnerung hatte.
»Only Japan continues to fight«, heißt es am Anfang, dann wird mithilfe von sehr guter CGI ein abgründiges Berlin- und Deutschlandbild entworfen. Händler und Helden bekriegen sich in Berlin, letztere sind aber eindeutig in der Minderheit. Außer George Clooney hat jeder etwas zu verkaufen: seinen Körper, seine Seele, sein Leben. Tobey Maguire, der heute weg vom Fenster ist, aber ja trotz Spider-Man alle paar Jahre einige sehr sehr gute Filme gemacht hat, ist hier in seiner unsympathischsten Filmfigur zu sehen. Ein schwieriger Bösewicht, der auf einen sehr, sehr schlecht gelaunten Clooney trifft.
Es fallen sehr gute Sätze. Über die Deutschen: »Kids – two months ago they were shooting at us.« Über die Alliierten: »The Russians get Poland and we get the brains.« Über das Leben: »Money allows you to be what you really are.«
Dies ist auch ein Berlin-Film. Einer, der Berlin mal nicht so zeigt, wie es gern gesehen werden will. Deswegen ist dies auch der gefühlt einzige George-Clooney-Film, der nicht vom Medienboard, der Berliner Filmförderung, gefördert wurde. Und überhaupt wurde nichts hier in Berlin gedreht. Man sieht es nicht, das ist alles echter und deutscher als 98 Prozent der deutschen Filme des 21. Jahrhunderts.
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Berlin, da muss man immer wieder mal daran erinnern, hat 4,1 Millionen Einwohner – hochgerechnet. Das bedeutet: 83 Millionen aller Deutschen leben nicht in Berlin.
Man sollte also die deutsche Hauptstadt nicht überschätzen. Sie ist weder das einzige Zentrum der deutschen Kultur, noch ist sie besonders repräsentativ für Deutschland, und noch nicht mal für die übrigen Großstädte Deutschlands.
Insofern muss man sich nicht übermäßig echauffieren über nach einer Woche immer noch keine 400 Berliner »Kunstschaffende«, darunter nicht allzuviele, aber doch ein paar, die wirklich gute Sachen machen, die glauben, es sei wichtig, dass ausgerechnet sie in einem traurigen, Berlin-typischen Sommerloch-Ferien-Künstler-Aufruf Bundeskanzler Merz erklären, was in Sachen Gaza jetzt gefälligst mal schleunig zu tun ist. Das Ganze wäre bestimmt souveräner und hätte weniger Geschmäckle, wenn sich die Betreffenden auch schon geäußert hätten, als Hamas an einem Tag das größte Pogrom der Nachkriegszeit verantwortete, oder als im Gefolge dieser Massaker Davidsterne auf Türen und Straßen in Deutschland gemalt wurden... Aber so sind sie halt, gerade in Berlin.
Immer mal wieder denke ich, Schauspieler sollten am besten gar nichts sagen zu politischen Dingen und politischen Verhältnissen. Aber in der Demokratie ist das auch keine gute Lösung. Vorher nachzudenken, wem man mit solchen Aufrufen in die Hände spielt und ob man in zehn Jahren noch immer stolz darauf sein wird, wäre aber ein Anfang.
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Die Ferienzeit ist auch die Zeit der Pressemitteilungen der Förderer – ich bin nicht sicher, ob die Förderer denken, dass man in diesen Wochen besonders viel Zeit hat, um ihre Pressemitteilungen mal endlich genau zu lesen und nicht gleich in den Löscheimer zu klicken. Oder ob sie denken, dann liest es wirklich keiner.
Für beide Vermutungen gibt es einen gewissen Anlass, während das, was man aus NRW gerade hört, wirklich zum Vergessen ist und man hier an dieser Stelle
einmal berichten muss, dass wirklich jeder jeder, wirklich jeder in der Filmbranche Deutschlands gerade über NRW lästert, fassungslos den Kopf schüttelt, oder einfach nur verzweifelt ist. Während man also sagen muss, dass bestimmt die Hälfte der in NRW ansässigen Filmleute darauf wartet, dass der derzeitige Förderchef durch irgendein Wunder, einen Engel, den der liebe Gott schickt oder irgendein anderes Ereignis von seinem Posten wieder verschwindet, währenddessen wird Hamburg immer
besser, immer größer, immer wichtiger. Ich habe die aus meiner Sicht überflüssige, alberne und politisch falsche Diversitätsrichtlinie der dortigen Förderung mehr als einmal kritisiert und tue das auch gerne bei Gelegenheit wieder. Auch der Name »Moin« ist nicht lustig oder schmunzelig, sondern kindisch. Stellen wir uns mal vor, der FFF nennt sich »Ja servus«-Filmförderung, oder die Hessen »Ei Gude wie?«-Film. Zumal auch niemand je verstanden hat, warum man in Hamburg am Abend noch
»Guten Morgen!« sagt. Aber egal! Gleichzeitig haben die Hamburger glücklicherweise auch andere Sachen im Kopf und haben tatsächlich im Gegensatz zu NRW einen Sinn für die Industrie.
Das merkt man zum Beispiel daran, dass es ihnen gelungen ist, die EWIP und den Distribution-Summit, also wichtige internationale Industrie-Veranstaltungen einfach mal aus Köln nach Hamburg zu holen, vom Filmfestival Cologne zum Hamburger Filmfest.
Keiner wird es offiziell bestätigen, aber aus
den bekannten »gut informierten Kreisen« ist sehr deutlich zu hören, dass die Veranstalter der EWIP und des Distribution-Summit überaus unzufrieden mit der Performance der NRW-Filmstiftung in den letzten zwei Jahren gewesen sind. Da ich selbst dort in Köln gewesen bin, kann ich bestätigen, dass sich zwar sehr nette Menschen von der Filmförderung dort blicken ließen, der Filmförderchef selbst aber nie.
Das muss und wird sich hoffentlich auch bei den politischen Entscheidern herumsprechen und Folgen haben.
(to be continued)