14.10.2021

Kino als politische Inspiration

DEAR FUTURE CHILDREN von Franz Böhm
Filmplakat zu Dear Future Children
(Foto: Camino Filmverleih)

Straßenkämpfe in Santiago de Chile und Hongkong, Extremwetter-Katastrophen in Uganda: In seinem Dokumentarfilm Dear Future Children porträtiert Franz Böhm drei Aktivistinnen, die für Lösungen der Klimakrise, soziale Gerechtigkeit und Demokratie kämpfen. Ein Gespräch über die Krisen unserer Zeit, ein politisches Kino und das Filmen an der Frontline.

Von Jens Balkenborg

Es ist schon eine Geschichte für sich, wie es Franz Böhms Lang­film­debüt Dear Future Children auf nationale und inter­na­tio­nale Leinwände geschafft hat. Der Regisseur ist Auto­di­dakt und hat seinen Doku­men­tar­film zwischen Anfang 2019 und Ende 2020 mit einem Team reali­siert, das im Schnitt 21 Jahre alt war, und das komplett außerhalb der klas­si­schen deutschen Sender- und Förder­struk­turen mittels Kick­starter-Kampagne. In der Post­pro­duk­tion, erzählt Böhm im Interview, wurde der Film schließ­lich dank einer Förderung durch die MFG »kinoreif« gemacht.

Schon vor Kinostart hat dieses Doku­men­tar­film-Unikum einige Preise abgeräumt. Beim Max Ophüls Preis, wo Dear Future Children Premiere feierte, auf dem Hot Docs Doku­men­tar­film­fes­tival und beim Inter­na­tio­nalen Film­fes­tival und Forum zum Thema Menschen­rechte gewann der Film jeweils den Publi­kums­preis. Was ist das für ein Film, der diesen alles andere als leichten Weg gemeis­tert hat und mehrfach auf Festivals das Publikum von sich über­zeugen konnte? Ein coura­gierter und dring­li­cher in jedem Fall, einer, der die Augen nicht vor den Konflikten unserer Gegenwart verschließt und der einen Diskurs­raum eröffnet. »Das Kino sollte ein Ort werden für poli­ti­sche Inspi­ra­tionen«, erklärt Böhm. »Wir wollten Menschen aus der Mitte der akti­vis­ti­schen Bewe­gungen sprechen lassen«.

»A Docu­men­tary about young activism worldwide« heißt es auf der Webseite zum Film. Die von Böhm erwähnte »Mitte« ist wörtlich zu verstehen, denn Dear Future Children erzählt von drei Frauen aus drei Ländern, die mitten drin sind: Hilda (Flavia Nakabuye) hat die Fridays for Future-Bewegung in die ugan­di­sche Haupt­stadt Kampala geholt und kämpft gegen die Folgen des Klima­wan­dels. Das Land wird immer öfter von heftigen Dürre­pe­ri­oden und Stark­regen heim­ge­sucht, beides exis­tenz­be­droh­liche Extrem­wet­ter­si­tua­tion, nicht nur für die ansäs­sigen Bauern. Rayen und Pepper kämpfen für soziale Gerech­tig­keit und Demo­kratie an vorderster Front auf der Straße: erstere in Santiago de Chile, wo, wie in keinem anderen südame­ri­ka­ni­schen Land sonst, die Arm-Reich-Schere wächst und die Arbei­ter­klasse auf die Straße geht, letztere in Hongkong an der »Frontline« der hoch­mo­dernen Protest­be­we­gung gegen die Einver­lei­bung durch China.

Dear Future Children spinnt aus den Geschichten der drei Frauen ein Akti­vismus-Netz rund um den Globus. Wir erfahren aus dem Leben der Frauen, darüber, was sie antreibt und was sie verun­si­chert. Ihnen allen gemein sind große persön­liche Opfer, die sie für ihren poli­ti­schen Kampf aufbringen müssen, sei es die Gefahr, auf der Straße verletzt oder verhaftet zu werden oder auch die Verun­mö­g­li­chung, soziale Kontakte zu pflegen. Es ist ein sehr persön­li­cher Einblick, den Böhm und sein Team erhalten haben. Und auch die kriegs­ähn­li­chen Bilder von den Straßen in Hongkong und Santiago de Chile sind erstaun­lich: Filmen im Epizen­trum zwischen Tränengas, Wasser­wer­fern und Schlag­stock­ge­witter.

»Die Dreh­ar­beiten an der Frontline wurden mit Sicher­heits­trai­nings- und Briefings akribisch vorbe­reitet«, erzählt Böhm. Voraus­ge­gangen war dem eine große Recherche, ein inten­siver Austausch mit Protest­be­we­gungen weltweit und die Zusam­men­ar­beit mit NGO’s, bis schließ­lich die Prot­ago­nis­tinnen gefunden waren. Vor Ort schließ­lich sei das Team zunächst ohne Kameras an der Frontline dabei gewesen, um das Vertrauen der verschie­denen Prot­ago­nisten der Bewegung zu gewinnen. Immer in voller Montur aller­dings, also mit Schutz­weste, Schul­ter­pro­tek­tion, Gasmasken und Schutz­brillen. Ob die »Presse«-Kenn­zeich­nung für eine gewisse Immunität gesorgt hat? »In Hongkong schon, in Chile wurden auch wir beschossen.« Es haben sich grausame Situa­tionen ereignet, Menschen wurden vor den Augen von Böhm und Kame­ra­mann Frie­de­mann Leis erschossen oder sind erstickt.

Von diesen teils heftigen Erleb­nissen erzählt Böhm beim Treffen im Rahmen der Kinotour im Harmonie-Kino in Frankfurt Sach­sen­hausen mit konzen­trierter Ruhe. 22 Jahre ist der Regisseur heute jung, doch er wirkt, wie er dort sitzt, reprä­sen­tativ, sachlich, ein jedes Wort vorsichtig abwägend, älter. Er selbst habe im Filme­ma­chen, so Böhm, früh eine »persön­liche Flucht gefunden. Die Wucht es Kinos hat mich überzeugt«. Ihm sei bei seinen eigenen Filmen wichtig, betont er, dass relevante Geschichten erzählt werden. Zum Film gekommen ist der Regisseur, der in Gerlingen nord­west­lich von Stuttgart geboren und aufge­wachsen ist, durch seine frühe Leiden­schaft. Während seiner Vor-Abitur­zeit hat er in verschie­dene Film­be­reiche wie dem Kostüm- und Masken­bild herein­ge­schnup­pert und auf Filmsets in München und Berlin als Set-Runner gear­beitet, bevor er erste eigene Schritte unternahm.

In Dear Future Children nutzt er die audio­vi­su­elle Wucht des, um einem breiten Publikum »wichtige Geschichten« zu erzählen. »Die letzten zwei, drei Jahre, und die Zeit, in der wir aktuell leben, sind entschei­dend«, sagt Böhm. Es werde sich zeigen, ob die jungen Menschen auf der Straße den dringend notwen­digen Wandel befördern können.

Die Realität, da zeichnet der Film rein gar nichts weich, ist hart. Der Kampf in Hongkong scheint verloren, das alte Prinzip »Ein Land, zwei Systeme« obsolet, seit der chine­si­sche Volks­kon­gress im Juni 2020 ein umstrit­tenes Sicher­heits­ge­setz für Hongkong verab­schiedet hat, das zahl­reiche Akti­vi­täten der Oppo­si­tion unter Strafe stellt. Und der Kampf gegen den Klima­wandel? »Ich habe Angst, dass es die Zukunft von der ich träume, nicht mehr geben wird – wegen Nichtstun« sagt Hilda einmal im Film. Nichts zu tun war nie eine Option, hoffent­lich finden viele den Weg ins Kino und lassen sich von Dear Future Children mitnehmen.