20.05.2021

Zukunftsmusik?

Mulan
Mulan schuf 2020 den Präzedenzfall, als es direkt zu Disney+ ging. Filme waren plötzlich nicht mehr fürs Kino da
(Foto: Disney Plus)

Der Kinokongress »Kino digital« widmete sich künftigen Modellen des Kinos. Während die Branche, Segment »Big Player«, unter sich diskutierte, kam eine ernstzunehmende neue Sichtweise ausgerechnet aus der Politik

Von Dunja Bialas

Was ist denn unser Geschäfts­mo­dell?, fragte der Chef der mächtigen Film­för­de­rungs­an­stalt Peter Dinges am vergan­genen Dienstag beim größten Kino­kon­gress der Branche, der dieses Jahr dem Thema »Kino digital« gewidmet war. Die Branche, Segment »Big Player«, blieb auf dem Panel »Neue Auswer­tungs­stra­te­gien« unter sich und zeigte sich erwartbar einig. »Begeis­te­rung, Glück, Gemein­schaft« sei das Geschäfts­mo­dell, das den Film im Kino halte. Einver­nehm­lich wurde der Kinosaal als Zugpferd für die Film­aus­wer­tung heraus­ge­stellt.

Yvonne Magwas, film­po­li­ti­sche Spre­cherin der CDU/CSU-Bundes­tags­frak­tion und Mitglied des Ausschusses Kultur und Medien, stellte der versam­melten Branche prompt eine Haus­auf­gabe. Bis zur nächsten Novelle des Film­för­de­rungs­ge­setzes (FFG) Ende 2023 soll sich die Branche darüber verstän­digen, wie die Hand­ha­bung des Kino-Auswer­tungs­fens­ters in Zukunft aussehen könnte. Während in diesen Tagen mit einem »Verlän­ge­rungs­ge­setz« die coro­nabe­dingte film­po­li­ti­sche Stagna­tion konso­li­diert wird, wird hier zunächst auf Duzhöhe an der Novel­lie­rung weiter­ge­ar­beitet.

Branchen-Haus­auf­gaben auf Duzhöhe

Werden wohl neben dem in Person von Christine Berg anwe­senden Haupt­ver­band Deutscher Film­theater (HDF) auch die auf Arthouse spezia­li­sierte AG Kino Gilde sowie der alter­na­tive Verbands­zu­sam­men­schluss »Initia­tive Zukunft Kino + Film« (unter dem Dach befinden sich u.a. AG Dok, Bundes­ver­band Regie, Verband der deutschen Film­kritik, Haupt­ver­band Cine­philie, Bundes­ver­band kommunale Film­ar­beit) in solche Über­le­gungen einbe­zogen? Oder sollen es die Bran­chen­großen am liebsten einfach selbst unter sich regeln?

Von bis zu acht Wochen für den Lizenz­film (also Filme ohne deutsche Produk­ti­ons­be­tei­li­gung) (Fred Kogel, Leonine) bis zu drei oder vier Monaten für den deutschen Film (Torsten Frehse, Vorstand AG Verleih) gibt es eine Band­breite an Vorschlägen, wie die Exklu­si­vität des Films für das Kino aufrecht­erhalten werden könnte. Erstaun­lich unge­schoren kam Fred Kogel mit seinem Faux pas davon, Boandlkramer an den gerade öffnenden Kinos vorbei direkt zu Amazon Prime geschleust zu haben. Dem größten »Inde­pen­dent-Verleiher«, wie der Leonine-Chef seine Firma selbst beschreibt, erwuchs daraus kein Vorwurf.

Harmloses Verständnis von Kino­kultur

Begeis­te­rung, Glück, Gemein­schaft – das sind freilich die Gemein­plätze einer äußerst harmlos verstan­denen Kino­kultur, die sich in erster Linie als kommer­zi­elles Geschäfts­mo­dell versteht. Andere Sicht­weisen deutete Torsten Frehse lediglich an, wenn er davon sprach, dass ein Film auch Zeit brauche, um sich entfalten zu können. Ein »Film, der im Kino floppt, floppt auch online«, so seine Vermutung ange­sichts der allge­meinen Kongress-Bereit­schaft, die Stream-Auswer­tung rascher für kassen­schwache Filme gelten zu lassen.

Gregory Theile der großen Kinopolis GmbH, die über­wie­gend Multi­plexe betreibt, will »das noch ein paar Jahr­zehnte so machen«, mit der derzeit sechs­mo­na­tigen Kino­aus­wer­tung deutscher Filme. Mehr exklusive Auswer­tungs­zeit hieße für die Kinos auch bessere Plan­bar­keit. Er habe außerdem keine Angst, dass auch in Zukunft große Titel wie Mulan oder Wonder Woman 1984 am Kino vorbei­gingen, dafür habe sich die Erträ­g­lich­keit von Kinos für die Film­aus­wer­tung zu deutlich gezeigt. Auch wenn die großen Streamer hinsicht­lich der Einspiel­ergeb­nisse eine lediglich »nord­ko­rea­ni­sche Offenheit« zeigen, so Torsten Frehse, sei doch durch­ge­si­ckert, dass die Zahlen »nicht richtig gut« seien. Außerdem seien viele Filme, die online gezeigt würden, »Conve­ni­ence-Qualität«, eine inter­es­sante Umschrei­bung des Direct-to-Consumer-Verfah­rens, das Filme am Kino vorbei direkt zum Konsu­menten bringt. Der dann nur noch seinen Fernseher anschalten muss.

Kino als Gesell­schafts­mo­dell

Einig war sich die Branche: Man müsse erst einmal das Ende von Corona und die Long-Covid-Effekte abwarten, um den Markt gege­be­nen­falls neu zu justieren. Bis zur Gesetzes-Novelle hat sie dafür nun zwei Jahre Zeit. Absehbar ist schon jetzt eine flexibler aushan­del­bare Sperr­frist­hand­habe, was in der FFG-Richt­linie fest­ge­halten werden soll. »Den dyna­mi­schen Zeiten gerecht werden«, lautete allgemein das Credo.

Gegen Schluss des Panels stellte Poli­ti­kerin Magwas noch eine inter­es­sante Forderung in den Raum, die das »Geschäfts­mo­dell« Kino zu einem Gesell­schafts­mo­dell ausweiten könnte und den anwe­senden Geschäfts­män­nern den Stachel des auf sich selbst bedachten, gewinn­ori­en­tierten Denkens zog: Kinos seien Erlebnis- und Kultur­orte. Davon ausgehend müsse weiter gedacht werden. Die Kommunen sollten Kinos als Teil der Stadt­ge­sell­schaft und des Stadt­ent­wick­lungs­kon­zeptes betrachten. Daran müssten alle Akteure gemeinsam arbeiten, die Film- und Kino­branche, die Bürger­meister*innen und Stadträte.

Womit der Kongress dann auf einmal doch ein wenig Zukunfts­musik versprühte, würde dies doch den Weg zu einer inte­gra­tiven Kultur­för­der­po­litik jenseits bloßer Geschäfts­mo­delle ebnen.