14.12.2020

Europameister Dänemark

Der Rausch
Aus vielen Gründen sehr angemessene Preisträger: Mads Mikkelsen (bester Schauspieler) in Thomas Vinterbergs (beste Regie, bestes Drehbuch) Der Rausch (bester Film)
(Foto: Weltkino)

Thomas Vinterberg räumt mit Der Rausch beim Europäischen Filmpreis ab

Von Rüdiger Suchsland

Bester Film, beste Regie, bestes Drehbuch, bester Haupt­dar­steller – wieder einmal regnete es die Euro­päi­schen Film­preise auf einen einzigen Film – wie so oft, wenn Film­preise nicht durch eine Jury vergeben werden, die zu diffe­ren­zieren und zu gewichten weiß, sondern per Massen­ab­stim­mung, also per plumper Sympathie.

Aber Der Rausch vom Dänen Thomas Vinter­berg ist ein guter Film, und ein nicht unver­dienter Sieger, allemal unter den Filmen, die nach der Vorno­mi­nie­rung überhaupt noch zur Auswahl standen.

Er ist dies vor allem, weil er die verschie­dene Seiten dessen, was das Kino bedeuten kann, in sich vereint: Komödie und Tragödie.

Sympathie erntete er wohl auch, weil er bei allem Ernst am Ende ein leichter, heiterer Film ist – ein Film, der guttut in düsteren Pandemie-Zeiten, wie diesen.

Es geht darin um vier Männer, die zu viel trinken. Sie sind deswegen aber noch nicht gleich Alko­ho­liker – dies ist ein Film, der angenehm wenig mora­li­siert.
Man könnte ihn sogar als eine Anti-Political-Correct­ness-Komödie umschreiben.

Ein Film, der die Kultur des Alkohols aufs Korn nimmt, ihre schlechten Seiten aber eher ironi­siert, ebenso wie die guten, die auch vorhanden sind – es ist auch ein Film über verschie­dene Genera­tionen. Im Zentrum stehen vier Lehrer, vier Männer, die in einer Art Midlife-Crisis sind und sich im Laufe des Films in ihrem Beruf, aber auch privat neu erfinden.

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Dies war auch einmal mehr eine Auszeich­nung für das Dänische Kino als solches – eine der besten Kine­ma­to­gra­phien in Europa: Ein kleines Land, das gerade ange­sichts seiner Größe einen unge­meinen Output hat, große kreative Vielfalt – von weltweit erfolg­rei­chen Serien wie Borgen bis hin zu strengen Kunst­formen wie im Kino des Lars von Trier.
Schau­spieler wie Mads Mikkelsen, der gestern ebenfalls eine Auszeich­nung erhielt, oder Ulrich Thomsen sind ebenfalls in die USA gegangen und zu euro­päi­schen Weltstars geworden.

Es ist auch das Land mit einer großen Flexi­bi­lität in der Film­för­de­rung – maximal sechs Jahre dürfen dort Förderer auf ihren Posten sitzen: Eine Amtszeit wie die 20 Jahre der derzei­tigen Chefin des Berliner Medien­boards wären dort voll­kommen undenkbar und würden als irgendwie obszön empfunden.

Und Dänemark ist das Land mit dem größten Publi­kums­zu­spruch Europas: Über 8 Mal pro Jahr geht jeder Däne ins Kino.

Das heißt, den Dänen gelingt etwas, was größeren klas­si­schen Kino-Nationen wie den Franzosen, den Italie­nern, von den Deutschen erst gar nicht anzu­fangen, zurzeit eben nicht gelingt – viel­leicht haben ja diese verschie­denen Faktoren auch etwas mit dem Erfolg des dänischen Films zu tun – so wie unsere Zustände mit dem inter­na­tio­nalen Miss­erfolg des deutschen Films.

Insofern ist der Preis vom Samstag ein sehr ange­mes­sener Preis.

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Der deutsche Film kann mehr als zufrieden sein: Paula Beer wurde beste Schau­spie­lerin für Christian Petzolds sprödes Märchen­melo Undine, und gewann damit auch über Nina Hoss, der man den Preis gleich für ihre drei Haupt­rollen – in Das Vorspiel, Pelik­an­blut und Schwes­ter­lein – etwas mehr gegönnt hätte.
Die Döblin-Verfil­mung Berlin Alex­an­der­platz gewann den Preis für die beste Filmmusik.
Und der deutsch-rumä­ni­sche Regisseur Alexander Nanau gewann für den Film Colectiv über das rumä­ni­sche Gesund­heits­wesen den Preis als bester Doku­men­tar­film.

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Ein reprä­sen­ta­tives Bild des gegen­wär­tigen euro­päi­schen Films und seiner Vielfalt bieten die Preise vom Samstag aber eher nicht.
Tatsäch­lich sind die Nomi­nie­rungen beim Euro­päi­schen Filmpreis sehr oft eher der kleinste gemein­same Nenner, eine Art Mittelmaß des euro­päi­schen Kinos, in dem die Extreme ausge­schlossen sind, die über­ra­schenden, unge­wöhn­li­chen, irri­tie­renden Filme.
Filme, die das Publikum spalten, werden hier erst gar nicht nominiert – denn schon die Nomi­nie­rung findet ja als Massen-Abstim­mung unter den immerhin 3800 Mitglie­dern der Euro­päi­schen Film­aka­demie statt.
Hier geht es also um Mehrheits-Kino, nicht etwa um Minder­heits-Kino und nicht etwa um Filme, die die Ränder des Mediums reprä­sen­tieren.

Das Ganze auf gleich fünf Tage zu verteilen war auch nicht der aller­schlau­este Einfall. Schon in normalen Jahren ist die Verlei­hung der Euro­päi­schen Film­preise eine überaus zähe Ange­le­gen­heit – und wer hat sich jetzt überhaupt alle fünf Tage ange­schaut?

Außer den Preis­ver­gaben gab es da auch noch Diskus­si­ons­pa­nels. Das konnte auf die Dauer schon ziemlich öde werden.
Auch eine Zustands­be­schrei­bung – warum sollte der Filmpreis anders sein, als die EU?