26.11.2020

Erinnerungsbilder

The Boda Boda Thieves
»Fahrraddiebe« auf Ugandisch: The Boda Boda Thieves
(Foto: augenschein Filmproduktion)

Bei KINO ASYL zeigen Geflüchtete Filme aus ihrer Heimat. Sie finden in hochfilmischen Werken den authentischen Blick, ganz ohne Gefühlskitsch

Von Dunja Bialas

Ein beißender Geruch muss über dieser trüben und eilig dahin­fließenden Brühe liegen, die die herun­ter­ge­kom­mene Altstadt von Kairo durch­spült. Wir sind mitten im Gerber­viertel, Arbeiter wuchten Haut­lappen in Lehm­be­cken, streichen Felle mit einer blauen Chemi­kalie ein, spülen im Schwall die Soße wieder ab, das Gift gießt sich auf die Gasse. Saqr arbeitet in diesem toxischen Herz von Kairo. Die schwere körper­liche Maloche erinnert an Emile Zola und die vorin­dus­tri­elle Zeit der Manu­fak­turen, an den Beginn der Moderne.

In starken, doku­men­ta­ri­schen Bildern erzählt uns Ahmed Fawzi Saleh in seinem Spiel­film­debüt Poisonous Roses von Saqr, der auf diesen stin­kenden Haut­lappen nicht weiter seine Jugend verschwenden will. Er möchte mit dem Boot nach Italien, wie so viele andere auch. Mit seiner Schwester, sie ist Toilet­ten­frau, und seiner Mutter, Näherin, gehört er zur untersten Prole­ta­rier­schicht von Kairo und zu denen, für die es keine Hoffnung gibt.

Regisseur Saleh kommt selbst aus Kairo und versteht sich als Sozial-Aktivist. Bei ihm wird nichts geschönt oder sanft gebettet, er will zeigen, wie die Armut die Menschen in Gefahr bringt. Wenn sie dann die Fahrt übers Mittel­meer wagen, ist das nur eine weitere Stei­ge­rung des ohnehin tödlichen Lebens. Deshalb wird Saqr im Film von der Schwester auch wieder vom Boot zurück­ge­holt.

Poisonous Roses ist ein starker Film aus dem Programm von KINO ASYL, dem Münchner Festival, bei dem seit der großen soge­nannten »Flücht­lings­krise« – ein Ausdruck der die euro­zen­tris­ti­sche Perspek­tive offen­sicht­lich macht – vor sechs Jahren Menschen wie Saqr die Haupt­rolle spielen. Es sind Geflüch­tete, die die Filme auswählen, Filme aus ihrem jewei­ligen Herkunfts­land. Mit ihnen erzählen sie auch von ihren eigenen Geschichten, machen den großen Weg, den sie genommen haben, begreifbar.

Initiiert wurde KINO ASYL vom Münchner Medi­en­zen­trum, das dafür auf Bundes­ebene mit dem Sonder­preis »Kultur öffnet Welten« ausge­zeichnet wurde. Wichtiger als solche Weihen aber sind die Menschen, die das Programm zusam­men­stellen. Ein großes Team von fast dreißig Leuten unter­schied­li­cher Herkunft orga­ni­siert das Festival. Da ist zum Beispiel die Iranerin Elena Arminia, die seit drei Jahren im Team von KINO ASYL ist. Oder Jarck Boy. »Bin Artist und komme aus SeneGambia«, stellt er sich auf der Website vor. Oder Mohammad Al-Shaabni aus Syrien, 34 Jahre alt, Geogra­fie­lehrer, seit fünf Jahren ist er in Deutsch­land. Poisonous Roses hat Hafez ausge­wählt, der 31-Jährige kommt aus Syrien und lebt seit 2016 in München.

Viele der Filme im Programm gehören wie Salehs Film zu den Werken des Weltkinos, die von drän­genden Problemen erzählen. Dies setzen sie hoch­fil­misch um und verzichten darauf, ihr Publikum offensiv emotional erreichen zu wollen, wie es bei größeren Produk­tionen unter Umständen der Fall ist. Nadine Labakis Caphar­naüm oder Waad al-Kateab und Edward Watts Für Sama, so heraus­ra­gend sie sein mögen, sind zum Beispiel schlimme tear jerkers. Die Filme von KINO ASYL eignen sich dagegen eher nicht für große Affekte, sie wirken aufrichtig und sind allemal unkit­schig.

Das kann auch, nüchtern-sezierend, den blanken Horror freilegen, wie Ghost Hunting des Paläs­ti­nen­sers Raed Andoni. In einem Rollen­spiel stellen ehemalige Häftlinge des Al-Moskobiya, dem Haupt­quar­tier, in dem unter Folter verhört wird, ihre Erleb­nisse mit der Staats­macht nach. In einem Betonbau sprühen sie die Umrisse ihrer Zelle auf den nackten Boden, erinnern sich an den Raum, in dem das Verhör stattfand. Ein Bild hing an der Wand, nein, es war ein Foto von dem Major, dort stand sein Schreib­tisch. Hier ein Stuhl, und hier ein Stuhl. Eine eindring­liche, packende Erin­ne­rung, reduziert auf das Wesent­liche. Die Worte wirken umso stärker.

In Ugandas Haupt­stadt Kampala spielt Donald Mugishas und James Taylers The Boda Boda Thieves, eine leicht­händig gefilmte und sehr bunte Version von Vittorio De Sicas Fahr­rad­diebe. Mugisha hat in Kampala die panafri­ka­ni­sche Jugend­or­ga­ni­sa­tion »Yes! That’s Us« mitbe­gründet. Aufrecht, jung und selbst­be­wusst ist auch The Boda Boda Thieves. Die Boda Boda sind die Tuktuks von Uganda, nur auf zwei Rädern, Taxi- und Transport-Mopeds, die durch die schlam­migen Straßen von Kampala kurven, oft schwer bepackt. Das Treiben in der Stadt ist bestimmt von einem engma­schigen Netz von Verbre­chen und Korrup­tion, in das sich der 15-jährige Abel in seinem Wunsch nach einem besseren Leben fast verhed­dert. Ausge­wählt hat den Film die 25-jährige Uganderin Lilliane Blessings, die erst seit einem Jahr in Deutsch­land ist und jetzt eine Ausbil­dung als Kran­ken­pfle­gerin macht.

Die Piroge, Moussa Tourés Verfil­mung des Romans von Abasse Ndione, stellt der Sene­ga­lese Mbacke Ndiaye vor. Ndiones Erzählung von der schei­ternden Überfahrt über das Mittel­meer enthält ein eindring­li­ches Plädoyer dafür, den Senegal nicht sich selbst zu über­lassen, lieber im Land zu bleiben, um dort etwas aufzu­bauen. Ndiaye selbst kam vor fünf Jahren mit einem Schlauch­boot über das Mittel­meer, wie Ndiones Figuren. Bei ihm ist das gut gegangen.

Wenn man stärker in das Programm von KINO ASYL eintaucht, wird man diese innere biogra­phisch moti­vierte Kohärenz von Kuratoren und Filmen immer wieder entdecken. Viel­leicht braucht es auch deshalb nicht die groß insze­nierten Emotionen: die Menschen von KINO ASYL bringen sie selbst mit, es sind ihre eigenen Lebens­ge­schichten. Ihre Geschichten kennen­zu­lernen, heißt auch, die Augen zu öffnen für die andere Hälfte der Welt.

KINO ASYL – Filme aus unserer Heimat
29.11.-13.12.2020
Zum Online-Film­pro­gramm