12.11.2020

Alles bleibt anders

Ballad For A Pierced Heart
Ballad For A Pierced Heart ist eine lichtvolle Gangsterkomödie
(Foto: The Match Factory)

Die 34. Griechische Filmwoche München richtet sich als online-Angebot erstmals an alle Fans des griechischen Films deutschlandweit. Viele Preisträgerfilme sind darunter, die beweisen, dass das New Greek Cinema ungebrochen aufregend ist.

Von Elke Eckert

Dieses Jahr ist auch für die Grie­chi­sche Filmwoche München ein beson­deres Jahr. Die 34. Ausgabe findet nicht wie die Jahre zuvor im Gasteig statt, sondern ausschließ­lich online. Das hat auch Vorteile: Freunde des grie­chi­schen Films haben die Möglich­keit, die sehens­werten und oftmals ausge­zeich­neten Doku­men­ta­tionen, Lang- und Kurzfilme deutsch­land­weit zu streamen. Cinephile München e.V. hat wieder ein span­nendes und abwechs­lungs­rei­ches Programm zusam­men­ge­stellt – mit Geschichten über die Vergan­gen­heit und Gegenwart Grie­chen­lands und Würdi­gungen großer Künstler.

Eine Hommage an den unver­ges­senen Charlie Chaplin ist das Regie­debüt des Schau­spie­lers Thanasis Tsal­ta­basis. Sein moderner Stummfilm Charlie erzählt von einem jungen Mann, den es aus der Vergan­gen­heit in die Gegenwart verschlägt und der dort wegen einer Zeitungs­an­zeige in ein Abenteuer schlit­tert. Tsal­ta­basis hat auch das Drehbuch geschrieben und spielt die Titel­rolle.

Als Ausnah­me­künst­lerin kann man auch die Dichterin und Lyrikerin Eftihia Papa­gi­anno­poulou bezeichnen. Sie machte sich bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren einen Namen als Song­wri­terin und arbeitete mit vielen bekannten grie­chi­schen Musikern zusammen. Den Stoff für ihre populären Lieder lieferte nicht zuletzt ihr eigenes Leben, das Angelos Frantzis verfilmt hat. Seine Biografie My Name Is Eftihia wurde in seinem Heimat­land mehrfach ausge­zeichnet, unter anderem als Bester Film.

Der 2018 verstor­bene Schrift­steller und Musiker Giorgos Maniatis war ebenfalls nicht nur ein erfolg­rei­cher Künstler, sondern auch ein außer­ge­wöhn­li­cher Mensch. Schon als 18-Jähriger kämpfte Maniatis im Alge­ri­schen Unab­hän­gig­keits­krieg für seine Über­zeu­gungen und war zeit­le­bens ein unbe­quemer Freigeist. Stavros Psillakis setzt ihm mit seinem Doku­men­tar­film For No Reasons Meetings with Giorgos Maniatis ein Denkmal.

Wenn Deutsche an die Kykladen denken, fallen vielen unbe­schwerte Urlaubs­tage ein. Dass auch auf den grie­chi­schen Inseln nicht immer die Sonne scheint, zeigt Kalliopi Legaki in ihrer Doku­men­ta­tion When The South Wind Blows. Legaki und ihr Filmteam beglei­teten Psycho­logen und Sozi­al­ar­beiter, die in den dunklen Herbst- und Winter­mo­naten zur Insel­gruppe in der Ägäis fahren, um dort Einhei­mi­schen zu helfen, die mit psychi­schen Problemen zu kämpfen haben.

Um Arbeit zu finden kamen in den 1960er-Jahren viele Griechen nach Deutsch­land. Eine von ihnen war Eleni Deli­di­mi­triou Tsakmaki, deren Familie sich 1968 in München nieder­ließ. Über zwei Jahr­zehnte trug Tsakmaki Unter­lagen und Gegen­s­tände grie­chi­scher Migranten zusammen und machte so die Leben ihrer Lands­leute greifbar. Die wich­tigsten Stücke ihrer Sammlung zeigt Fotis Marantos' Doku­men­tar­film Migred – 60 Years and We Are Still Here.

Eine weitere Geschichte über Grie­chen­lands Geschichte erzählt Stelios Char­alam­po­poulos in seinem Drama The Mountain Tears, wo er die Odyssee einer Bruder­schaft von Stein­metzen Anfang des 20. Jahr­hun­derts schildert. Ihr Kampf gegen Krieg und Elend und ums eigene Überleben steht sinn­bild­lich für ein Land, das auch im neuen Jahr­tau­send große Heraus­for­de­rungen zu meistern hat.

Ein antiker Mythos ist Dreh- und Angel­punkt von Costas Athousakis' Lang­film­debüt: Der Raub der Perse­phone. Japa­ni­sche Touris­tinnen wollen mehr über die Unterwelt- und Frucht­bar­keits­göttin wissen und werden Teil einer sagen­haften Insze­nie­rung.

Zur neueren grie­chi­schen Geschichte gehört die Mili­tär­dik­tatur in den sechziger und siebziger Jahren des letzten Jahr­hun­derts, während der Kostis in Panayiotis Porto­kalakis' Drama The Inter­ro­ga­tion grausam gefoltert wurde. Sein Leben lang litt der alte Mann so sehr unter dieser Erfahrung, dass er das Trauma an seine Tochter weiter­ge­geben hat. Auch ihr fällt es schwer, Bindungen einzu­gehen. Um endlich eine normale Beziehung führen zu können, fängt die Perfor­mance-Künst­lerin an, in der Vergan­gen­heit ihres Vaters zu forschen.

Stavros Pamballis wählt für sein Regie­debüt Siege On Liperti Street, zu dem der zyprio­ti­sche Schrift­steller auch das Drehbuch geschrieben hat, ebenfalls eine sehr persön­liche Geschichte, um sich dem Zypern­kon­flikt zu nähern. Das Haus einer Familie in der Haupt­stadt Nicosia steht genau auf dem Grenz­streifen zwischen Grie­chen­land und der Türkei. Als der Vater nach einer Explosion schwer trau­ma­ti­siert seinen Job verliert, bedroht das die Existenz seiner Familie. Die zyprio­tisch-grie­chi­sche Produk­tion erhielt beim 60. Thes­sa­lo­niki Inter­na­tional Film Festival unter anderem die Auszeich­nung als Bester Film.

Wie gesell­schaft­liche Konflikte das Leben Einzelner nach­haltig beein­flussen können, zeigt auch die Eman­zi­pa­ti­ons­ge­schichte der Iranerin Pari. Eigent­lich wollten sie und ihr Mann nur ihren in Athen studie­renden Sohn besuchen. Weil der nicht wie erwartet am Flughafen ist, wird das Ehepaar auf der Suche nach ihm mit Straßen­kämpfen konfron­tiert, die eine Folge von Wohnungsnot und Haus­be­set­zungen in der grie­chi­schen Haupt­stadt sind. Pari, die sich im Gegensatz zu ihrem Mann verstän­digen kann, entdeckt in dieser aufge­heizten Stimmung eine völlig neue Seite an sich. Das Lang­film­debüt des iranischs­täm­migen Regis­seurs Siamak Etemadi lebt vom über­zeu­genden Spiel seiner Haupt­dar­stel­lerin Melika Foroutan, die ebenfalls in Teheran geboren ist. Seine Welt­pre­miere feierte Pari auf der dies­jäh­rigen Berlinale.

Auf den Berliner Film­fest­spielen wurde auch Georgis Grigo­rakis' Drama Digger zum ersten Mal gezeigt und mit dem Art Cinema Award ausge­zeichnet. Einsiedler Nikitas bekommt Besuch von seinem Sohn, den er gut 20 Jahre nicht gesehen hat. Nach dem Tod der Mutter fordert der junge Mann die Hälfte des Grund­s­tücks ein, auf dem sein Vater lebt. Dass auch ein Bauun­ter­nehmen hinter dem Land her ist, weil genau dort eine Straße entstehen soll, stellt die fragile Vater-Sohn-Beziehung zusätz­lich auf die Probe.

Ihre Beziehung endgültig beenden will die attrak­tive Olga in der Gangs­ter­komödie Ballad For A Pierced Heart von Yannis Econo­mides. Bevor die Frau eines reichen Geschäfts­mannes mit ihrem Liebhaber durch­brennt, lässt sie noch schnell eine Million mitgehen. Weil sich der Gatte das natürlich nicht gefallen lassen kann und vor allem sein Geld zurück­will, wendet er sich an die Mafia. Doch die arbeitet auf eigene Rechnung.

Auswege aus einem finan­zi­ellen Dilemma suchen auch die fünf Frauen in Giorgos Papa­theo­do­rous skurriler Komödie Ciao Italia. Perspektiv- und arbeitslos sehen die Freun­dinnen nur eine Lösung ihrer Probleme: einen Raubü­ber­fall. Aber der ist leichter geplant als verübt, vor allem wenn sich plötzlich das gesamte Umfeld der Möch­te­gern-Räube­rinnen gegen sie verschworen zu haben scheint.

Ebenfalls nicht nach Plan läuft es für Aris in Zacharias Mavro­eidis' Defunct. Sein Handel mit Espres­so­ma­schinen funk­tio­niert nicht so, wie sich das der Jung­un­ter­nehmer vorge­stellt hat. Und so tauscht der 30-Jährige seine schicke Wohnung gegen das leer­ste­hende Haus seines verstor­benen Groß­va­ters Aristides. Als er dort den Nachbarn und Kriegs­ka­me­raden seines Opas kennen­lernt, erfährt er viel Neues über Aristides und taucht immer mehr in dessen Leben ein. Das Drama gewann beim 60. Thes­sa­lo­niki Inter­na­tional Film Festival den Publi­kums­preis.

Annas Zauber­mittel gegen ihren tristen Alltag ist die Süßigkeit Cosmic Candy. Nur weil diese Leckerei sie regel­mäßig in einen eupho­ri­schen Tran­ce­zu­stand versetzt, hält die intro­ver­tierte junge Frau ihre Arbeit im örtlichen Super­markt und die Einsam­keit nach Feier­abend aus. Alles ändert sich, als die zehn­jäh­rige Nach­bars­tochter Annas Hilfe braucht, weil ihr Vater verschwunden ist.

Weniger fanta­sie­voll als Rinio Dragasaki, dafür aber umso poeti­scher erzählt Vardis Marinakis in seinem Drama Zizotek eine ähnlich gelagerte Geschichte. Nachdem seine Mutter ihn während eines Musik­fes­ti­vals zurück­ge­lassen hat, sucht der neun­jäh­rige Jason Zuflucht in der Waldhütte des stummen Einsied­lers Minas. Der weigert sich zuerst, für Jason da zu sein, doch bald entwi­ckelt sich zwischen den beiden eine ganz besondere Beziehung.

In Minos Niko­la­kakis' mysti­schem Debütfilm Entwinded kreuzen sich die Wege einer jungen Frau, die an einer seltenen Haut­krank­heit leidet, und eines Arztes, der neu in der abge­le­genen Gegend ist.

Zu Begeg­nungen zwischen Fremden kommt es auch in dem Kurz­film­pro­gramm »Short Selection 2020«. Im perfekt besetzten Thril­ler­kunst­stück Nimic trifft ein Cellist in der U-Bahn auf eine Unbe­kannte, die ihn nach Hause verfolgt. Regisseur Giorgos Lanthimos war für seine Langfilme The Lobster und The Favourite bereits mehrfach oscar­no­mi­niert.

Der Begeg­nungsort von zwei jungen Männern in Vasilis Kekatos' The Distance Between Us And The Sky ist eine einsame Tank­stelle mitten in der Nacht. Der intensive Neun­minüter wurde in Cannes mit der Goldenen Palme ausge­zeichnet.

In Kekatos zweitem, ebenfalls preis­ge­kröntem Kurzfilm The Silence Of The Dying Fish erfährt ein Fisch­züchter auf dem Weg zur Arbeit, dass er bereits tot ist.

Neben diesen drei High­lights in der »Short Selection« hat die Grie­chi­sche Filmwoche auch eine Auswahl der besten Kurzfilme aus dem letzt­jäh­rigen »Thess Inter­na­tional Short Film Festival« im Programm.

2020 findet die Grie­chi­sche Filmwoche erstmals unter der Schirm­herr­schaft des Grie­chi­schen Gene­ral­kon­su­lats in München statt

Infos zum Online-Abruf:

Alle Doku­mentar-, Spiel- und Kurzfilme können als Video-on-Demand über die Plattform filmstadt-muenchen.culture­base.org ange­schaut werden.

Voraus­set­zung: kosten­lose Regis­trie­rung bei Cultur­base, die ab sofort möglich ist.

Einzel­ti­ckets (ein Film): € 5,- bzw. € 6,- (mit Soli­bei­trag für Münchner Kinos).

Festival-Pass (gesamtes Programm): € 35,- bzw. € 40,- (mit Soli­bei­trag).

Der Vorver­kauf beginnt am Dienstag, 10. November, um 15 Uhr auf www.grie­chischefilm­woche.com.

Die Filme sind von Donnerstag, 12.11., ab 19 Uhr, bis Sonntag, 22.11., 24.00 Uhr verfügbar.