02.11.2020

Von Joker zu Trump

WHAT YOU GONNA DO WHEN THE WORLD'S ON FIRE?
Nicht nur ein Kommentar oder ein Debattenbeitrag, ein Kunstwerk des dokumentarischen Kinos: What You Gonna Do When the World’s on Fire?
(Foto: Grandfilm)

Wir können nicht überrascht sein: Hollywoods Kino sezierte schon lange das düstere Herz unseres Zeitalters und die brüchige Freiheit eines gespaltenen Amerika

Von Rüdiger Suchsland

»Who‘s the more foolish? The fool, or the fool who follows him?«
- Obi wan Kenobi in »Star Wars«, 1977

Die Simpsons haben es gewusst, Michael Moore hat es gewusst: »Trump wird gewinnen« verkün­dete der links­po­pu­lis­ti­sche Filme­ma­cher bereits zwei Wochen vor der Wahl 2016: »People will vote for Donald Trump as a giant 'Fuck you'«. Hell­se­he­ri­sche Fähig­keiten bewiesen auch die Macher der US-Zeichen­trick­serie »Die Simpsons«, als sie im Jahr 2000 in der Folge Barts Blick in die Zukunft von einem Präsident Donald Trump erzählen, der das Land in den wirt­schaft­li­chen Ruin getrieben hat. Es habe zu ihrer Ansicht gepasst, »dass Amerika verrückt wird«, erklärten die Autoren jetzt. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Fiktion oft klüger und näher an der Realität dran ist, als die Infor­ma­ti­ons­me­dien – dies wäre er. Auch Unter­hal­tungs­kino ist nie bloße Unter­hal­tung, sondern das ins Bild gesetzte Unter­be­wusst­sein des Zeit­al­ters, und was als welt­flüch­tiges Spektakel gedacht war, kann spek­ta­kulär in die Welt zurück­schlagen.

Zahlen, Deals, Narzissmus

»The point is, Ladies and Gentlemen, that greed is good. Greed is right. Greed works. Greed clarifies, cuts through and captures the essence of the evolu­tio­nary spririt. Greed in all of its forms: greed for life, for money, for love, knowledge and greed – you mark my works – will not only save Teldow Paper, but that other malfunc­tio­ning corpo­ra­tion called the USA.« Mit diesen Sätzen fing alles an. Michael Douglas, besser gesagt: seine Figur Gordon Gekko lobt die Gier. Die Gier an sich.
Regisseur Oliver Stone hatte seinen Film Wall Street seiner­zeit als Kritik an dem in den 1980er Jahren neu aufge­kom­menen Hype der Börse und des globalen Finanz­ka­pi­ta­lismus konzi­piert – er konnte so wenig wie sein Darsteller ahnen, dass dieser Gordon Gekko bald »Kult« werden würde: Broker und Termin­händler nahmen diese Sätze wörtlich, feierten den neuen Helden.

Im Rückblick kann man bereits in dieser popkul­tu­rell enorm wirksamen Figur des skru­pel­losen Finanz­haies mehr sehen, als nur ein Abbild des Börsen-Mate­ria­lismus seiner Epoche – nämlich den Urtyp jenes univer­salen neuen Ritters in Nadel­streifen, der seitdem die Welt erobert hat. Eines Kapi­ta­listen, der Moral und Werte nicht mehr zu kennen scheint, sondern nur Zahlen, »Deals« und den eigenen Narzissmus. Der sich über die Gesell­schaft erhebt, und sie sich unter­werfen will, sie zumindest auf die Funktion der Kulisse beschränkt.
In der Kunst, in Kino und Literatur fing dies alles an. Aber diese von Stone so scharf­sinnig, zugleich abgründig porträ­tierten 1980er Jahre und ihre Menta­lität waren auch der Nährboden, auf dem die sehr spezielle Karriere des Donald Trump überhaupt gedeihen konnte. Und auch nach vier Jahren Donald Trump im Weißen Haus und am Tag vor seiner möglichen Wieder­wahl erscheinen Kino, Literatur und Popkultur als die Medien, mit denen man diesen merk­wür­digen, einma­ligen US-Präsi­denten und sein Aufstieg am besten und scharf­sin­nigsten analy­sieren kann.

Vater­kom­plex, Überfluss und Spie­ler­men­ta­lität

Vor zwei Genera­tionen beschrieb Siegfried Kracauer (1889-1966) im Exil aus sozio­lo­gisch-philo­so­phi­scher Perspek­tive in seiner als »psycho­lo­gi­sche Geschichte des deutschen Films« gemeinten Unter­su­chung »Von Caligari zu Hitler« präzise die Menta­lität der zwanziger Jahre in ihrer Sehnsucht nach auto­ri­tären Führ­er­fi­guren, und belegte, dass die Bilder auf der deutschen Leinwand, die Monster des Expres­sio­nismus, Caligari, Nosferatu und Mabuse mehr über uns erzählen, als wir ahnen. Kracauers Werk gibt uns das nötige Werkzeug in die Hand, um jene seltsame Mischung aus Enter­tain­ment-Kultur und Auto­ri­ta­rismus, aus Bruta­li­sie­rung und Popu­lismus, aus Pop und Faschismus, die den poli­ti­schen Diskurs des Donald Trump dominiert, adäquat zu analy­sieren.

Nach Kracauer ist das Kino ein Seis­mo­graph seiner Entste­hungs­zeit, ein Indikator für das kultu­relle Unbe­wusste einer Epoche: Es defor­miert und verzerrt nicht die Wirk­lich­keit, sondern legt Verbor­genes frei, enthüllt »psycho­lo­gi­sche Prädis­po­si­tionen«. Filme »wissen etwas«, das wir nicht wissen, sie haben einen unter­grün­digen Gehalt, den man freilegen kann. Wenn das stimmt – und wir glauben, dass es stimmt – was verrät uns dann das ameri­ka­ni­sche Kino über die USA des 21. Jahr­hun­derts und seine Menschen? Was erzählen diese Filme, ihre Mythen und Geschichten, ihre offenen Lügen und ihre versteckten Wahr­heiten was wir übersehen haben? Wie könnte man mit Kracauers Ansatz auf Hollywood blicken?

American Psycho

Auf Gordon Gekko folgte American Psycho. Der 1991 erschie­nene Roman von Bret Easton Ellis erzählt von Patrick Bateman, einem Yuppie und Invest­ment-Banker, der aus reiner Lange­weile und Dekadenz ein zweites Leben als Seri­en­mörder führt – ein ameri­ka­ni­scher Albtraum. Fast noch abgrün­diger als die reinen Morde – bei denen es sich auch um perverse Phan­ta­sien handeln könnte – ist das generelle Verhältnis der Haupt­figur zu Frauen: Er verachtet sie, sieht sie als Objekte und poten­ti­elle willige Sexma­schinen an. Und jeder, der sich an die Debatten um Donald Trumps Frau­en­ver­hältnis erinnert, an die bezeich­nenden Sprüche und die Frau­en­ver­ach­tung des Präsi­denten wird die Paral­lelen zu American Psycho fest­stellen.

So wie man Stones Inves­to­ren­figur heute leicht einen Donald Trump in seiner Mischung aus Narzissmus und Größen­wahn erkennt, so verkör­perte wieder ausge­rechnet Michael Douglas – natürlich absicht­lich besetzt, um diese Bezüge heraus­zu­ar­beiten – auch die andere. schwarze, verklemmt-kaputte Seite einer manisch-depres­siven Narziss­ten­figur, die manchen heute nur allzu vertraut vorkommt: In dem Film The Game von David Fincher spielt er einen Milli­ardär mit Vater­kom­plex, Überfluss und Spie­ler­men­ta­lität.

Irra­tio­na­lität und Infan­ti­lismus

Das ameri­ka­ni­sche Kino der letzten Dekaden ist – ganz im Sinne Kracauers – voller versteckter Hinweise auf den Gang der Dinge. Eine vielen sehr unter­schied­li­chen Filmen gemein­same Tendenz ist die einer Rückkehr zum Irra­tio­na­lismus. Nicht der Boom von Science-Fiction und Horror – diese Genres können sehr rational sein – sondern der der Fantasy und der Super­helden.

Auch wo nicht – wie in den Fanta­sy­epen Herr der Ringe und Harry Potter große Schick­sals­mächte und Zauber­kräfte wirken, sind es doch zumeist geheime, über­mensch­liche Kräfte und Gaben, die den Einzelnen oft für alle Zeiten verwan­deln, jeden­falls über den Rest der Menschen hinaus­heben. Den Hinter­grund des Booms solcher Geschichten bildet eine »Spaß­kultur« genannte Verän­de­rung der Gesell­schaft hin zum total gewor­denen Amüsement und Spektakel. Der »Struk­tur­wandel der Öffent­lich­keit« (Jürgen Habermas) ist nicht allein der von den Medien als Erzieher und Agenten der Aufklä­rung des Publikums, über die Vorstel­lung der Medien als »Konsens­fa­brik« (Noam Chomsky) hin zu den Medien als Ware, als Produkt, das nicht das Publikum sich, sondern sich dem Publikum und seinen Wünschen anpasst, und an dem »Zerfall des öffent­li­chen Lebens«, und seiner Verwand­lung in eine »Tyrannei der Intimität« (Richard Sennett) mitwirkt.

Am Grund dieser Geschichten liegt die Infan­ti­li­sie­rung des kollek­tiven Bewusst­seins. Denn im Umkehr­schluss bedeutet die Erzählung vom super­he­roi­schen Über­men­schen, die Regres­sion des Normal­men­schen, der sich zu klein und zu machtlos fühlt, um helden­haft in den Gang der Dinge einzu­greifen, der sich besser bescheiden will, statt verant­wort­lich zu entscheiden, sich an den Rock­zipfel des Helden flüchten, anstatt ein Risiko einzu­gehen. Wie ein Kind fühlt er sich ohnmächtig in der Welt und nur von etwas Über­mäch­tigem geborgen.

In der Regel erzählen Super­helden-Universen überdies vom Vorrang des Indi­vi­du­ellen, vom Sieg des Einzelnen über das Kollektiv. Einzige Ausnahme sind die X-Men. Hier können die beson­deren Fähig­keiten, die die Helden von den übrigen Menschen trennen zu einer Belastung werden. Die »Mutanten« sind Außen­seiter und werden vom Main­stream-Amerika gesell­schaft­lich ausge­grenzt. X-Men 2 dreht sich vor allem um Sonder­ge­setze, die ein rechts­kon­ser­va­tiver Senator und Regie­rungs­be­rater gegen die »Mutanten« erlassen will. In den »X-Men«-Szenarien spiegeln sich präzis die Debatten zwischen reak­ti­onärem Frem­den­hass und Furcht vor »Moslems«, »Schwarzen«, »Latinos« und allem, das dem weißhäu­tigen protes­tan­ti­schen Amerika zu wider­spre­chen scheint und jenen Liberalen, die für Koexis­tenz, Plura­lismus und Inte­gra­ti­ons­mo­delle plädieren.

Die Folgen der Trump-Jahre für Medien und Kultur der USA werden zukünf­tige Histo­riker zu analy­sieren haben. Ebenso die Tatsache, dass es letzt­end­lich die Medien waren, die Trump erst geschaffen und ermö­g­licht haben, und die, obschon scharfe Kritiker, jetzt durch Einschalt­quoten und Abon­ne­ments von ihm profi­tieren.
Das Kino aber lieferte schon vorab Bild­sprache, Rollen-Vorbilder und Verhal­tens­muster: Der Wahnsinn von Wolf of Wall Street konnte auch von der poli­ti­schen Realität nicht überboten werden.

Multi­mil­lionär als Superheld

Genau bei jenen zwei Super­helden, die nicht wesenhaft über­mensch­lich sind – à la Superman, oder Spider-Man –, sondern die nur durch avan­cierte Technik zu Super­helden werden, handelt es sich dann passen­der­weise um Milli­ar­däre mit Playboy-Leben: Bruce Wayne (Batman) und Tony Stark (Iron ManBatman betrat bereits (Zufall?) 1989 pünktlich zum Mauerfall und Beginn des Zeit­al­ters ohne Utopien die Kino­lein­wände. Dass ausge­rechnet Batman, der tech­nik­ver­liebte Millionär und schwarze Rache­engel im ledernen Fleder­maus­kostüm im Kino seitdem in bisher acht Filmen auftrat, liegt daran, dass er perfekt die Nacht­seite des demo­kra­ti­schen Zeit­al­ters verkör­pert. Dieser Superheld ist gar nicht so super, sondern ange­schlagen, kein Winner, sondern ein Über­le­bender. Seine Welt um Gotham City, eine Mischung aus New York, dem Berlin der 90er und Fritz Langs' Metro­polis ist ein Welt aus schran­ken­loser Markt­wirt­schaft. Immer wieder sind Batman-Filme auch böse, bittere Porträts der schmut­zigen Seiten Amerikas, Studien in Dekadenz und Amoral, die von dem geheimen Pakt zwischen Regie­renden und Terro­risten erzählen, von den Schwächen der demo­kra­ti­schen Insti­tu­tionen, und der fehlenden Charak­ter­stärke der Menschen.)

Immer wieder seit Jack Nichol­sons – voll­kommen zu Unrecht von Heath Ledger über­schat­tetem – Auftritt als »Joker« in Tim Burtons erstem Batman, hat es Batman mit Demagogen von Rechts und Medi­en­mo­gulen, die ihre Macht miss­brau­chen, sowie der Anfäl­lig­keit der zum Pöbel dege­ne­rierten Bürger für auto­ri­täre Lösungs­mo­delle zu tun. Die Masse ist schwach und mani­pu­lierbar, Joker ein Börsen-Verbre­cher und Populist. Dieser Schurke ist die einzige Figur, die zumindest noch Spaß hat, die Exzess und Lust an der Über­schrei­tung lebt. Joker ist selbst­ver­ständ­lich nichts anderes als ein Horror-Clown – und in alldem, im Zugang des Gamblers zur Welt, der selbst Fragen von Leben und Tod, Gewalt und Recht zum Egotrip und riskanten Spiel degra­diert, Macht zum Spielzeug und der in obszöner Weise nichts ernst nehmen kann, scheinen die Gegenwart zum poli­ti­schen Exzess, der mit dem Namen Trumpo verbunden ist, offen­sicht­lich.

Auch eine Bemerkung Kracauers scheint das Phänomen besser zu erklären, als viele poli­ti­sche Kommen­tare: »Propa­ganda ist totalitär, regressiv und nihi­lis­tisch. Man bringt bedeu­tende Begriffe um den Rest ihrer Substanz, schlüpft in die Gehäuse und macht mit dem Schimmer Reklame. Hinter dem Tumult der Propa­ganda taucht ein Totenkopf auf.«

Zum Schlüs­sel­jahr dieser Geschichte wurde 2008: Es war das Jahr, in dem das Platzen der Immo­bi­li­en­blase zum Ausbruch der Staats­schul­den­krise führte, in dem Chris­to­pher Nolans zweiter Batman The Dark Knight als deren Analogie gelesen wurde und der Triumph der »Tea Party« mit der Wahl von Barack Obama zusam­men­fiel – in der sich Hoff­nungen auf einen poli­ti­schen Wandel ebenso bündelten, wie kurz darauf die Enttäu­schung, dass nicht nur alles beim Alten blieb, sondern Obama die verach­tete Politik seines Vorgän­gers noch mit gerin­gerer Kompetenz fort­setzte.

2008 war auch das Jahr, in dem der erste Iron Man ins Kino kam. Die Ähnlich­keiten zwischen dem Waffen­fa­bri­kanten Tony Stark mit rechts­kon­ser­va­tiven Ansichten und der Persön­lich­keit des New Yorker Geschäfts­manns Donald Trump sind viel­fältig: Stark hat sein Vermögen von seinem Vater geerbt, benimmt sich gern schlecht, oder verant­wor­tungslos, ist überzeugt, es sei »besser gefürchtet zu werden, als respek­tiert«, dass »die beste Waffe die ist, die man nur einmal abfeuern muss«, und das die Defi­ni­tion für »Frieden bedeutet, dass man das größere Steak hat, als der andere.« Iron Mans starrer Metall­panzer, der alles Mensch­liche ummantelt, kann als das Sinnbild eines Amerika verstanden werden, das sich allen Außen­reizen gegenüber abkapselt.

Kultur der Angst und Faschismus mit demo­kra­ti­schem Antlitz

Ähnlich wie beispiel­haft die Super­hel­den­filme kann man auch in anderen Filmen und Filmtypen den Vorschein der Gegenwart entdecken: In Matrix entscheidet sich der Held Neo für die bittere Pille der Erkenntnis der wahren Welt und gegen den Schein der süßen Illusion. Der Verräter Cypher bevorzugt genau diesen: Die Illusion. »Ignorance is bliss« sagt Cypher und wählt die Illusion eines saftigen Steaks. Analog verläuft die Argu­men­ta­tion Trumps und seiner Wähler: »America first«, Ignoranz ist Glück­se­lig­keit.
Das Pendant dazu bilden die Suburbia-Dekadenz-Studien seit Happiness und American Beauty. Sie spiegeln die Melan­cholie und unter­grün­dige Depres­sion zu der der »American Dream« geronnen ist,
Und bereits in den Filmen seit The Siege und Public Enemy No. 1, vor allem aber im Werk David Finchers seit den 90er Jahren eska­lierte das Miss­trauen des Paranoia-Kinos »New Holly­woods« zur allge­meinen – so gut begrün­deten, wie billigen – Deli­gi­ti­mie­rung »des Systems«, der Insti­tu­tionen und der Politiker. Einer der Gipfel war Clint Eastwoods reak­ti­onäre Kolpor­ta­ge­ge­schichte Absolute Power in der US-Präsident persön­lich in ein Mord­kom­plott verwi­ckelt ist.

Einer der besten ist Jonathan Demmes Polit-Paranoia-Film Der Manchu­rian Kandidat von 2004, ein Update des Fran­ken­heimer-Films von 1962 – eine elek­tri­sie­rende Parabel auf die post­de­mo­kra­ti­schen Verhält­nisse des 21. Jahr­hun­derts – noch in ihren Schwächen verrä­te­risch. Ein Schläfer sitzt als Vize­prä­si­dent im Weißen Haus, und das Böse ist hier keine fremde Nation, sondern ein trans­na­tio­naler Wirt­schafts­kon­zern, der zum Staat im Staate geworden ist, und einen Putsch von Rechts plant. Der Film nimmt die patrio­ti­sche Rhetorik auf’s Korn, das Gerede von der »homeland security«: »Die wirkliche Gefahr ist die der Abschaf­fung der Bürger­rechte«, heißt es, es drohe »ein Staats­streich, ein regime change in unserem eigenen Land.« Meryll Streeps Darstel­lung der bis zum Terro­rismus ehrgei­zigen Mutter und US-Senatorin ist das Herz des Films, weil sie sich eng an die Realität hält, und diese doch immer über­schreitet: Einer­seits eisig profes­sio­nell mit herri­scher Körper­sprache und näselnd-elitärem Ostküsten-Akzent im Original, auch der Ritter­helm-artigen Frisur von Washing­tons Power-Frauen, ande­rer­seits abgründig mit inzes­tuösem Touch, jederzeit hart an der Kippe zum hyste­ri­schen Zusam­men­bruch – in jeder Pore eine Glanz­leis­tung. Subversiv ist diese Kritik am US-Polit-System bis heute geblieben – nur die Illusion, dass solche Filme etwas bewirken, Verhält­nisse verändern könnten, muss man sich wohl abschminken. Wer den masken­haften Kandi­daten einer schönen neuen Konzern-Welt beob­achtet, auf die Worte der Radio­spre­cher lauscht, die permanent vor Terro­risten warnen, wird die Bezüge zur Wirk­lich­keit nicht übersehen. Die Kultur der Angst, über die Fran­ken­heimer noch speku­lieren konnte, ist längst Realität geworden.

Vom Teller­wä­scher zur Drücker­ko­lonne

Wer kein Recht mehr hat in Amerika, der hat das Recht auf eine Waffe. Und damit fühlt er sich stark. Das ganze Leben ist Krieg.
Roberto Minervini, ein in Italien geborener Regisseur, zeigt Schießü­bungen irgendwo im Wald von Louisiana. Es ist ein Doku­men­tar­film, den wir hier sehen, keine Fiktion: Es sind Männer und Frauen, die hier schießen, junge und alte. Den meisten sieht man an, dass sie arm sind, verschwitzte, schlecht geklei­dete, schlecht ernährte, Weiße. Und die Ziel­scheiben, auf die sie ballern und die sie recht gut treffen, denn sie sind geübt, haben die eindeu­tige Silhou­ette schwarzer Ameri­kaner.

Roberto Minervini, ein in Italien geborener Regisseur, der schon seit vielen Jahren in den USA lebt, hat sich in einer ganzen Reihe von sensiblen intimen doku­men­ta­ri­schen Porträts, den Entrech­teten, den Ernied­rigten und Belei­digten Amerikas gewidmet. Sein beson­deres Interesse gilt dem alten Süden, den konfö­de­rierten Verlie­rern des Bürger­kriegs und hier wieder dem soge­nannten »White Trash«. Ein häss­li­ches, aber nicht unprä­zises Wort, das »weißer Müll« bedeutet, und jene Menschen meint, die komplett abgehängt sind vom Ameri­ka­ni­schen Traum – poten­ti­elle Trump-Wähler.

Miner­vinis Filme heißen Low Tide, The Other Side, Stop the Pounding Heart. Ein grund­sätz­li­cher destruk­tiver Geist durch­zieht vieles, was diese Menschen tun. Und doch schafft Minervini es, ihnen ihre Würde nicht zu nehmen, sondern sie uns als Menschen zu zeigen, die wir verstehen – soweit es da etwas zu verstehen gibt.
»There is gonna be another revo­lu­tion in this country. The UN will invade...« – es wird eine Revo­lu­tion kommen. Auch das sagten Miner­vinis Prot­ago­nisten schon Jahre vor Trump.

Ein tolles Angebot zum Thema machen jetzt die Kollegen des Verleihs Grand-Film, und machen den neuesten Film Miner­vinis aus Anlass der Wahlen und des Lockdown online zugäng­lich: What You Gonna Do When the World’s on Fire? ist in vieler Hinsicht anders: Schwarz­weiß, beob­ach­tender, passiver – und er handelt von ameri­ka­ni­schen Schwarzen.

Sie schreiben treffend: »mit Spannung und auch etwas Furcht blicken wir und die ganze Welt in Richtung USA, wo morgen die Präsi­dent­schafts­wahlen statt­finden werden. ... Als Kommentar zu den Wahlen in den USA – wie immer sie auch ausgehen werden – haben wir uns dazu entschlossen, Roberto Miner­vinis Doku­men­tar­film What You Gonna Do When the World’s on Fire? bereits morgen zur ›Wahlnacht‹ als Video on demand zu veröf­fent­li­chen. Beim Kinostart Ende Juli wurde diese eindrück­liche Doku­men­ta­tion von der Presse gefeiert und in zahl­rei­chen Kinos gezeigt. Es standen für die nächsten Wochen noch weitere Kinotermine an, die aber vorerst durch den erneuten Lockdown ausfallen müssen.
Dieser Film ist nicht nur ein Kommentar oder ein Debat­ten­bei­trag, er ist ein Kunstwerk des doku­men­ta­ri­schen Kinos, in wunder­barem Schwarz-weiß gedreht und bestechend durch die unmit­tel­bare Nähe zu seinen Prot­ago­nis­tInnen.«
Der Film ist als Video on demand ab Dienstag, 3.11. um 20:00 Uhr zum Preis von 4,99 Euro abrufbar unter folgendem Link (wird erst morgen um 20 Uhr aktiviert): https://vimeo.com/ondemand/wygdwtwof
Am Freitag erscheint What You Gonna Do When the World’s on Fire? außerdem bei absolut Medien als DVD.

Geld, Geld, Geld

Immer wieder zeigen uns Filme das Verdrängte einer Gesell­schaft. Selbst Unter­hal­tungs­kino ist nie bloße Unter­hal­tung, sondern das ins Bild gesetzte Unter­be­wusst­sein eines Zeit­al­ters, und was als welt­flüch­tiges Spektakel gedacht ist, kann spek­ta­kulär in die Welt zurück­schlagen. Tatsäch­lich zeigen viele Filme in den letzten Jahren die Schat­ten­seiten Amerikas.

Kino­bilder aus den USA beschrieben schon seit Jahren immer wieder eine gespal­tene, gestörte Gesell­schaft. Man könnte viele Titel nennen – stell­ver­tre­tend kann man an American Honey erinnern. Die Regis­seurin Andrea Arnold zeigt eine Handvoll char­manter Werber einer Drücker­ko­lonne, die Zeit­schriften-Abos verkaufen. Immer neues Menschen­ma­te­rial ist gefragt, denn der Job ist hart, der Seelen- und Leiber-Verschleiß ist groß.
Dieser Film seziert die Mythen Amerikas , den verblassten Traum eines besseren Lebens, des angeb­li­chen Aufstiegs vom Teller­wä­scher zum Millionär.

Ein Road-Movie auf einem Highway nach Nirgendwo, auf dem die Zuschauer bald das Gefühl haben, jede verdammte Türklinke selbst zu putzen, und herum­zu­hängen mit zuge­dröhnten Zwan­zig­jäh­rigen aus bildungs­fernen Schichten. Ein ambi­va­lenter Film der Ausbeu­tung zeigt, der aber auch selbst profi­tiert von der Schönheit junger Menschen und cool-verklä­render Musik.

Worauf es in Amerika aber wirklich ankommt, das beschrieb in humor­voller Form am präzi­sesten schon vor Jahren Hollywood-Veteran Warren Beatty. In seinem Film Bulworth spielt er einen Politiker, der plötzlich die Maske fallen­lässt, und die Wahrheit sagt, in Form eines Rap: Geld, Geld, Geld.

Nach­be­mer­kung
Natürlich kann man solche Deutungen und ein derar­tiges Ernst­nehmen des Kinos als solches für Unsinn halten. Natürlich kann man allen Ernstes annehmen, nichts hänge mit irgend­etwas zusammen, alles Erkenn­bare sei beliebig und dem Zufall unter­worfen. Geschichts­phi­lo­so­phie und speku­la­tive Theorien sind derzeit zwar nicht in Mode. Jedoch gehört philo­so­phi­sches Denken mit umfas­senden Ansprüchen und einer Totalität der Welt­deu­tung, in der alle Einzel-Phänomene auf gemein­same Grund­prin­zi­pien zurück­ge­führt werden zur Geschichte der Wissen­schaft seit ihren Anfängen.

Wenn aber an all dem etwas dran ist, dann muss ein Blick in die Zukunft erlaubt sein: Noch einmal Gotham-City, jene univer­sale Metro­polis. In The Dark Knight Rises spielte ein gesichts­loser Schurke, mit einer Leder­maske vor dem Mund, die er nie abnimmt, und die seine Stimme verfälscht, den Volks­tribun und hetzte »die Bürger« gegen »den Staat« auf. So ist das Kino, sagen jetzt manche. Nein: So sind die Menschen. Sie haben nur die Medien und die Filme, die sie verdienen.