29.10.2020

Verbotene Schönheit

Matthew Barney
Matthew Barneys kosmischer Tanz
(Foto: Matthew Barney, Redoubt, 2018. Production still. © Matthew Barney, courtesy Gladstone Gallery, New York and Brussels, and Sadie Coles HQ, London. Photo: Hugo Glendinning)

Kino der Kunst in München: Die 4. Ausgabe des Festivals für Filme Bildender Künstler*innen stellt die Frage nach der Ästhetik und Veränderungen des Bewegtbilds im Zeitalter seiner digitalen Verwertbarkeit

Von Dunja Bialas

Spätes­tens seit der documenta 14 in Kassel ist der Political turn in der bildenden Kunst zum Main­stream geworden. Nicht erst seitdem werden Werke mit geopo­li­ti­schen Herkunfts­an­gaben versehen, wird die Back Story oft wichtiger als die Mani­fes­ta­tion. Attribute, wie sie der kanadisch-ameri­ka­ni­sche Philosoph Stephen Hicks schon in seinem Aufsatz »Warum Kunst hässlich wurde« 2004 beschrieb, sind »hässlich, trivial oder geschmacklos«, sie erscheinen als Bastel­ar­beiten von Grund­schü­lern oder ähnliches. »Die wich­tigste Frage«, schreibt Hicks, ist: »Warum adop­tierte die Kunstwelt des 20. Jahr­hun­derts das Hässliche und Wider­liche?«

Das klingt alles auch ein wenig gefähr­lich. Hicks ist aber nur ein entschie­dener Kritiker des Post­mo­dernen, dem missfällt, dass heute »anything goes«, wie ein Schlag­wort der post­mo­dernen Kano­nauf­lö­sung lautet. Das Zentrum für Poli­ti­sche Schönheit wiederum will durch Kunst­ak­tionen, die sie als »schön« bezeichnen, auf poli­ti­sche Miss­stände aufmerksam machen. Ist das noch Kunst, oder ist das nur noch Moral, lässt sich da fragen.

Das Fazit für die Kunst scheint heute, auch jenseits dieser beiden extre­meren Beispiele, zu sein: die klas­si­sche Ästhetik, das Schöne, mit dem sich auch das Wahre und Gute verbindet, ist in die Defensive geraten, oder mit Hicks gespro­chen, wird leich­ter­dings von einer Ästhetik des Häss­li­chen abgelöst. Überhaupt lösen sich die Pole auf, zugunsten, so scheint es, der Botschaft. Mehr werden der Inhalt und das mora­li­sche Anliegen in den Vorder­grund gebracht, die Gestal­tung, Form und Technik müssen vor ihnen zurück­treten, als wären sie nicht mehr schick­lich. Gemeinhin gelten sie als Verlaut­ba­rungen des Ober­fläch­li­chen, Leeren und Eitlen, der Vanitas.

Das ist »Verbotene Schönheit«, so die Erkenntnis von Heinz Peter Schwerfel, künst­le­ri­scher Leiter von Kino der Kunst, der die neue Auflage des zum vierten Mal in München statt­fin­denden Festivals unter eben dieses Motto stellt. »In der Gegen­warts­kunst gibt es ange­sichts zuneh­mender poli­ti­scher und gesell­schaft­li­cher Krisen eine nicht einge­stan­dene Haltung 'ästhe­ti­scher Korrekt­heit'«, so Schwerfel, »einen Main­stream von poli­ti­siertem Realismus und gutge­meinter kollek­tiver Soli­da­rität. Gegen einen solchen formalen Main­stream schwimmt die dies­jäh­rige Ausgabe von Kino der Kunst.«

Fast 40 Filme Bildender Künstler*innen aus über 30 Ländern, die Schwerfel für den inter­na­tio­nalen Wett­be­werb program­miert hat, treten nun bis Sonntag den Beweis an, dass Schönheit und wichtige Themen einander nicht ausschließen. Soziale und poli­ti­sche Brenn­punkte wie Migration, Rassismus oder der Klima­wechsel sind in den gezeigten Werken auch ohne Sponti-Geste diskurs­re­le­vant, nur werden sie auf hoch­äs­the­ti­sche Weise verhan­delt.

Viele der Künst­le­rinnen und Künstler des Programms spielen so auch in der oberen Kunstliga. Bekannte Namen sind darunter wie Isaac Julien mit Lessons of the hour über den ameri­ka­ni­schen Aboli­tio­nisten und befreiten Sklaven Frederick Douglass, der sich zur »Black Lives Matter«-Kunst zuordnen lässt. Julien hat sorg­fäl­tige Kostümar­ran­ge­ments geschaffen und so ausleuchten lassen, dass die Farben satt leuchten. Bei ihm zeigt sich – wie auch in vielen bei Kino der Kunst präsen­tierten Werken – dass die Bildenden Künstler in der tech­ni­schen Umsetzung den Film­re­gis­seuren in nichts nach­stehen. Auch Matthew Barney mit Redoubt gehört natürlich dazu. Wie immer hat der multi­dis­zi­plinäre Künstler, der den Münchnern noch gut mit seiner Filmoper River of Fundament (2014) in Erin­ne­rung ist, keinen Film für Veganer geschaffen. Dafür eine rätsel­haft mythische Medi­ta­tion zum Diana-Komplex. Drei sehr gelenkige Jäge­rinnen bahnen sich elegant den Weg durch die tief­ver­schneite Land­schaft des Sawtooth-Hoch­ge­birges in Idaho, machen Slalom durch die dunklen Baum­stangen der kahlen Wälder, stumm und einver­nehm­lich auf der Pirsch nach dem macht­vollen Hirschen. Schüsse werden ausge­tauscht, wie im Quiproquo fällt eine Jägerin vom Baum, während auch die geschos­sene Wildkatze fällt. Der schießende Gegen­spieler ist ein älterer Künstler, der mit seiner Frau in einer Hütte in der verschneiten Einsam­keit etwas esote­ri­sche Mate­ri­al­kunst anfertigt. Wenn am Ende ein Wolfs­rudel über das Wohn­zimmer herfällt, kann aber daraus noch kein Statement abgelesen werden. Barney insze­niert eine berü­ckende Einheit von Mensch, Natur, Kunst und alten Mythen, die ergrei­fend ist, aber auch nur schwer zu fassen. Ein lohnender Film, bei dem man in die Zwischen­räume der Bedeu­tungen fällt, Auffang­netz ist seine unbe­stech­liche Schönheit.

Oder Heavy Metal Honey des geor­gi­schen Foto- und Instal­la­ti­ons­künst­lers Vajko Chach­kahiani. Wie in anderen Filmen der aufstre­benden und immer inter­es­santer werdenden Film­na­tion versam­melt sich auch bei ihm die Groß­fa­milie zum Essen um den Tisch. Bana­li­täten weden ausge­tauscht. Dann beginnt Honig von der Decke zu tropfen, zähflüssig und klebrig, wie die Fami­li­en­struk­turen, die die geor­gi­sche Gesell­schaft zusam­men­halten.

Der jungen Kunst zuzu­rechnen ist I Like You der in den 1990ern geborenen Peters­bur­ge­rinnen Alexandra Kaza­kovtseva und Anita Kutlins­kaya, die beim Festival anwesend sein werden. Nicht mehr ganz Mill­en­nials, spielen sie mit den Abzieh­bil­dern der Instagram-Accounts, mit Fiktion und dem Auflösen des Authen­ti­schen der ganz Social Media gewor­denen Menschen. Eine Soap tut sich auf, vom verliebten Jungen, der sich in eines dieser Abzieh­bilder verliebt hat und nun an der Ober­fläche abprallt. Ein verzwei­feltes Anrennen gegen die Flatness der Welt. Und siehe da: die Ober­fläch­lich­keit der präsen­tierten Bilder zielt in entlar­vende Tiefe.

Der Einsatz der Mittel ist also entschei­dend, Pauschal­sor­tie­rungen in »schön, aber belanglos« und »hässlich, aber umso wichtiger« sind obsolet. Wenn man die Filme in ihrer großen Vielfalt betrachtet, die Schwerfel seit der letzten Kino-der-Kunst-Edition 2017 einge­sam­melt hat – ausge­wählt hat er ausschließ­lich fiktio­nale Werke – kann die angeb­liche Dicho­tomie von politics und aethetics nur ein Miss­ver­ständnis sein.

The Moving Art in Digital Times

Kino der Kunst 2020 sollte eigent­lich im April dieses Jahres statt­finden und wurde zu einem der früh wegen Corona abge­sagten Festivals. Jetzt sieht es so aus, als könne die Ausgabe gerade noch einem neuer­li­chen Shutdown entkommen. Schwerfel zumindest ist in der Zeit des Still­stands zum Nach­denken gekommen und hat das bereits für den Frühjahr geplante große Symposium nun ganz unter den Eindruck des einsamen Streamens auf der Wohn­zim­mer­couch gestellt. »Wie wird sich die Bewegt­bild­kunst in digitalen Zeiten verändern?«, fragt er, auch ganz explizit im Hinblick auf den »Erfolgszug des Strea­mings« und Covid-19. Einen Tag lang (Freitag, 30.10.) stellen sich inter­na­tio­nale Kurator*innen, Produzent*innen und Künstler*innen, u.a. Chris Dercon, Jacqui Davies, Emilio Álvarez oder Ulanda Blair, den Fragen der vier Panels, darunter der Sicht­bar­keit, den Markt- und Samm­ler­in­ter­essen. Das Symposium wird gestreamt und ist auf der Festival-Website abrufbar.

Einen Benefit des Streamens führt auch das Museum Brand­horst vor. Die bei Kino der Kunst physisch statt­fin­denden Artist Talks werden auf dem muse­ums­ei­genen Youtube-Kanal gestreamt, (ebenfalls abrufbar auf www.kino­der­kunst.de). Kunst im Internet kann auch weitere Attrak­tionen schaffen. So wird die Miniserie der Münchner Künst­le­rinnen Anna McCarthy und Paulina Nolte »Bloodless«, darunter die vom Museum Brand­horst in Auftrag gegeben Episode »Bloodless Brand­horst« im Museum-Brand­horst-Youtube-Kanal ausge­strahlt.

Stimmen, Mythen: Empfoh­lene Ausstel­lungen

Wem die insgesamt sechs Tage Kino der Kunst nicht lange genug gehen, kann, sofern die Kultur nicht wieder von der Corona-Politik geschlossen wird, in den nächsten Wochen und Monaten noch die hohe Kunst des Bewegt­bilds in Münchner Ausstel­lungen erleben. Sehr zu empfehlen ist die mono­gra­fi­sche Schau mit Werken von Maya Schweizer im Museum Villa Stuck, knapp tituliert: »Stimmen«. Die deutsch-fran­zö­si­sche Künst­lerin umkreist Themen von Geschichte und (jüdischer) Identität. In »A Memorial, a Synagogue, a Bridge and a Church« (2012) colla­giert und montiert sie doku­men­ta­ri­sche Bilder, lässt die Bedeu­tungen vom Sound­s­cape der Straße in momen­taner und spontaner Beiläu­fig­keit leichter werden, zeigt Schich­tungen der Vergan­gen­heit, des Erinnerns und der kunst­vollen Technik. In München entstanden ist »Voices and Shells« (2020), eine Schälung und Häutung der ehema­ligen Haupt­stadt der NS-Bewegung. Man sieht das heutige Haus der Kunst, die Hoch­schule für Musik, eine Schnecke, fließendes Wasser, die Kata­komben von München. Im asso­zia­tiven Raum erwächst so, begleitet von Texten aus dispa­raten Archiven, die aus dem Off verlesen werden, ein Gefühl für München als histo­ri­schem Vertigo.

Privat­my­tho­lo­gisch, darin Matthew Barney ähnlich, geht es mit Cyrill Lachauers »I am not sea, I am not land« im Haus der Kunst in der neuen Ausstel­lung von der Sammlung Goetz im ehema­ligen Bunker zu. Cyrill Lachauer zeigt seine Begabung, in den Frag­menten einzelner Film- und Objekt­schnipsel eine Geschichte entstehen zu lassen, von seiner Reise in den USA. Viel analoges Film­ma­te­rial wird dabei von 16mm-Projek­toren gespielt, eine fast schon nost­al­gi­sche Verbeu­gung vor der Schönheit des Filmkorns und den satten Farben. Berückend sind seine tanzenden Prot­ago­nisten, etwa der Wächter eines Wildparks, der sich im Drag vor einer hoch aufra­genden Felsen­wand stumm bewegt, oder der tanzende Braunbär, ausge­stattet mit mächtigen, nicht näher bestimmten indigen-rituellen Quasten.

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Offen­le­gung: Die Autorin verant­wortet die Kata­logre­dak­tion bei Kino der Kunst.

KINO DER KUNST

bis 1.11.2020 in München
HFF München, Theatiner Filmkunst, City Kinos

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