20.08.2020

Film ab und los geht die Karriere?

In the Name of Scheherazade
Starkes Bild für die unangepasste Integration: In the Name of Scheherazade
(Foto: Narges Kalhor)

Die Stadt München vergibt den STARTER-Filmpreis an vier ungewöhnliche Werke des Münchner Regie-Nachwuchs. Fest steht: Es wird ein verhaltener Start in einem schwierigen Jahr

Von Dunja Bialas

Die Verlei­hung der STARTER-Film­preise findet dieses Jahr erstmals im Rahmen der FILMKUNSTWOCHEN statt (26.8., 19 Uhr, Rio Film­pa­last). Kultur­re­fe­rent Anton Biebl wird aus gebotener Distanz die Urkunden über­rei­chen, Stadtrat Leo Agerer begrüßt in Vertre­tung des Ober­bür­ger­meis­ters Dieter Reiter. Der selbst ist ein beken­nender Verfechter der Filme und des Kinos als Ort, wo diese gesehen werden sollen. So stellte sich in einer leben­digen Unter­hal­tung bei der von einem Stark­regen symbo­lisch über­höhten Verlei­hung der Kino­pro­gramm­preise vergan­genen Dienstag heraus, die aus Corona-Gründen erstmals unter Ausschluss der Öffent­lich­keit im Innenhof des Kultur­re­fe­rats in der Münchner Burg­straße über die Bühne ging. Ausge­zeich­nete Kinos 2020 sind Theatiner Filmkunst, die City Kinos, das Monopol, das Neue Maxim, das Neue Rottmann und das Studio Isabella. Reiter machte deutlich, dass ihm durchaus bewusst ist, dass all die schönen Coro­na­hilfen für die Kinos, auch der Kino­pro­gramm­preis, der dieses Jahr früh­zeitig ausge­zahlt wurde, direkt an die Vermieter der Kino­be­treiber fließen. Indes: ein Tool, um diesen Missstand zu beheben, hat er nicht, auch gibt es keine Möglich­keit, eine Bestands­ga­rantie für kultu­relle Nutzungen in die Grund­bücher zu schreiben, selbst wenn allent­halben die Verödung der Innen­s­tädte sorgt. Das verlangt eine Änderung des Baurechts, so Reiter. »Noch nicht einmal die Park­ge­bühren kann ich erhöhen, weil es dafür ein Gesetz braucht!«, gab der mäch­tigste Mann der Stadt Kunde von seiner Ohnmacht. Und dann verschwand er und hatte mit seiner Infor­miert­heit über die Kino­si­tua­tion einen großen Eindruck hinter­lassen.

Auch die Verlei­hung der STARTER-Film­preise am kommenden Mittwoch wird wieder coro­na­gemäß verhalten statt­finden: kurze Reden, Urkun­den­ü­ber­gabe, aber immerhin dann die Preis­trä­ger­filme im Kino. Das ist besser als jede Online-Veran­stal­tung, auch wenn man hinterher wieder rasch ausein­an­der­gehen muss. Denn wirklich zu feiern hat die Branche derzeit nichts. Und auch nicht die Münchner, die jetzt den Skandal um die Infor­ma­ti­ons­ver­schlep­pung der baye­ri­schen Gesund­heits­mi­nis­terin Melanie Huml vermut­lich auch im Kino zu spüren bekommen. Locke­rungen sind zumindest nicht zu erwarten, mit zunächst über 1000 nicht-iden­ti­fi­zierten Neuin­fi­zierten (jetzt sind es nur noch 46, wie beru­hi­gend), wo auch immer die sich jetzt gerade herum­treiben. Eine Kino­be­trei­berin sagte prompt am Rande der Preis­ver­lei­hung: »Wenn die Distanz­regel von 1,50 Meter im Kinosaal nicht fällt, müssen wir bald dicht­ma­chen!«

Auch, um solchen dysto­pi­schen Aussichten auf das Ende eines Kinos, das auch immer irgendwie das Ende des Kinos beinhaltet, entge­gen­zu­treten, ist es ein hoff­nungma­chendes Zeichen, dass die 68. Film­kunst­wo­chen am kommenden Mittwoch mit der Preis­ver­lei­hung an den Regie-Nachwuchs enden und sich mit dem Ausklang ein Blick in die Zukunft verbindet.

Eine der STARTER-Gewinner*innen kennt man schon. Mariko Minoguchi hat als Auto­di­daktin mit ihrem Spiel­film­debüt Mein Ende. Dein Anfang. für große Aufmerk­sam­keit gesorgt, als er letztes Jahr beim Filmfest München seine Welt­pre­miere feierte. Auch die Kritiker waren sehr angetan und verliehen ihr im Februar den Preis der deutschen Film­kritik, hier sind auch die begeis­terten artechock-Kritiken nach­zu­lesen. Minoguchi erzählt »packend und poetisch, herz­er­fri­schend und herz­zer­reißend« (so die STARTER-Jury­be­grün­dung) von einer wuchtigen und raffi­niert konstru­ierten Liebes­ge­schichte, in der sich die Lebens­wege in einem verhäng­nis­vollen Moment kreuzen. Chris­to­pher Nolan und Alejandro Iñárritu mögen ihre Vorbilder gewesen sein, oder Tom Tykwers Lola rennt, aber auch ohne die Adelung durch die großen Namen ist Mein Ende. Dein Anfang. eine gekonnte Erzählung über die schick­sal­hafte große Liebe.

Bei der Preis­ver­lei­hung wird der Film aus Zeit­gründen leider nicht zu sehen sein, aber er hatte bereits seine Kino­aus­wer­tung. Anders als die drei anderen Preis­ge­winner. Anna Roller, die bereits vor zwei Jahren die STARTER-Jury mit ihrem Kurzfilm Pan beein­druckt hatte und dafür den Produk­ti­ons­preis erhielt, bekam jetzt den Regie­preis für ihren knapp halb­stün­digen Kurzfilm Die letzten Kinder im Paradies. Wieder taucht sie ein in die verrät­selte Natur, entfernt inspi­riert vom Hänsel-und-Gretel-Motiv, das sie clever neu zu deuten weiß. Hier muss unbedingt die Kame­ra­ar­beit von Felix Pflieger erwähnt werden, dem Roller einen sinn­li­chen Inter­pre­ta­ti­ons­raum für ihre Geschichte gab und der dafür prompt mit dem Deutschen Kame­ra­preis für den Nachwuchs ausge­zeichnet wurde. Die Produk­tion entstand, wie die meisten der STARTER-Filme, an der Hoch­schule für Fernsehen und Film München (HFF).

Auch in Berthold Wahjudis Summer Hit ist der heimliche Star die Kamera. Seine Geschichte über eine Liebe zwischen zwei Erasmus-Studie­renden in München beein­druckt mit den körnigen Bildern der 16mm-Kamera, mit der Tobias Blickle die Stadt einge­fangen hat. In warmes Sommer­licht getaucht, beginnt sie unter seiner Linse zu flirren, als wären immer noch die coolen 70er-Jahre, und als wäre München gar eine aufre­gende Stadt wie San Francisco, wenn die Straßen­bahn den Berg am Gasteig erklimmt.

In the Name of Sche­he­ra­zade oder Der erste Bier­garten in Teheran hat Narges Kalhor ironisch ihren Abschluss­film an der HFF genannt, für den sie den ARRI-Produk­ti­ons­preis erhielt. Mit Süffisanz persi­fliert sie die Anfor­de­rungen der Produ­zenten und Fern­seh­re­dak­teure an sich als aus dem Iran kommende Filme­ma­cherin, Inte­gra­ti­ons­themen und ihr »Auslän­der­da­sein« filmisch zu reflek­tieren. Kalhor spielt in ihrem Film eine Filme­ma­cherin, die einen »orien­ta­li­schen« Film über ihr »exoti­sches Heimat­land« machen soll. Findet zumindest ihr Redakteur. Immer wieder schlei­chen sich jedoch erotische Stör­mo­mente in das Imaginäre des Orients ein, expe­ri­men­telle Gegen­bilder, Subver­sion gegen die Anpassung. Dazu mischt Kalhor lustvoll die unter­schied­li­chen Stile, erinnert mit Sche­ren­schnitten an die Orient­fan­ta­sien von Lotte Reiniger, erzählt mit doku­men­ta­ri­schen Bildern von ihrer Recher­che­ar­beit nach einem Sujet. In the Name of Sche­he­ra­zade oder Der erste Bier­garten in Teheran ist ein Filmessay, das sich fort­wäh­rend selbst sucht und die Suche zur Bestands­auf­nahme einer Identität werden lässt, die mit starkem, humor­vollem und angst­freiem Blick den Clash der Kulturen feiert. Unter Kalhors Feder wird Migration und Inte­gra­tion noch einmal ganz anders gedacht als im Main­stream-Diskurs. Ein befrei­ender Film, der ein Feuerwerk ist, das lange und nach­haltig abbrennt.

Nach­hal­tig­keit ist auch dem jetzt preis­ge­krönten Nachwuchs zu wünschen. Roller und Wahjudi können noch auf der Film­hoch­schule weiter­ma­chen, aller­dings nur unter Respek­tie­rung des »distant filming«. Wird man die zukünf­tigen Filme daran bemessen, wie gut sie mit den Corona-Restrik­tionen umzugehen wissen? Minoguchi und Kalhor könnten jetzt eigent­lich durch­starten und ihren schwersten Film – den zweiten Film – reali­sieren. Wie wird es aber um die Bereit­schaft stehen, ein unkon­ven­tio­nelles Film­schaffen zu fördern? Wird es im Zeitalter der Restrik­tionen noch kreative Freiräume geben? Oder soll sie den korrekten Themen geopfert werden, wie die Umge­stal­tung der Förder­töpfe sugge­riert?

Das Film­pro­gramm im Überblick (Mi 26.8. 19 Uhr, Rio Film­pa­last):

Die letzten Kinder im Paradies
DE 2019 | 29 Min | R: Anna Roller | B: Anna Roller, Wouter Wirth | K: Felix Pflieger | Mit Lea Drinda, Moritz Licht, Doris Buch­ru­cker u.a.
Jugend auf dem Land. Leah und Theo leben bei der Oma abge­schieden, aber wohl­behütet auf. Bis die Kinder eines Tages auf sich gestellt sind und sich jugend­liche Camper in das kleine Paradies eindringen.

Summer Hit
DE 2019 | 19 Min | R: Berthold Wahjudi | K: Tobias Blickle | Mit Martina Roura, Atli Benedikt, Katrin Filzen, Leonard Dick
Laia kommt aus Spanien, Emil aus Island. Beim Erasmus-Aufent­halt in München verliebt sich Emil in Laia, was er ihr aber erst am letzten Tag gesteht. Dann gehen sie ausein­ander. Bleibt nur die Erin­ne­rung an einen Sommer­flirt?

In the Name of Sche­he­ra­zade oder Der erste Bier­garten in Teheran
DE 2019 | 75 Min | R: Narges Kalhor | K: Julia Swoboda | Mit Alireza Golafshan, Mahnas Sarwari, Serena Bucher u.a.
Ein Film übers Filme­ma­chen: Die iranische Regis­seurin soll für Bayern einen Film über ihr »exoti­sches« Heimat­land machen. Bei ihren Recher­chen stößt sie auf eine iranische Bier­brauerin.