13.08.2020

To end all the films

Tenet
Mindfucking à la Tenet ist nicht die schlechteste Wahl, um das Ende der Filme einzuläuten
(Foto: Warner Bros.)

In ihren neuen Richtlinien erhöht die BKM die Verleihförderung, befördert aber nur den kulturellen Kahlschlag

Von Dunja Bialas

Gibt es eigent­lich nur noch den einen Film? Seit dem Shutdown, seit der Schließung der Kinos, seitdem die Corona-Pandemie auch in den USA ange­kommen ist, starrt die Filmwelt nur auf die Verkün­dung des Film­starts von Tenet, dem neuen Film von Chris­to­pher Nolan. Tenet soll der Messias sein, der die Kinos vor dem Untergang rettet, die Filmfans vom Sofa herun­ter­holt und überhaupt die ganze Branche vom Corona-Virus heilt. Tenet ist Wunder­waffe und Impfstoff zugleich, gegen all die kinofeind­li­chen Übel unserer Zeit. Tenet wird uns retten.

Natürlich ist Tenet im Verleih von Warner Bros. auch Stell­ver­treter für andere, ähnlich heils­ver­spre­chende Titel, wie zum Beispiel Mulan, den Disney jetzt aber gar nicht mehr ins Kino bringt, sondern direkt auf dem haus­ei­genen Strea­ming­kanal veröf­fent­licht. Der neue James Bond Keine Zeit zu sterben (im Verleih von Universal) gehört ebenfalls in die Kategorie; er wurde vom Frühjahr in den November verlegt. Bleibt noch Kaiser­schmarrn­drama, der siebte Eberhofer-Krimi, den Constantin-Film zum Miss­fallen der baye­ri­schen Kino­be­treiber auf unbe­stimmte Zeit verschoben hat. Der Grund: die Corona-Restrik­tionen mit nur wenigen Besuchern in den Kinos machen aus jedem noch so großen Film auto­ma­tisch einen Flop. Verleih­kam­pa­gnen im großen Stil rechnen sich nicht, schon gar nicht, wenn man global agiert, wie die inter­na­tio­nalen Verleiher.

Wer am lautesten schreit…

Der Ruf der Branche nach den großen Film­ti­teln wird aber nur deshalb so gut gehört, weil hier einige wenige sich besonders lautstark Gehör verschaffen. Andere sind da leiser, obwohl sie guten Grund zum lauten Aufschrei hätten. Das sind die mittel­stän­di­schen oder noch kleineren Verleiher, die in Deutsch­land für die Vielfalt im Angebot sorgen. Seit dem Beginn der Corona-Krise führen sie, vertreten durch die AG Verleih (dem Verband der unab­hän­gigen Verleiher), Gespräche mit der BKM, der Beauf­tragten der Bundes­re­gie­rung für Kultur und Medien, Staats­mi­nis­terin Monika Grütters. Hinter verschlos­senen Türen, erzählt mir Joachim Kühn, Chef von Real­fic­tion, hätten sie seit Monaten mit Grütters geredet, Vorschläge unter­breitet, wie man in der coro­na­in­du­zierten Krise den deutschen Verlei­hern wirklich und nach­haltig helfen könne. »Nichts, aber auch gar nichts davon wurde gemacht«, resümiert er enttäuscht. Auch der Vorschlag, den Verlei­her­preis analog zum Kino­pro­gramm­preis in diesem schwie­rigen Jahr aufzu­sto­cken und mehr Verlei­hern, beispiels­weise allen Antrag­stel­lern, zu helfen, wurde ignoriert.

Die Latte wird höher gelegt

Statt­dessen wurde im Rahmen des am 3. August 2020 bekannt gemachten Minis­te­ri­al­pro­gramms »Neustart Kultur« die Verleih­för­de­rung neu aufgelegt und um vier Millionen Euro erhöht. Das klingt ja erst einmal gut. Proble­ma­tisch sehen die Bran­chen­ver­treter wie Joachim Kühn oder die Klein­un­ter­nehmer*innen wie Sabine Herpich vom Peripher Film­ver­leih oder Christos Dassios von Olymp Film jedoch das Anheben der Förder-Unter­grenze auf 40.000 Euro für die Heraus­brin­gungs­kosten eines Films. Für die kann bei der BKM ein Antrag auf Förderung gestellt werden, sofern 30 Prozent Eigen­an­teil vorhanden sind. »Da muss man echtes Geld inves­tieren«, betont Kühn, mit Rück­stel­lungen wie bei Produk­tionen kann ein Verleiher nicht operieren, er muss in Voraus­zah­lung gehen. »Das ist ein komplexes Geschäfts­mo­dell, das selbst Produ­zenten nicht verstehen.« Die BKM habe das auch nicht verstanden und denkt trotz mona­te­langer Gespräche mit den Verlei­hern immer noch, diese würden auf Provision die Filme heraus­bringen, so Kühn.

Mit der Herauf­set­zung der minimalen förder­baren Verleih­kosten für einen Film hat die BKM all die Verleiher vom Bran­chenzug abge­kop­pelt, die entweder nicht so große Film­pro­jekte im Angebot haben, die entspre­chend hohe Heraus­brin­gungs­kosten erfordern, oder die schlichtweg als Firma zu klein sind, um den notwen­digen Eigen­an­teil aufzu­bringen. »Die wollen den Markt berei­nigen«, vermutet Dassios, »und die mutigen und cine­as­ti­schen Filme weghaben.« Die wenig Geld einbringen, aber für Vielfalt in den Kinosälen sorgen. Und auch dafür, dass Kino selbst hier­zu­lande zur Kultur gerechnet werden darf.

Der Haupt­ver­band Cine­philie (HvC) sieht so auch in einem Schreiben, das er am vergan­genen Dienstag veröf­fent­lichte (hier bei »artechock« nach­zu­lesen), »die kultu­relle Verleih­ar­beit vor dem Aus«. In der Tat verlässt die BKM mit der Modi­fi­zie­rung der Richt­li­nien die ihr zuge­dachte Rolle der kultu­rellen Verleih­för­de­rung und nähert sich der Wirt­schafts­för­de­rung der Film­för­de­rungs­an­stalt (FFA) an. Wirt­schafts­för­de­rung im Verleih­sektor bedeutet, dass die Kassen klingeln müssen. Gefördert werden dort im Corona-Jahr 2020 die Verleihe Warner Bros. Enter­tain­ment, Constantin Film Verleih, Senator Film Verleih, Leonine Distri­bu­tion (besser bekannt unter dem alten Namen Universum Film) und Wild Bunch Germany. Also alles Big Player, die die großen Titel ins Kino bringen, für viele Zuschauer sorgen, was wiederum Kino­ab­gaben an die FFA generiert. Will­kommen im FFA-System.

Allein die Summen, die die BKM in ihren neuen Verleih­richt­li­nien ins Spiel bringt, verraten, dass man jetzt ebenfalls auf das wirt­schaft­liche Pferd setzen will – im krassen Wider­spruch zum Auftrag, die Kultur zu fördern. Die ebenfalls ange­ho­bene, maximale Förder­höhe von 150.000 Euro »öffnet Projekten den Weg, die auch bei der FFA antrags­würdig sind«, merkt der HvC an. Das Perfide an den Neure­ge­lungen: durch das Anheben der Heraus­brin­gungs­kosten sind jetzt auch Projekte ausge­schlossen, deren einzige Anlauf­stelle in der Vergan­gen­heit die kultu­relle BKM-Förderung war.

Und dann gibt es noch nicht einmal von den Kinos Rücken­de­ckung. Bereits Ende Mai fordert die AG Verleih zusammen mit dem Produ­zen­ten­ver­band in einem Brief an die AG Kino eine »tatsäch­liche Kino­aus­wer­tung« der unter­bro­chenen oder verscho­benen Filme, bevor sie »ein weiteres Mal von den Lein­wänden verdrängt werden«, durch die großen, im Herbst dann wohl anlau­fenden Filmtitel. Statt­dessen setzte die AG Kino auf nationale Einigkeit bei der Wiedereröff­nung, um wenigs­tens die großen Arthouse-Titel gut zu plat­zieren, wie Berlin Alex­an­der­platz und Undine.

Unter dem Deck­mantel von Corona: der Kultur-Kahl­schlag

Bleibt die Frage, weshalb sich die Verleiher erst jetzt bemerkbar machen. Zumindest der HvC hat mit seiner analy­ti­schen Brand­schrift das Problem deutlich benannt, woraufhin sich nun auch andere Bran­chen­ver­treter zu Wort melden. Nach Kühns Einschät­zung sei der Sach­ver­halt für die Presse (und die Leser) zu kompli­ziert, um sie dafür zu inter­es­sieren. Ganz einfach zu verstehen aber ist, dass mit dem Wegfall der Förderung für die kleinen Verleiher auch die kleinen Filme von der Leinwand verschwinden. So setzt unter dem Deck­mantel von Corona ein Kahl­schlag ein, der aus Deutsch­land eine öde Mono­kultur der leicht vermarkt­baren Titel macht.

Was wird sein, wenn all die bewe­genden, befrei­enden, mutigen, un- und außer­ge­wöhn­li­chen Filme von den Lein­wänden verschwunden sind? Filme wie zuletzt Anna Sofie Hartmanns Giraffe (Grandfilm Verleih), Carolina Hellsgard Sunburned (Camino Film­ver­leih), Patricio Guzmáns Die Kordil­lere der Träume (Real Fiction Film­ver­leih), Emin Alpers Eine Geschichte von drei Schwes­tern (Grandfilm Verleih), alle seit dem Shutdown ins Kino gekommen, sorgen für Vielfalt und Diver­sität. Aber viel­leicht wollen ja alle nur den einen Film? To end all the films?

Offen­le­gung: Die Autorin ist Vorstands­mit­glied im Haupt­ver­band Cine­philie.