Ein Sponsor weniger |
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Ohne Hauptsponsor in die Zukunft? | ||
(Foto: artechock) |
Sie haben es wirklich nicht leicht – die beiden neuen Direktoren der Berlinale. Nicht nur ein Festival im Umbruch, mit geschlossenen Kinopalästen, einem unwirtlichen Festivalort und dem auch sonst schwierigen Erbe der Kosslick-Jahre müssen Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek meistern, nicht nur die vielen Wünsche und Begehrlichkeiten von Filmkünstlern und Medienkonzernen, Politikern und Verbandsfunktionären, Kulturdiplomaten und Förderapparatschiks unter einen Hut bringen – und das alles während der schwersten Pandemie des letzten Jahrhunderts.
Und jetzt springen ihnen auch noch die Sponsoren ab.
Waren es schon vor der letzten Jubiläums-Berlinale im Februar der Edel-Uhrenhersteller Glashütte und der chinesische Luxusgüterkonzern Tesiro, so erklärte gestern auch der Ingolstädter Autokonzern Audi die Zusammenarbeit für beendet.
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Die Nachricht, dass die Autos vor dem Roten Berlinale-Teppich in Zukunft nicht mehr von einem süddeutschen Automobilkonzern gesponsert werden, verrät erst einmal viel über die derzeitige prekäre Lage der Automobilindustrie, die von Klimakrise, Corona und Dieselskandalen gleich mehrfach getroffen ist.
Der Konzern selbst äußerte sich auf Anfrage von »artechock« gestern nur unverbindlich im typischen PR-Deutsch. Eine Audi-Sprecherin erklärte zur Sache: »Im Rahmen der Neuausrichtung seiner Marke denkt auch Audi immer wieder seine Formate und Partnerschaften neu. Bewusst setzt das Unternehmen nun auf eine klare Ausrichtung an der Markenvision 'Die Zukunft der Premiummobilität gestalten' und fokussiert sich dabei auf Themen und Formate mit den Schwerpunkten
Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Design.
Diese Zukunfts-Themenfelder stellen wir in den Fokus der Kommunikation. Aus diesem Grund konzentrieren wir uns künftig auf Formate wie beispielsweise das GreenTech Festival oder die Bits & Pretzels.
Wir bedanken uns sehr herzlich für die konstruktive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Berlinale, wir haben in der Partnerschaft viele positive Einblicke und Impulse gewonnen und wünschen der Berlinale weiterhin alles
Gute und viel Erfolg.«
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Wie schlimm ist die Entscheidung von Audi aber wirklich? Muss sich auch die Berlinale Sorgen machen, wie ein Kommentator der Lokalpresse heute suggeriert? Wohl kaum.
Wenn Sponsoren zum Beispiel einen Preis stiften, dann ist das natürlich schön und nutzt auch dem Festival, weil es dann attraktiver für Filmemacher ist. Schon weniger ist das aber der Fall, wenn sie eine große Präsentations-Lounge aufstellen, so wie die Audi Lounge und den riesengroßen Audi-Würfel direkt vor dem Berlinale Palast – der wurde von vielen Festival-Gästen abgelehnt. Denn die Berlinale ist ja eben keine Automobilausstellung, sondern Filmfestival.
Die Berlinale verliert jetzt kein Geld. Denn Sponsoring bedeutet ja nicht etwa »Finanzierung«, wie die Berliner Zeitung »Tagesspiegel« gestern ungenau formulierte. Die Audi-Leistungen werden vom Konzern zwar als Unkosten steuerlich abgerechnet, tauchen aber nicht als Einnahmen oder Spenden in der Bilanz auf.
Sondern es handelt sich auch in den allermeisten anderen Fällen um eine sogenannte »geldwerte Leistung«, das heißt Sachwerte oder Naturalien, in diesem Fall schmucke
Limousinen, mit denen die Stars vor dem Roten Teppich vorgefahren werden und oft genug auch Funktionäre oder andere Gäste der Berlinale zwischen den Kinos hin- und hergekarrt.
Das bedeutet vor allem eine erhöhte Bequemlichkeit. Die Autofirmen stellen Fahrer, die Wagen selbst, natürlich Benzin und nicht zuletzt die Versicherungen – man muss sich um nichts kümmern, das ist der große Vorteil.
Der Nachteil ist aber umgekehrt, dass das Berlinale-Logo und die Ringe von Audi untrennbar miteinander verbunden waren. Von der »Audinale« sprachen Spötter – so unübersehbar war der Konzern.
Davon hatte Audi in jeden Fall mehr als die Berlinale.
Deswegen dürfte es auch in Corona-Zeiten nicht schwer sein, Sponsoren-Ersatz zu finden: Berlinale Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek ließ am Dienstag nur mitteilen: »Wir sind wie jedes Jahr mit verschiedenen möglichen neuen Partnern im Gespräch. Es ist allerdings noch zu früh, hierzu eine abschließende Information zu geben.«
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Vielleicht ist es in unseren Zeiten, in denen der individuelle Autoverkehr zunehmend in Frage gestellt wird, in denen es wegen Erderwärmung und Klimakrise zunehmend nicht mehr opportun ist, mit einem fetten schwarzen Viertürer als Statussymbol zu protzen, und SUVs, auch die von Audi, regelrecht in gesellschaftlichen Verruf geraten, vielleicht ist es in solchen Zeiten sogar ein Glücksfall für die Berlinale, nicht mehr einen Autokonzern als einen der Hauptsponsoren zu haben.
Zwar wird man im Autoland Deutschland auch bei dem seit Kosslick-Zeiten auf politische Korrektheit besonders bedachten Festival nicht komplett um Autos herumkommen – aber man wird das Ganze doch, wie man neudeutsch so sagt, »anders aufstellen« müssen.
Vielleicht macht man ja aus der Not eine Tugend und bietet in Zukunft für alle Gäste ganz klimaneutral kostenlose Berlinale-Fahrräder an, dazu Handschuhe und Ohrenschützer für den Berliner Winter – und bitte mit Berliner Bärenlogo!
Zugleich sind die Zeiten der Großsponsoren vielleicht sowieso vorbei: »Sponsoren definieren heute sehr genau, welche Ziele sie mit ihrem Engagement verfolgen«, sagte Rissenbeek letztes Jahr in einem Interview: »Die Öffentlichkeit ist viel fragmentierter, es geht nicht mehr allein darum, möglichst viele Menschen zu erreichen. Darum ist es inzwischen eine komplexere Aufgabe, Sponsoren zu gewinnen.«
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Die Frage, ob die Berlinale überhaupt im kommenden Jahr stattfinden kann, stellt sich dagegen nicht. Nicht, solange die Kinos öffnen dürfen.
Selbst wenn alle Sponsoren wegbrechen würden, würde die Berlinale in reduzierter Form weitergehen.
Denn in erster Linie wird sie auch durch Millionen von Bundesmitteln finanziert – wie es sich für ein großes Kulturereignis auch gehört. Dazu kommen Ticket-Verkäufe.
Zudem gibt es 2021 ja nicht weniger fertige Produktionen, sondern eher mehr, weil sich die Filme des jetzigen Jahres und die erst noch fertigzustellenden stauen – weil Hunderte von Sommerfestivals weggebrochen sind und die Auswertungsmöglichkeiten auch in den nächsten Monaten allenfalls
reduziert gegeben sein werden.
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Vielleicht kommt der Absprung von Audi der Berlinale daher sogar ganz recht. Denn schon in den letzten Monaten wurde auch intern darüber spekuliert, ob die Berlinale im kommenden Jahr nicht komplett anders stattfinden wird, ob Corona nicht für die neue Berlinale-Leitung eine große Chance ist: Erst durch die Pandemie hat sie die Möglichkeiten, das Programm wirklich zu kürzen, zu entschlacken und das Festival radikal zu verändern.
Unter normalen Umständen wäre dies überhaupt nicht möglich – allein schon durch den Druck der oft – was Film-Interna angeht – ahnungslosen Kulturpolitiker, der Lobbyisten aller Seiten, und nicht zuletzt der Sponsoren, die in der Berlinale vor allem eine kostengünstige Werbeplattform und Verkaufs-Rampe für zum Beispiel Autos sehen.
Die beiden neuen Direktoren der Berlinale haben nun gewissermaßen einen freundlichen Tritt in den Hintern bekommen, dass sie diese überfälligen Veränderungen jetzt auch wirklich in Angriff nehmen.
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Überhaupt können wir uns schon jetzt sicher sein, dass die kommende 71. Berlinale nicht so sein wird wie die Berlinale zuvor.
Corona ist schuld. Egal ob nun eine zweite Welle kommt oder eine dritte, oder doch gar keine, oder es sich am Ende – was am wahrscheinlichsten ist – eher um gewisse regelmäßige Ebbe-und-Flut-Bewegungen handelt – man wird erst mal anders Filme sehen, der Kinobesuch hat sich verändert, und Festivals müssen sich komplett neu erfinden.
Aber zugleich boomen Filmfestivals und werden auch nach Corona keineswegs in der Krise sein. Trotzdem müssen sie sich jederzeit neu besinnen. Vor allem müssen sie versuchen, die Zukunft zu erahnen. In den letzten 20 Jahren hat die Berlinale viel zu sehr den Zeitgeist bedient, sich auch vom Markt und großen privaten Industriekonzernen und Luxusfirmen abhängig gemacht.
Noch hat kein einziges großes Filmfestival in Post-Pandemie-Zeiten stattgefunden. Die ehrwürdige alte Mostra von Venedig wird Anfang September das allererste sein. Erst dann werden wir alle eine Ahnung davon bekommen, was Corona wirklich verändert.