23.07.2020

Ein Sponsor weniger

Berlinale Zukunft
Ohne Hauptsponsor in die Zukunft?
(Foto: artechock)

In Zukunft wird die Berlinale ohne den Sponsor Audi stattfinden. In eine Krise kommt sie deswegen aber nicht

Von Rüdiger Suchsland

Sie haben es wirklich nicht leicht – die beiden neuen Direk­toren der Berlinale. Nicht nur ein Festival im Umbruch, mit geschlos­senen Kino­palästen, einem unwirt­li­chen Festi­valort und dem auch sonst schwie­rigen Erbe der Kosslick-Jahre müssen Carlo Chatrian und Mariette Rissen­beek meistern, nicht nur die vielen Wünsche und Begehr­lich­keiten von Film­künst­lern und Medi­en­kon­zernen, Poli­ti­kern und Verbands­funk­ti­onären, Kultur­di­plo­maten und Förder­ap­pa­rat­schiks unter einen Hut bringen – und das alles während der schwersten Pandemie des letzten Jahr­hun­derts.

Und jetzt springen ihnen auch noch die Sponsoren ab.

Waren es schon vor der letzten Jubiläums-Berlinale im Februar der Edel-Uhren­her­steller Glashütte und der chine­si­sche Luxus­gü­ter­kon­zern Tesiro, so erklärte gestern auch der Ingol­s­tädter Auto­kon­zern Audi die Zusam­men­ar­beit für beendet.

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Die Nachricht, dass die Autos vor dem Roten Berlinale-Teppich in Zukunft nicht mehr von einem süddeut­schen Auto­mo­bil­kon­zern gespon­sert werden, verrät erst einmal viel über die derzei­tige prekäre Lage der Auto­mo­bil­in­dus­trie, die von Klima­krise, Corona und Diesel­skan­dalen gleich mehrfach getroffen ist.

Der Konzern selbst äußerte sich auf Anfrage von »artechock« gestern nur unver­bind­lich im typischen PR-Deutsch. Eine Audi-Spre­cherin erklärte zur Sache: »Im Rahmen der Neuaus­rich­tung seiner Marke denkt auch Audi immer wieder seine Formate und Part­ner­schaften neu. Bewusst setzt das Unter­nehmen nun auf eine klare Ausrich­tung an der Marken­vi­sion 'Die Zukunft der Premi­um­mo­bi­lität gestalten' und fokus­siert sich dabei auf Themen und Formate mit den Schwer­punkten Digi­ta­li­sie­rung, Nach­hal­tig­keit und Design.
Diese Zukunfts-Themen­felder stellen wir in den Fokus der Kommu­ni­ka­tion. Aus diesem Grund konzen­trieren wir uns künftig auf Formate wie beispiels­weise das GreenTech Festival oder die Bits & Pretzels.
Wir bedanken uns sehr herzlich für die konstruk­tive und vertrau­ens­volle Zusam­men­ar­beit mit der Berlinale, wir haben in der Part­ner­schaft viele positive Einblicke und Impulse gewonnen und wünschen der Berlinale weiterhin alles Gute und viel Erfolg.«

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Wie schlimm ist die Entschei­dung von Audi aber wirklich? Muss sich auch die Berlinale Sorgen machen, wie ein Kommen­tator der Lokal­presse heute sugge­riert? Wohl kaum.

Wenn Sponsoren zum Beispiel einen Preis stiften, dann ist das natürlich schön und nutzt auch dem Festival, weil es dann attrak­tiver für Filme­ma­cher ist. Schon weniger ist das aber der Fall, wenn sie eine große Präsen­ta­tions-Lounge aufstellen, so wie die Audi Lounge und den riesen­großen Audi-Würfel direkt vor dem Berlinale Palast – der wurde von vielen Festival-Gästen abgelehnt. Denn die Berlinale ist ja eben keine Auto­mo­bil­aus­stel­lung, sondern Film­fes­tival.

Die Berlinale verliert jetzt kein Geld. Denn Spon­so­ring bedeutet ja nicht etwa »Finan­zie­rung«, wie die Berliner Zeitung »Tages­spiegel« gestern ungenau formu­lierte. Die Audi-Leis­tungen werden vom Konzern zwar als Unkosten steu­er­lich abge­rechnet, tauchen aber nicht als Einnahmen oder Spenden in der Bilanz auf.
Sondern es handelt sich auch in den aller­meisten anderen Fällen um eine soge­nannte »geldwerte Leistung«, das heißt Sachwerte oder Natu­ra­lien, in diesem Fall schmucke Limou­sinen, mit denen die Stars vor dem Roten Teppich vorge­fahren werden und oft genug auch Funk­ti­onäre oder andere Gäste der Berlinale zwischen den Kinos hin- und herge­karrt.

Das bedeutet vor allem eine erhöhte Bequem­lich­keit. Die Auto­firmen stellen Fahrer, die Wagen selbst, natürlich Benzin und nicht zuletzt die Versi­che­rungen – man muss sich um nichts kümmern, das ist der große Vorteil.

Der Nachteil ist aber umgekehrt, dass das Berlinale-Logo und die Ringe von Audi untrennbar mitein­ander verbunden waren. Von der »Audinale« sprachen Spötter – so unüber­sehbar war der Konzern.

Davon hatte Audi in jeden Fall mehr als die Berlinale.

Deswegen dürfte es auch in Corona-Zeiten nicht schwer sein, Sponsoren-Ersatz zu finden: Berlinale Geschäfts­füh­rerin Mariette Rissen­beek ließ am Dienstag nur mitteilen: »Wir sind wie jedes Jahr mit verschie­denen möglichen neuen Partnern im Gespräch. Es ist aller­dings noch zu früh, hierzu eine abschließende Infor­ma­tion zu geben.«

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Viel­leicht ist es in unseren Zeiten, in denen der indi­vi­du­elle Auto­ver­kehr zunehmend in Frage gestellt wird, in denen es wegen Erder­wär­mung und Klima­krise zunehmend nicht mehr opportun ist, mit einem fetten schwarzen Viertürer als Status­symbol zu protzen, und SUVs, auch die von Audi, regel­recht in gesell­schaft­li­chen Verruf geraten, viel­leicht ist es in solchen Zeiten sogar ein Glücks­fall für die Berlinale, nicht mehr einen Auto­kon­zern als einen der Haupt­spon­soren zu haben.

Zwar wird man im Autoland Deutsch­land auch bei dem seit Kosslick-Zeiten auf poli­ti­sche Korrekt­heit besonders bedachten Festival nicht komplett um Autos herum­kommen – aber man wird das Ganze doch, wie man neudeutsch so sagt, »anders aufstellen« müssen.

Viel­leicht macht man ja aus der Not eine Tugend und bietet in Zukunft für alle Gäste ganz klima­neu­tral kosten­lose Berlinale-Fahrräder an, dazu Hand­schuhe und Ohren­schützer für den Berliner Winter – und bitte mit Berliner Bärenlogo!

Zugleich sind die Zeiten der Groß­spon­soren viel­leicht sowieso vorbei: »Sponsoren defi­nieren heute sehr genau, welche Ziele sie mit ihrem Enga­ge­ment verfolgen«, sagte Rissen­beek letztes Jahr in einem Interview: »Die Öffent­lich­keit ist viel frag­men­tierter, es geht nicht mehr allein darum, möglichst viele Menschen zu erreichen. Darum ist es inzwi­schen eine komple­xere Aufgabe, Sponsoren zu gewinnen.«

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Die Frage, ob die Berlinale überhaupt im kommenden Jahr statt­finden kann, stellt sich dagegen nicht. Nicht, solange die Kinos öffnen dürfen.
Selbst wenn alle Sponsoren wegbre­chen würden, würde die Berlinale in redu­zierter Form weiter­gehen.

Denn in erster Linie wird sie auch durch Millionen von Bundes­mit­teln finan­ziert – wie es sich für ein großes Kultur­er­eignis auch gehört. Dazu kommen Ticket-Verkäufe.
Zudem gibt es 2021 ja nicht weniger fertige Produk­tionen, sondern eher mehr, weil sich die Filme des jetzigen Jahres und die erst noch fertig­zu­stel­lenden stauen – weil Hunderte von Sommer­fes­ti­vals wegge­bro­chen sind und die Auswer­tungs­mö­g­lich­keiten auch in den nächsten Monaten allen­falls reduziert gegeben sein werden.

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Viel­leicht kommt der Absprung von Audi der Berlinale daher sogar ganz recht. Denn schon in den letzten Monaten wurde auch intern darüber speku­liert, ob die Berlinale im kommenden Jahr nicht komplett anders statt­finden wird, ob Corona nicht für die neue Berlinale-Leitung eine große Chance ist: Erst durch die Pandemie hat sie die Möglich­keiten, das Programm wirklich zu kürzen, zu entschla­cken und das Festival radikal zu verändern.

Unter normalen Umständen wäre dies überhaupt nicht möglich – allein schon durch den Druck der oft – was Film-Interna angeht – ahnungs­losen Kultur­po­li­tiker, der Lobby­isten aller Seiten, und nicht zuletzt der Sponsoren, die in der Berlinale vor allem eine kosten­güns­tige Werbe­platt­form und Verkaufs-Rampe für zum Beispiel Autos sehen.

Die beiden neuen Direk­toren der Berlinale haben nun gewis­ser­maßen einen freund­li­chen Tritt in den Hintern bekommen, dass sie diese über­fäl­ligen Verän­de­rungen jetzt auch wirklich in Angriff nehmen.

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Überhaupt können wir uns schon jetzt sicher sein, dass die kommende 71. Berlinale nicht so sein wird wie die Berlinale zuvor.
Corona ist schuld. Egal ob nun eine zweite Welle kommt oder eine dritte, oder doch gar keine, oder es sich am Ende – was am wahr­schein­lichsten ist – eher um gewisse regel­mäßige Ebbe-und-Flut-Bewe­gungen handelt – man wird erst mal anders Filme sehen, der Kino­be­such hat sich verändert, und Festivals müssen sich komplett neu erfinden.

Aber zugleich boomen Film­fes­ti­vals und werden auch nach Corona keines­wegs in der Krise sein. Trotzdem müssen sie sich jederzeit neu besinnen. Vor allem müssen sie versuchen, die Zukunft zu erahnen. In den letzten 20 Jahren hat die Berlinale viel zu sehr den Zeitgeist bedient, sich auch vom Markt und großen privaten Indus­trie­kon­zernen und Luxus­firmen abhängig gemacht.

Noch hat kein einziges großes Film­fes­tival in Post-Pandemie-Zeiten statt­ge­funden. Die ehrwür­dige alte Mostra von Venedig wird Anfang September das aller­erste sein. Erst dann werden wir alle eine Ahnung davon bekommen, was Corona wirklich verändert.