28.05.2020

Renate Linkerhand

Solo Sunny DVD
Nie aufhören und doch immer neu angefangen – Renate Krößner (1945-2020) in Solo Sunny (1980)
(Foto: Axel Timo Purr – DVD Cover)

Sie hat nicht nur ikonisch die späte, die »andere DDR« als Solo Sunny verkörpert, sondern hat sie auch verlassen, hat Zwischenstation in München und anderswo gemacht, bevor sie wieder nach Berlin zurückging. Und hat weiter und unermüdlich für Theater und Film gearbeitet. Am vergangenen Montag ist die große Schauspielerin Renate Krößner nach kurzer, schwerer Krankheit verstorben

Von Axel Timo Purr

»Wir haben gelernt, den Mund zu halten, keine unbe­quemen Fragen zu stellen, einfluß­reiche Leute nicht anzu­greifen, wir sind ein bißchen unzu­frieden, ein bißchen unehrlich, ein bißchen verkrüp­pelt, aber sonst ist alles in Ordnung.« – Brigitte Reimann, Franziska Linker­hand

Wer die DDR nur aus dem West-Fernsehen oder über die alle Jahre statt­fin­denden Verwand­ten­be­suche kannte, die sich nicht nur wegen ihrer abstrusen Grenz- und Melde­for­ma­li­täten und des muffig-bizarren Alltags wie Reisen zum Mars ausnahmen, für den war der DEFA-Film Solo Sunny eine Offen­ba­rung. Denn plötzlich, im Jahr 1980, war der »Neue Deutsche Film« auch in der DDR ange­kommen. Hatten zwei Urge­steine des DDR-Films, Konrad Wolf und Wolfgang Kohlhaase sich ein Herz gefasst und einen Film gemacht, der offen über Iden­ti­täts­pro­bleme sprach, die gar nicht mal so DDR-spezi­fisch waren, sondern in die sich auch im Westen jeder einfühlen konnte. Es war, als ob ein Film die Wieder­ver­ei­ni­gung der beiden Deutsch­lands vorweg­ge­nommen hätte. Denn nach Solo Sunny war klar, dass dieser Film – so »Netflix-typisch« er auch einen anderen Kultur­raum in seiner exoti­schen Anders­ar­tig­keit beschrieb – dann doch im Kern von Menschen erzählte, die ihr Leben, ihre Identität, ihre Träume und damit auch die gesell­schaft­liche Ordnung hinter­fragen, so wie überall anders auf der Welt und nicht zuletzt auch in der BRD. Dass Solo Sunny dann auch im Westen so erfolg­reich war und auf der Berlinale 1980 den FIPRESCI Preis und den Silbernen Bären für seine Haupt­dar­stel­lerin erhielt, lag aber nicht nur an der univer­sellen Geschichte um die Schla­ger­sän­gerin Ingrid »Sunny« Sommer, die unglück­lich und nach Erfüllung suchend durch die DDR tingelt, sondern eben auch an der Haupt­dar­stel­lerin Renate Krößner, die die Sunny so diffe­ren­ziert wie luzide und boden­s­tändig zugleich verkör­perte und einen so wider­stän­digen wie privaten Geist mani­fes­tierte, den Brigitte Reimann in ihrem unvoll­endeten Roman Franziska Linker­hand wenige Jahre zuvor erst herauf­be­schworen hatte.

Doch wie viele Geister war auch dieser unbe­re­chenbar und nicht mehr aus dem wirk­li­chen Leben zu verbannen. Hatte sich die Karriere der 1945 geborenen Krößner bis dahin über die Staat­liche Schau­spiel­schule Berlin, diverse Bühnen­sta­tionen und ein sich immer stärker verdich­tendes Enga­ge­ment bei der DEFA sehr gerad­linig ausge­nommen, brach diese Entwick­lung nach Solo Sunny drama­tisch ab. Nach einer letzten DEFA-Rolle in Lothar Großmanns EINER VOM RUMMEL (1983) blieben weitere Rollen aus, weil immer deut­li­cher wurde, dass die Schau­spie­lerin ihren indi­vi­du­ellen und nach Selbst­be­haup­tung suchenden Charakter in Solo Sunny nicht nur verkör­pert hat, sondern inzwi­schen auch lebt. Und schließ­lich 1985 ihrem Kollegen Manfred Krug, mit dem sie noch 1977 in Heiner Carows Bis daß der Tod Euch scheidet gespielt hatte, in den Westen folgt.

Nicht nur im Theater, in größeren Rollen in Basel, am Resi­denz­theater München und in der Berliner Schau­bühne, sondern auch beim Film findet Krößner schnell Anschluss. Sie trifft in LIEBLING KREUZBERG wieder auf Manfred Krug, verkör­pert für Dominik Graf in dem großartig-düsteren DER SKORPION (1997) die Ehefrau eines Krimi­nal­kom­mis­sars, und spielte bis letztes Jahr in Mini­se­rien und Groß­se­rien und einschlä­gigen Formaten wie »Tatort« und »Poli­zeiruf 110« mit. Und war immer wieder auch auf der großen Leinwand zu sehen: mit ihrem Lebens­partner Bernd Stegemann in Nordkurve (1993), dem dritten Teil von Adolf Winkel­manns Ruhr­ge­biets­tri­logie oder in Dany Levys Alles auf Zucker! (2004).

So wie »Solo Sunny« hat auch Renate Krößner nie aufgehört und gleich­zeitig doch immer neu ange­fangen. Damit hat sie geschafft, was nur wenigen Schau­spie­lern gelungen ist, denen die »Rolle ihres Lebens« oft mehr Fluch als Segen war. Sie hat die »große« Rolle groß sein lassen und sich Erwar­tungs­hal­tungen souverän wider­setzt und mit ihrem reichen Oeuvre gezeigt, dass nicht nur in »kleinen« Rollen schau­spie­le­ri­sche Größe steckt, sondern dass die eigene Karriere sogar zur facet­ten­rei­chen Erzählung über die Wieder­ver­ei­ni­gung zweier Deutsch­lands taugt.