28.05.2020

Filme in der Bücherwelt

Leon
Witzig, reizvoll und subtil moralisch: Leon und die magischen Worte
(Foto: filmfriend.de)

Mit dem Portal „filmfriend.de“ ist eine beachtliche Auswahl an guten Filmen für Mitglieder von Stadtbibliotheken verfügbar gemacht worden und seit einiger Zeit gibt es auch eine eigene Rubrik für Kinder- und Jugendfilme. Horst Peter Koll, Kurator der Rubrik KIDS, erklärt im Gespräch das Portal, das mit einer ungewöhnlich vielseitigen Auswahl aus dem Kinder- und Jugendfilmbereich jenseits des Mainstreams aufwarten kann

Von Christel Strobel

Wie kam es überhaupt zu KIDS?
Die Rubrik KIDS ist ja nicht später hinzu­ge­kommen, sie gab es von Beginn an, gleich­be­rech­tigt mit Filme & Serien (für Erwach­sene) und Dokus (teilweise auch für Kinder). Damit wird deutlich, dass Kinder­filme schon immer einen gleich­be­rech­tigten Stel­len­wert bei film­friend hatten. Dazu musste ich den Geschäfts­führer Andreas Vogel gar nicht überreden, im Gegenteil, er hat mich dazu ange­halten, meine Erfah­rungen mit Kinder­filmen offensiv einzu­bringen.
Über die film­friend-Internet-Adresse einer Biblio­thek oder die korre­spon­die­rende App stehen Büche­rei­kunden aktuell knapp 2.500 Filme zur Verfügung. Das Angebot an Kinder- und Jugend­filmen entspricht etwa zehn Prozent des film­friend-Gesamt­an­ge­bots. Das ist mir persön­lich immer noch zu wenig, aber immerhin. Wir wollen ja wachsen.
Das Angebot unter­scheidet sich deutlich von dem gängiger Streaming-Portale. Nahezu täglich kommen Neuheiten hinzu, die Filme sind ständig verfügbar und stehen über­wie­gend in Full-HD-Auflösung zur Verfügung. Die Alters­frei­gabe für Kinder wird bei der Anmeldung auf der Plattform auto­ma­tisch geprüft. Durch die Alters­emp­feh­lungen des Deutschen Kinder- und Jugend­film­zen­trums KJF wird das Konzept zu einem „kultu­rellen Leucht­turm­pro­jekt“: film­friend erweitert die Präsenz der Biblio­theken als relevante Kultur­träger und Impuls­geber im Internet, besonders auch im Bereich des Kinder- und Jugend­films.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Filme für Kids aus?
Grund­sätz­lich nach zwei Kriterien: 1 Vorrangig und vor allem anderen: Qualität, sowohl in formaler als auch in thema­ti­scher Hinsicht. 2 Dann natürlich auch: Unter­halt­sam­keit, um dem Bedürfnis junger Ziel­gruppen entge­gen­zu­kommen, ohne dabei ein bestimmtes Niveau zu unter­schreiten. Film­künst­le­risch bedeut­same Kinder- und Jugend­filme spielen ja auch im Kino nur eine unter­ge­ord­nete Rolle. Was Auswir­kungen auf das Zuschau­er­ver­halten sowie auf die Sehge­wohn­heiten hat! Kura­to­risch müssen (und wollen) wir deshalb permanent „Aufklä­rungs­ar­beit“ leisten, um jungen Zuschauern*innen und Familien zu verdeut­li­chen, wie attraktiv diese Filme sind, welchen (kultu­rellen) Wert, welchen „Nutzwert“ und welchen Unter­hal­tungs­wert sie haben.
Grund­le­gend sind Kinder­filme für uns jeden­falls nicht gleich­be­deu­tend mit „Kinder­kram“. Ein guter Kinder- oder Jugend­film begibt sich respekt­voll, aufrichtig und einfühlsam auf Augenhöhe mit seiner Ziel­gruppe. Er regt schon in jungen Jahren dazu an, manche Bilder zu lieben und andere abzu­lehnen. Er bildet Kompe­tenzen heraus, macht neugierig auf die Welt, stärkt Mut und fördert das Selbst­be­wusst­sein.

Und wie wird das zusätz­liche Angebot von den Nutzern der Biblio­thek ange­nommen?
Sehr gut, und das von Beginn an. Unüber­sehbar ist, dass uns die Pandemie in die Karten gespielt hat. Womit film­friend noch lange kein „Corona-Profiteur“ ist! Wir konnten aber zur richtigen Zeit den Büche­reien, als sie schließen und ihre digitalen Dienste forcieren mussten, ein substan­zi­elles Film­an­gebot machen. Die Zahl der Biblio­theken ist in den vergan­genen Monaten rasant gewachsen. Stand Mai 2020 gibt es 183 Bücherei-Standorte, über­wie­gend in Deutsch­land, aber auch in der Schweiz. Zum 1. Juni begrüßen wir in Linz die erste Biblio­thek in Öster­reich. Dieser große Zuspruch ist uns Verpflich­tung. Bei der Programm­aus­wahl für das Portal haben wir Nutzer aller Alters­gruppen im Blick, denen wir ein viel­fäl­tiges Bildungs-, Unter­hal­tungs- und Infor­ma­ti­ons­an­gebot bieten.

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Die besten Kinder- und Jugend­filme auf film­friend.de

Natürlich sind beliebte und erfolg­reiche Filme wie Bibi Blocks­berg und Bibi & Tina mit ihren diversen Folgen vertreten. Unter den z.Zt. rund 150 Filmen findet sich aber auch eine beacht­liche Zahl sehens­werter Filme jenseits des Main­streams. Eine gute Idee ist es auch, dass Filme­ma­cher, die sich von Anfang an dem Kinder­film gewidmet haben, mit mehreren ihrer Werke vertreten sind, was zugleich eine kleine Retro­spek­tive ermö­g­licht.

Arend Agthe, Regisseur und Autor, hat mit Flußfahrt mit Huhn (1983) über die verwegene wie tempo­reiche Verfol­gungs­jagd zwischen einer aben­teu­er­lus­tigen Kinder­gruppe und ihrem Großvater zu Boot auf der Weser einen echten Klassiker des Kinder­films geschaffen.
Auch in Der Sommer des Falken (1987/88) spielt die Natur – diesmal in den Alpen – wieder eine besondere Rolle. In der pitto­resken Bergwelt treffen die unter­schied­lichsten Personen aufein­ander: Da ist Marie, ein Berg­bau­ern­mäd­chen, das einen Falken großzog und weiterhin, als er schon hoch in den Lüften fliegt, Verbin­dung zu ihm hat; Rick, ein Junge aus Berlin, dessen Eltern geschieden sind und der mit seinem Vater nach Südtirol fährt, weil er das Drachen­fliegen lernen soll; Herbert Sasse, Tauben­züchter aus dem Ruhr­ge­biet, auf der Suche nach seiner davon­ge­flo­genen Lieb­lings­taube Martha, von der er immer noch Signale vom Sender, der an ihrem Fuß befestigt ist, erhält; und schließ­lich Marek Czerny, eine undurch­sich­tige Gestalt aus der Großstadt, auf der Suche nach Falken­eiern, die er gut verkaufen will.
»Viele Themen werden von Arend Agthe ange­schnitten, ohne aber den Zuschauer mit Gewalt auf etwas hinweisen zu wollen. Ob es um die Bedrohung der Natur geht oder um Probleme mit dem Erwach­sen­werden – die Bilder sprechen und ganz beiläufig werden die Probleme in den Hand­lungs­ab­lauf einge­flochten. Trotz der vier unter­schied­li­chen Erzähl­stränge gelingt es Agthe, eine in sich schlüs­sige Geschichte zu erzählen, auch wenn der Zuschauer am Ende nicht genau weiß, was er gesehen hat – einen Kinder­film, einen Heimat­film, einen Öko-Krimi oder einen Fami­li­en­film.« (Kinder-Jugend­film-Korre­spon­denz Nr. 35/3’1988) – Und in der Kinder­kritik einer Zwölf­jäh­rigen (ebenda) wurde der Film als „sehr empfeh­lens­wert, auch für Erwach­sene“ beurteilt.

In Agthes jüngstem Kinder­film Rettet Raffi! geht es um einen acht­jäh­rigen Jungen und seinen geliebten Hamster, der eines Tages entführt wird und so beginnt eine aben­teu­er­liche Suche nach dem kleinen Tier quer durch Hamburg – ein „Hams­ter­krimi“.

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Vom Münchner Filme­ma­cher Norbert Lechner sind drei Kinder- bzw. Jugend­filme im Programm von film­friend.de: Toni Gold­wa­scher (2007), sein erster Film in Zusam­men­ar­beit mit Rudolf Herfurtner, der nach dem gleich­na­migen Roman von Josef Einwanger das Drehbuch verfasste. Die Geschichte des Films ist wie im Roman in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg ange­sie­delt und handelt vom zwölf­jäh­rigen Toni, der mit seiner Mutter im idyl­li­schen Ober­bayern lebt und von seinem verstor­benen Vater die Leiden­schaft fürs Gold­wa­schen im nahen Fluss „geerbt“ hat. Es ist aber auch die typische Geschichte eines Dorfes, das aus den „Unter­dör­f­lern“ und den „Ober­dör­f­lern“ besteht, die immer wieder im Streit liegen
»Mit der Verfil­mung des Romans von Josef Einwanger hat sich Norbert Lechner eines originären und geradezu archai­schen Stoffs ange­nommen, der heute im Kinder­film­be­reich äußerst selten ist. Denn Roman wie Film spielen in der unmit­tel­baren Nach­kriegs­zeit, in der die Wunden und Hinter­las­sen­schaften des Zweiten Welt­kriegs noch überall zu spüren sind und die Frei­zeit­ak­ti­vi­täten der Kinder noch nicht vom Fernsehen, Handy oder von Compu­ter­spielen bestimmt waren. Sein Wagnis wird noch dadurch verstärkt, indem alle Figuren in baye­ri­scher Mundart reden, was im Detail zu leichten Verständ­nis­pro­blemen führen könnte. Ande­rer­seits haben Filme wie ‚Daheim sterben die Leut’ der Westall­gäuer Film­pro­duk­tion oder ‚Wer früher stirbt ist länger tot’ von Marcus H. Rosen­müller gezeigt, dass der baye­ri­sche Dialekt keines­wegs ein Hinde­rungs­grund für den Erfolg eines Films sein muss. Der Schwach­punkt in Lechners Film liegt woanders. Man merkt dem eigent­lich rundum sympa­thisch wirkenden ‚Heimat­film’ an, dass er mit sehr wenig Geld produ­ziert wurde.« (KJK 131-3/2012)

Für seinen zweiten Film Tom und Hacke hat sich Norbert Lechner mit seinem Dreh­buch­autor Rudolf Herfurtner Mark Twains „Tom Sawyer und Huck­le­berry Finn“ vorge­nommen. Die Streiche der beiden Jungen spielen nun in einem baye­ri­schen Ort nahe der öster­rei­chi­schen Grenze im Jahr 1948. Die Nach­kriegs­jahre waren für die Erwach­senen eine Zeit der Not und des Mangels, für die Kinder jedoch bedeu­teten diese Jahre Abenteuer und Freiheit. Wie schon in seinem ersten Spielfilm Toni Gold­wa­scher verlässt sich Norbert Lechner ganz auf sein Gefühl und sein Gespür für die regionale Verwur­ze­lung der Menschen, was sich auch in deren Dialekt ausdrückt. Die Kinder sind so authen­tisch, als lebten sie in jener Zeit – Kleidung, Einrich­tung, Requi­siten stimmen und erscheinen ganz selbst­ver­ständ­lich, werden nicht absichts­voll im Bild ausge­stellt. Schade nur, dass Kinder anderer Regionen nicht alles verstehen können.
Siehe hierzu auch: »Der Dialekt im Film ist ein Allein­stel­lungs­merkmal, das ist etwas wert« – Gespräch mit Norbert Lechner über seinen neuen Film »Tom und Hacke« in KJK 131-3/2012

Ente gut! Mädchen allein zu Haus (2016), Lechners vorläufig letzter Kinder- bzw. Jugend­film, ist als zweites Projekt der 2013 gegrün­deten Initia­tive „Der besondere Kinder­film“ entstanden. Die Initia­tive wird getragen von der Film­wirt­schaft und Politik, gefördert vom Bund und einigen Ländern sowie öffent­lich-recht­li­chen Fern­seh­sen­dern und koor­di­niert vom Förder­verein Deutscher Kinder­film e.V. Die Filme müssen auf einem Origi­nal­stoff basieren.

Hier erzählt Norbert Lechner nach einem Drehbuch von Katrin Milhahn und Antonia Roithe-Liermann von Linh, einem elfjäh­rigen viet­na­me­si­schen Mädchen, das für eine Weile den asia­ti­schen Fami­li­en­im­biss über­nehmen und für ihre neun­jäh­rige Schwester Tien sorgen muss, als ihre Mutter zur Pflege der kranken Groß­mutter nach Vietnam fahren muss. Beob­achtet werden sie dabei von einem gleich­alt­rigen, einsamen Mädchen aus der Nach­bar­schaft, das sich zunächst rigoros in deren Leben einmischt. Wie sich daraus eine für alle – trotz mancher Rück­schläge – hilf­reiche Freund­schaft entwi­ckelt, ist spannend und über­zeu­gend darge­stellt. Und auch die Atmo­s­phäre der Traban­ten­sied­lung, in der die drei wohnen (gedreht wurde in Halle) vermit­telt der Film absolut stimmig.
Zur artechock-Kritik zu Ente gut! Mädchen allein zu Haus.

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Die reich­hal­tige Kinder­film­pro­duk­tion der DEFA vertreten Filme wie der legendäre Klassiker Die Geschichte vom kleinen Muck und Gritta von Ratten­zu­haus­beiuns (ausführ­liche Vorstel­lung in »Meine liebsten Kinder­filme – Empfeh­lungen für die kinolose Zeit«, 02.04.2020). Eine Wieder­ent­de­ckung ist auch Das Schul­ge­spenst (1987) von Rolf Losansky nach dem gleich­na­migen Kinder­buch von Peter Abraham:
Carola geht in die 4. Klasse. Was ihr an der Schule gefällt, sind aber lediglich der Sport­un­ter­richt und der Unfug, den man in den Pausen anstellen kann. Glück­li­cher­weise hat sie in Willi einen guten Freund , der ihr mit Vorsagen zur Seite steht. Sie erfindet aus Spaß einen Welt­ge­spens­tertag und ein Gespenst, mit dem sie die Rolle tauscht. Während das Gespenst in Carolas Gestalt durch Fleiß, Ordnungs­sinn und gute Leis­tungen alle in Verwun­de­rung versetzt, stiftet Carola als Gespenst einige Verwir­rung. Doch der unge­zü­gelte Spaß wird ihr bald über, und sie möchte in ihre richtige Gestalt zurück. Das Gespenst weigert sich. Carola gibt sich Willi zu erkennen und bittet ihn um Hilfe. Er muss einen Spiegel besorgen, durch den die Verwand­lung möglich wurde. Der befindet sich in den Händen der Lehrerin, aber Willi weiß wie immer Rat. (Aus: Das zweite Leben der Filmstadt Babels­berg. DEFA-Spiel­filme 1946-1992)
„Der lange Ritt zur Schule“, „Moritz in der Litfaßsäule“, „Weiße Wolke Carolin“... Rolf Losanskys Filme gehören zu den heitersten und sympa­thischsten Kinder­filmen, die bei uns zu sehen sind (???). Und ‚Das Schul­ge­spenst’ hält zumindest auf weite Strecken, was seine Vorgänger erwarten lassen. Es ist einfach ein Vergnügen, Carola Huflat­tich bei ihrem täglichen Kampf gegen den tristen (Schul-)Alltag zu beob­achten, später bei ihrem lust­vollen Herum­ge­spuke und ihrer wütenden Ausein­an­der­set­zung mit dem wider­spens­tigen Geist. Ein Vergnügen nicht zuletzt, weil Carola bei alledem kein bisschen künstlich oder konstru­iert wirkt und weil auch Losanskys Team (Helmut Grewald, Ilse Peters) gewohnt brillant arbeitet. Und Reinhard Lakomy, der die Musik schrieb, hat mit „Carolas Lied“ einen Ohrwurm geschaffen.

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Mit dem Spiel­film­debüt Blöde Mütze! (2006) von Johannes Schmid nach dem gleich­na­migen Kinder­buch von Thomas Schmid ist ein Film bei film­friend-de verfügbar, der zugleich der erste Langfilm des renom­mierten Produ­zenten Phillip Budweg ist. Schmid und Budweg hatten im Jahr 2000 die Film­pro­duk­tion „schlicht und ergrei­fend“ in München gegründet und außer Blöde Mütze! mehrere Kurzfilme und Abschluss­filme der HFF München produ­ziert. 2008 erfolgte die Neugrün­dung der Firma Lieb­lings­film GmbH, mit der sie Winter­tochter produ­zierten, der 2012 den Deutschen Filmpreis als bester Kinder­film erhielt.
Blöde Mütze! ist die Geschichte des zwölf­jäh­rigen Martin, der meistens eine blaue Base­ball­kappe mit der Aufschrift „Champion“ trägt. Am ersten Tag im neuen Ort nach dem Umzug der Familie verrät er eher unfrei­willig einen Jungen namens Oliver beim Versuch, Ziga­retten zu stehlen, und in der neuen Schule am nächsten Tag wird er ausge­rechnet Olivers Klasse zugeteilt. Aber Martin sieht dort auch ein Mädchen, das ihm sofort gefällt. Silke jedoch ist die Freundin von Oliver. Trotzdem lädt sie ihn in das alte Flussbad „Riverpool“ ein, was eigent­lich ihr Geheim­treff­punkt ist. Da ist es mit der Idylle vorbei, doch nach und nach lernen sich die beiden Jungen besser kennen.
Johannes Schmid beschreibt das familiäre und damit gesell­schaft­liche Umfeld der Kinder wie nebenbei, zeigt aber ganz genau die Konse­quenzen auf, die sich daraus für das innere Gleich- bezie­hungs­weise Ungleich­ge­wicht der Drei ergeben. Durch diese realis­ti­sche und zugleich einfühl­same Erzähl­weise bietet er seinem jungen Publikum die Möglich­keit der Iden­ti­fi­ka­tion und hilft ihm, eigene Probleme zu bewäl­tigen. (KJK 110-2/2007)

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Kopfüber (2012) von Bernd Sahling nach einem Drehbuch von Bernd Sahling und Anja Tucker­mann handelt von einem zehn­jäh­rigen Jungen, bei dem ADHS (Aufmerk­sam­keits-Hyper­ak­ti­vi­täts­syn­drom) diagnos­ti­ziert wird. Das ist aber nicht das Haupt­thema des Films, sondern es geht um Fragen an die Gesell­schaft über den Umgang mit Kindern, die die »Norm« nicht erfüllen. Anstatt für die Schule zu pauken, verbringt Sascha die Zeit lieber mit seiner besten Freundin Elli und geht mit ihr bei gemein­samen Radtouren auf die Suche nach ausge­fal­lenen Geräu­schen, zum Beispiel auf der Groß­bau­stelle einer Autobahn. Doch seine Aufmerk­sam­keits­stö­rung erschwert nicht nur das Lernen, er ist verhal­tens­auf­fällig, geht in eine Förder­schule und kann nicht lesen und schreiben. Die allein­er­zie­hende Mutter kann Sascha nicht genügend unter­stützen. Als sich die Situation zuspitzt, bekommt Sascha Medi­ka­mente verschrieben, durch die er sich besser konzen­trieren kann. Ein Fami­li­en­helfer kümmert sich um ihn, seine Leis­tungen in der Schule verbes­sern sich, doch gleich­zeitig verliert er seine Lebens­freude und sein anste­ckendes Lachen, er entfremdet sich sogar von seiner ihm so wichtigen Freundin Elli.
Auch wenn es heißt, Kinder wollen am Ende eines Films eine Auflösung haben, die vor allem eine Lösung des behan­delten Problems darstellt, setzt Bernd Sahling hier auf eine Ehrlich­keit, die der Realität entspricht und den Happy-End-Erwar­tungen des Kinos eine klare Absage erteilt. Kopfüber ist ein in jeder Weise mutiger Film.
Aus der Begrün­dung der FBW für das Prädikat „wertvoll“:
Konse­quent, in ruhigen Bildern lässt der Regisseur seinem Haupt­dar­steller Zeit, sich zu entfalten. Inter­pre­ta­tionen werden dem Zuschauer über­lassen. Die Maßnahmen, die zu Saschas Verän­de­rung führen, werden nicht von außen kommen­tiert, sondern nur von ihm selbst. Es werden keine Zuschrei­bungen vorge­nommen, sondern Ergeb­nisse gezeigt. Die Entwick­lung Saschas scheint der Zuschauer wie in Echtzeit zu erleben. Das macht den Film besonders bedrü­ckend und bisweilen schwer zu ertragen. Genau diese Zeit ist jedoch nötig, um in aller Deut­lich­keit zu zeigen, wie es Sascha geht und warum er sich schlecht fühlt. Es ist diesem Film zu wünschen, dass er viele Kinder, aber auch Erwach­sene mit seiner Intention erreicht.

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Freistatt von Marc Brummund nach einem Drehbuch von Nicole Armbruster und Marc Brummund führt in die späten 60er Jahre, eine Zeit des Aufbruchs in der Bundes­re­pu­blik Deutsch­land, der Rebellion und Poli­ti­sie­rung. Vom frei­heit­li­chen Geist dieser Szene aller­dings ist in der Diakonie Freistatt, einem abge­le­genen Internat für schwer erzieh­bare Jugend­liche, nichts zu spüren. Hierhin wird der 14-jährige Wolfgang von seinem Stief­vater gebracht. Die jugend­liche Aufmüp­fig­keit brachte ihm schon einen Erzie­hungs­heim-Aufent­halt ein. In Freistatt, dieser Anstalt der „Schwarzen Pädagogik“, soll nun ein „neuer Mensch“ aus ihm gemacht werden – durch als „Erziehung“ verbrämte harte Arbeits­ein­sätze im nieder­säch­si­schen Moor, durch Demü­ti­gungen, Schikanen und körper­liche Gewalt. Den Wider­stand der Jugend­li­chen haben die sadis­ti­schen „Erzieher“ längst gebrochen, einer der Jugend­li­chen übt die Rolle des Anführers aus und sorgt selbst mit Gewalt dafür, dass sich Neuan­kömm­linge an die Regeln halten. Dieser Welt der verschlos­senen Türen, vergit­terten Fenster und des mili­tä­ri­schem Drills kann Wolfgang nur mit einem noch stärkeren Frei­heits­drang begegnen. Später aller­dings merkt er, wie ihn die Erfah­rungen des Internats geprägt haben.
»Freistatt wählt den größt­mö­g­li­chen Kontrast, um über die kata­stro­phale Lage der Jugend­li­chen zu erzählen. Während in der Welt jenseits der Diakonie Aufbruchs­stim­mung herrscht, persön­lich wie politisch, indem überall die Wahl­kam­pagne von Willy Brandt zitiert wird, ist in dem Internat von dem Frei­heits­ge­danken nur ein schwacher, verzwei­felter Widerhall zu spüren. … Aber als Kirchen­schelte taugt der Film nur bedingt. Vielmehr klagt er allgemein an, dass in der ehema­ligen Bundes­re­pu­blik bis in die 1960er-Jahre tatsäch­lich 300.000 Jugend­liche in dieser und ähnlichen kirch­li­chen oder staat­li­chen Einrich­tungen unter dem Deck­mantel der so genannten Jugend­für­sorge ‚erzogen’ wurden.« (film­dienst.de)

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Die geheim­nis­volle Minusch (Nieder­lande 2001)
Der fanta­sie­volle nieder­län­di­sche Film „Minoes“ des belgi­schen Regis­seurs Vincent Bal feierte seine deutsche Premiere auf dem 25. Kinder­film­fest der Berlinale 2002.
Die junge Frau Minusch (im Original Minoes), die ihre Katzen-Herkunft nicht verleugnen kann, da sie am liebsten im Papp­karton schläft und bei der Aussicht auf frischen Fisch jegliche Vorsicht und Rücksicht vergisst, hat fürch­ter­liche Angst vor Hunden. So flüchtet sie in eine Baumkrone und traut sich danach nicht mehr herunter: Tibbe, ein schüch­terner Reporter beim Lokal­blatt des Städt­chens Killen­doom, kommt ihr zu Hilfe. Doch als er sie über ihre Hunde-Angst befragen will, weil das eine tolle Story für die Zeitung wäre, ist sie schon wieder verschwunden. Der Regen treibt Minusch eines Tages direkt vom Dach in Tibbes beschei­dene Dach­kammer. Der will sie erst nicht einziehen lassen, aber schon bald ist sie eine große Hilfe für ihn, da sie sich mit den anderen Katzen der Stadt unter­halten kann und so die Neuig­keiten aus allen Haus­halten der Katzen­be­sitzer erfährt. So macht der junge Reporter Karriere bei der Zeitung. Kompli­ziert wird es, als Minusch entdeckt, dass einer der ange­se­hensten Bürger der Stadt, der Deofa­bri­kant Ellemeet, durch Bestechung des Bürger­meis­ters die Pläne zur Erwei­te­rung seines Werk­geländes durch­setzen will, denn Minusch droht Tibbe zu verlassen, wenn der nicht die Machen­schaften des mächtigen Deofa­bri­kanten Ellemeet entlarvt.
»Carice van Houten ist eine durch und durch über­zeu­gende Katzen­frau, mit allen typischen Quali­täten: Sie klettert auf Dächer, hat ihre Krallen nicht immer unter Kontrolle und kann auf keinen Fall ihren Spiel­trieb unter­drü­cken. Mit viel Charme und Humor ist Vincent Bal eine märchen­hafte Kinder­film-Komödie gelungen, bei der Themen wie Klein­stadt-Korrup­tion, Mani­pu­la­tion der Presse, die Schein­hei­lig­keit eines skru­pel­losen Unter­neh­mers und Vorur­teile gegen Menschen, die ein bisschen anders sind, ange­spro­chen werden. Für Katzen-Freunde ist der Film ein absolutes Muss, für alle ein absolutes Vergnügen.« (KJK 90-2/2002)

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Belle & Sebastian (Frank­reich 2013) von Nicolas Vanier nach der Buchreihe »Belle et Sébastien« / »Belle und Sebastian« von Cécile Aubry führt in die Bergwelt der fran­zö­si­schen Alpen. Hier lebt der Junge Sebastian, der mit seinem groß­vä­ter­li­chen Freund César viel Zeit abseits des Dorfes verbringt. Die Liebe zur Natur verbindet die Unglei­chen. Die Dorf­be­wohner sind aufge­schreckt von einer umher­strei­fenden Bestie, die Schafe reißt und Menschen bedroht. Jagd­fieber ergreift die Männer, die Gewehre sitzen locker. Als Sebastian wieder einmal allein durch die idyl­li­sche Weite des Hochtals wandert, begegnet er der »Bestie«, einem Furcht einflößenden schmut­zigen Hund. Vorsichtig nimmt er Kontakt zu dem verwil­derten Tier auf, wird zum Hunde­flüs­terer. Das Bad im kris­tall­klaren See wirkt Wunder: Ein kuschel­weißer Hirten­hund entsteigt dem Wasser, den Sebastian »Belle« tauft, die Schöne. Er erzählt niemandem von seiner neuen Freundin, der Großvater kommt ihm jedoch auf die Schliche, will Belle erschießen. Sebastian stellt sich vor den Hund.
Zuhause, bei Tante Angélina, der Bäckerin, und ihrem Freund, dem Arzt Guillaume, eine Art Ersatz­fa­milie für den Jungen, gibt es ganz andere Probleme. Es ist Krieg, der Land­strich ist von den Deutschen okkupiert. Ihre Spitzel sind überall, suchen nach den orts­kun­digen Helfern, die jüdische Flücht­linge nachts über verschneite Gletscher und Pässe in die sichere Schweiz bringen. Guillaume gehört zu den Mutigen, die ihr Leben für die Freiheit anderer riskieren. Die Lage spitzt sich zu. Sebastian jedoch bleibt von allem unberührt, spielt mit Belle und hofft auf die Rückkehr seiner Mutter aus Amerika zu Weih­nachten. Durch Schüsse auf Belle wird er aus seinen Träumen gerissen. Verzwei­felt sucht er in der Nacht nach dem Tier und findet es schwer verletzt im Schnee. Da kann nur Guillaume helfen. Belle überlebt. Der Weih­nachts­abend verläuft ganz anders als gedacht; drama­ti­sche Gescheh­nisse lassen Sebastian mit Hilfe von Belle über sich hinaus­wachsen und er erweist sich als ein furcht­loser kluger Junge. Am Ende des Films ist er heran­ge­reift – auch für die Wahrheit über das Schicksal seiner Mutter.
Eine große Rolle in Nicolas Vaniers Naturfilm spielen neben dem Jungen und dem Hund die grandiose Land­schaft, das Licht, die Farben, die wech­selnden Jahres­zeiten, vom blühenden Sommer zum tief verschneiten Winter. In Félix Bossuet als Sebastian hat er die ideale Verkör­pe­rung eines kleinen Helden gefunden, der sich in die Herzen der Zuschauer spielt, ebenso der von der Bestie zum Kuschel­tier mutierte vier­bei­nige Gefährte. Alles in allem ist Nicolas Vaniers Naturfilm »Belle und Sebastian« ein span­nender Aben­teu­er­film, insze­niert in atem­be­rau­bend schöner Bergwelt, der vor dem geschicht­li­chen Hinter­grund des Zweiten Welt­kriegs spielt. Hier wird klar, dass es im Krieg keine heilen Welten gibt, auch nicht in Sebas­tians abge­le­genem Dorf. Aber kleine und große Fluchten sind möglich. Und deshalb ist »Belle und Sebastian« ein echter Kinder­film, auch für dieje­nigen, die noch nichts von Krieg, Verfol­gung und Unter­drü­ckung wissen. Denn da ergeht es ihnen wie Sebastian, der ebenfalls erst mal vieles nicht versteht, aber im Laufe der Geschichte dazulernt – und das Richtige tut. Eine kleine großar­tige Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur – für Jungen wie für Mädchen. (KJK 137-1/2014)

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Die Kinder vom Napf (Schweiz 2011) von Alilce Schmid (Regie, Buch, Kamera)
Bevor wir auf der Film­lein­wand etwas erkennen können, hören wir leise ein schweres Atmen: Es wird langsam immer lauter. Kleine Leucht­kegel tauchen auf, sie wackeln ständig hin und her. Die tanzenden Lichter kommen näher. Noch immer ist nicht klar, was die sehr dunklen Eingangs­se­quenzen offen­baren werden. Schließ­lich: Gesichter, Kinder-Gesichter. An der Stirn sind Stab­lampen befestigt, die sich bei jedem Schritt bewegen. Links und rechts des Weges erkennen wir sche­men­haft große Schnee­massen. Die weiterhin ange­strengt atmenden Kinder steigen in eine Seilbahn mit Selbst­be­die­nung. Sie über­queren mit dem »Bähnli« eine tiefe Schlucht, um schließ­lich über einen Waldweg, der steil den Hügel hinab führt, zu einer Bussta­tion an einer Straße zu gelangen. Dort holt sie ein Bus zu Schule ab.
So beginnt der Doku­men­tar­film: Ruhig und bedächtig erzählt aus der Perspek­tive von Kindern, lässt er uns am Leben von Berg­bau­ern­kin­dern Anteil nehmen. Sie wohnen in abseits gelegenen Berg­bau­ern­höfen im »Napf« zwischen Bern und Luzern, ziemlich isoliert von der übrigen Welt, dort, wohin man nur zur Fuß gelangen kann. Keine insze­nierte Geschichte, keine Drama­turgie des Alltags. Grandios baut die Regis­seurin Alice Schmid die Berg- und Gebirgs­land­schaft als durch­ge­hendes stilis­ti­sches Mittel in die Handlung ein. Die Erzäh­lungen der Kinder erschließen uns auch deren Ängste: die Furcht vor dem Wolf, der schon 27 Schafe gerissen hat; Angst in Schluchten zu fallen; die Auswir­kungen von Stürmen und die Bedrohung, von Bäumen erschlagen zu werden. Ein unge­wöhn­li­cher, unter­halt­samer Doku­men­tar­film mit kleinen Geschichten voller Poesie. (KJK 130-2/2012)

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Die Rubrik KIDS wird laufend mit Neuzu­gängen ergänzt. Einer, der demnächst unter film­friend.de zu sehen sein wird, ist:
Karo und der liebe Gott (Öster­reich 2005) von Danielle Proskar (Regie und Buch)
Heilige Kommunion, das Mädchen Karo – voller Ehrfurcht und Hingabe – fühlt sich dem lieben Gott sehr nahe. Karo ist ein glück­li­ches Kind, von ihren Eltern geliebt und verwöhnt. Nur dass der Vater immer häufiger ins Fern­seh­studio muss, macht sie traurig, ebenso dass er seine Verspre­chen nicht einhält. Eines Abends hört sie, wie die Eltern sich streiten. Schnitt. Umzug in eine andere Wohnung, ohne den Papa. Jetzt kann eigent­lich nur noch der liebe Gott helfen. Als Karo aus ihrem Walkie-Talkie eine unbe­kannte Stimme hört, ist sie sicher, mit dem lieben Gott verbunden zu sein und bittet ihn darum, dass doch alles wieder wird wie früher. Doch es ist nicht der liebe Gott, der mit Karo spricht, sondern ein alter Saufkopf, der im Haus wohnt. Der fühlt sich von den Bitten des Kindes eher belästigt, gibt sich aber doch Mühe mit seinen Antworten. Als Karo ihm im Hausflur begegnet und seine Stimme erkennt, bedeutet das nicht etwa das Ende ihres Glaubens. Im Gegenteil, Gott ist im Haus und um nicht erkannt zu werden, tritt er in dieser Gestalt auf. Karo lässt nicht locker, hindert ihren lieben Gott an seinem Penner­leben, fordert Zuwendung und Rat. Sein Vokabular ist zwar alles andere als kind­ge­recht, aber seine Lebens­weis­heiten erreichen das Kind.
So kommt es, dass plötzlich Karo in der Herzens-Show-Sendung ihres Vaters im TV-Studio sitzt und öffent­lich seine Heimkehr erfleht. Der Vater ist entsetzt, fürchtet um seine Karriere – seine neue Freundin hingegen ist entsetzt über seine Reaktion; ihr imponiert die Tochter, nicht mehr der Vater. Ein Sieg für Karo. Doch ein neues Hindernis stellt sich ein – die Mutter hat einen neuen Freund, der zu allem Überfluss auch noch ziemlich sympa­thisch ist. Was soll Karo nur tun? Alles, was sie und der liebe Gott sich ausdenken und unter­nehmen, kann den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Die Scheidung der Eltern wird besiegelt und der liebe Gott signa­li­siert der kleinen Karo, dass das Leben weiter­geht und schön sein kann, auch wenn er nicht mehr dabei ist.
In ihrem Spiel­film­debüt stellt Danielle Proskar ein klas­si­sches Thema in den Mittel­punkt – die Trennung der Eltern und der heiße Kinder­wunsch, sie wieder zusam­men­zu­bringen. Während Erich Kästner in seinem »Doppelten Lottchen« diesen Kinder­wunsch erfüllt, versagt die Wienerin Danielle Proskar den Kindern ein solches Happy End. Wie es nach einer Scheidung auch für Kinder gut weiter­gehen kann, zeigt die Filme­ma­cherin dem kleinen und großen Publikum. Zur Locker­heit trägt auch bei, dass die Geschichte in Wien spielt und beacht­li­ches sprach­li­ches Lokal­ko­lorit aufweist. Den Film komplett macht die kleine Haupt­dar­stel­lerin Resi Reiner, die durch ihr kindlich natür­li­ches Spiel überzeugt. (KJK 108-4/2006)

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Das Portal der Biblio­theken, film­friend.de, enthält eine gute Mischung beson­derer Anima­ti­ons­filme, dazu gehört der Klassiker Die Konferenz der Tiere (BRD 1969) von Trick­film­re­gis­seur Curt Linda (Drehbuch, Regie und Gesamt­ge­stal­tung) nach dem gleich­na­migen Buch von Erich Kästner, der die Geschichte von Tieren erzählt, die auf einer Welt­kon­fe­renz Maßnahmen zum Schutz des Friedens und der Mensch­lich­keit beschließen und die Menschen zwingen, diese Vorschläge zu verwirk­li­chen. (KJK 15-3/1983)
Schön auch, dass Lindas Die kleine Zauber­flöte (1997) nach der Oper von Emanuel Schi­ka­neder und Wolfgang Amadeus Mozart mit verfügbar gemacht wurde, denn im Kino war er seiner­zeit nur kurz zu sehen. (KJK 71-3/1997)

Ein Klassiker ist auch Der Mondmann (Deutsch­land / Frank­reich / Irland 2012) von Stephan Schesch (Regie und Drehbuch) nach einer Vorlage von Tomi Ungerer
Der Mann im Mond langweilt sich, kommt sich total über­flüssig vor. Das findet das kleine Mädchen, das mit seinem Vater im Autokino war und durch die mondhelle Nacht nach Hause fährt, überhaupt nicht. Nur mit dem Mond am Himmel lässt es sich so süß träumen. Davon ahnt der Mondmann nichts. Er befreit sich aus seinem Himmels­körper, ergreift einen vorbeis­au­senden Kometen und landet auf der Erde. Da kommt er aus dem Staunen nicht heraus – alles ist neu und fantas­tisch für ihn. Er ahnt nicht, dass er schon im Visier des dikta­to­ri­schen Präsi­denten ist, der über Menschen und Maschinen herrscht, nur noch nicht über den Mond. Dazu soll ihm der geniale Erfinder van der Dunkel verhelfen, der den Auftrag hat, eine Mond­ra­kete zu bauen. Die Kinder schauen unterdes vergeb­lich zum Himmel, vermissen ihren geliebten Mann im Mond. Der merkt zunehmend, dass er viel­tau­send­fach am Himmel gebraucht wird. Tomi Ungerer selbst erzählt die Geschichte seines Kinder­buchs aus dem Off. Die ganz im Stil Ungerers animierten Figuren werden von renom­mierten Schau­spie­lern gespro­chen. Heraus­ra­gend ist die Stimme des Mondmanns (Katharina Thalbach): lakonisch, langsam, weise.
Schon der ebenfalls von Stephan Schech produ­zierte Zeichen­trick­film Die drei Räuber (Regie: Hayo Freitag, Deutsch­land 2007) zeigte, dass sich Tomi Ungerers schmale Bilder­bücher, der sparsame, geniale Strich seiner Zeich­nungen, die nicht nur Kinder anspre­chen, auf die große Leinwand adap­tieren lassen. In seinem neuen Film hat Film­pro­du­zent Stephan Schesch selbst Regie geführt und es ist ihm gelungen, einen schwebend leichten Anima­ti­ons­film zu insze­nieren, voller Poesie und tiefen Empfin­dungen wie Einsam­keit, Freund­schaft und dem wunder­baren Gefühl, gebraucht zu werden.

Zum Schluss ein bezau­bernder Anima­ti­ons­film, der von der Magie der Bücher und der Lust des Lesens handelt und wie geschaffen ist für das Film­portal der Biblio­theken:

Leon und die magischen Worte (Frank­reich / Italien 2009) von Dominique Monféry (Regie) und Anik Le Ray, Alexandre Révérend (Drehbuch)
Jeden Sommer hat der sieben­jäh­rige Leon mit seiner Familie im Haus der Großtante verbracht. Sie hat ihm viele Stunden lang aus ihrem Bücher­schatz vorge­lesen. Nun ist sie gestorben und hat der Familie das wunder­schöne Haus am Meer vermacht. Und Leon erbt ihre umfang­reiche Biblio­thek mit wunder­baren Erst­aus­gaben der schönsten Märchen­er­zäh­lungen. Leon aber, obwohl schon in der Schule, kann noch nicht lesen. Damit das Haus renoviert werden kann, sollen nun all die Bücher an einen geld­gie­rigen Antiquar verkauft werden. Aber in den alten Büchern entfaltet sich eine magische Welt, ihre Figuren sind lebendig und nur wenn sie als Sammlung komplett bleiben, kann dieser Märchen­schatz erhalten werden. Helden wie Pinocchio, Peter Pan, das Mädchen mit den Schwe­fel­höl­zern und viele andere Buch­fi­guren krabbeln aus den dicken Büchern, um Leon bei der Rettung der Biblio­thek zu helfen. Allen voran Alice aus dem Wunder­land, eine Figur, die Leon in den Vorle­se­stunden der Tante ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Und jetzt beginnt Leons großes Abenteuer zur Rettung und Bewahrung des Bücher­schatzes.
Aus der Begrün­dung der FBW-Jury für das Prädikat „besonders wertvoll“:
Mit viel Witz und reiz­vollen Einfällen bietet Leons Abenteuer zur Rettung der Bücher nicht nur spannende Momente, sondern auch mora­li­sche Hinweise auf den Erhalt von Werten, der Bewahrung der Kultur des Lesens. So findet Leon mit dem Zauber­spruch »Dass es eine Geschichte ist, heißt nicht, dass es nicht wahr ist« endlich zum Erlebnis Lesen und seiner Sehnsucht, in die wunder­bare Fanta­sie­welt der Literatur einzu­tau­chen.

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Als Neuzugang wird demnächst übrigens der zauber­hafte Kommissar Gordon & Buffy (Schweden 2017) von Linda Hambäck zu sehen sein. – Siehe die Film­kritik auf artechock