23.04.2020

Wo bleibt die Stimme für das Kino?

Wolf Kino
Es war einmal… das Kinoleben
(Foto: Wolf Kino)

Zwischen Zukunft und Untergang – Blick einer Kinobetreiberin auf die aktuelle Situation der Kinos

Von Verena von Stackelberg

Erstmal vorab: Mir ist als Betrei­berin des »Wolf«-Kinos in der Weser­straße in Berlin-Neukölln das gravie­rende Ausmaß der Pandemie auf schwächere Bevöl­ke­rungs­gruppen und Länder bewusst, und meine Stel­lung­nahme mache ich in dem Bewusst­sein, dass es sich im Vergleich zu den Problemen anderer fast um ein Luxus­pro­blem handelt. Nichts­des­to­trotz ist die Situation für Kino­be­trei­bende und Kultur­schaf­fende exis­ten­tiell.

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Wie viele andere Kino­be­treiber mache ich mir gerade stündlich Gedanken, wie wir die Zukunft unseres Kinos sichern können. Dass es zäh ist und auch noch sehr lange gehen wird, ist mitt­ler­weile klar. Dass es ohne weitere öffent­liche Gelder, private Unter­stützer, nach­sich­tige Vermieter und Darle­hens­geber nicht weiter­gehen wird, ist leider auch klar. Dennoch sehe ich die aktuelle »Larifari-Phase«, in der Politiker und Entschei­dungs­träger das Kino hint­an­stellen, als sympto­ma­tisch für ein Problem, das schon vor Corona da war.

Wieder einmal befinden wir Kultur­schaf­fenden uns in einer prekären Lage, die man ständig erklären und ausbuch­sta­bieren muss. Ja, Kino ist ein uner­setz­barer sozialer und kultu­reller Ort der Begegnung. Nein, Kino kann nicht durch Online-Streaming, Autokino, Open Air und Haus­wand­pro­jek­tionen ersetzt werden. Kino­be­treiber tragen nicht immer einen Beamer und eine Handvoll Filme in der Tasche.

Wir wollen den Ort Kino, den wir mit viel Mühe an ganz unter­schied­li­chen Stellen unter ganz unter­schied­li­chen Bedin­gungen geschaffen haben, nicht aufgeben. Wir wollen, dass unsere treuen Besucher bald wieder in den Genuss unseres Ortes kommen und ihn nicht woanders suchen müssen. Das Zusam­men­treffen der Nachbarn in unserer Café-Bar oder dem Kinosaal von »Wolf« ist nicht ersetzbar – und wir werden vermisst.

Ein Kino zu betreiben, das sieben Tage die Woche für 10-14 Stunden jeden Tag des Jahres geöffnet hat, bedeutet, dass man ein tolles und vom Ideellen getra­genes Team braucht, das sich mit Mindest­lohn, und dies meist als Neben­ver­dienst, zufrie­den­gibt. Die Einstel­lungs­ver­hält­nisse sind demnach meistens im Bereich »Minijob« oder »Werk­stu­dent«. Man selber zahlt sich auch nicht immer aus, vor allem nicht nach einem dürren Sommer. Ohne Kino­pro­gramm­preise, Europa Cinemas und andere Förder­mittel kämen Kinos meistens nicht durch, zumindest nicht, wenn sie ein eigenes, künst­le­ri­sches Programm fahren und keine Block­buster zeigen.

Dass zur Coro­na­krise das Kurz­ar­bei­ter­geld nicht angepasst wurde, damit es auch Mini­jobber und Studenten beinhalte, und der Corona-Zuschuss für Klein­un­ter­nehmer nur für Betriebs­aus­gaben angewandt werden darf, hat dazu geführt, dass viele Kinos und auch gastro­no­mi­sche Betriebe innerhalb kürzester Zeit ihr Personal haben gehen lassen müssen. Diesen Punkt hat das »Wolf«-Kino nun auch schon fast erreicht.

Mit der Pres­se­kon­fe­renz am vergan­genen Dienstag des Berliner Senats, die von der »Berliner Zeitung« und dem »Tages­spiegel« erst so inter­pre­tiert wurde, dass Kinos erst nach dem 31. Juli an eine Öffnung denken dürfen – die von anderen so inter­pre­tiert wurde, dass man sich das Ganze am 10. Mai noch einmal überlegt, ist exem­pla­risch für den Stel­len­wert, den Kinos bei den Entschei­dungs­trä­gern haben: Sie siedeln sich ganz peripher an, weit hinter Start-ups, Museen, Theatern und Opern, irgendwo da. In vielen Artikeln und Pres­se­kon­fe­renzen wird das Kino nicht einmal genannt.

Dass unser Metier schwer einzu­ordnen scheint, zeigt sich an dem Spagat, den das Kino immer wieder zwischen Wirt­schaft und Kultur machen muss. Oft sind Kinos zwar als Firma regis­triert, leisten aber wertvolle kultu­relle Arbeit und machen keinen nennens­werten Profit. Wir sind schon lange in einer selbst­aus­beu­te­ri­schen, prekären Lage, um eine Zukunft für die Filmkunst zu erkämpfen. Deshalb droht nach zwei oder drei Monaten Komplett­aus­fall für viele Kinos der Untergang.

Es gibt gute und richtige Ansätze – deren Details sicher noch feiner und komplexer gefächert sein könnten, um der Vielfalt einer Kunst-und Wirt­schafts­film­branche gerecht zu werden –, die dem Bundestag jetzt zum Beispiel durch die FDP vorgelegt werden, die SPIO-Chef Thomas Negele und der Film­kri­tiker Bert Rebhandl jeweils in der FAZ skizziert haben, und an denen die AG Kino derzeit arbeitet. Dennoch mache ich mir große Sorgen, dass gerade in gefühlter Zeitlupe gear­beitet wird – während wir keine andere Wahl haben, als dras­ti­sche Maßnahmen wie Kündi­gungen und krasse Betriebs­ver­klei­ne­rungen durch­zu­führen. Ein Signal der Politik wäre es, uns zu versi­chern, dass es weitere Hilfs­pa­kete geben wird, und zwar keine zinslosen Darlehen, sondern reelle Zuschüsse. Wir brauchen dringend ein solches Signal, ein Signal, das unmiss­ver­ständ­lich deutlich macht, dass unsere Sorgen ernst­ge­nommen werden und es konkrete, verläss­liche Termine zur Wieder­auf­nahme unseres Betriebs gibt. Dass wir auch mit Zuschüssen in der Anlauf­phase rechnen können und über nach­hal­tige Mittel nach­ge­dacht wird, wie man uns auch in der Zukunft aus dem perma­nenten Prekariat hieven kann.

Sicher wird es noch bis ins neue Jahr dauern, bis wir mit voller Auslas­tung der Kinosäle arbeiten können und das eine oder andere Trauma hinter uns lassen. Aber wenn wir es richtig anpacken dürfen, mit der adäquaten Unter­stüt­zung, dann könnte ein viel span­nen­deres, eigeneres Film­pro­gramm mit einem noch offeneren Publikum das Ergebnis sein.

Dazu gehört dann auch, dass kultu­relle Förde­rungen wie die »Spar­ten­of­fene Förderung« in Berlin ihre Ansage revidiert, die Förderung für 2020/21 zu streichen, um das Geld sofort an Kultur­schaf­fende auszu­schütten mit dem gut gemeinten Vorsatz, sie aus einer Notsi­tua­tion zu holen. Diese Art von Nothilfe sollte nicht aus den Budgets bestehender Förder­mittel genommen werden.

Wir werden kultu­relle Förde­rungen mehr denn je brauchen. Nach der Corona-Stille müssen Kinos noch viel krea­ti­vere Programme gestalten, um sich von dem Film­start­chaos abzuheben, welches unwei­ger­lich da sein wird nach dem plötz­li­chen Streamen neuer Kinofilme und dem Ausfall großer Festivals, die norma­ler­weise die neuen Filme auf den Radar des Publikums bringen. Und zu guter Letzt auch, um unsere eigene Moti­va­tion für besondere Programme zu steigern. Wenn uns die Politik jetzt aus den für kultu­relle Projekte ange­dachten Förder­töpfen unter­stützt, haben wir keine Perspek­tive für eine künst­le­risch diverse Kino­zu­kunft.

Ein Gast­bei­trag von Verena von Stackel­berg, Gründerin und Geschäfts­füh­rung von Wolf Kino, Berlin. Sie ist Mitglied im Film­aus­wahl­team für den Berlinale Wett­be­werb und Encoun­ters, außerdem Grün­dungs­mit­glied des Haupt­ver­band Cine­philie.