12.03.2020

Ritter gegen Tod und Teufel

Max Sydow
Schachmatt: Am Ende gewinnt dann doch der Tod
(Foto: imago images / Prod.DB)

Der Exorzist: Zum Tod des unvergesslich unverwechselbaren Max von Sydow

Von Rüdiger Suchsland

Seine Partie gegen den Tod hat er erst mit über 90 Jahren verloren. Das Schach­spiel des Kreuz­rit­ters gegen den Tod gehört zu den emble­ma­ti­schen Szenen in der Karriere des Max von Sydow.

In seinem dritten von heute über 150 Spiel­filmen war das: 1957, in Ingmar Bergmans Das siebente Siegel, der zum Schlüs­sel­werk in Sydows Karriere wurde. Von da an war er einer der Darstel­ler­fe­ti­sche in Bergmans Werk, wohl auch, weil Sydow die seltene Gabe besaß, in seiner Körper­lich­keit das Unkör­per­liche zu trans­por­tieren: äthe­ri­sche Spiri­tua­lität, etwas Suchendes, tastend Unsi­cheres, das man für »Jensei­tig­keit« halten konnte, eine knorrige Stärke, die »archaisch« wirkte und verletz­liche Durch­läs­sig­keit, auf die sich Wider­sprüch­li­ches proji­zieren ließ: die Glau­bens­zweifel des Sünders, die Glau­bens­stärke des Priesters, der entschlos­sene Mut des Kämpfers, das Zaudern des Sünders, der Adel des Ritters, der Stolz des Bauern. Und eine Kraft, die nicht allein von dieser Welt zu stammen schien.
Das fiel auch Hollywood schnell auf, und so war es ausge­rechnet Jesus Christus, den Sydow in seiner ersten Holly­wood­rolle spielte, in George Stevens' Film Die größte Geschichte aller Zeiten.

Blond, hager, kehlig

Sydow war markant: Hager und mit fast zwei Metern viel zu groß, um je zum Action­helden zu taugen, mit stroh­blonden Haaren, die auch dann voll blieben, als sie weiß wurden, war Max Sydow eine statt­liche Erschei­nung und ein Charak­ter­kopf. Am markan­testen aber war die Stimme: Kehlig, dunkel, auch sie wie aus einer anderen Zeit, einem anderen Planeten. Wer sie einmal gehört hat, wird sie nicht wieder vergessen, und begreift, dass so gar Tod und Teufel vor ihr kapi­tu­lierten.

Geboren in Lund, am 10. April 1929, als Sohn einer deutsch-pommer­schen Familie, aber Schwede durch und durch, weil schon der Vater, ein damals berühmter Ethnologe, in Schweden geboren war. Carl Adolf von Sydow, so sein Geburts­name, ging als Angehö­riger der katho­li­schen Minder­heit im protes­tan­ti­schen Schweden zuerst auf eine katho­li­sche Privat­schule. Dort bereits spielte er Theater und war nun für alles andere verloren. Nach der Schau­spiel­schule begann er auf der Thea­ter­bühne in Malmö, dort lernten Bergman und er sich kennen. Auf Das siebente Siegel folgte noch im gleichen Jahr Wilde Erdbeeren, kurz darauf Von Angesicht zu Angesicht, Die Jung­frau­en­quelle und weiteres vom schon früh legen­dären Bergman.

Immer wieder spielte er Rollen, die etwas mit Reli­gio­sität oder ihren Abgründen zu tun hatten. Welt­berühmt wurde er auch bei jenen, die keine Bergman-Filme sahen, mit seiner Titel-Rolle als The Exorcist in William Friedkins schnell zum Horror­klas­siker gewor­dener Best­sel­ler­ver­fil­mung. Spätes­tens von da an hagelte es künst­le­risch wie finan­ziell attrak­tive Angebote. So etwa der Auftritt in Sidney Pollaks New-Hollywood-Klassiker Die drei Tage des Condor, in Steven Spiel­bergs Minority Report und in Martin Scorsese Shutter Island oder in Woody Allens Hannah und ihre Schwes­tern. Er war der Step­pen­wolf in der Hermann Hesse-Verfil­mung, der August Strind­berg in Die Augen des Wolfs und »Blofield«, der Gegen­spieler von James Bond.

Weil für Ameri­kaner ein schwe­di­scher Akzent und ein Schwede mit deutschem Namen eigent­lich das Selbe sind wie ein Deutscher, spielte Max von Sydow in Hollywood-Filmen immer wieder Deutsche, vor allem welche in der Geschichte: Nazi-Offiziere (in John Hustons skurrilem Fußball-KZ-Film Flucht oder Sieg und in Codename: Emerald), oder Neo-Nazis im West-Berlin des Kalten Kriegs (in dem guten Spionage-Polit-Thriller The Quiller Memo­randum, wo sie in der deutschen Fassung zu Kommu­nisten mutierten), wie aufrechte NS-Gegner (wie den Schiffs­ka­pitän in Stuart Rosen­bergs leider verges­sener Reise der Verdammten über die Irrfahrt der St.Louis), mutige Emigranten und schmie­rige Oppor­tu­nisten. Wer das kann, der taugt auch für Russen im Kalten Krieg: So etwa in (nochmal) John Hustons The Kremlin Letter, ein unter­schätzter Spionage-Thriller, den Dominik Graf mal als »ein freud­volles, politisch und erotisch unkor­rektes Genre-Meis­ter­werk« gelobt hatte. Oder in Embassy und Citizen X. Oder in den beiden U-Boot-Filmen Hostile Warters und Kursk, Sydows letztem Film­auf­tritt.

Für Hollywood sah Sydow jeden­falls nicht wie ein Ameri­kaner aus.

Viel­fältig und angstfrei

Demge­genüber stehen vergleichs­weise wenige euro­päi­sche Autoren­filme, vor allem in dessen größter Zeit, den 60er und 70er Jahren. Viel­leicht trug Sydow für manche zu sehr den Bergman-Stempel im Gesicht, viel­leicht hatte er auch mehr auf die Gage geschaut. Jeden­falls blieb über manches Vergess­bare nur Cadaveri Eccelenti von Francesco Rosi und Bertrand Taver­niers La mort en direct. Erst später dann trat er auch bei Wim Wenders Bis ans Ende der Welt auf und in Bille Augusts Pelle, der Eroberer, und wenn es ihn reizte, in heraus­ra­genden Fern­seh­ar­beiten, wie der drei­tei­ligen Joseph-Roth-Verfil­mung Radetz­ky­marsch vom wunder­baren Axel Corti und Hamsun über den norwe­gi­schen Dichter und NS-Sympa­thi­santen – von Regisseur Jan Troell, mit dem Sydow nach Bergman die meisten Filme drehte.

Immer wieder sind es Gott­su­cher und Priester, die Sydow spielte, in allein drei Bibel-Verfil­mungen hat er mitge­macht, zugleich aber auch auffal­lend oft Monarchen gespielt. Oder den römischen Kaiser Tiberius.

Es kam dem Schau­spieler neben seinem Können entgegen, dass er keine Berüh­rungs­ängste hatte, auch vor schein­barem Trash und »B-Movie«-Absei­tig­keiten nicht zurück­schreckte, im Gegenteil: Ihm machte das Spie­le­ri­sche solcher Filme erkennbar Spaß. Immer nur Ernst und immer nur dasselbe fand er lang­weilig. So spielte er in Rein­fällen wie John Milius' Flash Gordon und dessen B-Klassiker Conan der Barbar ebenso, wie in schein­baren Flops, die zu versteckten Klas­si­kern wurden, wie David Lynchs Dune – Der Wüsten­planet, er trat in Star Wars auf und in »Game of Thrones«,

Diese Vielfalt wird von Max von Sydow nicht weniger in Erin­ne­rung bleiben als sein markantes Erschei­nungs­bild.