07.02.2020

Die Zärtlichkeit des Kannibalen

Behrens, Herbert / Anefo [CC BY-SA 3.0 NL (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/nl/deed.en)]
Kirk Douglas 1955 während der Dreharbeiten für seine Rolle als Vincent van Gogh in Lust for Life
(Foto: Behrens, Herbert / Anefo [CC BY-SA 3.0 NL])

Einsam sind die Tapferen: Kirk Douglas ist gestorben – er war tatsächlich der letzte Große des klassischen Hollywood

Von Rüdiger Suchsland

»People are always talking about the old days. They say that the old movies were better, that the old actors were so great. But I don’t think so. All I can say about the old days is that they have passed.«
Kirk Douglas

Er war der letzte große Star des klas­si­schen Hollywood. Und doch reprä­sen­tiert er in vieler Hinsicht schon dessen Neuan­fänge und die Zukunft nach dem Ende des Studio­sys­tems: Kirk Douglas, der jetzt im bibli­schen Alter von 103 Jahren in Hollywood gestorben ist.

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Der Sohn eines Lumpen­samm­lers wurde 1916 in Amsterdam geboren, nicht in Hollands Metropole, sondern der Indus­trie­me­tro­pole im Staat New York. Sein Geburts­name Issur Danie­lo­vitch Demsky verweist auf die Herkunft der Eltern: Einwan­derer der ersten Genera­tion, jüdische Weiß­russen, die aus dem vorre­vo­lu­ti­onären Zaren­reich vor anti­se­mi­ti­schen Pogromen geflohen waren.

Diese Herkunft hat ihn geprägt. Es war der schwere, harte Weg. Eine bettel­arme Kindheit, in der dem einzigen Sohn neben sechs Schwes­tern nichts geschenkt wurde – oder eben doch, in anderer Weise: Ein festes, wert­kon­ser­va­tives Weltbild ohne große religiöse Bindung. Dies hinderte die jüdische Gemeinde des Viertels nicht, dem begabten Jungen ein Stipen­dium zu zahlen, damit er eine höhere Schule besuchen und studieren konnte. Zusätz­lich verdingte er sich als profes­sio­neller Ringer, als Kellner und Hotelpage.

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Bald wechselte er auf die Schau­spiel­schule. Es gab erste Broadway-Auftritte, doch dann begann auch für Amerika der Zweite Weltkrieg und Douglas, wie er jetzt hieß, wurde noch im Dezember 1941 zur Navy einge­zogen. Als der Krieg vorbei war, ging er wieder zurück nach New York. Bis er als Schau­spieler überleben konnte, dauerte es aber. Begonnen hatte seine Hollywood-Karriere ein Jahr später angeblich auf Empfeh­lung von Lauren Bacall, die auf der »American Academy of Dramatic Arts« seine Klas­sen­ka­me­radin war. Sehr früh und schnell gab es markante Auftritte. Etwa in Die seltsame Liebe der Martha Ivers (1946) als Alko­ho­li­ker­gatte von Barbara Stanwyck. Und in Jacques Tourneurs Film-Noir-Klassiker Out of the Past (1947) als Gegen­spieler von Robert Mitchum.
Schon 1951 spielte er dann einen Holly­wood­star: Unter Vincente Minnellis Regie in The Bad and the Beautiful, einer der raren Hollywood-Selbst­par­odien, einen skru­pel­losen Film­pro­du­zenten.

In den Folge­jahren arbeitete Kirk Douglas mit fast allen Großen seiner Zeit zusammen, neben Minnelli auch mit Billy Wilder (Reporter des Satans), Otto Preminger (In Harms Way), William Wyler, Joseph L. Mankie­wicz, Howard Hawks, und gleich zweimal mit Stanley Kubrick im Kriegs­film Wege zum Ruhm und dann unver­gess­lich in der Titel­rolle von Spartacus.

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»If the good guy gets the girl, it’s rated PG; if the bad guy gets the girl, it’s rated R; and if everybody gets the girl, it’s rated X.«
Kirk Douglas

Douglas war ein gutaus­se­hender, zugleich aber sehr spezi­eller Typ. Mit seinem kantigen Kinn und dem Grübchen in dessen Mitte, den strahlend blauen Augen, den nach hinten gesträhnten asch­blonden Haaren spielte er als einer der wenigen sowohl Helden wie Böse­wichter. Und immer brachte er in die eine Seite etwas von der anderen mit hinein: Seine Schurken hatten Charme, seine Helden einen brutalen Zug – sein Marken­zei­chen war die Zärt­lich­keit der Kanni­balen. Er spielte Wilde, Prole­ta­rier, Krieger, Sklaven, immer wieder Harte, Konse­quente, Einzel­gänger; Charak­tere, mit denen man nicht gut reden konnte, die Gehorsam einfor­derten, besten­falls Gefolg­schaft, aber nie Team­player waren. Was sie antrieb, war eine archai­sche Urkraft, ebenso Eros wie Tode­s­trieb.
Man könnte all das aber auch als »Schillern« beschreiben, und es ist wahr­schein­lich, dass dieses Lein­wan­di­mage des Schau­spie­lers Kirk Douglas nicht besonders viel mit seinem Träger, mit der Person dahinter zu tun hatte.

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»When you become a star, you don’t change. Everyone else does.«
Kirk Douglas

Was beides, Person und Persona verbindet, war aber wohl Gier. Gier nach Leben, nach Wissen, nach Erfahrung, nach allem, worin er sich zu kurz gekommen fühlte. Lust for Life, wie sein zweiter Film mit Minnelli heißt, in dem er Vincent van Gogh spielte, jenen Maler am Rande des Nerven­zu­sam­men­bruchs, der in Hollywood für »Kunst an sich« steht, also den Univer­sal­künstler und dessen Verbin­dung von Genie und Wahnsinn. Die schien kein zweiter so auszu­drü­cken, wie Douglas, wie sein Stahl­blick und sein Kinn. Und man tritt Kirk Douglas wohl nicht zu nahe, wenn man bemerkt, dass ihm diese Rolle des Van Gogh schon besonders wichtig war. Seinen dritten Sohn nannte er Vincent, und der Film wurde in den folgenden Jahren sehr oft dann vorge­führt, wenn Douglas irgend­eine wichtige Ehrung fürs Lebens­werk bekam. Beim Ehrenbär 2001 aller­dings, bei der Abschieds­ber­li­nale von Dieter-Kosslick-Vorgänger Moritz de Hadeln, war es Kubricks Wege zum Ruhm.

Der Mensch Kirk Douglas war schon früh immer an mehr inter­es­siert, als am Schau­spiel allein. Er wollte ein Werk schaffen, etwas hinter­lassen, was über den Tag hinaus Bestand haben könnte. Er sprang als Produzent ein, wenn ein Film schwer zu finan­zieren war, er inter­es­sierte sich für Inhalte – manchmal mehr, als den Regis­seuren lieb war.

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»I cannot forgive the way Michael Moore treated Charlton Heston in 'Bowling for Columbine'. Even if I don’t agree with much of Heston’s politics, Chuck is a gentleman. He agreed to have an interview with Moore, and Moore took advantage of the situation and made Chuck look foolish. He had been invited to Heston’s home and he was treated with courtesy. I winced when I saw the expres­sion on Chuck’s face change as he realized that he had been duped. And yet he remained a gentleman and dismissed the inter­loper with grace.«
Kirk Douglas

Politisch war Kirk Douglas einer­seits immer ein Linker in Hollywood, das alles in allem viel reak­ti­onärer ist, als sein Ruf. Aber er war nie ein Prin­zi­pi­en­reiter – so enga­gierte er sich für Obdach­lose und gegen Waffen­frei­zü­gig­keit, und holte den in der McCarthy-Zeit auf die Blacklist gesetzten Autor Dalton Trumbo zurück nach Hollywood. Aber er half auch dem Regisseur Elia Kazan zu einer Zeit, als dieser in der links­li­be­ralen Filmszene der 60er Jahre gerade verfemt war, weil man ihm seine persön­liche Feigheit während der McCarthy-Ära vorwarf.

So ist mit Kirk Douglas, der aus zwei Ehen vier Söhne hat und von seiner deutschs­täm­migen hundert­jäh­rigen Gattin Anne überlebt wird, nicht nur der letzte große Star aus Holly­woods Glanzzeit gestorben, sondern auch eine viel­schich­tige, enga­gierte Künst­ler­per­sön­lich­keit.