06.02.2020

Münchner Stadtgespräch: Das Kinosterben

Wahlkampf in München
»Stadtgespräch München: Filmtheater Sendlinger Tor«. So schöne Missverständnisse gibt es
(Foto: Dunja Bialas)

Dem Filmtheater Sendlinger Tor wurde gekündigt. Pünktlich zum Filmfest soll es seine Türen schließen

Von Dunja Bialas

Schon wieder eine Hiobs­bot­schaft aus der ehema­ligen Kinostadt München. Gestern schrieb die »Süddeut­sche Zeitung« unter der verharm­lo­senden Headline »Ein Münchner Kino-Krimi« (Print­aus­gabe) von der drohenden Schließung des über 100-jährigen Kinos Send­linger Tor (hier unser Portrait). In dem Artikel wird die kompli­zierte Gemenge­lage zwischen der Vermö­gens­ver­wal­tung WIFA und den Kino­be­trei­bern Preßmar (Vater und Sohn) geschil­dert. So wurde der Pacht­ver­trag bereits frist­ge­recht gekündigt, der damit zum 30. Juni auslaufe, so die WIFA-Geschäfts­füh­rerin Winkel­mann. Die Preßmars hingegen betonen, dass von der Seite der WIFA versäumt wurde, alle für die Kündigung benö­tigten Voll­machten der anderen Haus­ei­gen­tümer einzu­holen. Damit sei die Kündigung ungültig, und der Pacht­ver­trag verlän­gere sich auf weitere fünf Jahre. Davon gehe man nun aus, eine Antwort auf ihren Einspruch hätten sie nicht mehr erhalten. Treibende Kraft der Kündigung ist Frau Winkel­mann, Geschäfts­füh­rerin der WIFA. Sie wiederum – und jetzt wird es kompli­ziert – ist außerdem Gesell­schaf­terin der Film­theater Send­linger Tor GmbH und damit Geschäfts­part­nerin der Preßmars. Und handelt mit der Kündigung letztlich gegen ihre eigenen, in der GmbH veran­kerten Inter­essen. Eine Gesell­schaf­terin als Troja­ni­sches Pferd. Das ist doch mal was.

Die Kündigung war den Einge­weihten der Szene schon länger bekannt. Bereits während des Filmfests, als gerade das Aus der Kinos Münchner Freiheit die Runde machte, wurde unter der Hand von der bedroh­li­chen Lage des Kinos Send­linger Tor gespro­chen. Auch der Stadt ist dies schon lange bekannt.

Meinem Framing durch die morgend­liche Zeitungs­lek­türe, in der ich erfuhr, dass nun öffent­lich darüber gespro­chen werden darf – bislang hielt ich mich an die Vertrau­lich­keit, mit der mir die Preßmars von der Sache erzählten –, ist es zu verdanken, dass ich einen halben Tag lang ein riesiges Miss­ver­ständnis mit mir herumtrug. Ich ging einen ganzen Nach­mittag davon aus, dass nun endlich auch die CSU das Kinosterben als wichtiges Thema entdeckt habe, was ich als erfreu­liche Wende inter­pre­tierte.

So stolperte ich über ein Wahl­plakat der CSU, das mir auf dem Weg zur Pres­se­vor­füh­rung in die City-Kinos, einen Steinwurf vom Film­theater Send­linger Tor entfernt, entge­gen­blickte. Anläss­lich der anste­henden OB-Wahlen stand da groß: »Stadt­ge­spräch München« Und: »Film­theater Send­linger Tor«. Sind die aber fix!, dachte ich voller Hoch­ach­tung. Schon haben sie das Kinosterben als Stadt­ge­spräch aufge­griffen und geschickt so platziert, dass sie die Film­kri­tiker auf dem Weg zur Arbeit einfangen! Diese Stim­men­fänger! Ein wenig wunderte ich mich noch über den betrie­benen Aufwand, die wenigen Film­kri­tiker als Wähler gewinnen zu wollen, und über die Über-Nacht-Plaka­tie­rung, zollte aber insgeheim Filmfan Markus Söder einen gewissen Respekt, der neben der wie immer unfri­sierten CSU-OB-Kandi­datin mit schmach­tendem Kajal-Blick vom Plakat herun­ter­sö­derte.

Stadt­ge­spräch Film­theater Send­linger Tor! Endlich also begreift auch der Freistaat, dass er nicht mehr tatenlos zusehen kann, wenn die Herbergen seines Leucht­turm­fes­ti­vals Filmfest München wegfallen: Kinos Münchner Freiheit, Film­theater Send­linger Tor. Dachte ich mir. Und: Söder, der wollte doch Berliner Verhält­nisse! Die Berlinale überholen! Und der sind schließ­lich jetzt die Cinestar-Kinos wegge­bro­chen. München also auf der Aufhol­jagd? Das Aus des Send­linger-Tor-Kinos ein wichtiges Etap­pen­ziel?

Mir dämmerte, dass ich einer Fiktion aufge­sessen war, weil ich das Plakat falsch inter­pre­tiert hatte (das Film­theater Send­linger Tor ist nur der Veran­stal­tungsort für das Gespräch, mitnichten das Thema). Im Misrea­ding aber ergeben sich neue Sinn­zu­sam­men­hänge, auch neue Ideen.

So muss in der Tat jetzt die Politik aufwachen und das soge­nannte Kinosterben zwingend auf ihre Agenda setzen. In München werden Kinos zu Grabe getragen, die gute bis über­durch­schnitt­liche Zuschau­er­zahlen (Münchner Freiheit, Send­linger Tor) und ein Stamm­pu­blikum (Münchner Freiheit) haben oder gar Herr im eigenen Hause sind, wie das Gabriel Film­theater, das deshalb weder Tod (Schließung) noch Teufel (Vermieter) gefürchtet haben sollte.

Das große Problem der Kinos ist der Privat­be­sitz der Immo­bi­lien, in die sie sich einge­mietet haben, und ihre privat­wirt­schaft­liche Einstu­fung, was sich dem film­wirt­schaft­li­chen Sektor einer­seits, ihrer Herkunft aus dem Schau­stel­ler­ge­werbe ande­rer­seits verdankt. Das verun­mö­g­licht ein Einmi­schen der öffent­li­chen Hand.

Auf der anderen Seite aber ist Einmi­schung jetzt dringend nötig, will man den Kino­be­stand in München erhalten. Solange darüber Einigung herrscht, dass Kinos einen wichtigen Bestand­teil im kultu­rellen und sozialen Leben der Stadt­ge­mein­schaft darstellen, soll die Stadt den ernst­haften Dialog mit den jewei­ligen Eigen­tü­mern aufnehmen, und diese angeb­liche Privat­sache eben nicht privat sein lassen.
Viel­leicht kann mit Steu­er­erleich­te­rungen für die Vermieter nach­ge­holfen werden, damit sie einen Anreiz finden, Kino­be­trei­bern auch ange­sichts des lukra­tiven Münchner Immo­bi­li­en­ge­schäfts weiterhin Pacht­ver­träge zu geben. Viel­leicht sollte man kultu­relles Enga­ge­ment von Eigen­tü­mern belohnen, indem man sie stärker in den Fokus rückt und öffent­lich nennt, lobt, gar auszeichnet. Als Person der öffent­li­chen Aufmerk­sam­keit lassen sich Kündi­gungen nicht mehr so leicht schreiben wie aus der Anony­mität heraus.
Auch könnte der Denk­mal­schutz zum Bestands­schutz ausgebaut werden. Das Interieur des über hundert­jäh­rigen Send­linger-Tor-Kinos ist bereits denk­mal­ge­schützt; wie weit das aber geht, ist wohl nicht fest­ge­legt. Ob ein Club einziehen könnte, wie einst im Film­ca­sino, wenn der opern­hafte Charakter von Kinosaal und Foyer erhalten bliebe? Dagegen würde dann nur der Bestands­schutz helfen. Der hätte beim Gabriel einen Riegel vor die Schließung geschoben, ebenso bei den Kinos Münchner Freiheit. Das ABC Kino übrigens ist im Bestand gesichert, weil der Haus­ei­gen­tümer fest­ge­legt hat, dass dort für immer ein Kino sein soll. Es geht also auch anders.

Auch Söder kann sich übrigens einmi­schen. »Bayern ist ein Kultur­staat«, heißt es in der baye­ri­schen Verfas­sung und: »Er dient dem Gemein­wohl.« Kinos sind Kultur, sie zu betreiben dient ja wohl dem Gemein­wohl. Ihr Bestand sollte durch die Baye­ri­sche Verfas­sung geschützt sein.

Viel­leicht wäre es eine gute Idee, mein Miss­ver­ständnis beim Wort zu nehmen und das Kino Send­linger Tor zum Münchner Stadt­ge­spräch zu machen. Bei der Wahl­ver­an­stal­tung der CSU und anderswo.

Denn so kann es nicht weiter­gehen.