23.01.2020

»Ich will, dass ihr in Panik geratet!«

Das Forum - Dokumentarfilm von Marcus Vetter
Das Mädchen und die Macht. Greta Thunberg im Film über das Treffen in Davos (Foto: Gebrüder Beetz Filmproduktion)

Greta Thunberg ist auch bei der 14. FilmWeltWirtschaft im Filmmuseum München der Star

Von Dunja Bialas

»Wachstum vor Klima­schutz!« Mit dieser unzeit­ge­mäßen Message schrieb der US-ameri­ka­ni­sche Präsident Donald Trump mal wieder Schlag­zeilen. Ohne vor der Weltöf­fent­lich­keit jedoch das Wort »Klima­wandel« überhaupt in den Mund zu nehmen, sprach er davon, »die ewigen Propheten des Unter­gangs und ihre Vorher­sagen der Apoka­lypse zurück­weisen« zu müssen. Ein Affront gegen das alljähr­lich im Januar statt­fin­dende Welt­wirt­schafts­forum, das für seine 50. Ausgabe den Klima­wandel ins Zentrum gestellt hatte.

Ebenfalls immer im Januar findet München zum Schweizer Welt­wirt­schafts­gipfel seine ganz eigene Antwort. Claudia Engel­hardt, stell­ver­tre­tende Leiterin des Film­mu­seums, stellt für die poli­tischste aller Jahres­zeiten unter dem Titel »FilmWel­tWirt­schaft« ein Programm aus Filmen und Debatten zusammen, das die Wirt­schafts­lage unter einem ganz eigenen Gesichts­punkt beleuchtet. Dieses Jahr ist das Thema »Soli­da­rität«. Dabei geht es um den Sozi­al­pakt in einer ökono­misch unge­rechten Welt, die auch zur gesell­schaft­li­chen Schief­lage führt.

Selbst in der Welt der west-östlichen Indus­trie­staaten werden die Stimmen lauter, die nicht mehr das Hohelied auf das Wirt­schafts­wachstum singen wollen. Das zeigt die Doku­men­ta­tion Das Forum von Marcus Vetter, der hinter die Kulissen von Davos blicken durfte. Mit seinem Kame­ra­mann Georg Zenger­ling beglei­tete er die Vorbe­rei­tungen des Gipfels von 2018 und 2019, als auch erstmals Greta Thunberg einen – damals noch unau­to­ri­sierten – Auftritt hatte.

Mit ihrem eindrück­li­chen Appell »Ich will, dass ihr in Panik geratet« sorgt Greta Thunberg für den emotio­nalen Höhepunkt des Films. Eine andere Galli­ons­figur der poli­ti­schen Wachheit ist die charis­ma­ti­sche Green­peace-Leiterin Jennifer Morgan. Der Film zeigt sie engagiert und konster­niert, als leben­digen Licht­blick unter den grauen Herren. Im eigent­li­chen Zentrum des Films – und von Davos – steht dessen Erfinder Klaus Schwab. Der heute 81-jährige Schweizer vereint Hell­sich­tig­keit mit Neutra­lität, Alters­weis­heit mit Amtswürde. Er spricht kluge Sätze in die Kamera wie »Wir hinter­lassen der nächsten Genera­tion einen Schul­den­berg, den sie abtragen müssen, in irgend­einer Form. Wir leben auf Kosten der nächsten Genera­tion.« Dass Greta Thunberg dieses Jahr offiziell einge­laden war, ist sicher­lich dem Davos-Chef und nicht der versam­melten Wirt­schafts­riege zu verdanken, die für Greta nach ihrem ersten Auftritt nur ein Schul­ter­zu­cken übrig hatte.

Marcus Vetters Schwäche ist, dies sei kritisch angemerkt, seinen gehalt­vollen Inhalt immer wieder mit emotio­naler Strei­cher­musik zu unter­malen. Dennoch ist sein über zwei Jahre hinter den Kulissen gewon­nener Einblick in das Klas­sen­treffen der Mäch­tigsten der unan­ge­foch­tene Star der dies­jäh­rigen FilmWel­tWirt­schaft im Film­mu­seum. (Fr 24.1. 18:30, zu Gast: Tabea Stiren­berg von »Fridays for Future«)

Soli­da­rität und Arten­schutz beginnen vor der Haustür

Die anderen Filme machen es eine Nummer kleiner. Soli­da­rität ist nicht nur auf globaler Ebene einzu­for­dern, das beginnt bereits vor der Haustür. Good Neigh­bours (2018) von Stella van Voorst van Beest beleuchtet ein Nach­bar­schafts­pro­jekt in Rotterdam. Ehren­amt­liche sollen ausfindig machen, wie es um die alten Leute im eigenen Viertel steht. Haben sie Verwandte oder Bekannte, die regel­mäßig nach ihnen sehen? Haben sie soziale Ansprache? Sich um sie und für sie zu sorgen, auch das sollte ein Anspruch in unserer älter werdenden Gesell­schaft sein. Ein Soli­dar­pakt mit denen, die ange­sichts der Idea­li­sie­rung der Jugend nur noch wenig gelten und die man allzu leicht und allzu gerne vergisst. (Di 28.1. 18:30, zu Gast: Prof. Gerd Mutz, Hoch­schule München)

Doch – Frei­be­rufler aufge­passt! – auch die Jüngeren kennen Einsam­keit. Die Schau­spie­lerin Eva Löbau zeigt in Lucia Chiarlas Reise nach Jerusalem (2018) in einer beein­dru­ckenden Perfor­mance, wie sich eine prekäre private und beruf­liche Situation zur exis­ten­ti­ellen Krise auswächst. Da trifft mangelndes Selbst­be­wusst­sein auf Stan­dard­si­tua­tionen des Arbeits­marktes, eine überlaute Gesell­schaft auf eine ehrliche Haut, die keinen Platz für sich finden kann. Der Ausweg ist am Ende der Ausstieg – mit unge­wissem Ausgang. Nicht unbedingt ein Feelgood-Movie, aber Kammer­spiel-Schau­spie­lerin Eva Löbau kreiert – ähnlich wie in Maren Ades Der Wald vor lauter Bäumen (2000) – eine hilflose und unmö­g­liche Figur, die man zugleich in den Arm nehmen und schütteln möchte. (Sa 25.1. 18:30, zu Gast: Arbeits­psy­cho­login und Coach Annik Weber)

Lieber für sich lassen sollte man die Kinder in Klaus Stanjeks wunder­samem mittel­langen Film Großstadt – Stadt der Großen, den der Doku­men­tar­fil­me­ma­cher 1995 in München mit versteckter Kamera gedreht hat. Für seine als Expe­ri­ment angelegte Studie über die Kinder­freund­lich­keit des urbanen Raums schickte er verschie­dene Kinder, darunter auch ein Baby mit seiner Mutter, auf die Straße und in den öffent­li­chen Nahver­kehr. Dort sollten sie erproben, wie Kindsein geht, wenn man mal das Kinder­zimmer und die Play­sta­tion verlässt. Und siehe da: Krei­de­malen verboten, Skate­board­fahren verboten, Kinder­wagen die Roll­treppe hoch­fahren ein Ding der Unmö­g­lich­keit, Wickeln Fehl­an­zeige, Stillen in der Tram? Geht’s noch? Wunderbar sind retro­spektiv die alten Münchner »Weiblein«, die sich ange­wi­dert von der entblößten Mutter­brust abwenden. Eine Spezies, die aus dem Stadtbild verschwunden scheint – anders als das Stillen in der Öffent­lich­keit. Die Kinder haben übrigens noch eine tolle Idee auf Lager, wie die dezidiert auto­freund­liche CSU auch heute provo­ziert werden könnte: Einfach einen Park­schein lösen und einen Parkplatz zum temporär ange­mie­teten Spiel­platz umde­kla­rieren. Statt der Menschen, die sich unbedingt »im Sitzen durch die Stadt« bewegen wollen, so die prägnante Formel von Stanjek, würden dann die Kleinsten den Stadtraum erobern. (Mi 29.1. 18:30, Zu Gast: Vertreter*innen des Münchner Forum für Stadt­ent­wick­lung)

Die Message der FilmWel­tWirt­schaft zum neuen Jahrzehnt ist: Nur wenn die Welt auch aus der Sicht der Kleinen, Schwachen, Unter­pri­vi­li­gierten und Leisen überhaupt wahr­ge­nommen wird, kann eine soli­da­ri­sche Zukunft entstehen. Schauen wir einmal, was kommt.

FilmWel­tWirt­schaft
23.-29. Januar 2020, Film­mu­seum München

Eintritt: 4 € (Mitglieder des MFZ 3 €)
Eine Reihe des Film­mu­seums München